"top 10"
hamburg, 4.4.2005

"wo hat's euch denn nun am besten gefallen?" oder "was war denn das highlight?", diese fragen haben wir in den letzten zehn tagen wieder und wieder gehoert. klar, ihr wollt das wissen, obwohl sich so eine reise nicht auf irgendwelche "charts" reduzieren laesst. aber wir geben es zu, auch wir lieben listen, die die welt so einfach erscheinen lassen, deshalb sollt ihr sie haben, unsere top 10:

<1> der beste strand: tofo, mosambik. duenen, palmen, brandung, walhaie, delfine und ueber allem thronend die bamboozi-bar.

<2> der beste backpacker: njaya lodge, nkhata bay, malawi. diese lodge repraesentiert das freundliche malawi auf das wuerdigste. nirgendwo gab es so nette und aufmerksame leute hinter bar und rezeption, nirgendwo war das wohlfuehlen so einfach: jetzt trinken, am ende zahlen - einfach dem barmann die "tab"-nummer zurufen. und dieser blick ueber den see...!

<3> der beste bus: ganz klar der von el gailani im sudan zwischen khartoum und gedaref. das war afrika im 22. jahrhundert.

<4> die beste bar: das "1975" in beirut. den krieg wegtrinken. so viel selbstironie ist einfach grossartig.

<5> der beste club: der "cairo jazz club", das war phiesta pur. wer dort und im 1975 war, wird nie wieder von der rueckwaertsgewandtheit "der" arabischen welt faseln. geht hin und feiert mit den arabern.

<6> der beste kaffee: ueberall in aethiopien, dem heimatland des kaffees. fuer 10 cent 1A espresso. wunderbar.

<7> das beste essen: im "blue café" in hermanus, suedafrika. noch nie so leckeren tintenfisch gegessen, und der springbok erst mal...!

<8> die besten zigaretten: "shag", eine marke aus kapstadt, die in simbabwe produziert wird. toller name, tolles schwarzweiss-design. da haben sogar die suedafrikaner gefragt, wo wir die herhaben.

<9> der beste zug: zwischen deca und sibiu in rumaenien. mit zeitungskiosk. na gut, es war ein neuer siemens-schnellzug. aber da haetten wir ihn nicht vermutet.

<10> der beste song: "love me or leave me" von kabelo, lockerer kwaito, hat das zeug zum sommerhit an der elbe. hier koennt ihr ihn runterladen: http://www.nosleeptillkapstadt.de/
lovemeorleaveme.mp3

 

