von istanbul nach dahab (ägypten)

istanbul ist westanbul30.10.2004
snapshot #2
istanbul, 1.11.2004
gespräch im basar
istanbul, 1.11.2004
osteuropa-schnipsel
2.11.2004
im bus
zwischen istanbul und göreme, 2.11.2004
in asien
göreme, 3.11.2004
gespräch im auto
göreme, 4.11.2004
doch ein kulturschock
aleppo, 5.11.2004
naher ostblock
aleppo, 6.11.2004
im land der dicken taube
aleppo, 6.11.2004
tarantino mit hommus
beirut, 7.11.2004
beirut - opening soon
8.11.2004
snapshot #3
beirut, 8.11.2004
morgens in beirut
9.11.2004
clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004
in der moschee
damaskus, 11.11.2004
captainsdinner auf der "MS damaskus"
11.11.2004
hopper in syrien
damaskus, 12.11.2004
service-taxi
zwischen damaskus und amman, 12.11.2004
eine "stadt"
amman, 12.11.2004
ramadan, einen monat völlerei
amman, 13.11.2004
ein tag auf dem wüstenplaneten
irgendwo in jordanien, 14.11.2004
der neue beduine
wadi ram, 15.11.2004
von aqaba nach nuweiba: die boat-people-erfahrung
17.11.2004
luxus
dahab, 18.11.2004



Istanbul ist Westanbul
30.10.2004






Wer hätte das gedacht! Der europäische Teil der Stadt, nördlich des goldenen Horns, in dem wir untergekommen sind, fühlt sich überhaupt gar nicht befremdlich an. Die Gerüche aus den zig Imbissküchen, die Auslagen in den Essvitrinen, alles wohlbekannt, wenn man aus Hamburg kommt und in St.Pauli wohnt. Wer hier schnurrbärtige Manner und bekopftuchte Frauen erwartet, muss lange suchen. Nur ganz vereinzelt mal ein Ottenser Gemüsebäuerlein mit zerschlissenem Wintersakko und dem obligatorischen Erstlingswollmützchen auf dem Kopf.

Erstaunlich modern und vor allem mit Menschenmengen gefüllt ist die Haupteinkaufsstrasse, die Istiklal, in der man zu jeder Tages- und Nachtzeit, egal ob werktags oder am Wochenende sämtlichen kaueflichen Gelüsten nachgehen kann. Unzählige Kneipen, Cafés, Restaurants, Imbisse und Geschäfte reihen sich hier in bis zu acht Stockwerken aneinander. Gelassen gehts hier zu, geradezu fröhlich, ich bin begeistert. Gegenüber unserem Hotel stehen gelangweilte Polizisten vor ihrer Wache und versuchen, ernst dreinzuschauen. Aber selbst sie scheinen darauf zu warten, mit den Vorbeigehenden ein nettes Schwätzchen halten zu können.

So modern und aufgeschlossen, wie man sich hier gibt, scheint dem Beitritt zur EU eigentlich nichts mehr im Wege zu stehen. Meine Segen haben haben sie. Aber nur unter einer Bedingung: das Fremdgehen darf nicht mehr unter Strafe gestellt werden, denn das ist ein Eingriff in die Privatsphäre eines jeden.

Tags drauf überqueren wir mit der Fähre den Bosporus, um uns den asiatischen Teil der Stadt anzusehen. Kaum zu glauben, dass dies eine Stadt sein soll, deren Teile man nur mit einer viertelstündigen Bootsfahrt oder über die lange Brücke erreichen kann. Wie haben sie das denn früher gemacht, als sie technisch noch nicht so fortschrittlich waren? Kurz hinter der Kaimauer erkenne ich auch schon den entscheidenden Unterschied dieser beiden Stadtteile. Hier geht es zu, wie ich es in der gesamten Stadt erwartet hatte. Wuseliges Treiben in den engen Basarsträsschen, alles ziemlich vermüllt.
Und da sind sie dann auch endlich: die breitbeinigen Jungs mit einem Gang, als hätten sie Rasierklingen in den Achselhöhlen, das wichtigste Ausstattungsmerkmal ihres Autos die Bassbox. Kommt mir auch ziemlich bekannt vor. Und ist es nicht grossartig, dass man trotz der vermeintlichen Unterschiede keine gegenseitigen Berührungsängste mehr hat? Alles braucht eben seine Zeit, think global! nach Diktat verreist -dwo


snapshot #2
istanbul, 1.11.2004

an der wand hängt ein altes schwarzweissfoto der grande rü de pera. lange bevor sie zur istiklal caddesi wurde. drei brillen diskutieren mit nachdrücklichen gesten einen neuen roman, der als hardcover vor ihnen auf dem cafe-tisch liegt. eine blondierte frau mit stola-kragen und golden lackierten fingernägeln schreibt in grossen zügen ein gedicht in ein sehr grosses heft. tom waits raunt dabei nachlässig zeilen aus dem lautsprecher. kein lachen im raum. nur gedankenschweres starren oder bedeutsames debattieren. eine zeitung kreist zwischen vier köpfen. eine literaturzeitschrift dient als beleg für eine aussage. die blondierte dichterin bestellt einen tee. die brillen erheben sich, und adriano celentano übernimmt con una bella im dialog. ein junges lockenköpfchen mit gezupften augenbrauen und teddyjacke lässt sich nieder. beim bestellen blitzt sie den gut aussehenden kellner an. an der bar rüttelt ein bezopfter zum x-ten mal am fast leeren whiskeyglas. ein blüs setzt ein. im raum hängen schwere fragen: wie sieht der nächste schritt im leben aus? wie muss der nächste satz lauten? es riecht intellektuell, und der blüs wechselt ins aufgeregte. das ist das kaktus kahvesi in beyoglu am montagabend, in einer seitenstrasse der istiklal caddesi. -nbo


gespräch im basar
istanbul, 1.11.2004





der grosse basar in istanbul ist eine stadt in der stadt, nur komplett überdacht. als wir an einem kleinen platz an der hauptgasse des basars am tee nippen, tippt mich jemand von hinten an. ich drehe mich um: es ist eine ältere frau mit streng zurückgekämmten und zusammengeknoteten haaren, schwarzer mantel, brille, schwarze stoffhose. "was für einen eindruck haben sie von all dem?", fragt sie mich langsam auf englisch. sie scheint aus istanbul zu kommen.

ich erzähle ihr, wie begeistert ich vor allem vom stadtteil beyoglu bin. aber damit lässt sie mich nicht entkommen. "so what?" bohrt sie. ich fahre fort, doch sie sagt immer nur, lächelnd: "so what? come on, tell me." sie nippt kurz an ihrer sprite und kramt eine zigarette aus ihrer tasche hervor. wie sich herausstellt, spricht sie auch deutsch, weil sie vor jahren in münchen ihre doktorarbeit geschrieben hat. wir fahren auf deutsch und englisch fort. "ich fühle mich fremd in diesem land, in meinem land", sagt sie. "ja, es macht mir angst."

ich werde neugierig. das ist mehr als freundliche konversation mit einem touristen. ich beginne, ihr fragen zu stellen. sie ist etwa 60 jahre alt, universitätsprofessorin, an welcher uni, verrät sie mir nicht. in den USA habe sie als jugendliche ebenfalls einige jahre gelebt. dann kommt sie zum kern: sie regt sich über die junge generation in der türkei auf. die denke nicht nach, ihre maxime sei nur das verkaufen. "it's all about selling." dabei müsse sich so viel ändern in diesem land. aber da müsse wohl erst eine neue generation heranwachsen. von der jetzigen sei nichts zu erwarten. sie habe nichts anderes im sinn, als im spiel des big business mitmachen zu können. das könne sie bei ihren studenten beobachten. karriere zu machen, am besten in einem der grossen internationalen konzerne. die würden die besten leute abwerben. aber was könnten sie ihnen geben? "nichts. sie saugen nur ihre kraft aus." ihr sohn, 24 und elektroingenieur, sei auch schon in diesem "amerikanischen spiel" gefangen. "die menschen hier sehen nicht das big picture. sie haben keine eigenen ziele", stellt sie bitter fest, ohne resigniert zu wirken.

