durch den libanon

tarantino mit hommus
beirut, 7.11.2004
beirut - opening soon
8.11.2004
snapshot #3
beirut, 8.11.2004
morgens in beirut
9.11.2004
clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004



tarantino mit hommus
beirut, 7.11.2004





was ist hier los? abends auf der autobahn von tripoli (nordlibanon) nach beirut kommen wir aus dem staunen nicht mehr raus: casinos, nagelneue hotels, drive-ins, ein bombardement von leuchtreklamen und werbetafeln am strassenrand... kaum zu glauben, dass wir noch kurz vor tripoli an erbärmlichen siedlungen aus plastikplanenhütten vorbeigefahren sind. es ist fast so, als ob man nach las vegas kommt.

vom busbahnhof nehmen wir ein taxi in den stadtteil ain mriesse. das hotel, in dem wir dort absteigen, könnte direkt aus einem tarantino-film stammen. ein heruntergekommener 60er-jahre-bau, der irgendwie den bürgerkrieg überlebt hat. in der lobby rauchen drei arabische slacker wasserpfeifen. sie schmeissen den laden. die zimmer sind angeschmuddelt. aber bei 20 euro pro nacht und dieser terrasse mit blick aufs meer will man sich nicht beklagen, nicht in einer stadt, in der sich alles nur ums geld verdienen und wieder ausgeben dreht.

auf der suche nach etwas essbarem ziehen wir noch um zehn los, nach hamra, ins geschäftsviertel. aber sonntagabend ist die stadt schon nach hause gegangen. so lassen wir uns an einem tischchen beim imbiss "roi des frites" nieder, wo die letzten versprengten auf dem bürgersteig ein nachtmahl zu sich nehmen. es ist lau wie im sommer. das essen ist erstaunlich gut: hommus, chicken shawarma mit zimt gewürzt, ein libanesischer salat. als ich einen der frittenkönige frage, was für ein paste er da auf dem riesigen crepe-ofen auf den brotfladen schmiert, bekomme ich kurzerhand solch ein "sate" geschenkt. die paste besteht aus öl, sesam und jeder menge gewürzen. lecker, aber so intensiv, als würde man in eine zeder beissen (den libanesischen nationalbaum). ich bin pappsatt, aber tapfer esse ich das geschenk auf.

es ist schon erstaunlich: die araber, wie wir sie in den letzten drei tagen kennengelernt haben, sind unglaublich freundlich. keine verschlossenen gesichter, immer ein lächeln parat, manchmal gar eine kleine aufmerksamkeit. das fing im taxi nach aleppo an, als einer der jungen typen uns ein fläschchen mangosaft aus dem tankstellenstop schenkte. der alte am saftstand in aleppo, bei dem wir jeden morgen frisch gepressten mandarinensaft getrunken haben, schob uns mit breitem grinsen geschnittene apfelstückchen zu, nachdem ich mit hilfe meines arabischbüchleins "der saft ist sehr gut" auf arabisch radebrecht hatte. und walid im hotel baron bestand darauf, dass wir unser bier und unseren arak nicht bezahlen. er habe uns ja schliesslich am morgen eingeladen, sagt er lächelnd. und das, obwohl er mit uns nicht ins geschäft gekommen war. was für ein unterschied zur türkei, wo die leute im vergleich distanzierter waren (trotz türkisch-radebrechen meinerseits).

in beirut wird mir auch zum ersten mal klar, dass wir schon ein gutes stück unserer strecke zurückgelegt haben. "beirut", das hatte in den 80ern denselben klang wie heute "irak" - das pure chaos. dabei ist es nur am mittelmeer. aber die gefühlte entfernung nach beirut ist immer noch grösser als etwa nach new york. -nbo


beirut - opening soon
8.11.2004





als wir aus dem fenster schauen, sehen wir zum ersten mal diese verrückte stadt bei tageslicht. die häuser sind angegammelt oder verfallen, fenster starren wie leere augenhöhlen aus den fassaden. in einem hochhaus klaffen noch riesige löcher, die einst granaten hineingerissen haben. dazwischen liegen immer wieder brachflächen, auf denen zumindest der schutt weggekehrt worden ist. aber schon ragen die ersten bankentürme in den himmel. zwei strassen weiter hat das radisson hotel aufgemacht. wohin wir auch schauen, überall recken sich baukräne, gähnen gigantische baugruben. an der palmengesäumten uferpromenade entsteht gerade das hilton beirut: "opening soon", das motto der stadt, das uns auf bauzäunen, an zugeklebten schaufenstern und von werbewänden permanent entgegenschlägt.