saegemehl (ein paar unaufgeregtere gedanken zu afrika)
kapstadt, 18.3.2005

meinen brass ueber das "trainingslager fuer philanthropen" habe ich mir vor einiger zeit von der seele geschrieben. aber afrika gibt noch keine ruhe, es rumort weiter, ich lese, was ich finden kann, um mehr ueber diesen kontinent zu verstehen, magazine, buecher - gibt es irgendwo antworten auf die frage, wie es in afrika aufwaerts gehen koennte? ja. hernando de soto hat eine vor fuenf jahren in seinem buch "the mystery of capital" gegeben. wichtig ist der untertitel: "why capitalism triumphs in the west and fails everywhere else". de soto leitet das institute of liberty and democracy in lima, einem think tank zu fragen ueber weltwirtschaft und entwicklung. das problem der dritten welt sei nicht, dass ihre bevoelkerung ungebildet, unfaehig, faul oder fuer den kapitalismus kulturell ungeeignet sei. nein, die oekonomien der dritten welt bestehen zu drei vierteln aus informellen unternehmen und produktionsstaetten, die ausserhalb des gesetzes operieren, aus dem, was bei uns "schattenwirtschaft" genannt wird. de soto und seine mitarbeiter haben seit den 80er jahren die favelas und shantytowns von sechs drittweltmetropolen auf ihr wirtschaftliches potenzial hin untersucht. ihr fazit: die wirtschaftliche aktivitaet dort ist enorm - sie taucht nur in keiner nationalen oder internationalen statistik auf, weil die grundstuecke, maschinen, fahrzeuge, mit denen der "slum-entrepeneur" oder der landbewohner arbeiten, nirgendwo registriert sind. den wert dieses "toten kapitals", das am offiziellen weltkapitalismus nicht teilnimmt, schaetzt de soto auf weltweit 9,6 billionen dollar! tot ist dieses kapital deshalb, weil es kein registriertes privateigentum ist, dass es seinen besitzern ermoeglichen wuerde, als sicherheit fuer bankkredite oder geschaeftsvertraege zu dienen. privateigentum ist aber die grundlage des kapitalismus, und vor allem - es bringt geld und kapital ueberhaupt erst hervor. wo kein privateigentum existiert, das wie im westen dokumentiert und amtlich verbrieft ist, gibt es nur einen mafia-kapitalismus aus schmier- und schutzgeldern und einer produktion, die immer am rande der anarchie und des verfalls operiert. wer je in afrika oder asien rumgereist ist, hat sofort all die gluecksritter der stadt, die an einer strassenecke alles und nichts verkaufen, die inoffiziellen taxifahrer oder die kleinen familienwerkstaetten in huetten, am rande der metropole oder auf dem tiefsten land, vor augen. de sotos botschaft ist nun: legalisiert erst einmal dieses tote kapital, bevor der internationale waehrungsfonds (IWF) mit weiteren "strukturanpassungsprogrammen" kommt. dass das nicht so einfach ist, zeigt ein experiment, dass er mit seinen mitarbeiter 1994 gemacht hat: die ordentliche anmeldung einer naeherei mit einer naehmaschine und einem arbeitsplatz. es dauerte 289 tage und unzaehlige behoerdengaenge, bis die naehmaschine registriert war - und 1231 dollar gebuehren, das 31-fache des monatlichen mindestlohns in peru. schwer genug, diese summe in peru zu sparen, aber unmoeglich, einen ordentlichen bankkredit in dieser hoehe fuer die anmeldung einer 1-mann-naeherei zu bekommen. kein wunder, dass die meisten kleinunternehmer in diesen laendern es vorziehen, ihre naeherei im oekonomischen untergrund zu betreiben. de soto schreibt deshalb allen drittweltpraesidenten hinter die ohren: hoert auf, euch zuerst um das lockermachen von hilfsmilliarden zu kuemmern - packt das eigentumsproblem eurer laender an und erweckt das tote kapital zum leben (wie es der westen uebrigens im 19. jahrhundert gemacht hat, als diverse eigentumsgesetze in den laendern europas vereinheitlicht wurden). de soto macht sich keine illusionen, dass es dazu integrer und faehiger politiker bedarf. und von denen gibt es hier in afrika eher noch weniger als bei uns. eine politikwissenschaftlerin aus malawi brachte es kuerzlich in der tageszeitung "the nation" auf den punkt: "politik wird hierzulande als besonders lukrativer job angesehen." *** neben fehlendem eigentum und korrupten politikern gibt es ein weiteres dramatisches problem in afrika, das jedem reisenden, der mit der lost generation dieses kontinents konfrontiert ist, auffallen muss: fehlende oder zu geringe bildung. zwar haben alle afrikanischen staaten spaetestens mit der unabhaengigkeit ein landesweites schulsystem eingefuehrt. doch die schule ist nicht in allen laendern teil der sozialen grundversorgung, die der staat seinen buergern kostenlos stellt. in malawi zum beispiel kostet das trimester einer secondary school (8. - 11. klasse) 3000 kwacha gebuehr, ca. 22 euro. das ist in malawi schon viel geld. in familien, in denen die eltern und aelteren kinder auch noch von AIDS dahingerafft werden, ist dieser betrag dann ueberhaupt nicht mehr zu finanzieren. also versuchen viele jugendliche zu jobben. die gluecklicheren leben in einem ort, durch den touristen kommen und fuer ein paar dollar zum beispiel schnitzereien oder bilder kaufen. nun, was wird ein 18-jaehriger tun, wenn er in seinem ausgefallenen trimester auf diese weise ploetzlich ein paar hundert dollar verdient hat? sehr wahrscheinlich auf die schule pfeifen und auf den mzungu money train aufspringen. der kann aber sehr schnell ins stocken kommen und am ende ganz ausbleiben: duerre, buergerkrieg, fluechtlingsstroeme oder ein tsunami sind ereignisse, die touristen nicht moegen. und was dann? schlimm genug, dass die wirtschaftsstrategen des westens, etwa im IWF oder in der WTO, allen regierungen das hohelied der dienstleistungsgesellschaft vorsingen. schulgebuehren seien besser, weil dann ein bildungsmarkt entstuende, der die qualitaet von schulen foerdere. dumm nur, wenn die jungen gluecksritter von diesem fortschritt nichts mehr mitbekommen, weil sie ihre touristendollar abends in der kneipe auf den kopf hauen. ich mochte uebrigens "we don't need no education" von pink floyd noch nie. fuerchterliches lied. -nbo

 

