durch kenia

endlich in kenia
moyale, 28.12.2004
master & servant
moyale, 28.12.2004
afrikanische logik
marsabit, 29.12.2004
return of the dicke taube
marsabit, 29.12.2004
baustelle...
marsabit, 30.12.2004
snapshot, aber was für einer
marsabit, 30.12.2004
flucht im 4WD
marsabit, 31.12.2004
verbranntes niemandsland
am turkana-see, 2./3.1.2005
im rausch der weite
zwischen turkanasee und baragoi, 4./5.1.2005
von jedem ein bisschen
nairobi, 7.1.2005
die grossstadt leuchtet
nairobi, 8.1.2005
a taste of nairobbery
nairobi, 8.1.2005
morgens in nairobi
9.1.2005
die rohe suche nach dem glück
nairobi, 10.1.2005



um ein uhr liegt äthiopien hinter uns. mit leo gehen wir grinsend unter dem schlagbaum am kenianischen grenzposten durch. der immigration officer wickelt alles schnell ab. unsere 20 euro wechselgeld für die visa gibt er uns in shilling zurück. weil er es nicht passend hat, 80 shilling zuviel. "you're my brother", lautet seine begründung. wann hat man so etwas je an einer grenze erlebt?

in moyale/kenial wird die selbe sprache wie in moyale/äthiopien gesprochen, borana. aber irgendwie ist der ort anders. noch schlichter, mehr moslems, sogar verschleierte frauen. dafür sind die ladenfronten geradezu ordentlich und knallbunt bemalt. viel aufgeräumter als äthiopische geschäfte. die strassen sind nicht asphaltiert, nur ausgewaschene flussbetten, die hotels löcher, aber leute lassen einen zum ersten mal seit zwei wochen in ruhe. keine bettelnden kinder, kein permanentes "you"- und "mister"-geflüster.

Dafür gibt es kein bier mehr auf der hauptstrasse. der islam regiert wieder, mit cola und fanta. so eine scheisse, denn leo, woldo und ich haben einen höllendurst. dann finden wir immerhin zwei chatkauende burschen, die uns durch die brüllhitze zu einem bier bringen können - in die "prison canteen" neben dem knast. in der gartenbar gilt das islamische nüchternheitsgebot gottseidank noch nicht. unsere beiden schatten setzen sich dazu und stopfen sich unaufhörlich chatblätter in die dicken backen. "it makes you happy", sagen sie und nehmen einen schluck bier.

auch später, als wir eine leicht freudlose ziege mit reis und tomaten in einem strassenrestaurant essen, kauen die jungen männer um uns herum nur stumpf chat. einer starrt uns die ganze zeit einfach an. eine attraktion. im müll der strasse stöbert ein esel. im radio überlagern sich zwei nachrichtensender. "...30.000 dead...", mehr ist nicht zu verstehen. meine begeisterung, in kenia angekommen zu sein, ist verflogen. -nbo


master & servant
moyale, 28.12.2004

langsam und schleichend wirst du wieder zum weissen kolonialherren. redest auf eine nachtkappe in einem strassenrestaurant ein, was du essen möchtest. er nickt, behält kein wort, und innerlich rollst du schon wieder mit den augen. oder lachst in dich hinein. erklärst dem typen im hotel, dass das zimmer nicht sauber ist, dass die vollmundig versprochene dusche nur ein rinnsal ist.

leo, unser holländischer reisecompanero, macht den nachtkappen dieser welt mit subtilem und pädagogischem witz beine. plötzlich laufen sie, versprechen alles in ordnung zu bringen, weil er in aussicht stellt, über den preis reden zu wollen. wir fragen im medina hotel in moyale nach handtüchern, und ein paar minuten später kommt einer mit einem einzigen handtuch. für uns drei. erklärt leo, dass gerade kein weiteres da sei, aber morgen bestimmt. aber morgen sind wir schon in marsabit.

