ein paar gedanken zu verschiedenen themen

in der moscheedamaskus, 11.11.2004
ramadan, einen monat völlereiamman, 13.11.2004
intellektuellen-stammtisch, oder: SPIEGEL-lektüre am roten meerdahab, 20.11.2004
ein paar gedanken am nil (das leid mit der "leitkultur")assuan, 5.12.2004
brot für die weltarba minch, 21.12.2004
ebony & ivorydaressalaam, 31.1.2005
trainingslager für philanthropenauf dem malawisee, 8.2.2005
sägemehl (ein paar unaufgeregtere gedanken zu afrika)kapstadt, 18.3.2005



in der moschee
damaskus, 11.11.2004





ich bin noch nie in einer moschee gewesen. die erste ist die omayyaden-moschee in damaskus. viertheiligste stätte des islam (nach mekka, medina und dem felsendom in jerusalem). ich muss sagen, ein guter ort. im innern ist alles mit dicken teppichen ausgelegt. kronleuchter hängen von der decke. einige beten. andere halten ein nickerchen oder diskutieren leise. ein hort der ruhe und kontemplation in der brodelnden unruhe einer arabischen grossstadt. aber viel ungezwungener als in einer kirche, und nicht so feierlich wie in einem buddhistischen tempel.

die moschee ist der öffentliche raum der stadt, den ich sonst so vermisse. keiner schaut einen komisch an, wenn man als offensichtlicher nicht-moslem hier ist. man kann das nicht laut genug sagen in dieser vergifteten zeit, in der der islam unter generalverdacht steht.

ich will auch nichts schönreden: der islam hat natürlich ein elitäres selbstbild. in istanbul habe ich mir den koran auf deutsch als reclam-ausgabe gekauft. wann, wenn nicht jetzt, einen blick in das "buch der bücher", wie es die araber sehen, hineinwerfen? weil der islam nicht von philosophen und dichtern erdacht wurde, sondern als gottes unmittelbares wort gilt, ist er nur in der arabischen originalfassung "der" koran, sagen die islamischen theologen. unübersetzbar. gott hat zur menschheit auf arabisch gesprochen. alle übersetzungen sind nur annäherungen. historische textkritik ist nicht nur überflüssig, sondern auch sinnlos. als rationaler westler, der ich nun mal bin, erst recht als aus der kirche ausgetretener katholik, kann ich das nicht akzeptieren. muss es als absurd zurückweisen.

sei's drum: die omayyaden-moschee gefällt mir. ihre atmosphäre. der islam k a n n auch sehr tolerant sein, sehe ich. die militanten sind nicht alles. es ist übrigens bemerkenswert, dass im osmanischen reich jahrhundertelang echte religiöse toleranz herrschte, als in europa, etwa in der bartholomäus-nacht in frankreich, protestanten (hugenotten) abgeschlachtet wurden. der islam ist widersprüchlich, keine frage. aber mit einerm einfachen schwarzweissraster nicht zu ergründen. woldos zorn auf die missachtung der frau ist allerdings völlig gerechtfertigt. aber diese ist nur ein teil des puzzles. -nbo


Ramadan, einen Monat Völlerei
Amman, 13.11.2004

"Allah ist gross, beten ist besser als schlafen", ruft der Muhezzin von seinem Minarett. Es ist vier Uhr morgens und der Gläubige kniet nieder für sein Morgengebet gen Mekka. Nicht ohne sich vorher mit einer vollständigen Mahlzeit den Wanst vollzuschlagen, die bis zum nächsten Abend anhalten muss, legt er sich für vier Stunden aufs Ohr, um gegen zehn Uhr bei seiner Arbeitsstelle anzutreten, wie uns zwei deutsche Studentinnen aus Amman erzählen. Ermattet ob der schmalen Nachtruhe verlässt der Gläubige diese wieder gegen zwei Uhr mittags, um wenigstens bis zum Sonnenuntergang noch etwas Schlaf zu bekommen. Der  Ladenbesitzer hat es in dieser Hinsicht deutlich schwerer, denn er muss ohne Nachmittagsnickerchern durchhalten. "Allah ist mächtig", ruft der Mullah zum Abendgebet. Die Glaubensgemeinde kniet nieder und bekennt erneut, diesmal mit Pfützchen auf der Zunge, wegen des bevorstehenden Iftars, des allabendlichen Fastenbrechens.