auf dem dach afrikas
sani pass, 6.3.2005

tibet ist das "dach der welt", hoeren wir von kindesbeinen an. aber auch afrika hat ein dach, das kaum jemand kennt: lesotho. einer festung gleich erhebt es sich auf einer hochebene ueber suedafrika, abgeschirmt im sueden von den dreitausendern der drakensberge, ueber deren gipfeln moerderische gewitter toben. ueber die alte haendlerstrasse durch haarnadelkurven hinauf zum sani-pass erreichen wir nach anderthalb stunden im keuchenden landrover diese seltsame, entrueckte welt, die tolkien die erste inspiration zum "herrn der ringe" gegeben haben soll. als wir im baumlosen hochland mit seinen gelben blumenwiesen und steinhuetten ankommen, ist suedafrika ploetzlich so weit weg wie europa. viehhirten stapfen, in wolldecken gehuellt, mit federnden schritten in gummistiefeln durch die weite gruene tundralandschaft. und waehrend wir kurzatmig und unglaeubig ueber diese atemberaubende bergwelt in unsere sandwiches beissen, liegen fuenf junge basotho baeuchlings vor uns im gras und amuesieren sich ueber uns seltsame zeitgenossen. hier oben in lesotho gelten noch andere gesetze, hat die moderne kaum den alltag angekratzt. in den steinhuetten haben die frauen das sagen: selbst der ehemann darf die huette nur betreten, wenn ihm seine frau einlass gewaehrt, hoeren wir. "gogo?" muss der mann fragen und auf das "ngena" der frau warten. wenn sie ein neues kind geboren hat, darf der mann fuer einen monat die huette nicht betreten. in dieser zeit muss er in den steinernen hirtenunterstaenden an den berghaengen zuflucht suchen. wer eine basothohuette betritt, setzt sich sofort ungefragt auf den boden und wartet, bis ihm eine hand zur begruessung entgegengestreckt wird. die ergreift er dann, ohne aufzuschauen oder sich gar zu erheben, denn beides wuerde bedeuten, dass der besucher unredliches im schilde fuehrt. vor den runden steinhuetten sind kleine flaggen aufsteckt: weisse, wo sorghumbier verkauft wird, rote fuer fleisch, gelbe fuer mehl. anbauen laesst sich auf dem dach afrikas allerdings nichts, hier in rund 3000 metern hoehe gedeihen nicht einmal kartoffeln oder rueben im nur 30 zentimeter tiefen tundraboden. der winter ist brutal und treibt die basotho in ihr flachland, das "nur" 1500 bis 2000 meter hoch liegt. als wir von unserem aussichtspunkt zurueck zum jeep laufen, sehen wir ploetzlich zwei fast nackte gestalten auf den felsen auftauchen. sie rufen und lachen und stuermen dann hinter uns her. ausser gummistiefeln und badehose tragen die beiden jungs nichts, waehrend wir uns im kuehlen wind des hochlandes uns schon unsere fleece-jacken bis unters kinn zugezogen haben. als wir ihnen ihr bild im display der digitalkamera zeigen, lachen sie laut los. und ich frage mich in diesem augenblick, ob sie ueber sich selbst lachen oder ueber uns ulkige touristen, die sie fuer so wichtig halten, dass sie ein foto von ihnen hinunter in die erste welt nehmen wollen. -nbo

 

was ist reisen? #3
tofo, 23.2.2005

traveller glauben, die besseren reisenden zu sein. ihre ideologie ist die suche nach dem authentischen, die sie von touristen trenne, glauben sie. denn diese dickbaeuchigen, rotgesichtigen zeitgenossen mit ihren sonnenhueten, tennissocken und khakihosen begnuegten sich mit den vorverdauten und mundgerecht zubereiteten kulturhaeppchen, die ihnen die reiseveranstalter vorsetzen. und so wird kurzerhand jeder ort, jeder pfad, an dem die zahl der mzungu und faranji sprunghaft zunimmt, fuer verdorben erklaert. hier habe der tourismus authentische kulturen angefressen, ja zerstoert, versichern sich die traveller und es klingt wie eine beschwoerung. es ist bestenfalls naivitaet, wahrscheinlich aber masslose ignoranz. die wohlmeinenden halten einen ort wie pangani an tansanias nordkueste fuer authentischer als nungwi in sansibar, nur weil dort das geschaeft mit den fremden noch nicht angekommen sei. aber die jungen checker und gluecksritter der swahilikueste (nur ein beispiel fuer viele weltgegenden), sie sind genau so echt wie der dhau-kaeptn, der noch mangos und bananen mit dem wind verschifft. auch sie sind das afrika von heute, und unsere enttaeuschung ueber ihr gehabe und gequatsche entlarvt nur die grosse travellerillusion, es gebe noch andere, ja bessere, weil urspruenglichere zivilisationen, die dem von sich selbst entfremdeten westen etwas voraus haetten. mehr spiritualitaet, mehr gemeinschaftssinn, weniger materialismus. oder so. das ist lange vorbei. ob in indien, kambodscha oder tansania, der grosse traum, der alle eint, ist derselbe wie im westen: ein gutes leben ohne mangel und krankheit, in dem alles zur hand ist in dem augenblick, da man es sich wuenscht. der traveller ist genauso wie der tourist ein willkommenes mittel, dieses leben schneller zu erreichen als durch jahrelangen pfluegen, fischen oder anderweitiges schuften. es ist absolut folgerichtig, dass niemand in der dritten welt einen unterschied zwischen traveller und tourist macht. der vermeintliche unterschied zwischen beiden reisendengruppen ist eine intellektuelle augenwischerei der westler. die realitaet des reisens hingegen aehnelt eher der quantenmechanik: so wie in dieser der beobachter immer das messergebnis eines experiments in der welt der atome und elementarteilchen beeinflusst, kann auch der traveller nie nur reiner gast, stiller beobachter sein. wo immer er auftaucht mit seinem rucksack, den er fuer bescheideneres gepaeck haelt als die koffer der touristen, wird er zur attraktion, zur gelegenheit. jeder "authentische" einheimische, der clever genug ist, wird sich sofort auf die gegenwart dieses mzungu einstellen und sich hoechstens wundern, warum sich ein fremder in einen kaputten bus zwingt, in einem hotel mit dreckigen klos und kaputten duschen schlaeft. die vorstellung authentischer kulturen hat ihre wurzeln im zeitalter der entdecker und romantiker, als europaeer zum ersten mal in fuer sie fremde weltgegenden vorstiessen und einige wohlmeinende patres den "edlen wilden" vor dem suendenfall entdeckt zu haben glaubten. der edle wilde wurde im kolonialismus schnell zum untermenschen, grund genug fuer alle antiimperialisten unter den travellern, den edlen wilden im fremden zu rehabilitieren. was aber ist falsch daran, wenn diese "authentischen kulturen" sich genauso veraendern wie wir westler, die wir begeistert sushi und thaicurries essen, im sommer mit sarongs oder lungis um die hueften unsere grossstadtstraende bevoelkern oder zuhause buddhafiguren oder afrikanische masken in unsere wohnzimmer stellen? im 21. jahrhundert , in dem bob marley und beckham, hiphop und hotmail in jeden weltwinkel vordringen, sind wir alle touristen, sobald wir uns in die fremde begeben, um neue erfahrungen zu machen - und immer auch hoffen, weiter zu uns selbst vorzudringen, uns zu entspannen, loszulassen vom rat race des kapitalismus. ob im verrosteten toyota-dala-dala in tansania oder im klimatisierten bus eines fuenfsterne-ressorts auf bali, ist unerheblich. denn reisen entspringt immer auch einer gehoerigen portion egoismus, die wir uns leisten, indem wir von zuhause verschwinden und eine luecke hinterlassen, zur selben zeit aber in der fremde anderen unsere gegenwart zumuten. -nbo