beirut: das ist eine mischung aus cannes, LA und dem berlin-mitte der frühen 90er. die stadt schickt sich an, wieder die handelsmetropole des mittelmeeres im nahen osten zu werden, die sie vor dem bürgerkrieg einmal war. beirut means business. was sonst, wenn man kein öl, keine rohstoffe hat und auch nichts für den weltmarkt produziert? da passt es exakt, dass unser junger "hotelmanager" - mit polohemd, verwaschenen jeans und baseballkappe, der alte "clerk" - sagt, unter den arabischen städten finde er neben beirut nur dubai gut, diese hyperstadt am golf. hier gelten arabisch, französisch und englisch gleichermassen. durch die strassen rollen luxuskarren und SUVs. geld, party, alkohol, frauen, die keinen fetzen stoff zuviel tragen, all das ist auch beirut.

für islamisten muss es ein verhasstes sündenbabel sein. junge araber aus anderen ländern scheint es anzuziehen. im nebenzimmer logiert ein sehr freundliches paar aus damaskus, sie aufgedonnert bis zum abwinken. ob sie in damaskus auch so rumläuft? es scheint, als würden die beiden hier ihren honeymoon verbringen. drei tage im teuren beirut können sie sich leisten. noch ist der libanesische traum fragil. vor macdonalds an der corniche, der uferpromenade, schieben soldaten wache. einer ruht sich auf den knien der ronald-mcdonald-figur aus, die auf einer bank sitzt. auch sonst sieht man überall militär, im neu aufgebauten zentrum, über dessen retroarchitektur ein hauch von truman show liegt, oder im geschäftigen hamra. ich bin optimistisch: in zehn jahren wird beirut "die stadt" im nahen osten sein. -nbo


snapshot #3
beirut, 8.11.2004





"1975". das jahr, als der krieg begann - und die bar, in der der krieg weggetrunken wird. auf sandsäcken in nato-oliv gelümmelt, trinken beiruter hipster cocktails oder ziehen an der wasserpfeife. an der decke hängt ein tarnnetz, der helle putz über den sandsäcken ist zerschossen. darüber ist ein arabisches graffitti gesprüht. der smarte barmann bedient in felduniform mit käppi auf dem kurzgeschorenen kopf. sein kinnbart lässt ihn wie eine drahtige junge ausgabe von fidel castro erscheinen. ein dicker, offensichtlich wichtiger typ tritt in den sandsack-kral. drei mädels springen sofort auf und begrüssen ihn mit küsschen. der kerl lässt sich neben der hübschesten nieder. die beiden stossen an. dann fängt er langsam an, sie zu befummeln. immer ein bisschen mehr. streichelt ihren bauchnabel, der zwischen den engen jeans und ihrem miederartigen oberteil hervorlukt. sie hält ihn auf distanz, aber wehrt sich auch nicht. gegenüber spielen zwei typen backgammon. der eine mit trendglatze. alles wie in st. pauli. die musik ist eine mischung aus arabischem pop und ambient funk. der wichtige geht in die offensive, versucht die schöne zu knutschen. sie weist ihn vorsichtig ab und schielt dabei aus den augenwinkeln zu herüber. was sollen wir bloss denken? der dicke ist so was von geil, es ist kaum zu glauben. das ende verpassen wir leider, weil wir dann doch gehen. -nbo


morgens in beirut
9.11.2004





auf drei spuren braust der morgenverkehr aus der corniche zwischen zerschossenen häusern durch die rü 61 richtung downtown. autos wechseln hupend die spur, um schneller durchs niemandsland zu kommen. aus dem mit brettern verschlagenen erdgeschoss eines abbruchreifen hotels quillt der geruch von scheisse. in einem müllhaufen daneben ein rascheln. süsslicher dunst steigt auf. ich wechsle die strassenseite, passiere den strom der fahrzeuge wie einen reissenden fluss, steuere auf ein kleines rotverputztes haus zu. das einzige, das nicht vergammelt ist.

