clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004

ein paar worte moechte ich doch noch ueber unser tarantino-hotel verlieren. und ueber die drei "clerks", die den laden schmeissen. als wir ankommen, ist das bad verkalkt. im abfluss der badewanne eine ganze peruecke. handtuecher gibt es nicht. ich geh also nach unten, um den sympathischen slacker (sprich: den "hotelmanager") um zwei zu bitten. er ruft in einen gesichtslosen raum neben dem foyer. ein gelangweilter scherge kommt raus. anweisungen auf arabisch. der scherge bringt zwei graue handtuecher. ein grau, das nicht etwa vom hersteller so gedacht war, sondern eines, das nach hunderttausend waschgaengen uebrig bleibt. der scherge faehrt mit mir im fahrstuhl nach oben. was soll das, die handtuecher kann ich doch selbst hochbringen. dann steht er bei uns im zimmer und murmelt "bakshish". na klar. habe ich nicht. er zieht genervt ab. als ich kurze zeit spaeter mit bierdosen wiederkomme (aus einem laden, in dem ein unikum residiert, typ verfetteter senator aus dem alten rom), gibt es keine glaeser im zimmer. ich wieder runter. zwei glaeser? anweisungen auf arabisch. der scherge steht augenrollend auf, waehrend der slacker und ein dritter genuesslich weiter an der wasserpfeife ziehen. die drei jungs verbringen offenbar jeden tag 24 stunden im foyer. morgens pennen sie auf dem sofa. ab 12 geht der fernseher an, natuerlich mit satellitenfernsehen, dass sie uns auf dem zimmer vorenthalten. um zwei wird der scherge falafel holen geschickt, dann essen die drei. spaetestens um sechs wird die wasserpfeife vor dem sofa aufgebaut, den fernseher immer im blick. um zwoelf oder eins nachts ist der slacker nur noch imstande, einem mit glasigem blick ein freundliches "goodnight" zu wuenschen. dann ist auch schon wieder ein tag rum. am naechsten morgen druecken ein paar abreisende gaeste ihr geld ab, und dann geht es nicht etwa ans putzen, sondern vor den fernseher im foyer. ein neuer tag beginnt im hotel regis. was fuer ein leben. -nbo

 

morgens in beirut
9.11.2004

auf drei spuren braust der morgenverkehr aus der corniche zwischen zerschossenen haeusern durch die rue 61 richtung downtown. autos wechseln hupend die spur, um schneller durchs niemandsland zu kommen. aus dem mit brettern verschlagenen erdgeschoss eines abbruchreifen hotels quillt der geruch von scheisse. in einem muellhaufen daneben ein rascheln. suesslicher dunst steigt auf. ich wechsle die strassenseite, passiere den strom der fahrzeuge wie einen reissenden fluss, steuere auf ein kleines rotverputztes haus zu. das einzige, das nicht vergammelt ist. ich betrete die "cafeteria nesreen altorous" im erdgeschoss. ein kleiner schmuddeliger laden, der kaffee, zeitungen, getraenke und unmengen von chipstueten verkauft. zwei maenner sitzen im halbdunkel vor einer leeren kuehltruhe und rauchen schweigend. der eine starrt auf den verkehr draussen, der gedankenverloren auf die coladosen im kuehlschrank. ich bestelle einen kaffee. der mann hinter der alten italienischen espressomaschine zieht daraufhin an einem langen hebel. es ist fast koerperliche arbeit. dann reicht er mir einen kleinen braunen plastikbecher. der espresso schmeckt phantastisch. alle zwei, drei minuten faehrt ein wagen vor. es geht um den kaffee. ein junge in einem orange kittel nimmt die bestellung durchs beifahrerfenster auf, reicht augenblicke spaeter einen becher, eine zeitung herein. ganz beirut haelt an dem kleinen roten bau: ein geschaeftsmann im dicken BMW, der drinnen stehend ein stueck kuchen runterschlingt, ein arbeiter in verschmiertem overall, der zigaretten kauft. zerbeulte taxen machen kurz pause, bevor sie sich ins tagesgeschaeft stuerzen. auf dem buergersteig diskutieren zwei maenner am nescafe nippend und beobachten den verkehr. ein wagen haelt, ein gruss, einige worte durchs geoeffnete fenster und weg ist er wieder. ich bestelle noch einen saft, und der junge im orange kittel beginnt, hinter der leeren kuehltruhe orangen auszupressen. die beiden maenner davor sprechen noch immer kein wort miteinander. -nbo