 

ostafrika-schnipsel
14.2.2005

fangen wir mal nicht mit bier und zigaretten an. bleiben wir beim saft. kaum hatten wir die grenze zwischen kenia und aethiopien ueberquert, war's vorbei mit dem orangensaft. von kenia bis bis malawi gab es keine orangen mehr. nur mango, ananas und passionsfrucht. nicht ganz unsere geschmacksrichtung. da ist man in den tropen, und es gibt keine orangen. wahrscheinlich nur unsere unwissenheit, ueberall orangen zu vermuten. aber sie waren einfach weg. - ebenso der kaffee. in kenia und tansania tauchen sie teebeutel in warme milch. das war's. kaffee? haben wir nicht. au backe. tee mit milch. dabei wird in kenia und tansania kaffee angebaut. aber, wie uns ein italiener in stone town sagte, dort verstehen sie nichts vom kaffee roesten. stattdessen nur instant-kaffee (marke "africafé"). fuerchterliche ploerre. - ja, aber nun doch zum wichtigsten: bier und zigaretten. da sieht alles gleich viel freundlicher aus. zigaretten - ein paradies fuer raucher: im sudan schlotet man "bringi" im 10er-paeckchen fuer 200 dinar (60 cent), in aethiopien kostet die 20er-packung "nyala" 3 bis 4 birr (25 - 35 cent), in kenia gibt es 20 "superman" fuer 40 bis 60 shilling (40 - 60 cent), in tansania haben wir 800 bis 1000 shilling (55 - 70 cent) hingelegt, und in malawi waren es 40 bis 80 kwacha (35 - 70 cent) fuer eine packung "ascot" oder "embassy". und das bier: im sudan natuerlich fehlanzeige. in aethiopien gibt es leckeres "dashen", die flasche fuer 10 birr (knapp 1 euro), in kenia ist "tusker" fuer 80 bis 100 shilling (80 cent - 1 euro) nicht zu verachten, in tansania zischt "safari "fuer 1000 bis 1500 shilling (70 cent - 1 euro) am besten, in malawi gibt es "carlsberg green" fuer 50 bis 90 kwacha (40 - 75 cent). - wer in ostafrika in einem 40 grad heissen bus drei stunden mit der nase in der achselhoehle des nachbarn auf dem gang gestanden hat, hoert das wort "sweatshop" mit anderen ohren. diese kapitalistische ausbeutung ist an sich schlimm genug, aber in afrika muss es unertraeglich sein. - autofahren muss man nicht in der fahrschule lernen, macht in ostafrika auch bestimmt keiner. aber so fahren sie dann auch. wer zu frueh schaltet, ist uncool. der berg wird im dritten gang genommen, bis der wagen fast steht. und wenn's bergab geht, schaltet man runter, damit man noch mal so richtig schoen den schwung fuer die naechste steigung abwuergt. - fluestern ist in ostafrika nicht nur unbekannt, sondern wohl auch unmoeglich. die lokalen sprachen werden immer lautstark artikuliert, auch morgens um vier, wenn alle nachbarn noch schlafen. diskutieren heisst automatisch schreien. da ist an schlaf nicht zu denken. - muell wegbringen funktioniert nach dem prinzip "ich mach die augen zu, dann sieht mich keiner". in nkhata bay wurde er von den gaertnern direkt neben unsere huette gekippt, weil da so schoene bullige felsen waren. die gaertner konnten ihn dann nicht mehr sehen, aber wir um so mehr, und noch viel mehr riechen. als wir uns beschwerten, schauten sie uns nur ratlos an. ach, diese mzungu. - die gummi-schlappen aus recycelten autoreifen, die wir zum ersten mal in addis auf dem mercato gesehen haben, werden bis unten in arusha und serengeti getragen. hemingway hat schon 1935 in "green hills of africa" diese schlaue schuhmode erwaehnt. so alt ist diese idee schon. klasse. - die restliche mode in ostafrika ist weniger erbaulich. wer nicht traditionelle kleidung traegt (maenner fast nie mehr), rennt mit klamotten aus der altkleidersammlung des roten kreuzes herum. das trendpolentum in st. pauli, moeglichst schlecht angezogen zu sein (blaue skijacke, graue anzughose und kackbraune turnschuhe zum beispiel), kann da nicht mithalten. wann sind die maenner auf die idee gekommen, dass ihre traditionellen sachen schlecht aussehen? da lob ich mir die samburu oder massai mit ihren togen oder wickelroecken. - wer in malawi avocados gekauft hat, will nie wieder eine beim obstmann um die ecke erstehen. dort gibt es riesengeraete fuer umgerechnet 5 cent, waehrend bei uns winzige verschrumpelte gruene eier rumliegen, die 1 euro kosten, im oekosupermarkt sogar 1,60. - last but not least ein blick in den zeitungsstaender: im sudan gibt's unter anderem den duennen taeglichen "sudan monitor", der die pfoten schwaerzt; in aethiopien ueberrascht eine wochenzeitung namens "capital" mit kapitalismuskritischen analysen; in kenia koennen wir taeglich "the standard" oder "the nation" lesen, beides ein maessiger genuss; schon etwas besser informiert ist man in tansania mit dem "guardian", der auch denselben schriftzug wie sein englischer namensvetter hat, es gibt eine eigene sektion "world & business news", in der einiges drin steht; die malawischen "mail" und "nation" sind hingegen wieder recht schmalbruestige tageszeitungen. absolut lesenswert ist dagegen die wochenzeitung "the east african", die in kenia, tansania und uganda verkauft wird. da erfaehrt man mehr als nur crime-stories und politiker-skandale. lesen!