den möglichen EU-beitritt sieht sie skeptisch: "ich kenne die europäische mentalität." die sei auch nur im business-denken verhaftet. "ist das alles, was europa uns anzubieten hat?" dann fragt sie mich: "was ist ihrer meinung nach die lösung? sehen sie eine alternative zu dieser lebensweise?" ich verstehe sie zwar, muss sie aber ehrlicherweise enttäuschen: "darauf habe ich auch keine antwort." wir sind uns einig, dass die zeit der grossen politischen gegenbewegungen vorbei ist. "vielleicht müssen wir jüngeren im kleinen ganz neu anfangen, parallel zum big business", versuche ich etwas optimismus zu verbreiten. sie lacht sarkastisch: "come on!" -nbo


osteuropa-schnipsel
2.11.2004

von krakau bis istanbul nehmen die wechselkurse immer absurdere formen an: in krakau bekommt man für einen euro 4,6 zloty, in bratislava 40 kronen, in budapest 245 forint, in bukarest 40.000 lei und in istanbul 1,8 millionen lira. da weiss man erst mal, was man am euroland hat.

in polen werden ausländische filme im fernsehen nicht synchronisiert, noch nicht einmal untertitelt, sondern übersprochen. ein monoton plappernder mann leiert die übersetzung herunter, ganz egal ob gerade ein mann oder eine frau spricht. pamela anderson war also ein gelangweilter pole. drei minuten zum lachen, danach zum weinen.

in transsilvanien gibt es jede menge bären, die den rumänen langsam auf die nerven gehen, weil sie in mülltonnen am stadtrand rumstöbern. in bukarest kann man die bären essen. wir haben es in unserer fortgesetzten reihe "kulinarische experimente in aller welt" probiert. schmeckt wild, unglaublich, aber gut. man kaut etwas lange drauf rum.

zigaretten sind überall zum wegwerfen billig.

zugtüren in rumänien können während der fahrt offenstehen. dann hat man ja auch einen besseren blick nach draussen. und an jedem bahnhof geht ein bahnhofsmensch mit einem hammer rum und klopft an die räder. sucht der blinde passagiere?

in osteuropa geht ohne zugreservierung nix. in polen handelt es sich aber nicht etwa um bürokratie. als wir hinter der grenze nach unserer reservierung gefragt wurden und verneinten, stellte uns der polnische schaffner eine aus: über null zloty. "das ist wichtig, damit genug tee oder kaffee für alle reisenden an bord ist, den gibt es nämlich umsonst", klärte uns eine polin auf. und ihr reisebegleiter fügte nicht ohne leisen spott über die skeptischen deutschen hinzu: "so sind die polen."

während es in bratislava keine trendglatzen gab, sahen wir in budapest zur begrüssung schon bei der ankunft am bahnhof welche.

die rumänischen banknoten bestehen irgendwie aus plastik. in jedem schein ist ein loch, das mit transparenten plastik gefüllt ist, und die scheine reissen nicht wie papier, sondern eher wie plastikbecher.

nirgendwo hängen so viele EU-flaggen an öffentlichen gebäuden und hotels wie in rumänien. dabei tritt es erst 2007 bei.

die züge in rumänien waren pünktlicher als die in deutschland. und die türkischen fernbusse ebenfalls. überhaupt ist das strassennetz und das bussystem in der türkei schwer beeindruckend.

in rumänischen kneipen muss man wein als ganze flasche bestellen. gläser wein gibt es so gut wie nicht.

die ampelmännchen sehen überall anders aus. wir haben sie deshalb fotografiert und werden sie präsentieren, wenn wir wieder da sind.


Im Bus
Zwischen Istanbul und Göreme, 2.11.2004

Um halb neun abends soll es losgehen, mit dem Bus von Istanbul nach Göreme, in der Mitte Anatoliens. Wir verschlendern noch den Tag in Aussüllungen und Cafes und gehen dann samt unseres Gepäcks zum Ticket Office, von dem uns ein Mini Bus zum Busbahnhof bringt. Vorher schenke ich noch einem auf der Strasse zu Liegen gekommenen Obdachlosen meine Regenjacke, die ich ja nun hoffentlich nicht mehr brauchen werde.

Der Busbahnhof ist für Istanbul ungefähr das, was für Frankfurt der Flughafen ist. Eine unüberschaubare dreigeschossige Bausünde aus den frühen 70igern. Im Bus sitzen wir gerade erst auf unseren Plätzen, als sich auch schon die Frau vor mir samt Sitz gemütlich in die waagerechte Schräglage bringt, um nichts anders zu tun, als genüsslich auf zwei Sitze ausgestreckt ihre Zeitung zu lesen. Es gibt eben immer Menschen die meinen, allein auf der Welt zu sein. Mein Buch eingeklemmt zwischen Brust und Vordersitz fange ich wie ein Rohrspatz an zu schimpfen, natürlich auf deutsch.

Als ich frage, ob wohl noch mehr Leute kommen, antwortet nicht Niels, sondern meine Vorderfrau: "Kann sein, ist noch nicht klar.", natürlich auf deutsch. Ich schäme mich ob meiner Flüche tief in meinen Sitz. Na prima, 11 Stunden Schämen. Aber zum Glück wird ja zwischendurch auch mal geschlafen. Lektion #1: Fluche nie in der Fremde, denn man könnte dich verstehen! nach Diktat verreist -dwo


in asien
göreme, 3.11.2004






um 6 h morgens öffne ich im sitz unseres nachtbusses die augen. hinter einer bergkette am horizont leuchtet rot der himmel, die sonne ist noch nicht aufgegangen. auf der leeren strasse gleitet der bus geradezu über die weite baumlose landschaft in den morgen hinein. diese leere ringsum, diese herrliche leere. keine häuser, keine dörfer, nichts. wir sind endlich in asien.

als wir zweieinhalb stunden später in göreme in kappadokien (zentraltürkei) ankommen, finden wir uns in lummerland wieder. so phantastisch sehen die tuffsteinkegel in dem weiten tal aus. ich würde mich nicht wundern, wenn plötzlich herr turtur, der scheinriese aus "jim knopf", hinter einem dieser seltsam phallischen felsgebilde hervorträte. bei näherem hinsehen sind sie alle durchlöchert wie gigantische sandburgen, in die kinder zu viele tunneleingänge gegraben haben. es sind verlassene höhlenwohnungen, eingänge zu versteckten kirchen und taubenschläge (in dem guano für naturdünger gewonnen wird). nach fünf städten in zweieinhalb wochen beruhigt diese surrealistische landschaft die sinne ungemein. erst recht nach dem treiben in istanbul. -nbo

In Göreme erwartet uns Postkartenwetter. Strahlend blauer Himmel bei angenehmen 20 Grad. An dem etwas überdimensionierten Busbahnhof lässt sich unschwer erkennen, was hier in der Hochsaison los sein muss. Diverse Reihen Miet-Vespas und einige Fun-cars stehen jetzt nur noch gelangweilt am Strassenrand. Und in der Tat, dieser Ort hat allerhand zu bieten. Dass sie hier allerdings Teile von Star wars gedreht haben, ist nur ein Bär, den sie den Touristen aufbinden, wie wir am nächsten Tag von unserem schwer gesprächigen Guide erfahren.