 

snapshot #3
beirut, 8.11.2004

"1975". das jahr, als der krieg begann - und die bar, in der der krieg weggetrunken wird. auf sandsaecken in nato-oliv geluemmelt, trinken beiruter hipster cocktails oder ziehen an der wasserpfeife. an der decke haengt ein tarnnetz, der helle putz ueber den sandsaecken ist zerschossen. darueber ist ein arabisches graffitti gesprueht. der smarte barmann bedient in felduniform mit kaeppi auf dem kurzgeschorenen kopf. sein kinnbart laesst ihn wie eine drahtige junge ausgabe von fidel castro erscheinen. ein dicker, offensichtlich wichtiger typ tritt in den sandsack-kral. drei maedels springen sofort auf und begruessen ihn mit kuesschen. der kerl laesst sich neben der huebschesten nieder. die beiden stossen an. dann faengt er langsam an, sie zu befummeln. immer ein bisschen mehr. streichelt ihren bauchnabel, der zwischen den engen jeans und ihrem miederartigen oberteil hervorlukt. sie haelt ihn auf distanz, aber wehrt sich auch nicht. gegenueber spielen zwei typen backgammon. der eine mit trendglatze. alles wie in st. pauli. die musik ist eine mischung aus arabischem pop und ambient funk. der wichtige geht in die offensive, versucht die schoene zu knutschen. sie weist ihn vorsichtig ab und schielt dabei aus den augenwinkeln zu herueber. was sollen wir bloss denken? der dicke ist so was von geil, es ist kaum zu glauben. das ende verpassen wir leider, weil wir dann doch gehen. -nbo

 

beirut - opening soon
beirut, 8.11.2004

als wir aus dem fenster schauen, sehen wir zum ersten mal diese verrueckte stadt bei tageslicht. die haeuser sind angegammelt oder verfallen, fenster starren wie leere augenhoehlen aus den fassaden. in einem hochhaus klaffen noch riesige loecher, die einst granaten hineingerissen haben. dazwischen liegen immer wieder brachflaechen, auf denen zumindest der schutt weggekehrt worden ist. aber schon ragen die ersten bankentuerme in den himmel. zwei strassen weiter hat das radisson hotel aufgemacht. wohin wir auch schauen, ueberall recken sich baukraene, gaehnen gigantische baugruben. an der palmengesaeumten uferpromenade entsteht gerade das hilton beirut: "opening soon", das motto der stadt, das uns auf bauzaeunen, an zugeklebten schaufenstern und von werbewaenden permanent entgegenschlaegt. beirut: das ist eine mischung aus cannes, LA und dem berlin-mitte der fruehen 90er. die stadt schickt sich an, wieder die handelsmetropole des mittelmeeres im nahen osten zu werden, die sie vor dem buergerkrieg einmal war. beirut means business. was sonst, wenn man kein oel, keine rohstoffe hat und auch nichts fuer den weltmarkt produziert? da passt es exakt, dass unser junger "hotelmanager" - mit polohemd, verwaschenen jeans und baseballkappe, der alte "clerk" - sagt, unter den arabischen staedten finde er neben beirut nur dubai gut, diese hyperstadt am golf. hier gelten arabisch, franzoesisch und englisch gleichermassen. durch die strassen rollen luxuskarren und SUVs. geld, party, alkohol, frauen, die keinen fetzen stoff zuviel tragen, all das ist auch beirut. fuer islamisten muss es ein verhasstes suendenbabel sein. junge araber aus anderen laendern scheint es anzuziehen. im nebenzimmer logiert ein sehr freundliches paar aus damaskus, sie aufgedonnert bis zum abwinken. ob sie in damaskus auch so rumlaeuft? es scheint, als wuerden die beiden hier ihren honeymoon verbringen. drei tage im teuren beirut koennen sie sich leisten. noch ist der libanesische traum fragil. vor macdonalds an der corniche, der uferpromenade, schieben soldaten wache. einer ruht sich auf den knien der ronald-mcdonald-figur aus, die auf einer bank sitzt. auch sonst sieht man ueberall militaer, im neu aufgebauten zentrum, ueber dessen retroarchitektur ein hauch von truman show liegt, oder im geschaeftigen hamra. ich bin optimistisch: in zehn jahren wird beirut "die stadt" im nahen osten sein. -nbo