"can you forgive me?" fragt der hotelscherge leo. was für ein satz. das muss man sich mal überlegen. "well, I have to think about it", antwortet er trocken, und wir brechen in lachen aus, als der handtuchüberbringer wieder abgezogen ist. man redet am ende in einem tonfall mit den leuten, als ob sie nicht alle tassen im schrank hätten. das ist schon schlimm genug.

noch schlimmer ist, dass wir aufgehört haben, die generation der 20-, 25-jährigen überhaupt ernst zu nehmen. sonne, schmutz und anstrengung vernebeln dir zuweilen den verstand, und zuletzt ziehst du dich hilflos in die rolle dessen, der das geld für alles hat, zurück. lässt dich in genau diese rolle hineindrängen, die dir die einheimischen ohnehin wegen deiner hautfarbe zugeschrieben haben. wir, die seltsamen "faranji" mit den rucksäcken voller geld, das wir in europa von den bäumen gepflückt haben. wie kommt man da wieder raus? -nbo


afrikanische Logik
marsabit, 29.12.2004

als wir morgens um sieben an dem platz in moyale ankommen, wo der bus nach marsabit abfahren soll, steht da nichts. der bus sei noch in marsabit. "mechanical breakdown", lautet die begründung. dann müsst ihr eben morgen fahren, meinen die leute am fahrkartenschalter der busgesellschaft. bloss das nicht. keine stunde länger in diesem grenzkaff, in dem es bier nur in einer "prison canteen" gibt.

plötzlich ist da ein jeep, und ganz schnell eine menschentraube. einer der busleute winkt uns herbei, er hat drei plätze für uns organisiert (natürlich gegen ein kleines trinkgeld). als leo, unser reisecompanero, beim einladen bittet, doch eine plastikplane über die dieselöllache im kofferraum zu legen, wird er übel angeblafft. vom fahrer, wie sich herausstellt. und schon ist die atmosphäre im wagen vergiftet, den wir mit drei kenianerinnen teilen. unser fahrer ist dermassen übellaunig, aber gottlob haben wir um zwölf bereits die halbe strecke und die meisten schlaglöcher hinter uns.

um viertel vor eins hält unser fahrer plötzlich in einer ebene, die mit schwarzen lavabrocken übersät ist. die sonne brennt erbarmungslos, es ist unglaublich. der fahrer öffnet die motorhaube, fummelt an irgendwas im motor herum und macht ein langes gesicht. wir steigen aus. was ist los? "der motor ist zu heiss", sagt er in gebrochenem englisch. mehr nicht. dann holt er einen wasserkanister und beginnt, den trockengefallenen kühler aufzufüllen. das wasser rauscht durch und pladdert unten wieder raus auf die piste.

wir schauen den motor näher an. alles ist irgendwie geflickt, aus dem zylinderblock quillt durch eine ritze überhitztes öl. da stehen wir also. es geht nicht weiter. unser fahrer setzt sich in den staub und starrt in die ferne. als ein truck vorbeikommt, macht er keinerlei anstalten, diesen um hilfe anzuhalten. schliesslich wäscht er sich die füsse und betet auf einem tuch. die richtung von mekka trifft er nicht ganz, aber es ist auch heiss. eine der kenianischen frauen betet ebenfalls.

dann passiert wieder lange nichts. woldo verfällt in die afrikanische starre der ereignislosigkeit, die ryszard kapuscinski in "afrikanisches fieber" so schön beschrieben hat. auf der rückklappe des jeeps, im schneidersitz mit geschlossenen augen, stoffwechselt sie im schatten der klappe vor sich hin.

nach zwei stunden kommt ein weiterer truck und hält. der fahrer hat freundlicherweise ahnung, denn es ist ein überlandtruck für traveller (allerdings ohne tour). in zwei minuten hat er das problem entdeckt. ein schlauch vom kühler zum motor hatte sich gelöst, weil er nur lose aufgesteckt war - ohne flansch natürlich. uns wird klar, dass unser fahrer keinen schimmer von diesem wagen hat, obwohl er die strecke jeden tag hin und zurück fährt. der jeep wird gestartet, der truck entfernt sich richtung moyale und wir fahren weiter.