Halb sechs abends, alle Restaurants zum Bersten voll, jegliches Leben auf den Strassen ist kurzzeitug erloschen, die Läden geschlossen. Denn jetzt beginnt der Höhepunkt des Tages, Feuer frei fürs Hochleistungsessen. Bis zu acht Gänge werden innerhalb kürzester Zeit bewältigt, betuchtere Familien legen dieses Ritual in ihre eigenen vier Wände.

Auf kulinarische Genüsse wird während des Ramadans nicht etwa verzichtet, nein, sie werden kurzerhand auf die Nacht verschoben. Ganz schön clever. Es wird gegessen, was das Zeug hält, alles, Süssigkeiten, die es nur im Monat des Verzichts gibt, spezielle Menüs, die magenschonend beginnen, um dann um so opulenter zu enden. Und damit die Kurzweil nicht zu kurz kommt, ist der Filmfilm von viertelvoracht in diesem Monat auf kurz vor Mitternacht verschoben worden, mit dem Essen sollte man bis dahin fürs erste durch sein. Man hält sich und die Kinder wach, es wird Karten gespielt und was sonst noch so möglich ist, um sich die Zeit zu vertreiben. Bis dann um vier Uhr früh der Mullah wieder zum Gebet ruft und man sich den Magen für die kommenden zwölf Stunden  vorm Zubettgehen nochmal ordentlich stopft. Nach der kurzen Nachtruhe gehts dann wieder zur Arbeit und es beginnt ein neuer Tag der Askese.

Das also ist Ramadan. Ehrlich gesagt habe ich mir den Fastenmonat, in dem Verzicht und Mässigung geuebt werden sollen, ganz anders vorgestellt. Aber heute ist "Eid al Fitr", das Fasten ist vorbei und es wird gefeiert wie bei uns zu Weihnachten. Und endlich werden wir nicht mehr scheel von der Seite angeguckt, wenn wir in der Öffentlichkeit mal einen unerhört unmässigen Schluck Wasser trinken, Prost. nach Diktat verreist -dwo


intellektuellen-stammtisch, oder: SPIEGEL-lektüre am roten meer
dahab, 20.11.2004

in unserer kissenburg am strand kommt jeden tag ein zeitungsverkäufer vorbei. in seinem wägelchen liegt die internationale presse. obenauf der aktuelle SPIEGEL mit dem titel "allahs rechtlose töchter - muslimische frauen in deutschland". das muss ich lesen, keine frage nach unseren wochen im nahen osten.

als ich die titelstrecke durch habe, kann ich mich einer gewissen empörung nicht erwehren. die gilt aber nicht nur den schicksalen der dort beschriebenen türkinnen - andere muslimische frauen kommen darin nicht vor -, sondern auch und nicht zu knapp dem gehobenen stammtischniveau des SPIEGEL. ich kann mir lebhaft vorstellen, wie chefredakteur stefan aust sich in der rolle des tabubrechers gefällt, der eine längst überfällige debatte beflügeln will.

was der SPIEGEL jedoch glänzend schafft, ist nicht etwa eine nüchterne, kritische analyse muslimischen lebens in deutschland, sondern die aufstachelung zum "kampf der kulturen" auch bei uns. nach dem motto "bad news is good news" finde ich auf 30 seiten nur horrorgeschichten. kein wort darüber, wieviel türkinnen zufrieden in der bundesrepublik leben.

ich sehe ergün von mr. kebap und seine schwester vor mir und frage mich, was sie davon halten. keine differenzierung zwischen dem dumpfen anatolischen landislam und den türkischen islamistischen gruppen, die unter dem kopftuch zum teil eine ganz eigene form des feminismus verfechten. 

da ich günter seuferts hochinteressantes buch "cafe istanbul" von 1998 (in istanbul gekauft) gelesen habe, weiss ich, dass zwischen beiden welten liegen. im SPIEGEL-artikel wird alles in einen topf geworfen, ein paar radikale vom schlage mohammed attas werden auch noch hinzugefügt, "türkischer islam" draufgeschrieben und deckel drauf.