Nachdem wir am ersten Tag die spacige Landschaft noch auf eigene Faust erkundet haben, haben wir für den zweiten eine ausgedehnte Tor zu den entlegeneren Schauplätzen, wie z.B. eine 54 meter tiefe unterirdische Stadt und den 140 km südlicheren Canyon gebucht. Nach einem 8-stündigem Hör- und Seherlebnis habe ich eine audiovisülle Magenerweiterung und schlafe auf dem Rücksitz des Wagens ein. Ich kann nicht mehr, die totale Übersättigung. Göreme ist zwar eine Travellerhochburg, wo sich abends in den Restaurants die Rucksäcke mit ihren beeindruckensten Reisegeschichten gegenseitig zu überbieten versuchen, aber es ist auf jeden Fall ein sehr abgefahrenes Fleckchen Erde, das ich hier überhaupt nicht erwartet hätte. nach Diktat vereist --dwo


gespräch im auto
göreme, 4.11.2004

tourguides sind an sich eine wenig geachtete spezies. meist erzählen sie nur das offensichtliceh oder repetieren den bodensatz des wissens, der sich in besseren reisehandbüchern findet. als quelle für interessante einblicke in eine kultur sind sie nicht zu gebrauchen. aber es gibt ausnahmen. unser guide bora bilen ist eine davon.

der mann (ende 20) tritt in abgewetzten trendjeans und mit ungewöhnlichem after-shave auf den plan (eine tour zu einer unterirdischen stadt von christen aus dem 6./7. jahrhundert). dann beginnt er zu erzählen - und hört den rest des tages nicht mehr auf. er, der geschichte studiert hat und das politische zeitgeschehen regelrecht aufzusaugen scheint (nebenbei, er ist staatlich lizenzierter guide), entpuppt sich als origineller, mitunter provokativer kopf, der einen gewissen kemalistischen nationalstolz nicht verbergen kann und will.

während er am lenkrad sitzt, lässt er permanent osmanische militärmärsche laufen. die hielten ihn beim fahren wach, sagt er. und während er bei seinem vortrag mit einigen "touristischen lügen" aufräumt und stattdessen mit liebe zum detail die geschichte der unterirdischen städte erläutert, erklärt er uns nebenbei seine sicht der welt. well, hier ein paar beispiele.

zum irakkrieg, von dem er nichts hält: es sei klar, warum deutschland, frankreich und russland nicht mitgemacht hätten. alle drei hätten seit langem die UN-sanktionen gegen saddam husseins regime unterlaufen und- anders als die USA - in den letzten jahren florierende wirtschaftsbeziehungen zu saddam aufgebaut. die wollten sie sich nicht kaputt machen, und nur deshalb hätten sie george bush einen korb gegeben.

zum EU-beitritt der türkei: für ihn gebe es keinen grund, die türkei nicht aufzunehmen. nur faule ausreden seitens der europäer. doch der zug sei eigentlich abgefahren. die türken seien zu lange, seit den 60er,n von den europäern an der nase rumgeführt worden. und für die türkei lohne sich die EU auch gar nicht mehr. "der europäische basar ist voll." was solle die türkei dort verkaufen? die zukunft sei ein bündnis mit russland. dort könne man den russischen basar noch mit türkischer wirtschaftspower ("10 prozent wirtschaftswachstum letztes jahr, mehr als china!" sagt er) noch aufbauen.

zum genozid der türken an den armeniern in den 20ern: als das osmanische reich nach dem ersten weltkrieg zerfiel, hätten die europäer auch das gebiet der heutigen türkei unter sich aufteilen wollen, mit istanbul als internationaler stadt. und während atatürks armee an vielen fronten um die unabhängigkeit der türkei kämpfte, hätten die griechischen und armenischen christen in anatolien die dortige zivilbevölkerung massakriert. als die türkische armee an den aussengrenzen gesiegt hatte, habe sie eben die brutalen griechen und armenier aus dem land geschmissen. er wolle die türkische politik der vergangenheit nicht schönreden, aber der begriff "genozid" passe hier nicht. das sei ein bürgerkrieg gewesen und kein staatlich geplanter mord an den armeniern.

zu den türken in deutschland: die möge in der türkei keiner. das seien alles angeber, die nur kommen, um ihren mercedes zu zeigen. im grunde der unqualifizierteste teil der türkischen bevölkerung, der hier niemandem fehle. natürlich hatte er auch noch ein paar leichte verschwörungstheorien zu anderen heissen eisen der weltpolitik parat, aber die trug er sehr intelligent vor. wenn einer von euch mal nach kappadokien kommt, macht eine tour mit ihm. es ist keine sekunde langweilig (kontaktdaten folgen noch). -nbo


doch ein kulturschock
aleppo, 5.11.2004

heute sind wir in der arabischen welt angekommen. im so genannten nahen osten. ich dachte, ich sei von indien und südostasien schon viel gewusel gewohnt. aber der abendliche aufruhr in der innenstadt von allepo (im norden von syrien, zweitgrösste stadt) haut woldo und mich nach einem tag im bus voll um.

schon der grenzübertritt kurz zuvor war wie eine symbolische zäsur. nachdem wir am türkischen grenzposten unseren ausreisestempel bekommen haben, wollen wir weiter zum syrischen laufen. geht nicht: verboten. so sitzen wir rauchend im transit auf einem mäuerchen und warten auf einen wagen, der uns mitnehmen könnte (weil es nachmittags keinen direkten bus von antakya nach aleppo mehr gibt, sind wir auf eigene faust mit einem minibus an die grenze gefahren). gestrandet auf einem leeren parkplatz.

nach einiger zeit hält ein syrisches taxi. für 30 dollar könnten wir mit nach aleppo. wir winken ab, zu teuer. der fahrer geht mit dem preis runter: 20 dollar. nun stehen drei araber um uns herum und versuchen uns klarzumachen, dass am abend vom syrischen grenzposten nichts mehr nach aleppo fährt. "minibus finished". es ist dunkel. das war's dann mit unserer improvisation. wir steigen ein und passieren mit unserem visum erstaunlich schnell den grenzposten.

nur 50 kilometer sind es dann bis aleppo, aber es ist, als ob man in einer anderen welt ankommt. auf den strassen dominieren die männer, manche in kaftanen und sogar mit beduinentüchern auf dem kopf. frauen ohne kopftuch kann man an beiden händen abzählen. viele laufen in den traditionellen schwarzen gewändern herum, bei einigen sieht man nur noch die augen (aber manchmal mit sorgfältig gezupften augenbrauen).

ich fühle mich als analphabet. nicht nur sind alle schilder in arabischer schrift, sondern auch die zahlen in arabischen ziffern geschrieben. menschenmassen schieben sich an diesem freitagabend, der ja unserem sonntag entspricht, durch eine enge fussgängerzone. körper an körper, es ist fast kein durchkommen. verkäufer schreien, neonlichter blinken. alles ist anders. aber irgendwie atemberaubend. jetzt beginnt das abenteuer "no sleep till kapstadt". die letzten drei wochen waren dagegen nur eine aufwärmübung. -nbo


naher ostblock
aleppo, 6.11.2004




das ist also das vielgepriesene aleppo, die stadt an der seidenstrasse, das tor der mediterranen welt nach asien. bei tageslicht, und das ist nicht viel an diesem grauen tag, sieht es mehr nach 40 jahren arabischer staatswirtschaft aus. die alten häuser in der innenstadt sind von einer russschicht überzogen. am strassenrand weht müll hin und her. die hälfte des verkehrs sind taxis. autos sind so unerschwinglich wie einst im ostblock: sogar für einen lada muss man 20.000 euro hinblättern, wie wir von einem taxifahrer hören.