 

was ist reisen? #2
addis, 20.12.2004

reisen ist ein full-time-job. du kommst an einem neuen ort an und musst erst mal ein bett finden. wehrst hotelschlepper ab, die dich wie fliegen umkreisen, wenn du aus dem bus steigst. begutachtest ein zimmer hier, ein bad dort. dan eine entscheidung. durchatmen. dringend etwas trinken. staendig brennt die sonne und trocknet dich aus. oder verkleben autoabgase deine lungen. du zwingst dich, wenigstens deine 1,5-liter-flasche wasser am tag zu trinken, obwohl dir die laue bruehe schon lange zum hals raushaengt. OK, gehen wir mal vor die tuer. sofort bist du wieder von gluecksrittern umzingelt, meistens um die 20 jahre alt. can I help you? you make tour? where you from? zu viele fragen, auf die du nicht antworten willst oder kannst. du gehst die strasse runter und spuerst den schatten, der dir folgt. "mister", "hello", "my friend" wispert es permanent aus tuernischen und laeden. ein "good price" verfolgt dich unablaessig, denn bist du etwa nicht zum hardcore-shoppen in dieses land gekommen? du willst dir etwas angucken und hast keine lust laufen, weil es zu heiss ist oder der das mister-gefluester auf die nerven geht. ein taxi, ein rikscha, ein tuktuk muss her. du nennst dein ziel, und der fahrer antwortet dir mit einem phantasiepreis. dann folgt das ewige gefeilsche. nach einem kurzen wortwechsel steigst du achselzuckend ein. am ziel schaust du dir etwas an, was dir fremd ist, was du nicht verstehst. blaetterst in deinem handbuch, in dem nie genug steht, um deinen wissensdurst zu stillen. vielleicht nimmst du einen guide, der dir auch wieder nur die basics herunterleiert. deine nachfragen versteht er nicht richtig. mit bildern und fragen im kopf ziehst du weiter. setzt dich irgendwohin, um einen kaffee, einen tee zu trinken, eine zigarette zu rauchen. aus dem hintergrund schwappt schon wieder ein schwall von fragen herueber. kinder kommen vorbei und wollen dir kleinkram verkaufen, den du nicht brauchst. jede minute eins. irgendwann wird es dunkel, zeit etwas zu essen. du checkst strassenstaende, restaurants, vergleichst sie vielleicht mit einem tip aus deinem handbuch. dein abendessen ist entweder ein gericht, das du noch im leben gesehen oder schon die ganze woche gegessen hast, weil die lokale speisekarte ziemlich kurz ist. 5 tage mensaf in jordanien, 5 tage huehnchen und fuul in aegypten, 5 tage kebap im sudan, 5 tage kitfo oder tibs in aethiopien. OK, ich uebertreibe ein wenig. im nahen osten oder asien kommt ein anderes problem hinzu. diese trostlose getraenkekultur. wasser, cola, tee oder bier. cola ist dir auf die dauer zu suess. tee, davon reichen vier tassen am tag wirklich. das zweite bier am abend schmeckt auch schon fad (ein koenigreich fuer ein frischgezapftes jever). ein guter wein? apfelsaft? apfelschorle? ein toller cappucino? mineralwasser mit kohlensaeure? Matelimo? ach ja. mit schwirrendem kopf sinkst du in einen unruhigen schlaf, der mitten in der nacht - so kommt es dir vor - unterbrochen wird. der muezzin ruft, die ersten trucks donnern hinter der einfachverglasten scheibe dahin, eine huehnerarmada gackert und kraeht. du drehst dich um und erhaschst noch mal zwei stunden schlaf. dann das naechste problem: was fruehstuecken? im nahen osten oder in afrika gibt es immerhin hervorragenden kaffee. aber das essen? schon morgens saubohnen (fuul) wie in aegypten? nudelsuppe wie in asien? firfir wie in aethiopien? oder das 43. traveller-omelett, das fuer "den" westler ueberall auf der welt auf der karte steht? das continental breakfast besteht aus chemiemarmelade und brot. na wenigstens brot. ach, ein camembert - doch vor dir liegt nur schmelzkaese, der mit der lachenden kuh, auf dem teller, jedenfalls im nahen osten. und irgendwann musst du dich entscheiden, wie du weiterfaehrst. bustickets am ende der stadt organisieren. oder in aller hergottsfruehe am busbahnhof sein, weil fahrkarten nur am selben tag verkauft werden. dann faehrst du ab, kommst stunden spaeter woanders an, und das spiel geht von vorne los. -nbo