dazu zieht sich eine geradezu paternalistische haltung durch den text, die deutschen (politiker) müssten die türkinnen befreien. alice schwarzers expertenstimme sichert das ganze gegen die blöden grünen multikulti-naivlinge ab (wo gibt es die überhaupt). erst im letzten absatz steht: "emanzipation kann man nicht verordnen, die muslimischen frauen in deutschland werden sie sich erkämpfen müssen."

aber da ist der stammtisch längst am schäumen, und das vermutliche ziel der strecke, nämlich gegen einen EU-beitritt front zu machen, erreicht. denn warum sonst kommen nur türkische muslimische frauen darin vor und keine arabischen oder persischen? warum kann man der türkischen community eigentlich nicht ihre eigene kulturrevolution zutrauen, so wie die europäer auch ohne hilfe von "oben" oder "aussen" ihre 68er hatten? dieselben probleme gab es bei uns vor noch gar nicht so langer zeit auch, von wegen vorgeschriebene ehen oder religiöse borniertheit (man denke nur an heinrich bölls "ansichten eines clowns").

das zentrale problem von deutscher seite ist vielmehr, dass die bundesrepublik sich noch immer nicht als einwanderungsland versteht. dieser fehler wird en passant im SPIEGEL-text der schröder-regierung in die schuhe geschoben, dabei war es die kohl-regierung und nach 1998 der CDU/CSU-dominierte bundesrat, die den schritt vom ethnischen deutschland zum einwanderungsland BRD (ich schreibe das bewusst in analogie zu USA, dem klassischen einwanderungsland) blockiert haben. eine in der BRD geborene türkin hätte mit einem automatisch vergebenen pass ganz andere möglichkeiten, nach einem bruch mit ihrer familie ihr leben selbst in die hand zu nehmen.

dann kommt noch ein interview mit harry mulisch, schriftsteller aus holland, weil dort ja gerade die koranschulen brennen. der hat ausser der tatsache, dass seine eltern auch einwanderer waren (zitat: "Er [der Vater] hat eben keinen Gott im Gepäck." !!!) nichts erhellendes zur problematik zu sagen. interessant ist aber, wie die SPIEGEL-redakteure mit suggestivfragen aus mulisch antworten herauskitzeln wie diese am ende des interviews: "Aber was ist die Alternative? Die hiesse Krieg."

Da ist er wieder, der "unvermeidliche" kampf der kulturen. nach diesem titel steht doch jeder türkische mann in deutschland unter verdacht. eine unverschämtheit. dass ich junge türkische machos, die auf der strasse breitbeinig daherstolzieren, nicht mag, steht auf einem anderen blatt. ihre deutschen gegenstücke sind mir genauso zuwider.

mein fazit: wieder ein grund mehr, den SPIEGEL zu boykottieren. eine journalistische bemerkung noch: auf seite 62 des artikels steht in der infografik, 1,9 mio. türken lebten 2003 in der bundesrepublik. drei spalten weiter ist im text die rede von 2,5 mio. wie nun? dann lese ich doch lieber den intelligent konservativen ECONOMIST. -nbo 


ein paar gedanken am nil (das leid mit der "leitkultur")
assuan, 5.12.2004





die zugfahrt von luxor nach assuan ist eine wohltat: platz für die beine, tee vom schaffner, ein blick auf den nil, zeitung lesen. ach, könnte es doch so bis kapstadt weitergehen. assuan selbst ist genauso entspannt. bei einem tee oder obstsaft auf einem bootrestaurant erholen wir uns vom steinegucken. hier gibt es nichts zu sehen. die sonne scheint, die autos hupen, die nubier scherzen.

im economist lese ich über den neuen streit um eine "leitkultur" in deutschland. weit weg und doch ärgerlich. schröder und union, die sich gegenseitig mangelnden patriotismus vorwerfen. oja, die deutschen müssen wieder eine normale nation werden. was für ein scheiss. was für ein krebsgeschwür die  nationalstaatsidee ist, kann man doch wunderbar am nahen osten beobachten. dieser absurde stolz, ein ägypter zu sein; "welch ein glück, türke zu sein" (das prangt über türkischen kasernentoren, lese ich bei orhan pamuk). ein argwohn gegenüber den nachbarn. selbstüberschätzung. brauchen wir das noch mal?