und dumm, dass heute feiertag ist. wir haben nur das bisschen geld, dass uns der pfiffige typ vom hotel geliehen hat. in der einzigen bank, die wir finden - natürlich eine staatliche syrische bank -, ist zwar betrieb, aber geld wird hier heute nicht gewechselt. ein bankmensch schickt uns zu einem exchange am al-jabri-platz, aber da ist keiner. nach einer dreiviertel stunde versuchen wir unser glück im hotel baron, einem bau mit dem flair vergangener zeiten.
mr. walid geleitet uns angesichts der devisen strahlend zu den sofas in der lounge, als wir geld wechseln wollen (das ist privat eigentlich verboten - ähnlich wie früher im ostblock, immerhin können die syrer bei ihrer bank devisen bekommen). er gibt uns einen günstigen kurs und will uns auch gleich noch eine taxifahrt nach beirut verkaufen. 100 dollar sind aber etwas tough. denken sie darüber nach, sagt er, kommen sie doch heute abend in die bar. kein problem, es ist ja die einzig brauchbare in ganz aleppo.

nach drei stunden im gewusel der souqs gehen wir erst mal zurück in den innenhof des hotels. der einzige öffentliche raum in dieser stadt, an dem man mal einfach sein kann, sind offenbar die kaffeehäuser. für frauen gilt: "wir müssen draussen bleiben". super idee.

im hotel schlage ich die "syria times" auf und staune nicht schlecht: eine ganze seite widmet das blatt einer unglaublichen hetztirade gegen israel. da wird tatsächlich das angebliche "protokoll der weisen von zion" als quasi wissenschaftlicher beleg für die weltherschaftspläne der juden zitiert. dabei ist seit hundert jahren bekannt, dass dies eine fälschung war, die antisemiten den juden in die schuhe schoben, um ihre politik zu rechtfertigen. echt harter stoff. -nbo


Im Land der dicken Taube
aleppo, 6.11.2004

Ich bin nun wahrlich keine Frauenrechtlerin, aber was ich hier sehe, geht mir zu weit, und zwar eindeutig. Mein anfängliches Staunen über die strikte Befolgung der Verhüllung weicht einer immer stärker werdenden stillen Aggression, denn eine Provokation würde hier sowieso keiner verstehen.

Trotzdem ich meinen Kopf aus Respekt gegenüber der anderen Kultur mit einem Nickituch bedeckt halte, werde ich behandelt wie Dreck. Ach nicht mal das, eher wie Luft. Mir werden mit direktem Blickkontakt Türen in die Rippen gestossen und auf dem Bürgersteig nicht nur einmal die Ellenbogen von den gerade mal schulterhohen Arabern in den Busen gerammt. Mit Berührung scheinen sie hier keine Probleme zu haben. Sie geifern mich unverholen an, denn meine Kinnpartie samt Nase ist zu sehen. Sogar begrabbelt werde ich hinterrücks, mir schwillt der Kamm!

Schon die These "Die Frau gehört an den Herd" finde ich bestreitbar. Aber "Die Frau gehört an den Herd und in den Sack" ist für mich eine eindeutige Verletzung der Menschenwürde. Nur damit ausserhalb der eigenen vier Wände kein anderer Mann sie zu Gesicht bekommen soll.

Was soll das? Um dadurch die soziale Ordnung zu befrieden, weil Mann sein Geschlechtsteil nicht im Griff hat? Ja laufen denn bei uns ständig alle mit einer Dauererektion herum? Und warum muss diese Unfähigkeit dann auf dem Rücken oder besser gesagt dem Kopf der Frau ausgetragen werden? Wenn Frau das Haus verlässt, hat sie sich zu verschleiern mit trostlosem Schwarz, manchmal sogar komplett wie Huibuh das Schlossgespenst, so dass man nicht mehr weiss, ob sie gerade mit dem Rücken oder dem Gesicht zu einem steht.

Bei einer Teilglatze, einer Gesichtsrose oder ähnlich Störendem kann diese Maskerade vielleicht von Vorteil sein, aber wenn eine Gesellschaft es Frauen von vorne herein vorschreibt, empfinde ich das als einen massiven Eingriff in ihre Persönlichkeit. Und dieselben Männer, die von ihren Frauen das strikte Befolgen des Vermummungsgebotes verlangen, geilen sich an den blonden Bikinischönheiten auf, die auf den Fernsehern der Restauraunts als Dauerberieselung in Musik-Clips zu sehen sind. Beschissene Doppelmoral.

Aber was ist mit den jungen Frauen? Verhängen sie sich, um dadurch bessere berufliche Möglichkeiten zu haben? Um Reibungsverluste mit Familie oder Chef zu vermeiden? Ich nenne das opportun und den Weg des geringsten Widerstandes. Vielleicht tun sie sich irgendwann einmal zusammen und hauen ordentlich auf den Putz. Die weiblichen Generationen nach ihnen werden es ihnen danken. Wahrscheinlich muss man sein Leben hier verbracht haben, um diese Ungerechtigkeit und diesen Mummenschanz zu verstehen. Ich jedenfall bin heilfroh, dass meine Seele in die westliche Kultur hineingeboren wurde! nach Diktat verreist -dwo


tarantino mit hommus
beirut, 7.11.2004





was ist hier los? abends auf der autobahn von tripoli (nordlibanon) nach beirut kommen wir aus dem staunen nicht mehr raus: casinos, nagelneue hotels, drive-ins, ein bombardement von leuchtreklamen und werbetafeln am strassenrand... kaum zu glauben, dass wir noch kurz vor tripoli an erbärmlichen siedlungen aus plastikplanenhütten vorbeigefahren sind. es ist fast so, als ob man nach las vegas kommt.

vom busbahnhof nehmen wir ein taxi in den stadtteil ain mriesse. das hotel, in dem wir dort absteigen, könnte direkt aus einem tarantino-film stammen. ein heruntergekommener 60er-jahre-bau, der irgendwie den bürgerkrieg überlebt hat. in der lobby rauchen drei arabische slacker wasserpfeifen. sie schmeissen den laden. die zimmer sind angeschmuddelt. aber bei 20 euro pro nacht und dieser terrasse mit blick aufs meer will man sich nicht beklagen, nicht in einer stadt, in der sich alles nur ums geld verdienen und wieder ausgeben dreht.

auf der suche nach etwas essbarem ziehen wir noch um zehn los, nach hamra, ins geschäftsviertel. aber sonntagabend ist die stadt schon nach hause gegangen. so lassen wir uns an einem tischchen beim imbiss "roi des frites" nieder, wo die letzten versprengten auf dem bürgersteig ein nachtmahl zu sich nehmen. es ist lau wie im sommer. das essen ist erstaunlich gut: hommus, chicken shawarma mit zimt gewürzt, ein libanesischer salat. als ich einen der frittenkönige frage, was für ein paste er da auf dem riesigen crepe-ofen auf den brotfladen schmiert, bekomme ich kurzerhand solch ein "sate" geschenkt. die paste besteht aus öl, sesam und jeder menge gewürzen. lecker, aber so intensiv, als würde man in eine zeder beissen (den libanesischen nationalbaum). ich bin pappsatt, aber tapfer esse ich das geschenk auf.