nach einer halben stunde bitten wir den fahrer, noch mal das kühlerwasser zu kontrollieren. das tut er und würgt dabei den motor ab. der danach nicht mehr anspringt. kein wunder, da einer der batteriekontakte lose herumschlackert, nur mit einer badelatsche - kein witz - festgeklemmt. mit seinem einzigen werkzeug, einer zange, fummelt er vergeblich an dem kontakt herum. idiotisch. wir müssen den wagen anschieben, damit er anspringt.

von da an hält der fahrer alle halbe stunde, um seinen kühler mit wasser zu besprengen. drei kilometer vor marsabit, unserem ziel, bleibt er dann endgültig stehen. er wolle seinen motor nicht riskieren. endstation? wir schwanken zwischen sarkastischen lachanfällen und beschimpfungen, und unser fahrer verflucht uns, weil wir seine ganze blödheit vor den frauen blossstellen. der typ fährt tagein, taugaus seinen jeep ein stück weiter dem exitus entgegen, und plötzlich packt ihn das risikobewusstsein? der wagen ist nie im leben je gewartet worden, seit er ihn fährt (hat 370.000 kilometer runter). "that's africa", beruhigt uns eine der kenianerinnen, als wir in den sonnenuntergang, so kurz vorm ziel, starren. "take it easy." -nbo


Return of the Dicke Taube
Marsabit, 29.12.2004

Come to where the Mullah is. Come to Muslim Country. Da sind wir wieder, im Land der Freudlosen. Direkt hinter der kenianischen Grenze, im Grenzort Moyale geht es wieder los: es gibt kein Bier mehr, geschweige denn anderen Alkohol. Nur noch Limo, übrzuckerten Tee und Kaffe aus Tüten. Der internationale Vertrieb von Coca Cola hat ganze Dienste geleistet, in jedem noch so abgelegenen Kaff gibt's Coke oder Fanta.

Wir können sie ärgern, indem wir ihnen erklären, dass das Zeug aus Amerika kommt, aus dem Land von George W. Bush. Keiner kann verstehen, dass man Bier auch wegen des Geschmacks trinkt und nicht nur, um sich damit zu besaufen.

Ab hier ist's vorbei  mit den feingliedrigen schlanken Naturschönheiten wie im Sudan oder Nordäthiopien. Frau ist wieder bäuerlich plump und unelegant, trägt Schneidezähne aus Weissgold  und verhüllt ihren ungeahnten Charme unter undurchsichtigen Tüchern, auch diese mit Metallfäden durchzogen.

Mann sitzt dagegen stumpf in der Ecke, kaut Miraa, die kenianische Variante des äthiopischen Chat und glotzt nur scheel. Bekommt er doch mal die Zähne auseinader, versteht man kein Wort, weil er das Zeug als einen dicken, kleingekauten Klumpen in der Backe hat. Vielleicht auch besser so, denn "what's your name" und "where you come from" haben wir wahrlich schon zur Genüge gehört. nach Diktat verreist -dwo


baustelle...
marsabit, 30.12.2004

ich stehe hier in kenias wildem norden im postamt von marsabit an einem von vier internet-terminals, die sich eine einzige modemverbindung teilen. was ihr hier unten seht, ist der versuch, schon mal ein paar einträge aus der letzten zeit anzulegen. das dauert pro eintrag etwa 6 minuten! aufschreiben werden wir alles in nairobi, der digitalsten stadt ostafrikas, die wir am 7. januar erreichen werden. bis dahin werden wir an einer organisierten safari teilnehmen (habt ihr ganz richtig gelesen). morgen nachmittag um drei geht's hier in marsabit los. euch allen einen guten rutsch!!! -nbo


snapshot, aber was für einer
marsabit, 30.12.2004





auf dem weg zum postamt in diesem muffigen kaff komme ich an einem ulkigen laden vorbei. "best fish'n'chips, pudding around" steht da in weissen lettern auf der blauen hauswand. pudding, ja, was die engländer hier so zurückgelassen haben. ich hole die kamera aus der hosentasche und schau durch den sucher.