stoiber kann auf die frage, was für ihn die werte der deutschen "leitkultur" seien, nur familie und ein paar allgemeinplätze benennen, die vermutlich in jedem land der erde gültigkeit haben. interessanter wäre doch, welche deutschen im 20. jahrhundert überhaupt eine quelle der inspiration darstellen können. für meinen teil sind das, unter anderem, in wilder aneinanderreihung:
max ernst (erhielt 1919 oder so eine vorladung von der kölner polizei wegen "betrug", da die von ihm ausgestellten kunstobjekte doch keine kunst gewesen seien);
johannes litten ("der anwalt, der hitler in die enge trieb"); georg elser sowieso (aufmüpfiger einzelgänger);
wolfgang neuss(der antispiesser);
rudi dutschke & fritz teufel (68er-ikonen); willy brandt (für seinen kniefall in warschau);
peter hein (von fehlfarben, wegen seiner verdienste um die deutsche popmusik, um es mal ganz feierlich zu sagen)...

von denen lasse ich mich gerne leiten. was würden wohl angela und edmund dazu sagen? und was meint ihr dazu? lasst mal hören. -nbo


Der Garten Afrikas
Addis, 20.12.2004

Denkt man an Äthiopien, kommen sofort die Katastrophenbilder aus den 80ern in einem hoch. Blähbäuchige Kinder mit unzähligen Fliegen in jeder Kopföffnung und hungrigen glasigen Augen. Heute, 20 Jahre nach der Dürre, hat das nur noch wenig mit diesem Land zu tun. Hier wachsen Früchte aller Art in Hülle und Fülle, Mangos, Papayas, gigantische Bananen, Orangen. Hier muss keiner hungern. Der rote Boden ist der fruchtbarste, den es gibt.

Trotzdem, würde wieder eine Ernte ausbleiben, wüsste sich auch heute keiner zu helfen, die Probleme wären heute die gleichen, wie vor 20 Jahren. Keiner hat hier etwas dazugelernt, es gibt keine Vorratshaltung oder vorrausschauende Vorsorge.

Was geblieben ist aus deser Zeit, ist der Glaube an die westliche Hilfe, vor allem in finanzieller Hinsicht. Warum deswegen auch planen? Man muss doch nur abwarten, bis die nächste Katastrophe kommt und man wieder überschüttet wird mit Hilfsgütern aus aller Welt.

Der körperliche Hunger ist einem anderen Bedürfnis gewichen, dem Hunger nach Wohlstand. Doch dafür sind es einfach zu viele, eine Bevölkerung von 72 Mio. Menschen, von denen es jeder als Erster geschafft haben will.

Und plötzlich ist nichts mehr übrig von der vollmundig beteuerten afrikanischen Gelassenheit. Es wird gerempelt, getreten und gespuckt. Es regiert der Instinkt, von Zivilisation weit entfernt. Die Scheisse quillt unter Klotüren durch, Hygiene ein Fremdwort, Krankheiten können sich verbreiten, wie Lauffeuer. Wenn eine Population aus den Fugen grät, herrschen animalische Zustände. Vor allem, wenn der überdurchschnittliche Teil unter 25 Jahre alt ist, eine pubertierende Bevölkerung ohne die so notwendige Weitsicht.

Wieso auch an morgen denken, wenn es uns doch heute gut gehen soll? "Hey mister, give me five Birr!" Schnorren kann hier jeder, diese Lektion haben sie von ihrer Regierung nur zu gut gelernt. nach Diktat verreist -dwo


Ebony & Ivory
Daressalaam, 31.1.2005

Stickige Hitze schlägt uns entgegen, als wir in Daressalaam an Land gehen. Die nächtlichen Regengüsse haben die Stadt in eine dampfemde Sauna verwandelt. Jeder Schritt treibt mir das Wasser aus den Poren und hinterlässt dunkle Spuren auf meinen Klamotten. Ich schwitze nicht, nein, ich bin Schweiss. Nachts liege ich wach, die Luft klebt. Der Deckenventilator durchsäbelt die feuchte Hitze und lässt und lässt dicke Scheiben auf uns runterklatschen.