 

tarantino mit hommus
Beirut, 7.11.2004

was ist hier los? abends auf der autobahn von tripoli (nordlibanon) nach beirut kommen wir aus dem staunen nicht mehr raus: casinos, nagelneue hotels, drive-ins, ein bombardement von leuchtreklamen und werbetafeln am strassenrand... kaum zu glauben, dass wir noch kurz vor tripoli an erbaermlichen siedlungen aus plastikplanenhuetten vorbeigefahren sind. es ist fast so, als ob man nach las vegas kommt. vom busbahnhof nehmen wir ein taxi in den stadtteil ain mriesse. das hotel, in dem wir dort absteigen, koennte direkt aus einem tarantino-film stammen. ein heruntergekommener 60er-jahre-bau, der irgendwie den buergerkrieg ueberlebt hat. in der lobby rauchen drei arabische slacker wasserpfeifen. sie schmeissen den laden. die zimmer sind angeschmuddelt. aber bei 20 euro pro nacht und dieser terrasse mit blick aufs meer will man sich nicht beklagen, nicht in einer stadt, in der sich alles nur ums geld verdienen und wieder ausgeben dreht. auf der suche nach etwas essbarem ziehen wir noch um zehn los, nach hamra, ins geschaeftsviertel. aber sonntagabend ist die stadt schon nach hause gegangen. so lassen wir uns an einem tischchen beim imbiss "roi des frites" nieder, wo die letzten versprengten auf dem buergersteig ein nachtmahl zu sich nehmen. es ist lau wie im sommer. das essen ist erstaunlich gut: hommus, chicken shawarma mit zimt gewuerzt, ein libanesischer salat. als ich einen der frittenkoenige frage, was fuer ein paste er da auf dem riesigen crepe-ofen auf den brotfladen schmiert, bekomme ich kurzerhand solch ein "sate" geschenkt. die paste besteht aus oel, sesam und jeder menge gewuerzen. lecker, aber so intensiv, als wuerde man in eine zeder beissen (den libanesischen nationalbaum). ich bin pappsatt, aber tapfer esse ich das geschenk auf. es ist schon erstaunlich: die araber, wie wir sie in den letzten drei tagen kennengelernt haben, sind unglaublich freundlich. keine verschlossenen gesichter, immer ein laecheln parat, manchmal gar eine kleine aufmerksamkeit. das fing im taxi nach aleppo an, als einer der jungen typen uns ein flaeschchen mangosaft aus dem tankstellenstop schenkte. der alte am saftstand in aleppo, bei dem wir jeden morgen frisch gepressten mandarinensaft getrunken haben, schob uns mit breitem grinsen geschnittene apfelstueckchen zu, nachdem ich mit hilfe meines arabischbuechleins "der saft ist sehr gut" auf arabisch radebrecht hatte. und walid im hotel baron bestand darauf, dass wir unser bier und unseren arak nicht bezahlen. er habe uns ja schliesslich am morgen eingeladen, sagt er laechelnd. und das, obwohl er mit uns nicht ins geschaeft gekommen war. was fuer ein unterschied zur tuerkei, wo die leute im vergleich distanzierter waren (trotz tuerkisch-radebrechen meinerseits). in beirut wird mir auch zum ersten mal klar, dass wir schon ein gutes stueck unserer strecke zurueckgelegt haben. "beirut", das hatte in den 80ern denselben klang wie heute "irak" - das pure chaos. dabei ist es nur am mittelmeer. aber die gefuehlte entfernung nach beirut ist immer noch groesser als etwa nach new york. -nbo

 

 

original-blog

route
deutschland
polen
slowakei
ungarn
rumänien
türkei
syrien
jordanien
libanon
ägypten
sudan
äthiopien
kenia
tansania
mosambik
malawi
swasiland
südafrika
andere länder
eure kommentare

blog-anfang