es ist schon erstaunlich: die araber, wie wir sie in den letzten drei tagen kennengelernt haben, sind unglaublich freundlich. keine verschlossenen gesichter, immer ein lächeln parat, manchmal gar eine kleine aufmerksamkeit. das fing im taxi nach aleppo an, als einer der jungen typen uns ein fläschchen mangosaft aus dem tankstellenstop schenkte. der alte am saftstand in aleppo, bei dem wir jeden morgen frisch gepressten mandarinensaft getrunken haben, schob uns mit breitem grinsen geschnittene apfelstückchen zu, nachdem ich mit hilfe meines arabischbüchleins "der saft ist sehr gut" auf arabisch radebrecht hatte. und walid im hotel baron bestand darauf, dass wir unser bier und unseren arak nicht bezahlen. er habe uns ja schliesslich am morgen eingeladen, sagt er lächelnd. und das, obwohl er mit uns nicht ins geschäft gekommen war. was für ein unterschied zur türkei, wo die leute im vergleich distanzierter waren (trotz türkisch-radebrechen meinerseits).

in beirut wird mir auch zum ersten mal klar, dass wir schon ein gutes stück unserer strecke zurückgelegt haben. "beirut", das hatte in den 80ern denselben klang wie heute "irak" - das pure chaos. dabei ist es nur am mittelmeer. aber die gefühlte entfernung nach beirut ist immer noch grösser als etwa nach new york. -nbo


beirut - opening soon
8.11.2004





als wir aus dem fenster schauen, sehen wir zum ersten mal diese verrückte stadt bei tageslicht. die häuser sind angegammelt oder verfallen, fenster starren wie leere augenhöhlen aus den fassaden. in einem hochhaus klaffen noch riesige löcher, die einst granaten hineingerissen haben. dazwischen liegen immer wieder brachflächen, auf denen zumindest der schutt weggekehrt worden ist. aber schon ragen die ersten bankentürme in den himmel. zwei strassen weiter hat das radisson hotel aufgemacht. wohin wir auch schauen, überall recken sich baukräne, gähnen gigantische baugruben. an der palmengesäumten uferpromenade entsteht gerade das hilton beirut: "opening soon", das motto der stadt, das uns auf bauzäunen, an zugeklebten schaufenstern und von werbewänden permanent entgegenschlägt.

beirut: das ist eine mischung aus cannes, LA und dem berlin-mitte der frühen 90er. die stadt schickt sich an, wieder die handelsmetropole des mittelmeeres im nahen osten zu werden, die sie vor dem bürgerkrieg einmal war. beirut means business. was sonst, wenn man kein öl, keine rohstoffe hat und auch nichts für den weltmarkt produziert? da passt es exakt, dass unser junger "hotelmanager" - mit polohemd, verwaschenen jeans und baseballkappe, der alte "clerk" - sagt, unter den arabischen städten finde er neben beirut nur dubai gut, diese hyperstadt am golf. hier gelten arabisch, französisch und englisch gleichermassen. durch die strassen rollen luxuskarren und SUVs. geld, party, alkohol, frauen, die keinen fetzen stoff zuviel tragen, all das ist auch beirut.

für islamisten muss es ein verhasstes sündenbabel sein. junge araber aus anderen ländern scheint es anzuziehen. im nebenzimmer logiert ein sehr freundliches paar aus damaskus, sie aufgedonnert bis zum abwinken. ob sie in damaskus auch so rumläuft? es scheint, als würden die beiden hier ihren honeymoon verbringen. drei tage im teuren beirut können sie sich leisten. noch ist der libanesische traum fragil. vor macdonalds an der corniche, der uferpromenade, schieben soldaten wache. einer ruht sich auf den knien der ronald-mcdonald-figur aus, die auf einer bank sitzt. auch sonst sieht man überall militär, im neu aufgebauten zentrum, über dessen retroarchitektur ein hauch von truman show liegt, oder im geschäftigen hamra. ich bin optimistisch: in zehn jahren wird beirut "die stadt" im nahen osten sein. -nbo


snapshot #3
beirut, 8.11.2004





"1975". das jahr, als der krieg begann - und die bar, in der der krieg weggetrunken wird. auf sandsäcken in nato-oliv gelümmelt, trinken beiruter hipster cocktails oder ziehen an der wasserpfeife. an der decke hängt ein tarnnetz, der helle putz über den sandsäcken ist zerschossen. darüber ist ein arabisches graffitti gesprüht. der smarte barmann bedient in felduniform mit käppi auf dem kurzgeschorenen kopf. sein kinnbart lässt ihn wie eine drahtige junge ausgabe von fidel castro erscheinen. ein dicker, offensichtlich wichtiger typ tritt in den sandsack-kral. drei mädels springen sofort auf und begrüssen ihn mit küsschen. der kerl lässt sich neben der hübschesten nieder. die beiden stossen an. dann fängt er langsam an, sie zu befummeln. immer ein bisschen mehr. streichelt ihren bauchnabel, der zwischen den engen jeans und ihrem miederartigen oberteil hervorlukt. sie hält ihn auf distanz, aber wehrt sich auch nicht. gegenüber spielen zwei typen backgammon. der eine mit trendglatze. alles wie in st. pauli. die musik ist eine mischung aus arabischem pop und ambient funk. der wichtige geht in die offensive, versucht die schöne zu knutschen. sie weist ihn vorsichtig ab und schielt dabei aus den augenwinkeln zu herüber. was sollen wir bloss denken? der dicke ist so was von geil, es ist kaum zu glauben. das ende verpassen wir leider, weil wir dann doch gehen. -nbo


morgens in beirut
9.11.2004





auf drei spuren braust der morgenverkehr aus der corniche zwischen zerschossenen häusern durch die rü 61 richtung downtown. autos wechseln hupend die spur, um schneller durchs niemandsland zu kommen. aus dem mit brettern verschlagenen erdgeschoss eines abbruchreifen hotels quillt der geruch von scheisse. in einem müllhaufen daneben ein rascheln. süsslicher dunst steigt auf. ich wechsle die strassenseite, passiere den strom der fahrzeuge wie einen reissenden fluss, steuere auf ein kleines rotverputztes haus zu. das einzige, das nicht vergammelt ist.

ich betrete die "cafeteria nesreen altorous" im erdgeschoss. ein kleiner schmuddeliger laden, der kaffee, zeitungen, getränke und unmengen von chipstüten verkauft. zwei männer sitzen im halbdunkel vor einer leeren kühltruhe und rauchen schweigend. der eine starrt auf den verkehr draussen, der gedankenverloren auf die coladosen im kühlschrank. ich bestelle einen kaffee. der mann hinter der alten italienischen espressomaschine zieht daraufhin an einem langen hebel. es ist fast körperliche arbeit. dann reicht er mir einen kleinen braunen plastikbecher. der espresso schmeckt phantastisch.

alle zwei, drei minuten fährt ein wagen vor. es geht um den kaffee. ein junge in einem orange kittel nimmt die bestellung durchs beifahrerfenster auf, reicht augenblicke später einen becher, eine zeitung herein. ganz beirut hält an dem kleinen roten bau: ein geschäftsmann im dicken BMW, der drinnen stehend ein stück kuchen runterschlingt, ein arbeiter in verschmiertem overall, der zigaretten kauft. zerbeulte taxen machen kurz pause, bevor sie sich ins tagesgeschäft stürzen. auf dem bürgersteig diskutieren zwei männer am nescafe nippend und beobachten den verkehr. ein wagen hält, ein gruss, einige worte durchs geöffnete fenster und weg ist er wieder. ich bestelle noch einen saft, und der junge im orange kittel beginnt, hinter der leeren kühltruhe orangen auszupressen. die beiden männer davor sprechen noch immer kein wort miteinander. -nbo


clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004





ein paar worte möchte ich doch noch über unser tarantino-hotel verlieren. und über die drei "clerks", die den laden schmeissen. als wir ankommen, ist das bad verkalkt. im abfluss der badewanne eine ganze perücke. handtücher gibt es nicht. ich geh also nach unten, um den sympathischen slacker (sprich: den "hotelmanager") um zwei zu bitten. er ruft in einen gesichtslosen raum neben dem foyer.