mit einem mal hebt wildes geschrei an. "stop", "no photo" prasselt es von allen seiten auf mich ein. ich setz die kamera ab, da ist doch niemand, kein mensch vor der linse. rechts neben dem laden sitzt ein mann auf der veranda und brüllt besonders laut herüber. "warum willst du ein foto machen?" ich nehme keine notiz von ihm, bin ich dem kerl etwa rechenschaft schuldig?

doch er gibt keine ruhe. "das ist mein besitz. das geht nicht, ohne vorher zu fragen." wie? ich gehe zu ihm hin. "warum willst du ein photo von meinem laden machen?" fragt er schon wieder. "als erinnerung", antworte ich, "mir gefällt die beschriftung des ladens." "ist das auch nicht für business?" setzt er misstrauisch nach.

ich bin verblüfft. was meint er denn damit? "nein, nur für mich, ich bin tourist." er entspannt sich immer noch nicht. "woher kommst du? bist du amerikaner oder engländer?" "nein, ich komme aus deutschland." "OK", grummelt er und gibt mir dann die erlaubnis, seinen laden zu fotografieren. und sagt: "britain is a very bad country." -nbo


flucht im 4WD
marsabit, 31.12.2004

um drei uhr nachmittags warten wir am hauptplatz von marsabit auf den jeep von gametrackers, unserer safari-agentur. zum ersten mal haben wir eine solche tour gebucht, denn den turkana-see auf eigene faust zu erreichen, ist nur etwas für ganz hartgesottene.

wie diesen deutschen, mit dem ich kurz in der kenya lodge quatsche. er war mir bereits gestern in der bank aufgefallen, in seinem langen indischen anzug mit der überlangen kurta, mit seinem bart und der riesenrastawollmütze. seit 1993 ist er aus deutschland weg, lebt die meiste zeit in indien, kommt nur hin und wieder mal zurück und reist viel durch die weltgeschichte. jetzt wartet er auf einen truck an den turkana-see.

es ist einer dieser augenblicke, in denen wir mit unserer hamburg-kapstadt-route die totalen durchschnittsreisenden in dieser weltgegend sind. es gibt immer einen, der viel, viel verrückter drauf ist und wirklich auf die harte tour die welt erkundet.

dann ist der jeep da, woldo und ich steigen ein, laden leo, unseren reisecompanero, und das gepäck ein. eine halbe stunde später sind wir im marsabit national park und bauen inmitten des dschungels mit drei weiteren safarikumpanen (alan aus neuseeland, vali aus australien und oliver aus münchen) unsere zelte auf.

nur zwei kilometer vom zentrum von marsabit town entfernt, und doch liegen welten dazwischen. schlagartig entspannt sich woldos gesicht, und das alte strahlen, das afrikanische fieber, leuchtet wieder in ihren augen, das nervende äthiopier und muffige kenianer in den letzten tagen überschattet hatten.

jetzt sind wir also auf einer safari, diesem relikt kolonialen reisens. aber schon kurze zeit später, als wir durch den feuchtgrünen wald noch einmal zu den kraterseen fahren, elefanten und wasserbüffel sehen, ist mein letztes unbehagen verflogen. hier können wir wieder zur ruhe kommen. das grenzgebiet hat woldo, leo und mich geschafft. mit goodwill allein kann man diesem ansturm von glücksrittern, nachtkappen und durcheinander nicht standhalten. wir fliehen in die afrikanische natur, vor dem heranschleichenden zynismus und unserer eigenen hilflosigkeit. -nbo


verbranntes niemandsland
am turkana-see, 2./3.1.2005





du sitzt am ufer eines riesigen sees in einem gemütlichen korbsofa, die sonne scheint, der horizont ist weit. klingt wie eine afrikanische postkartenidylle. doch es gibt kein kühles bier, nur warmes mineralwasser, und ein heisser wind schlägt dir pausenlos ins gesicht. du schwitzt dumpf vor dich hin. der see ist kühl, aber voller krokodile. kein baum weit und breit, kein boot auf dem see, am horizont türmen sich nur graue, unheimliche berge auf.