 

nahost-schnipsel
5.12.2004

zuerst das wichtigste: bier- und zigarettenpreise. in syrien kostet das lokale bier (z.b. al chark) ca. 60 syrische pfund (1 euro), in beirut fanden wir nur importiertes bier fuer 3000 libanesische pfund (1,70 euro), in jordanien gibt es mit "philadelphia" eine richtig gute marke, aber die flasche kostet 3 jordanische dinar (3,50 euro), das ist leider der einheitspreis fuer bier im hashemite kingdom!! in aegypten kostet ein "stella" ab 8 pfund (1 euro). zigaretten kosten in syrien zwischen 50 und 80 pfund (80 cent bis 1,30 euro), in beirut knapp einen euro, in jordanien einen dinar (1,15 euro) und in aegypten ab 2,50 pfund (0,28 euro). marlboro ist natuerlich ueberall teurer, aber muss man das rauchen? --- Fuer Sauberkeit und Hygiene hat man hier keine Schwaeche, in der Gruppe erst recht nicht. Wenn mehr als zwei zusammenstehen, hinterlassen sie eine Muellhalde, alles wird einfach fallengelassen oder weggeworfen, wo man gerade steht. Ekel-GAU bis jetzt: die "Bowle" auf der Frauen-Hocktoilette auf der Faehre von Akaba nach Nuweiba, als die Wasserpumpe nicht funktionierte, keine weiteren Details... --- die aegyptischen maenner fahren voll auf libanesinnen ab, erzaehlt uns alaa. das libanesische arabisch klingt fuer aegyptische ohren irgenwie geil und sexy, weil die libanesen in ihrer alltagssprache woerter benutzen, die aegypter offenbar als "dirty" empfinden --- obwohl sich araber und amerikaner (um das mal so pauschal zu schreiben) zur zeit spinnefeind sind, gibt es drei auffaellige gemeinsamkeiten: ein hang zur froemmelei bis hin zum gefuehl goettlicher auserwaehltheit, ein nationales uebergewichtsproblem, da beide auf zucker abfahren (die leute schaufeln sich hier ihren tee zu, in jordanien ist die haelfte der bevoelkerung uebergewichtig, warnen gesundheitsexperten), und einen hang zur alkohol-prohibition. signifikantester unterschied: die araber sind meist kettenraucher, die amis haben eine rauchphobie. vielleicht liegt's daran, dass sie sich nicht richtig verstehen. --- der bedouine schaltet die autoscheinwerfer erst an, wenn es stockdunkel ist. die daemmerung ist ihm noch hell genug. --- In Damaskus im Swiss-Magazin den ersten Burkini gesichtet: eine Burka bis zum Bauchnabel, mit Sehschlitz und Tangahoeschen, leider nur eine Persiflage eines europaeischen Kuenstlers. --- wer hat den arabischen maennern bloss diesen einheitshaarschnitteingeredet? vom syrischen praesidenten bis zum taxifahrer: fast alle tragen kurz geschnitten und dann leicht nach hinten gekaemmt (manchmal mit ein wenig gel drin). sieht schrecklich spiessig aus, erst recht mit schnurrbart --- obwohl wir per luftlinie nicht weit von der westbank entfernt waren, konnte man von der unruhe wegen arafats tod in jordanien und syrien nicht viel spueren. die leute haben in seinen letzten tagen im krankenhaus in paris ueberall am fernseher gehangen, aber das war's dann auch. naja, die zeitungsschlagzeilen konnten wir natuerlich nicht entziffern. in amman hingen nach seinem tod die flaggen auf halbmast. --- thema zeitungen: wer nicht an die internationale presse herankommt, muss hier nicht verhungern. in allen vier laendern, in denen wir waren, gibt es eine englischsprachige tageszeitung. in syrien die syrian times (nur acht seiten, schlecht und propagandistisch), im libanon den lebanon daily star (recht umfangreich, gut gemacht), in jordanien die jordan times (auch brachbar) und in aegypten den egyptian chronicle (acht seiten, geht noch). in aegypten erscheint ausserdem die englischsprachige wochenzeitung al ahram weekly. ein lesenswertes blatt, in dem kluge koepfe und intellektuelle ueber die gegenwart raesonnieren. --- Fast alle Autos fahren mit Diesel, die Luftverschmutzung ist so gewaltig, dass einem abends die Abgase aud der Nase broeseln. --- Am Muezzin kommt keiner vorbei, selbst im christlichen Viertel in Kairo wird gebloekt. Weil es so viele, aus so unterschiedlichen und vor allem schlechten Lautsprechern sind, hoeren sie sich an wie eine wildgewordene Kuhherde beim Almabtrieb. --- In Damaskus kann man keine groessere Strasse ganz normal ueberqueren, man muss ueber einen der kolossalen Fussgaengerueberwege aus Beton, die einer Altkleidersammlung gleichen: ueberall liegen ausrangierte Klamotten auf dem Boden.