ein gelangweilter scherge kommt raus. anweisungen auf arabisch. der scherge bringt zwei graue handtücher. ein grau, das nicht etwa vom hersteller so gedacht war, sondern eines, das nach hunderttausend waschgängen übrig bleibt. der scherge fährt mit mir im fahrstuhl nach oben. was soll das, die handtücher kann ich doch selbst hochbringen. dann steht er bei uns im zimmer und murmelt "bakshish". na klar. habe ich nicht. er zieht genervt ab. als ich kurze zeit später mit bierdosen wiederkomme (aus einem laden, in dem ein unikum residiert, typ verfetteter senator aus dem alten rom), gibt es keine gläser im zimmer. ich wieder runter. zwei gläser? anweisungen auf arabisch. der scherge steht augenrollend auf, während der slacker und ein dritter genüsslich weiter an der wasserpfeife ziehen.

die drei jungs verbringen offenbar jeden tag 24 stunden im foyer. morgens pennen sie auf dem sofa. ab 12 geht der fernseher an, natürlich mit satellitenfernsehen, dass sie uns auf dem zimmer vorenthalten. um zwei wird der scherge falafel holen geschickt, dann essen die drei. spätestens um sechs wird die wasserpfeife vor dem sofa aufgebaut, den fernseher immer im blick. um zwölf oder eins nachts ist der slacker nur noch imstande, einem mit glasigem blick ein freundliches "goodnight" zu wünschen. dann ist auch schon wieder ein tag rum. am nächsten morgen drücken ein paar abreisende gäste ihr geld ab, und dann geht es nicht etwa ans putzen, sondern vor den fernseher im foyer. ein neuer tag beginnt im hotel regis. was für ein leben. -nbo


in der moschee
damaskus, 11.11.2004





ich bin noch nie in einer moschee gewesen. die erste ist die omayyaden-moschee in damaskus. viertheiligste stätte des islam (nach mekka, medina und dem felsendom in jerusalem). ich muss sagen, ein guter ort. im innern ist alles mit dicken teppichen ausgelegt. kronleuchter hängen von der decke. einige beten. andere halten ein nickerchen oder diskutieren leise. ein hort der ruhe und kontemplation in der brodelnden unruhe einer arabischen grossstadt. aber viel ungezwungener als in einer kirche, und nicht so feierlich wie in einem buddhistischen tempel.

die moschee ist der öffentliche raum der stadt, den ich sonst so vermisse. keiner schaut einen komisch an, wenn man als offensichtlicher nicht-moslem hier ist. man kann das nicht laut genug sagen in dieser vergifteten zeit, in der der islam unter generalverdacht steht.

ich will auch nichts schönreden: der islam hat natürlich ein elitäres selbstbild. in istanbul habe ich mir den koran auf deutsch als reclam-ausgabe gekauft. wann, wenn nicht jetzt, einen blick in das "buch der bücher", wie es die araber sehen, hineinwerfen? weil der islam nicht von philosophen und dichtern erdacht wurde, sondern als gottes unmittelbares wort gilt, ist er nur in der arabischen originalfassung "der" koran, sagen die islamischen theologen. unübersetzbar. gott hat zur menschheit auf arabisch gesprochen. alle übersetzungen sind nur annäherungen. historische textkritik ist nicht nur überflüssig, sondern auch sinnlos. als rationaler westler, der ich nun mal bin, erst recht als aus der kirche ausgetretener katholik, kann ich das nicht akzeptieren. muss es als absurd zurückweisen.

sei's drum: die omayyaden-moschee gefällt mir. ihre atmosphäre. der islam k a n n auch sehr tolerant sein, sehe ich. die militanten sind nicht alles. es ist übrigens bemerkenswert, dass im osmanischen reich jahrhundertelang echte religiöse toleranz herrschte, als in europa, etwa in der bartholomäus-nacht in frankreich, protestanten (hugenotten) abgeschlachtet wurden. der islam ist widersprüchlich, keine frage. aber mit einerm einfachen schwarzweissraster nicht zu ergründen. woldos zorn auf die missachtung der frau ist allerdings völlig gerechtfertigt. aber diese ist nur ein teil des puzzles. -nbo


Captainsdinner auf der "MS Damaskus"
11.11.2004





Rosa Tischdeckchen im vorderen Teil des Glaspavillons, der restliche Bereich in feinem Leinen mit Blümchendekor auf jedem Tisch. Eine Athmosphäre wie auf dem Traumschiff. Dezente Piano-Konservenmusik rieselt aus den Lautsprechern. Der Maitre de nimmt die Bestellung auf und sofort hüpft einer der zehn befrackten Helferlein herbei und beglückt uns mit den Vorspeisen. Frische Radieschen, Minze, Karotten und Oliven. Bis auf unseren Nachbartisch ist der Laden menschenleer.

Die Belegschaft steht vor dem obligatorischen Deckenfernseher und starrt gespannt auf einen Bericht über Arafats Aggregatszustand. Leichter, duftiger Safranreis, elegant gewürzt mit Kardamom, Rosinen und Mandeln wird gereicht, dazu ein Huhn, das bei der ersten Berührung mit der Gabel vom Knochen fällt. Auf dem anderen Teller gebratene Lammkoteletts, die Masstäbe setzen, Möhrchen, Bohnen und Schmorkartöffelchen, die ihresgleichen suchen. Währenddessen immerzu Richard Clayderman, jetzt eine Variation von Bryan Adams "Everything I do".

Zum Abschluss  eine dezent mit Rosenwasser abgerundete Pudding-Nachspeise unter einer Pistazien-Nusshaube, dazu arabischer Kaffee mit Kardamom. Opulente Obstteller kreisen. Das alles bekommt man, wenn man in Damaskus einmal stolze acht Euro auf den Kopf haut. Der Maitre de, der sein Gesicht nur ein einziges Mal zu einem Niessen verzogen hat, wünscht uns eine gute Nacht. Wir gehen von Bord des Restaurants Al Kamal, hinaus in die Flün der syrischen Grossstadt. nach Diktat verreist -dwo


hopper in syrien
damaskus, 12.11.2004

es ist schwer genug, in syrien eine bar zu finden, in der man beim bier alles entspannt sacken lassen kann. am märtyrerplatz in damaskus gibt es immerhin die karnak-bar. was für ein ort. das ambiente hat wahren ostblockcharme. hier sitzen die anonymen alkoholiker der stadt. an einzelnen tischen sitzen ernste, schweigsame männer. schauen rauchend auf den märtyrerplatz und nehmen einen schluck aus dem whiskeyglas. mindestens drei haben einen gläsernen flachmann auf dem tisch stehen. vor anderen reihen sich leere bierflaschen, während sie geistesabwesend ihr brot ins hommus tunken. der kellner ist total gelangweilt, der raum von grellen neonröhren erleuchtet. es ist sozusagen die damaszener variante von edward hoppers berühmtem bild "nighthawks". -nbo


service-taxi
zwischen damaskus und amman, 12.11.2004

die fahrten werden langsam immer abenteuerlicher. weil täglich nur zwei busse von damaskus nach amman (jordanien) fahren, wollen wir ein service-taxi nehmen. das sind langstreckentaxis mit 4 bis 5 passagieren, aber nicht sehr teuer. am baramke bus terminal in damaskus kommt es beinahe zur schlägerei wegen uns. 10, 11 taxen warten.