In mir dreht sich alles, meine Gedanken zentrifugieren unter meiner Schädeldecke, während ich versuche, meine bisherigen Eindrücke von Afrika zu sortieren. Doch alles ist überladen und schwammig, die Luft, die Nacht, meine Gehirn. Draussen tobt wieder ein Sturm, der Regen prasselt auf die benachbarten Metalldächer, die Vögel in ihren Käfigen auf den Balkonen kreischen hysterisch.

Fragen rauschen mir durch den Kopf, während ich auf die kreisenden Rotorblätter starre und die  Unordnung immer grösser wird. Was habe ich mir von dieser Reise versprochen, ein klareres Bild über diesen Kontinent, Erkenntnis oder einfach bloss eine Erfahrung? Hier in diesem Teil des afrikanischen Kontinents passt nichts zueinander.

Solange Weisse hierherkommen, sind diese per se immer an allem Schuld. Und solange in Afrika die Kinder schwarz geboren werden, wird die Hautfarbe als Generalentschuldigung benutzt, für alles, weil es so schön praktisch ist. Womit sie dann auf der Benachteiligungsskala ihrer Meinung nach ganz oben stehen.

Ich frage mich, was wir hier eigentlich zu suchen haben. Ich komme mir hier ohnehin eher wie ein ungebetener Eindringling vor, denn als ein willkommener Gast. Was würde mit Afrika passieren, wenn sie die Türen zum Westen für die nächsten 10 Jahre dichtmachen, um erstmal mit sich ins Reine zu kommen, ungeachtet der westlichen Massstäbe. Ist es dafür vielleicht schon zu spät?

Der allgegenwärtige Rassismus in diesem Teil des Kontinents richtet sich allerdings nicht nur gegen die weisse Übermacht, selbst innerhalb der einzelnen Länder sind sich die Stämme gegenseitig nicht grün. In Äthiopien können sich die achtzig verschiedenen Stämme nicht als gemeinsames Volk fühlen, in Kenia schlachten sie sich gar gegenseitig ab.

In Tansania hat man sich darauf geeinigt, das gesamte Land dem Tourismus zum Fressen hinzuwerfen. Das bringt Ruhe in die 120 Stämme, weil so jeder etwas abkriegen kann. Political correctness wird hier jedenfalls nicht praktiziert und wirkt als westlichen Verständigungskonstrukt auch deplaziert.

Nach 15.000 Kilometern, Sonnenbränden und Mückenstichen, die nicht mehr auf einen einzigen Körper passen, bin ich keinen Zentimeter weitergekommen in meinem Wunsch, Afrika besser zu verstehen. Aber wahrscheinlich kann das auch nur, wer hier geboren wurde. Und zwar schwarz. nach Diktat verreist -dwo


trainingslager für philanthropen
auf dem malawisee, 8.2.2005

zwei monate fahren wir nun schon durch ostafrika. und mit jedem kilometer verstehen wir weniger. die oberfläche ist phantastisch, rift valley, savannen mit zigtausenden von tieren, tropische palmenstrände, überbordende märkte, menschen in bunten gewändern, moscheen und kirchen selbst in der hintersten halbwüste. das auge schlingt und schlingt, bis mir flau wird von all den eindrücken.

aber afrika selbst scheint mir dabei zu entgleiten, ja mich zurückzuweisen, je näher ich mich herantaste. keine spirituelle faszination schlägt mich in ihren bann wie in asien. stattdessen fühle ich den kolonialismus von einst wie einen bumerang auf mich niedersausen, mich den mzungu, den faranji, weiss wie ein leuchtturm, der sich nicht verstecken kann.

ich will nur beobachter sein und werde überall auf meinen vermuteten geldsack hin abgescannt. jedes gespräch, jede hilfsbereite geste endet in einer ausgestreckten hand. ostafrika am anfang des 21. jahrhunderts ist mir ein unentwirrbares knäuel aus träumen von einem besseren leben, latenter gewalt, enttäuschung und ausbeutung.