 

osteuropa-schnipsel
2.11.2004

von krakau bis istanbul nehmen die wechselkurse immer absurdere formen an: in krakau bekommt man fuer einen euro 4,6 zloty, in bratislava 40 kronen, in budapest 245 forint, in bukarest 40.000 lei und in istanbul 1,8 millionen lira. da weiss man erst mal, was man am euroland hat. --- in polen werden auslaendische filme im fernsehen nicht synchronisiert, noch nicht einmal untertitelt, sondern uebersprochen. ein monoton plappernder mann leiert die uebersetzung herunter, ganz egal ob gerade ein mann oder eine frau spricht. pamela anderson war also ein gelangweilter pole. drei minuten zum lachen, danach zum weinen. --- in transsilvanien gibt es jede menge baeren, die den rumaenen langsam auf die nerven gehen, weil sie in muelltonnen am stadtrand rumstoebern. in bukarest kann man die baeren essen. wir haben es in unserer fortgesetzten reihe "kulinarische experimente in aller welt" probiert. schmeckt wild, unglaublich, aber gut. man kaut etwas lange drauf rum. --- zigaretten sind ueberall zum wegwerfen billig. --- zugtueren in rumaenien koennen waehrend der fahrt offenstehen. dann hat man ja auch einen besseren blick nach draussen. und an jedem bahnhof geht ein bahnhofsmensch mit einem hammer rum und klopft an die raeder. sucht der blinde passagiere? --- in osteuropa geht ohne zugreservierung nix. in polen handelt es sich aber nicht etwa um buerokratie. als wir hinter der grenze nach unserer reservierung gefragt wurden und verneinten, stellte uns der polnische schaffner eine aus: ueber null zloty. "das ist wichtig, damit genug tee oder kaffee fuer alle reisenden an bord ist, den gibt es naemlich umsonst", klaerte uns eine polin auf. und ihr reisebegleiter fuegte nicht ohne leisen spott ueber die skeptischen deutschen hinzu: "so sind die polen." --- waehrend es in bratislava keine trendglatzen gab, sahen wir in budapest zur begruessung schon bei der ankunft am bahnhof welche. --- die rumaenischen banknoten bestehen irgendwie aus plastik. in jedem schein ist ein loch, das mit transparenten plastik gefuellt ist, und die scheine reissen nicht wie papier, sondern eher wie plastikbecher. --- nirgendwo haengen so viele EU-flaggen an oeffentlichen gebaeuden und hotels wie in rumaenien. dabei tritt es erst 2007 bei. --- die zuege in rumaenien waren puenktlicher als die in deutschland. und die tuerkischen fernbusse ebenfalls. ueberhaupt ist das strassennetz und das bussystem in der tuerkei schwer beeindruckend. --- in rumaenischen kneipen muss man wein als ganze flasche bestellen. glaeser wein gibt es so gut wie nicht. --- die ampelmaennchen sehen ueberall anders aus. wir haben sie deshalb fotografiert und werden sie praesentieren, wenn wir wieder da sind.

 