das ist der turkana-see im rift valley in nordwestkenia (bis 1975 als rudolfsee bekannt). ein verbranntes niemandsland, in dem einige menschen in trostlosen dörfern das überleben meistern. das seewasser ist zu salzig, als dass man damit auch nur einen tomatenstrauch, eine gurkenstaude wässern könnte. die menschen leben in hütten, die wie fragile, übergrosse graspillen am seeufer stehen.

auf einer trockenen landzunge fristet eine der letzten beiden elmolo-gemeinden ihr dasein, ein stamm, von dem nur noch 200, 300 angehörige übrig sind. ihre sprache ist bereits ausgestorben, heute sprechen sie turkana. kein baum, der in diesem dorf schatten spendet. zum frühstück gibt es in diesem dorf von fischern porridge, zum abendessen stockfisch mit brot. tag für tag. nur weihnachten habe es für das ganze dorf gemüse gegeben, sagt der junge mann, der uns herumführt. im unterschied zu den anderen stämmen der region, den gabra, turkana, rendile oder samburu, haben die elmolo keine kamele, von denen sie frisches blut abzapfen können, um damit ihren vitaminbedarf zu decken. manche kinder haben deshalb verkrüppelte füsse.

john lennon erklingt in meinem kopf. "he's a real nowhere-man, sitting in his nowhere-land, making all his nowhere-plans for nobody." hier ereignet sich nichts, hier führt keine strasse hin, hier enden die staubigen pisten. eine schule gibt es immerhin, aber der unterricht nach den weihnachtsferien kann noch nicht beginnen, weil der lehrer fehlt. wahrscheinlich sitzt er in north horr fest und wartet auf einen truck, der ein paar kisten bier und soda zum turkana-see bringt.

"das hier ist nicht kenia", sagt ein anderer mann in loyangalani, dem grössten dorf am ostufer des sees, dessen ende man nicht sehen kann. wie eine grosse, tote meeresbucht liegt er da, über die eine steife brise von den bergen herunterkommt. kenia, das ist nairobi, und das ist hier weit weg. eine einzige luxuslodge gibt es seltsamerweise in loyangalani, die einem deutschen gehört. "der trinkt den ganzen tag whiskey", sagen ein paar jungen grinsend. kann man ihm eigentlich nicht verdenken.

auf der suche nach einem KUEHLEN getränk statten wir ihm schliesslich einen besuch ab und finden ihn auf der terrasse. halb lallend, dabei hessisch klingend, erklärt er uns, die wenigen kühlen drinks, die noch übrig seien, müsse er für seine gäste aufsparen. seine zähne sind gelb wie die eines kamels, ein ekelhafter zeitgenosse, wir hauen schnell wieder ab.

dann trinken wir notgedrungen eine ziemlich warme cola in einem kleinen laden auf der hauptstrasse. die hitze nervt. immerhin versinkt die sonne schliesslich hinter den schwarzen vulkankegeln der südinsel des turkana-sees, und wieder ist ein tag im niemandsland rum. morgen werden die samburu, rendile, turkana und elmolo wieder ihre wenigen ziegen und kühe im harten, stachligen gras am see weiden lassen, dessen wasserspiegel seit jahrzehnten dramatisch sinkt. irgendwann wird nur eine pfütze übrig sein, und dann wird der turkana-see tolkiens mordor an faszinierender trostlosigkeit in nichts mehr nachstehen. -nbo


im rausch der weite
zwischen turkanasee und baragoi, 4./5.1.2005






ganz langsam quält sich der toyota landcruiser die geröllpiste vom ufer des turkana-sees herauf. da ist kein weg, nur noch zwei rillen im schotter. irgendwann bleibt er in den steinen stecken, die räder graben sich bei jedem druck aufs gaspedal noch tiefer ein. sami, unser koch, und ein junge geben dem wagen schliesslich den schubs, um wenigstens zurücksetzen zu können. dann prescht nikos, unser fahrer, den schotterhang hinauf, dass die steine fliegen, und wir stapfen hinterher.