als wir das tor passieren, sind wir sofort von einem haufen männer umringt, die uns ihren fahrpreis auf arabisch entgegenschreien. als wir uns für einen entschieden haben, kommt ein anderer auf uns zu und erklärt, er sei "no. 1" in der warteschlange. sieht ganz vernünftig aus, der typ. also geben wir ihm unsere pässe für die polizeiregistrierung (in syrien an jedem busbahnhof obligatorisch) und packen unsere rucksäcke in seinen kofferraum. drei minuten später wüstes geschrei. unser taxifahrer und der, zu dem wir zuerst wollten, fassen sich am kragen, umringt von anderen.

irgendeiner kommt und sagt "change taxi". wie jetzt? nach kurzem zögern holen wir wieder unser gepäck aus dem kofferraum. also gut, dann fahren wir eben mit dem anderen. es geht los. nach fünf minuten hält unser neuer fahrer mitten auf einer dreispurigen ausfallstrasse. natürlich auf der mittleren spur. eine hand am handy, rennt er zum kofferraum. dann reisst er die tür auf und ruft "change taxi". aha. hinter unserem wagen hat ein anderes taxi gehalten, in das wir ratlos umsteigen. dann geht es endlich raus aus der stadt. eine stunde später halten wir wieder, am rande der autobahn, wo ein älterer mann wartet. der junge steigt aus, der ältere übernimmt das steuer. wir quittieren es nur noch mit achselzuckend. zweieinhalb stunden später sind wir wohlbehalten in amman. -nbo


eine "stadt"
amman, 12.11.2004





was für eine farce von einer stadt. stellt euch zehn hügel in einer steinwüste vor mit engen tälern dazwischen, und dann lässt jemand häuser vom himmel regnen. plötzlich sind die hügel und täler völlig regellos mit häusern bedeckt. ein zentrum ist nicht zu erkennen. also zeigt der allmächtige mit dem finger auf irgendein tal und sagt: "downtown". so muss amman entstanden sein. hässlich, dreckig, stickig, eng, unüberschaubar, mir fallen gar nicht genug schlechte eigenschaften ein.

wir bleiben nur eine nacht. nicht ohne eine weitere farce namens "irish pub" am ende der stadt besucht zu haben. eigentlich wollten wir uns eine entschädigung für unser hotel gönnen, das vor vier jahren noch "spotlessly clean" gewesen sein soll, laut lonely planet. heute ist es ein loch. und der irish pub? wird von einem lispelnden jordanier geschmissen, es läuft übelster kindertechno. einziger gast ausser uns: ein durchgeknallter amerikaner, der in jidda (saudi-arabien) als lehrer arbeitet, nur kiffen im kopf hat und noch nie - ich schwöre - noch nie von che güvara gehört hat (wir wiederholen den namen viermal, buchstabieren ihn, castro's mate, you know?). er arbeitet als - na, als was wohl? - GESCHICHTSlehrer! in einer stunde knallt er sich sieben whiskey cola rein. dann verabschiedet er sich: "I'll go for dancing in the disco." -nbo


Ramadan, einen Monat Völlerei
Amman, 13.11.2004

"Allah ist gross, beten ist besser als schlafen", ruft der Muhezzin von seinem Minarett. Es ist vier Uhr morgens und der Gläubige kniet nieder für sein Morgengebet gen Mekka. Nicht ohne sich vorher mit einer vollständigen Mahlzeit den Wanst vollzuschlagen, die bis zum nächsten Abend anhalten muss, legt er sich für vier Stunden aufs Ohr, um gegen zehn Uhr bei seiner Arbeitsstelle anzutreten, wie uns zwei deutsche Studentinnen aus Amman erzählen. Ermattet ob der schmalen Nachtruhe verlässt der Gläubige diese wieder gegen zwei Uhr mittags, um wenigstens bis zum Sonnenuntergang noch etwas Schlaf zu bekommen. Der  Ladenbesitzer hat es in dieser Hinsicht deutlich schwerer, denn er muss ohne Nachmittagsnickerchern durchhalten. "Allah ist mächtig", ruft der Mullah zum Abendgebet. Die Glaubensgemeinde kniet nieder und bekennt erneut, diesmal mit Pfützchen auf der Zunge, wegen des bevorstehenden Iftars, des allabendlichen Fastenbrechens.

Halb sechs abends, alle Restaurants zum Bersten voll, jegliches Leben auf den Strassen ist kurzzeitug erloschen, die Läden geschlossen. Denn jetzt beginnt der Höhepunkt des Tages, Feuer frei fürs Hochleistungsessen. Bis zu acht Gänge werden innerhalb kürzester Zeit bewältigt, betuchtere Familien legen dieses Ritual in ihre eigenen vier Wände.

Auf kulinarische Genüsse wird während des Ramadans nicht etwa verzichtet, nein, sie werden kurzerhand auf die Nacht verschoben. Ganz schön clever. Es wird gegessen, was das Zeug hält, alles, Süssigkeiten, die es nur im Monat des Verzichts gibt, spezielle Menüs, die magenschonend beginnen, um dann um so opulenter zu enden. Und damit die Kurzweil nicht zu kurz kommt, ist der Filmfilm von viertelvoracht in diesem Monat auf kurz vor Mitternacht verschoben worden, mit dem Essen sollte man bis dahin fürs erste durch sein. Man hält sich und die Kinder wach, es wird Karten gespielt und was sonst noch so möglich ist, um sich die Zeit zu vertreiben. Bis dann um vier Uhr früh der Mullah wieder zum Gebet ruft und man sich den Magen für die kommenden zwölf Stunden  vorm Zubettgehen nochmal ordentlich stopft. Nach der kurzen Nachtruhe gehts dann wieder zur Arbeit und es beginnt ein neuer Tag der Askese.

Das also ist Ramadan. Ehrlich gesagt habe ich mir den Fastenmonat, in dem Verzicht und Mässigung geuebt werden sollen, ganz anders vorgestellt. Aber heute ist "Eid al Fitr", das Fasten ist vorbei und es wird gefeiert wie bei uns zu Weihnachten. Und endlich werden wir nicht mehr scheel von der Seite angeguckt, wenn wir in der Öffentlichkeit mal einen unerhört unmässigen Schluck Wasser trinken, Prost. nach Diktat verreist -dwo


ein tag auf dem wüstenplaneten
irgendwo in jordanien, 14.11.2004





auf der autobahn zwischen ma'an und aqaba, im süden jordaniens, biegt unser guide mit dem jeep kurzerhand richtung osten ab. fährt einmal über den mittelstreifen, kein gegenverkehr in sicht, und zack! geht es in die arabische wüste hinein. zehn minuten später befinden wir uns auf dem "wüstenplaneten" (wer nichts damit anzufangen weiss, das ist der science-fiction-klassiker von frank herbert, heisst im original "dune"). gigantische schroffe felsmassive ragen abrupt wie inseln aus der endlosen weite auf, mal schwarz, mal braun, mal sandfarben. ab und zu erheben sich sanddünen aus der geröllebene. der himmel ist leer und klar, und obwohl die sonne brennt, schwitze ich nicht, so trocken ist die luft.

es ist, als ob ich in die polarebene von arrakis geschleudert worden bin, kurz vor dem schildwall, dem ringgebirge, hinter dem die gluthölle des wüstenplaneten beginnt und sandwürmer die dünen durchpflügen. von nahem entpuppen sich die felsen als grotesk erstarrte sandgebilde. versteinerte tropfen, die wie wachs irgendwann an den hängen heruntergelaufen sein müssen. die perfekte umgebung, um eines tages "dune"noch mal in der qualität der "herr der ringe"-trilogie zu verfilmen (david lynchs version von 1984 ist insgesamt missraten, und dem fernsehdreiteiler von vor drei jahren sah man das knappe budget an, alles war im studio gedreht). na gut, die wenigen grasbüschel müsste man wohl aus dem bild retuschieren.