was ist reisen?
30.10.2004

es ist halb vier nachts im bosporus-"express" zwischen bukarest und istanbul, und an schlaf ist nicht zu denken. nach anderthalb stunden paesse zeigen, vorm grenzschalter antreten, wieder paesse zeigen, dabei dem ueberdrehten gebrabbel zweier schlafloser rumaeninnen lauschen, bin ich in diesem zustand nervoeser, kraftloser schlaflosigkeit angekommen. einzig das bett des CFR-schlafwagens ist in ordnung, der rest eine farce: kein speisewagen fuer eine 20-stundenfahrt, die klos sind verdreckte latrinen, die kabinen mit ihren blindgeschrubbten fenstern und dem abgesprungenen furnier nur transportzellen. das ist so ein augenblick, in dem einem die frage durch den kopf schiessen kann: warum machst du das eigentlich? ist es die perverse lust eines wohlstandseuropaeers an komplikationen, chaos und schmuddel? "back to the roots" kann man solche touren wie im bosporus-express nicht nennen, denn jeder anfang des eisenbahnwesens war besser als das (und schlafwagen in indien sind luxus dagegen). im grunde steckt darin die frage: warum reist man ueberhaupt? ja, was ist reisen? fuer mich ist die essenz des reisens immer die bewegung gewesen. eine permante bewegung durch fremde gegenden. das erfahren einer landschaft, im urspruenglichen sinne des wortes: "er-fahren". die permanente bewegung fordert dich heraus, mehr noch als das zurechtkommen mit einem fremden ort, an dem du dich gerade aufhaeltst. die bewegung zwingt dir als reisendem ihren rhythmus auf, der sich aus der beschaffenheit des raumes ergibt: berge, fluesse, grenzen, politische komplikationen, schlechte infrastruktur, ernaehrung, krankheiten... es gibt keine moeglichkeit zum rueckzug mehr. der reisende wird zur schnecke, schutzlos, mit nur einer tasche als gehaeuse, das er ueberall mithinschleppt, um nicht ganz nackt zu sein. es ist eine erfahrung des reduziert-seins: ploetzlich gibt es nur zwei hosen und ein paar t-shirts, aber siehe da, sie genuegen. der ganze kleiderschrank zuhause ist nur notwendig, um von zeit zu zeit rollen in der gesellschaft zu spielen, rollen, die du spielen willst oder auch musst. auf der reise hast du nur eine rolle, bis zum ende des stueckes. du musst also wacher und auch schlagfertiger sein als zuhause, weil du dich hinter keine maske zurueckziehen kannst. die kunst der reduktion ist also gleichzeitig gepaart mit einer schaerfung der sinne. natuerlich ist das ein prozess und kein zustand, der sich mit der abfahrt einschalten laesst. nun koennte man einwenden, dass diese betrachtung ja nur vom reisenden ausgeht, nicht von der fremden kultur. kann man dieser in permanenter bewegung ueberhaupt gerecht werden? geht es hier nicht nur um einen egotrip? dieser einwand, den ich so oft gehoert und mit manchen freunden diskutiert habe, erscheint mir wie eine bildungsbuergerliche heuchelei. wer reist, tut das immer zuerst aus seiner eigenen neugier, seiner abenteuerlust heraus, wie kulturbeflissen dieser drang auch verbraemt sein mag. die entscheidung des reisenden, fortzugehen und neues zu entdecken, steht immer anfang, nicht das ziel. wir reisen, weil wir lust dazu haben und nicht, weil wir eine "interkulturelle" pflicht erfuellen wollen (ja, auch hier der immer wiederkehrende, sehr deutsche gegensatz von lust und pflicht, den schon schiller so schoen verspottet hat). der zweite trugschluss ist meines erachtens der glaube, dass man einer fremden kultur ueberhaupt je gerecht werden kann, wenn man nur den bewegungsradius klein haelt, sie sozusagen von einem ort aus langsam in kreisbewegungen entdeckt - das ist schon in der eigenen kultur unmoeglich. da moechte ich doch wirklich gerne mal wissen, wer glaubt, dieses gebilde "deutschland" halbwegs erfasst zu haben. ich habe im ruhrgebiet, in hessen, berlin und hamburg jahre meines lebens zugebracht, aber verstehe ich deshalb das leben in sachsen oder baden? da mag ein englaender oder spanier, der einige zeit dort zugebracht hat, mehr drueber wissen. es gibt noch eine wichtige unterscheidung: reisen ist nicht urlaub. urlaub ist ver-reisen, aber in dem zwiespaeltigen wortsinn, den die vorsilbe "ver" im deutschen ausdrueckt, wie in verfallen oder verlaufen. urlaub ist, wenn ueberhaupt, die kunst der entspannung. aber letztlich ist er nur dem effizienzwahn des modernen kapitalistischen arbeitslebens geschuldet, das keinen muessiggang im alltag mehr duldet. reisen im sinne einer permanenten bewegung durch die fremde hat mit diesem reparaturverhalten nichts zu tun. es handelt sich um eine eigene seinsweise, den letzten rest des nomadentums, der einem westler im 20. oder 21. jahrhundert noch moeglich ist. indem der reisende sich durch viele kulturen hindurchbewegt, kann er aber ausgerechnet das hypermoderne "global village" in seiner ganzen verwirrenden komplexitaet und vielfalt am ehesten wahrnehmen. die kuenstliche klarheit einer "national"kultur hingegen, die der bildungsreisende erkundet, wenn er bewusst nur in ein fremdes land faehrt, kann sich in ein gift verwandeln, das die koepfe vernebelt, die menschen in einer truegerischen sicherheit des verstehens wiegt und am ende doch betruegt. urlaub, bildungsreise und das nomadische reisen sind drei arten, sich in die ferne zu begeben. eine existenzielle erfahrung ist nur das nomadische reisen. die wuensche ich jedem wenigstens einmal im leben. -nbo

 

 

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