eine stunde später haben wir den talkessel des sees hinter uns gelassen. eine turkanafamilie taucht aus den savannenbüschen am strassenrand auf, gestikuliert. ob wir wasser haben, fragen sie nikos. schüsseln und bottiche werden aus dem wassertank des jeeps aufgefüllt. die frauen tragen eine art irokesenhaarschnitt, ihre ohren sind mit grossen ringen behängt. genantes gelächter, als wir uns ein paar fotos von ihnen "stehlen". dann fahren wir weiter und sie ziehen ihres weges durch die ausgedörrte landschaft.

durch trockene bachbetten treibt nikos den wagen steile hänge hinauf, immer höher, bis wir auf einem pass ankommen. eine atemberaubende landschaft öffnet sich, endlose geschwungene savannenebenen, eingefasst von schroffen bergrücken. der fahrtwind ist heiss wie ein föhn. nach drei stunden erreichen wir schliesslich tuum, ein dorf am rande eines weiten, flachen tals.

vier junge samburus laden unser gepäck auf kamele, die wütend brüllen und lieber an den bäumen knabbern würden. dann setzen wir uns im gänsemarsch in bewegung und machen uns auf den weg zu unserem camp. die samburus hinter uns lachen und stimmen irgendwann einen rhythmischen sprechgesang an. der erste singt ein zeile, der zweite übernimmt, dann der dritte, der vierte.

so ziehen wir am fusse der berge durch die savanne. bis baragoi, zur nächsten "stadt", sind es 50 kilometer. leeres land. nicht ganz: manchmal kreuzt eine ziegenherde unseren weg, dann sind es einige kühe mit dem typisch afrikanischen fetthöcker. unsere samburu-kameltreiber sind ganz anders als ihre mürrrischen zeitgenossen in den traurigen dörfern am turkana-see. sie scheinen keine schlechte laune zu kennen. man hört sie nur reden und lachen im camp, während sami, der koch, auf dem feuer unser abendessen herbeizaubert.

von den hängen hinter dem camp klingen kuhglocken, ziegengemecker und vereinzelte rufe von nomadisierenden samburus durch den frühen abend. im unterschied zu den "städten" findet man hier auch keine beckham- oder adidas-T-shirts. die männer tragen karierte lungis, eine art gewickelte herrenröcke. an die gegenwart erinnern nur die digitaluhren, die unsere kameltreiber zwischen ihren traditionellen armreifen am handgelenk tragen. am nächsten morgen bringen sie uns zur strasse, hinten in der savanne, wo wir wieder auf nikos, unseren fahrer und guide, treffen. dann preschen wir wieder in die endlose weite, während die samburus mit ihren kamelen zurückbleiben, immer kleiner werden und schliesslich zwischen den bäumen verschwinden. -nbo


Von jedem ein Bisschen
Nairobi, 7.1.2005





Alles, was piekt und beissen kann, hat es auf mich abgesehen. Ganze Galaxien von Mückenstichen trage ich mit mir herum. Nicht nur die Mücken finden Gefallen an mir. Als ich mich am Lake Turkana auf die Matratze setze, wird mein nackiger Po von Ameisen innigst Willkommen geheissen, es brennt höllisch.

Unsere Safari-Truppe ist eine bunte Mischung von Abenteuerlustigen: Leo, der 45-jährige Architekt aus Holland, seit Konso/Äthiopien unser Reisegefährte.
Vali, 22 Jahre, Inder, seit seinem 11. Lebensjahr in Australien aufgewachsen, Mathematik- und IT-begeistert, dem sein Studienfach (internationale Finanzen) offensichtlich schwer zu schaffen macht, nach seinen malträtierten Fingernägeln und Nagelbetten zu urteilen. Mit Angehörigen in Nairobi und dem Rest der Welt, natürlich in den Geschäftsmetropolen, tüchtig, wie die Inder nun mal sind.
Und dann ist da der etwas spurlose Ingenieur Oliver aus München, 35 Jahre. Frage, konkrete Antwort, Punkt. Seit Oktober ist er im Overland-Truck unterwegs, war schon in Uganda und im Kongo.
Zu guter Letzt ist da Alan, der Zorbas aus Christchurch, Neuseeland. Nachdem seine Frau starb, hat er kurzerhand seine Firma verkauft und sich dem Reisen gewidmet. Kein Land, das der 74-jährige robuste Ruhepol der Reisegemeinde noch nicht gesehen hat. Es macht Spass, sich mit ihm zu unterhalten. Sein unterschwelliger Humor und wacher Verstand machen Mut für das Alter, seine Neugier und Offenheit wünscht man manchem 30-jährigen.