die wüste ist für mich jedesmal wie ein vollwaschgang fürs gemüt. das ganze gerümpel wird aus dem kopf entfernt. -nbo


der neue beduine
wadi ram, 15.11.2004





wir haben zum zweiten mal einen interessanten guide: rehbi hasanat, der mann, der uns über den wüstenplaneten kutschiert. rehbi ist beduine und stammt aus der gegend um wadi ram im südosten jordaniens. "ein fisch kann nur im wasser leben", sagt er, "ich kann nur in der wüste leben." keine spur von koketterie dabei.

er würde nie im leben in einem gewässer schwimmen gehen. mit zehn jahren habe ihn einmal ein kamel in eine wüstenzisterne geschubst, das habe ihm gereicht. als er mal in aqaba am meer war, habe er kurz einen fuss ins meer gehalten. und keinen zentimeter mehr.

der mann ist die gelassenheit selbst. eine kippe im mund, ein schwarzes tuch um den kopf geschlungen, ein schlitzohriges lächeln. und obwohl er in modernen klamotten rumläuft - echt coole, knöchelhohe lederschuhe, armyhose und hemd - wirkt er nicht wie einer, der in der moderne gestrandet ist. die arabische musik, die er auflegt, ist frisch, mit einem guten beat, aber es ist nicht dieser cleane, überproduzierte ägyptische pop, der einem oft entgegenschallt.

abends am feuer fängt er mit zwei freunden an zu tanzen. abgefahren, was die drei da hinlegen: sieht für mich wie ein mischung aus sirtaki und schuhplattler aus. die jungs haben es voll raus. man kann ihnen lange dabei zuschauen. rehbi hat auch zwei jordanische familien eingeladen, es ist ja eid al fitr, das fest nach dem ramadan. ein haufen kinder sind dabei.

irgendwann nach dem essen schlägt uns einer der väter vor, bei einem grossen spiel mitzumachen. das spiel entpuppt sich als plumpssack. da sitzen wir handvoll touristen als nachts in der wüste mit 20 arabern ums feuer und spielen plumpssack. das geht eine stunde so, und es ist urkomisch. im hintergrund schleicht ein typ in beduinenkaftan und militärparka herum und schenkt tee aus, der typ sieht aus wie ein vetter von bin laden. dann reihen sich die männer zu einem neuen tanz auf, und rehbi macht den vorsänger. schlägt das linke bein über das rechte knie und hüpft einbeinig im takt seines sprechgesangs. die anderen antworten jedesmal mit einer eigenen zeile. das faszinierende an ihm ist, wie lässig er den spagat zwischen beduinentradition und westen schafft. weder lächerlich noch linkisch.

nebenbei bändelt er mit einer deutschen studentin an, die zur zeit in amman arbeitet. warum gibt es eigentlich nicht das bild des "bedouin lover"? rehbi ist ein guter prototyp dafür. -nbo


von aqaba nach nuweiba: die boat-people-erfahrung
17.11.2004

"you take fast boat or slow boat?" fragt uns der mann in der cafeteria im hafen von aqaba, als sich ein haufen wartender zum ausgang bewegt. "slow boat", antworte ich. und dann erleben wir mal, was langsamkeit bedeuten kann. um viertel vor zwölf mittags gehen wir an bord der fähre nach nuweiba (ägypten, sinai-halbinsel). der typ am fahrkartenschalter hat behauptet, das boot lege um zwölf ab. nichts da.

in den nächsten zwei stunden füllen sich erst mal die decks mit passagieren, bis auch der letzte quadratmeter belegt ist (im innern ebenso). es müssen locker 1000, 1500 menschen an bord sein. um zwei uhr fahren langsam die busse und laster in die fähre. um halb vier schauen selbst die araber auf die uhr. um halb fünf legen wir ab. es ist eine übung im nichtstun. jordanische dinar haben wir keine mehr, die cafeteria hat noch nicht auf. so sitzen wir stundenlang, ein königreich für ein bier, zu kauen haben wir auch nichts mehr, also rauchen wir hin und wieder ein zigarette, wie all die kettenraucher von arabern um uns herum. die sonne wandert, wolken ziehen auf, container werden auf dem kai hin und her gefahren, menschen kommen an bord.

wir betreiben notgedrungen zehenstudien. das ist kein spass. ich frage mich, ob die männer ihr leben lang keinen blick auf ihre füsse werfen. fussnägel, die lang wie schaufeln sind oder gar zerbröseln, rissige schwarze füsse. es sind wohl gedanken, die nur ein westlicher städter haben kann.

hinter uns liest ein junger typ singend koransuren vor. viele männer tragen das weisse gewand der mekka-pilgerer, offenbar sind sie auf dem rückweg von ihrer hadsch. der koran ist das einzige buch, das hier auf deck gelesen wird. als wir ablegen, beginnt ein junger vollbärtiger brillenträger mit strengem gesichtsausdruck, laut irgendetwas auf arabisch zu deklamieren. die menge wiederholt seine sätze im chor, und er fährt mit der intensität eines predigers fort. ich verstehe nur ein wort, safir, "reisend". eine halbe stunde später ertönt irgenwo auf dem deck ein sprechgesang. die weissgewandeten versammeln sich auf dem helikopterlandeplatz zum gebet. das halbe deck neigt sich in der abenddämmerung gen mekka. es ist unglaublich.

noch unglaublicher ist die ankunft in nuweiba. als wir uns bis zu den türen auf dem untersten deck vorgearbeitet haben, finden wir diese verschlossen vor. die besatzung hat sie kurzerhand abgeschlossen, damit erst mal die laster und die passagiere aus dem innern von bord gehen können. die menge vor den türen auf dem schmalen decksgang wird grösser, flüche sind zu hören, einige fangen an, sich im gedränge zu beschimpfen. es geht nicht vor und zurück, wir stehen körper an körper, wobei die frauen zum teil riesige pakete auf ihren köpfen balancieren. zehn minuten vergehen, zwanzig minuten, eine halbe stunde, die stimmung droht umzukippen. tausend mann warten an deck und dürfen nicht von bord. es ist so ein augenblick, in dem menschen zur gegängelten masse werden und vieles passieren kann.

als ein steward nach einer dreiviertel stunde die tür aufschliesst, hebt der ansturm sie fast aus den angeln. jetzt bloss nicht stolpern, geschweige denn hinfallen. nach einer weiteren viertelstunde geschiebe durch enge gänge, in denen bereits die abgase der abfahrenden laster stehen, sind wir draussen. und fix und fertig. neun stunden auf einer überfüllten fähre für eine überfahrt von schlappen 80, 90 kilometer. eine schreckliche übung in langsamkeit. -nbo


luxus
dahab, 18.11.2004





so, jetzt wollen wir euch mal so richtig den mund wässrig machen. während ihr im trüben feuchtkalten herbst hockt, relaxen wir auf kissen am roten meer. dahab, das ist die maximale entschädigung für den boat-people-trip gestern. auf der anderen seite blicken wir auf das ufer der freudlosen. die küste gehört schon zu saudi-arabien, wo ausser rauchen alles, was spass macht, verboten ist: kino, bier, fotografieren, öffentliche musik, westfernsehen, mit einer unverschleierten, unverheirateten frau flanieren... wir dagegen gönnen uns nach fast fünf wochen unseren ersten banana pancake, dieses schlimmste klischee der travellerkultur. er schmeckt toll. -nbo


nächste etappe:von dahab nach wadi halfa (sudan)
chronik

etappen
hamburg – istanbul
istanbul – dahab
dahab – wadi halfa
wadi halfa – addis
addis – nairobi
nairobi – nungwi
nungwi – kyela
kyela – tofo
tofo – kapstadt

gedanken
was ist reisen?
verschiedenes

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