mir brennt sich ein bild ein, wieder und wieder: von menschen - eigentlich sind es fast immer junge männer -, die am strassenrand warten und nicht wissen, worauf. alte menschen sind eine rarität, die jungen dafür allgegenwärtig mit ihrer gier nach leben, ihrer rohheit, ihrem machismo und ihrem nicht-wissen-wohin-mit-sich. nicht anders als bei uns, nur in einem ausmass, das ich von zuhause nicht kennen. ostafrika, das sind künstliche nationen in einer kollektiven pubertät.

der westen leuchtet und ist doch verhasst, weil zu mächtig, so erwachsen, brutal und gütig zugleich, eine unerträgliche anmassung, die auch allzu oft wahr ist. und gerade deshalb eine allzu billige entschuldigung. "but what can we do?" und "this is africa" sind die ewigen letzten worte, wenn wieder etwas irreparabel im eimer ist, wenn eine neue einheimische elite zur nächsten bereicherungswelle ansetzt und der geldstrom des westens verdunstet, bevor er ein pflänzchen in der provinz benetzen konnte, wenn man seinen arsch nach 24 stunden "ass working" wieder nicht hochbekommen hat.

afrika, ja gerade ostafrika, war die wiege der menschheit, und hier liegt auch die zukunft. denn irgendwo zwischen baobabs und akazien und grashütten muss die frage beantwortet werden, ob und wie hass und gewalt überwunden und ein gutes leben auch für die dreiviertel der menschheit möglich sein kann, die nicht im westen geboren wurden. wir westler haben keine überzeugenden antworten mehr, haben auch lange genug den klugscheisser gespielt.

uns bleibt nur eins: nicht auch noch in nihilismus zu verfallen, mit dem unser kanadischer freund curry-kalle seine afrikärfahrung resümiert, und gleichzeitig mit diesem philanthropischen flanieren und posieren auf dem laufsteg intellektuellen goodwills zuhause aufzuhören. kümmern wir uns lieber um unseren eigenen mist, der sich im westen hoch genug auftürmt. ich für meinen teil werde mich bis auf weiteres der konsequenten "lokalisierung" verschreiben. no sleep till pauli. -nbo


sägemehl (ein paar unaufgeregtere gedanken zu afrika)
kapstadt, 18.3.2005

meinen brass über das "trainingslager für philanthropen" habe ich mir vor einiger zeit von der seele geschrieben. aber afrika gibt noch keine ruhe, es rumort weiter, ich lese, was ich finden kann, um mehr über diesen kontinent zu verstehen, magazine, bücher - gibt es irgendwo antworten auf die frage, wie es in afrika aufwärts gehen könnte? ja.

hernando de soto hat eine vor fünf jahren in seinem buch "the mystery of capital" gegeben. wichtig ist der untertitel: "why capitalism triumphs in the west and fails everywhere else". de soto leitet das institute of liberty and democracy in lima, einem think tank zu fragen über weltwirtschaft und entwicklung. das problem der dritten welt sei nicht, dass ihre bevölkerung ungebildet, unfähig, faul oder für den kapitalismus kulturell ungeeignet sei.

nein, die ökonomien der dritten welt bestehen zu drei vierteln aus informellen unternehmen und  produktionsstätten, die ausserhalb des gesetzes operieren, aus dem, was bei uns "schattenwirtschaft" genannt wird. de soto und seine mitarbeiter haben seit den 80er jahren die favelas und shantytowns von sechs drittweltmetropolen auf ihr wirtschaftliches potenzial hin untersucht.

ihr fazit: die wirtschaftliche aktivität dort ist enorm - sie taucht nur in keiner nationalen oder internationalen statistik auf, weil die grundstücke, maschinen, fahrzeuge, mit denen der "slum-entrepeneur" oder der landbewohner arbeiten, nirgendwo registriert sind. den wert dieses "toten kapitals", das am offiziellen weltkapitalismus nicht teilnimmt, schätzt de soto auf weltweit 9,6 billionen dollar!

tot ist dieses kapital deshalb, weil es kein registriertes privateigentum ist, dass es seinen besitzern ermöglichen würde, als sicherheit für bankkredite oder geschäftsverträge zu dienen. privateigentum ist aber die grundlage des kapitalismus, und vor allem - es bringt geld und kapital überhaupt erst hervor. wo kein privateigentum existiert, das wie im westen dokumentiert und amtlich verbrieft ist, gibt es nur einen mafia-kapitalismus aus schmier- und schutzgeldern und einer produktion, die immer am rande der anarchie und des verfalls operiert.