Mit diesem internationalen Potpourri verlegen wir unser gemeinsames Silvester vor auf elf Uhr. Sinnlos, bis zwölf Uhr abzuwarten, in Australien und Neuseeland ist es längst vorbei und in Deutschland erst in zwei Stunden soweit. Mit handwarmem Bier prosten wir uns am Lagerfeuer ins neue Jahr. Wie ich es vermisst habe, das Zelten in der Wildnis! Sollen sie doch kommen, die Kreuch- und Fleuchtiere, ich bin gewappnet! nach Diktat safari (kisuaheli für reisen) dwo


die grossstadt leuchtet
nairobi, 8.1.2005





ein tolles neues jahr wünschen wir euch. unseres hat gut begonnen, und nun sind wir nach einer phantastischen tour in nairobi angekommen. ja, diese stadt meint es gut mit uns. wir finden in einem buchladen unseren footprint-reiseführer wieder, der uns in äthiopien abhanden kam. es gibt supermärkte mit joghurt. cafes mit espresso. zeitungen. asphaltierte strassen, hochhäuser, bars, verkehr, schnelle internetverbindungen, ach eine richtige grossstadt. kein zweifel, nairobi ist die modernste stadt zwischen beirut und südafrika, mehr noch als kairo. wir geniessen es, wieder in der zivilisation zu sein.

unter afrikakennern ist nairobi als "nairobbery" verschrien. tatsächlich habe ich noch nie so viele wachmänner pro hektar gesehen wie in dieser stadt. westlands, die vorstadt, durch die wir gestern nachmittag in die stadt reingefahren sind, ist eine sammlung aus festungen, in denen villen stehen. die zukunft des kapitalismus, so sieht sie aus. aber im zentrum lässt es sich aushalten.

heute abend gehen wir in die "trattoria", in der salami, schinken, antipasti und parmesan in der theke liegen! ach, wir fühlen uns gerade sauwohl. und auch nicht zu alt (lest mal moschess bemerkung in den kommentaren, was seine nachbarn über uns denken). alan, der neuseeländer, der mit uns auf tour war, ein pfundskerl mit knochentrockenem witz, ist 74 - und fährt jedes jahr zweimal für mehrere monate in die so genannte dritte welt. da sehen doch moschess' nachbarn ganz schön alt aus. -nbo


a taste of nairobbery
nairobi, 8.1.2005

man soll den tag nicht vor dem abend loben. es sind nur wenige hundert meter von der "trattoria" zu unserem hotel. die strassen sind hell erleuchtet, warum ein taxi nehmen? wir vier sind kurz vor unserer strasse, als wir eine meute herumlungernder typen an einer strassenecke sehen. sie sitzen da und machen nichts. wir beschliessen, die strassenseite zu wechseln.

woldo und ich sind schon fast drüben, als wir lautes geschrei hören. wir drehen uns um und sehen sieben, acht nichtsnutze wegrennen. leos geistesgegenwart, sie so laut wie möglich anzubrüllen, hat sie vertrieben, sie hatten ihre finger schon fast an seinen und an alans armen. geschockt erreichen wir die andere strassenseite.

geschockt, weil auch nachts noch genügend wachleute auf den bürgersteigen vor sich hin dösen. die polizei hat die innenstadt offenbar längst aufgegeben, wie uns die leute im hotel erzählen. "solchen halunken legt man am besten einen reifen um den hals", sagt einer und grinst noch dabei. -nbo


morgens in nairobi
9.1.2005

"3 gangster gelyncht", lautet eine der schlagzeilen des tages. auf dem lande in kenia wird nicht lange gefackelt. es geht auch ohne polizei und rechtsstaat. ein schauder überkommt mich, während ich an einem frischen fruchtsaft nippe. plötzlich geschrei auf dem bürgersteig vor dem cafe in downtown, ein mann rennt vorbei, drei, vier andere sind ihm auf den fersen. "der hat was gestohlen", sagt der kenianer am nebentisch trocken und liest weiter in seiner zeitung.