ich betrete die "cafeteria nesreen altorous" im erdgeschoss. ein kleiner schmuddeliger laden, der kaffee, zeitungen, getränke und unmengen von chipstüten verkauft. zwei männer sitzen im halbdunkel vor einer leeren kühltruhe und rauchen schweigend. der eine starrt auf den verkehr draussen, der gedankenverloren auf die coladosen im kühlschrank. ich bestelle einen kaffee. der mann hinter der alten italienischen espressomaschine zieht daraufhin an einem langen hebel. es ist fast körperliche arbeit. dann reicht er mir einen kleinen braunen plastikbecher. der espresso schmeckt phantastisch.

alle zwei, drei minuten fährt ein wagen vor. es geht um den kaffee. ein junge in einem orange kittel nimmt die bestellung durchs beifahrerfenster auf, reicht augenblicke später einen becher, eine zeitung herein. ganz beirut hält an dem kleinen roten bau: ein geschäftsmann im dicken BMW, der drinnen stehend ein stück kuchen runterschlingt, ein arbeiter in verschmiertem overall, der zigaretten kauft. zerbeulte taxen machen kurz pause, bevor sie sich ins tagesgeschäft stürzen. auf dem bürgersteig diskutieren zwei männer am nescafe nippend und beobachten den verkehr. ein wagen hält, ein gruss, einige worte durchs geöffnete fenster und weg ist er wieder. ich bestelle noch einen saft, und der junge im orange kittel beginnt, hinter der leeren kühltruhe orangen auszupressen. die beiden männer davor sprechen noch immer kein wort miteinander. -nbo


clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004





ein paar worte möchte ich doch noch über unser tarantino-hotel verlieren. und über die drei "clerks", die den laden schmeissen. als wir ankommen, ist das bad verkalkt. im abfluss der badewanne eine ganze perücke. handtücher gibt es nicht. ich geh also nach unten, um den sympathischen slacker (sprich: den "hotelmanager") um zwei zu bitten. er ruft in einen gesichtslosen raum neben dem foyer.

ein gelangweilter scherge kommt raus. anweisungen auf arabisch. der scherge bringt zwei graue handtücher. ein grau, das nicht etwa vom hersteller so gedacht war, sondern eines, das nach hunderttausend waschgängen übrig bleibt. der scherge fährt mit mir im fahrstuhl nach oben. was soll das, die handtücher kann ich doch selbst hochbringen. dann steht er bei uns im zimmer und murmelt "bakshish". na klar. habe ich nicht. er zieht genervt ab. als ich kurze zeit später mit bierdosen wiederkomme (aus einem laden, in dem ein unikum residiert, typ verfetteter senator aus dem alten rom), gibt es keine gläser im zimmer. ich wieder runter. zwei gläser? anweisungen auf arabisch. der scherge steht augenrollend auf, während der slacker und ein dritter genüsslich weiter an der wasserpfeife ziehen.

die drei jungs verbringen offenbar jeden tag 24 stunden im foyer. morgens pennen sie auf dem sofa. ab 12 geht der fernseher an, natürlich mit satellitenfernsehen, dass sie uns auf dem zimmer vorenthalten. um zwei wird der scherge falafel holen geschickt, dann essen die drei. spätestens um sechs wird die wasserpfeife vor dem sofa aufgebaut, den fernseher immer im blick. um zwölf oder eins nachts ist der slacker nur noch imstande, einem mit glasigem blick ein freundliches "goodnight" zu wünschen. dann ist auch schon wieder ein tag rum. am nächsten morgen drücken ein paar abreisende gäste ihr geld ab, und dann geht es nicht etwa ans putzen, sondern vor den fernseher im foyer. ein neuer tag beginnt im hotel regis. was für ein leben. -nbo


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