wer je in afrika oder asien rumgereist ist, hat sofort all die glücksritter der stadt, die an einer strassenecke alles und nichts verkaufen, die inoffiziellen taxifahrer oder die kleinen familienwerkstätten in hütten, am rande der metropole oder auf dem tiefsten land, vor augen.

de sotos botschaft ist nun: legalisiert erst einmal dieses tote kapital, bevor der internationale währungsfonds (IWF) mit weiteren "strukturanpassungsprogrammen" kommt. dass das nicht so einfach ist, zeigt ein experiment, dass er mit seinen mitarbeiter 1994 gemacht hat: die ordentliche anmeldung einer näherei mit einer nähmaschine und einem arbeitsplatz. es dauerte 289 tage und unzählige behördengänge, bis die nähmaschine registriert war - und 1231 dollar gebühren, das 31-fache des monatlichen mindestlohns in peru. schwer genug, diese summe in peru zu sparen, aber unmöglich, einen ordentlichen bankkredit in dieser höhe für die anmeldung einer 1-mann-näherei zu bekommen. kein wunder, dass die meisten kleinunternehmer in diesen ländern es vorziehen, ihre näherei im ökonomischen untergrund zu betreiben.

de soto schreibt deshalb allen drittweltpräsidenten hinter die ohren: hört auf, euch zuerst um das lockermachen von hilfsmilliarden zu kümmern - packt das eigentumsproblem eurer länder an und erweckt das tote kapital zum leben (wie es der westen übrigens im 19. jahrhundert gemacht hat, als diverse eigentumsgesetze in den ländern europas vereinheitlicht wurden). de soto macht sich keine illusionen, dass es dazu integrer und fähiger politiker bedarf. und von denen gibt es hier in afrika eher noch weniger als bei uns. eine politikwissenschaftlerin aus malawi brachte es kürzlich in der tageszeitung "the nation" auf den punkt: "politik wird hierzulande als besonders lukrativer job angesehen."

***

neben fehlendem eigentum und korrupten politikern gibt es ein weiteres dramatisches problem in afrika, das jedem reisenden, der mit der lost generation dieses kontinents konfrontiert ist, auffallen muss: fehlende oder zu geringe bildung. zwar haben alle afrikanischen staaten spätestens mit der unabhängigkeit ein landesweites schulsystem eingeführt. doch die schule ist nicht in allen ländern teil der sozialen grundversorgung, die der staat seinen bürgern kostenlos stellt.

in malawi zum beispiel kostet das trimester einer secondary school (8. - 11. klasse) 3000 kwacha gebühr, ca. 22 euro. das ist in malawi schon viel geld. in familien, in denen die eltern und älteren kinder auch noch von AIDS dahingerafft werden, ist dieser betrag dann überhaupt nicht mehr zu finanzieren. also versuchen viele jugendliche zu jobben. die glücklicheren leben in einem ort, durch den touristen kommen und für ein paar dollar zum beispiel schnitzereien oder bilder kaufen.

nun, was wird ein 18-jähriger tun, wenn er in seinem ausgefallenen trimester auf diese weise plötzlich ein paar hundert dollar verdient hat? sehr wahrscheinlich auf die schule pfeifen und auf den mzungu money train aufspringen. der kann aber sehr schnell ins stocken kommen und am ende ganz ausbleiben: dürre, bürgerkrieg, flüchtlingsströme oder ein tsunami sind ereignisse, die touristen nicht mögen. und was dann?

schlimm genug, dass die wirtschaftsstrategen des westens, etwa im IWF oder in der WTO, allen regierungen das hohelied der dienstleistungsgesellschaft vorsingen. schulgebühren seien besser, weil dann ein bildungsmarkt entstünde, der die qualität von schulen fördere. dumm nur, wenn die jungen glücksritter von diesem fortschritt nichts mehr mitbekommen, weil sie ihre touristendollar abends in der kneipe auf den kopf hauen. ich mochte übrigens "we don't need no education" von pink floyd noch nie. fürchterliches lied. -nbo


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