die strasse vor dem cafe gerät in bewegung, ich stehe auf, schaue der meute nach, die jetzt mit jedem meter anschwillt. wachleute kommen aus den eingängen von banken und läden und schliessen sich der verfolgungsjagd an. schon haben sich an die hundert passanten in der strassenflucht versammelt, hinter einem querstehenden müllabfuhrlaster ertönen wütende rufe und beschimpfungen.

vorsichtig bahne ich mir den weg durch die menge, da vorne in ihrer mitte klafft ein loch, umgeben von hasserfüllten gesichtern, die auf den bürgersteig starren. ich erhasche einen blick durch die körper und beine, ein mann liegt am boden, fusstritte prasseln auf ihn ein. einige ältere männer und wachleute, versuchen ihn abzuschirmen, aber die menge scheint ausser rand und band. dann schaffen sie es, den verdächtigen auf die beine zu stellen.

er blutet an der stirn. rotz und wasser laufen ihm übers gesicht. er zittert am ganzen leib, während ihm verwünschungen entgegenschlagen. dann wird er in einen hauseingang gebracht, und die menge beruhigt sich langsam. nach drei minuten ist der spuk vorbei, und alle gehen wieder ihren geschäften nach. der vulkan nairobi hat kurz sein wahres gesicht gezeigt. -nbo


die rohe suche nach dem glück
nairobi, 10.1.2005

ist nairobi die zukunft? ist das die richtung, die der globalisierte kapitalismus nimmt? je weiter wir nach süden kommen, desto roher erscheint der alltag, desto weiter klafft die lücke zwischen dem blossen überleben der vielen und dem teilweise obszönen reichtum der wenigen.

nairobi ist eine kapitalistische metropole im permanenten belagerungszustand. die reichen und die weissen verschanzen sich hinter meterhohen mauern, auf denen unter strom stehender natodraht thront. die gesichter der grossstädter verraten anspannung, nur selten huscht ein lächeln darüber. jeder versucht hier im zentrum von nairobi, die bitter nötigen shilling zu ergattern.

wovon träumen all die kellner, angestellten, verkäufer, wenn sie abends in ihren vorstädten angekommen sind? sehnen sie sich nach den dörfern in samburuland oder kikuyuland zurück, oder wollen sie weiterkommen auf dem weg zum wohlstandsleben der moderne?

als wir abends aus dem kinosaal kommen ("oceans 12" gesehen, sehr gut), haben wir für kurze zeit vergessen, wo wir eigentlich sind. wir trinken ein bier an der bar des kenya cinema plaza und reden über den film. durch die fenster scheinen die lichter der grossstadt. wie zuhause. dort würden wir jetzt aus dem kino gehen, nach hause laufen und unterwegs noch irgendwo für einen absacker eintrudeln.

aber draussen ist nairobi, nicht hamburg oder amsterdam. der öffentliche, städtische raum, jene grosse errungenschaft der europäischen kultur, existiert hier nicht. wer zeit hat, flaniert nicht, sondern lauert. denn wer zeit hat in einer stadt wie nairobi, ist ganz unten. auf der strasse. im cafe sitzen, sich geschichten erzählen oder über gott und die welt diskutieren, ist ein luxus, den sich hier niemand leisten kann.

nairobi ist business: geld scheffeln, in einem servicejob malochen oder stehlen, es sind nur varianten des rohen rat race, das keinen platz für andere lebensentwürfe lässt. -nbo


chronik

etappen
hamburg – istanbul
istanbul – dahab
dahab – wadi halfa
wadi halfa – addis
addis – nairobi
nairobi – nungwi
nungwi – kyela
kyela – tofo
tofo – kapstadt

gedanken
was ist reisen?
verschiedenes

länder
deutschland
polen
slowakei
ungarn
rumänien
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sudan
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mosambik
lesotho
südafrika
schnipsel

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