durch polen

der schatten der geschichtekrakau, 18.10.2004
stadt des todes
auschwitz/oswiecim, 19.10.2004
krakau, eine landpartie
19.10.2004



der schatten der geschichte
krakau, 18.10.2004





wir steigen im stadtteil kazimierz ab. im cafe mlynek am plac wolnica, über dem wir wohnen, hängen neue bilder zum verkauf. sie erinnern mich in ihrer rohheit ein bisschen an die von karlos artstore in st. pauli. rund um den plac nowy reihen sich die neuen bars und cafes aneinander. aber die szene ist nicht für touristen angerichtet. hier trinkt das neue krakau.

die hochgelobte altstadt dagegen, durch die wir am nächsten tag streifen, ist mir zu hübsch, zu puppenstubenhaft. dass krakau "das münchen polens" sei, wie jemand vorher gesagt hatte, kann man durchaus so sehen. für mich aber kein kompliment. mir kommt es vor, als sei die stadt, die einmal hauptstadt polens war, von einem jahrhunderte währenden schlaf am rande der habsburger-monarchie erwacht und putze sich nun heraus. als wir die dietl-allee aus der altstadt kommend richtung kazimierz überqueren, wird es gleich grauer und grossstädtischer. strassen voller altbauten, die eher an friedrichshain oder das westliche lichtenberg erinnern.

schon stehen wir vor dem alten jüdischen friedhof am platz der szeroka-strasse. wir gehen in die synagoge, die daneben steht. ein altes paar beaufsichtigt streng die ankommenden touristen. ich fühle mich plötzlich nicht wohl in meiner haut. 65.000 juden haben bis zum zweiten weltkrieg und zum holocaust in kazimierz gelebt. beim anblick der gassen und fassaden fallen mir die "zimtläden" ein, jenes theaterstück anfang der 90er in berlin, in dem die untergegangene welt der osteuropäischen juden wie gespenster noch einmal lebendig wurde. nichts ausser ein paar schildern und zeichen an den hauswänden ist übrig geblieben, in kazimierz ebensowenig wie in anderen städten der region.

in einem dieser versuche, an die alte zeit anzuknüpfen, hatten wir am ersten abend gegessen. im restaurant "alef". am nachbartisch sassen vier alte, drei männer und eine frau. sie sprachen hebräisch. was der weisshaarige wohl 1943, 44 erlebt hat, fragte ich mich. die frau musterte uns zwischendurch mit einem blick, der sich nicht deuten liess. es war ja nicht zu überhören, wo wir herkommen. die geschichte holt einen immer wieder ein. morgen wird sie uns wohl eher wie ein nasses handtuch ins gesicht treffen, wenn wir nach auschwitz fahren. aber das muss sein. -nbo


stadt des todes
auschwitz/oswiecim, 19.10.2004





das wetter ist an diesem tag von einer gütigen ironie. die sonne scheint aus einem strahlend blauen herbsthimmel auf die reste der einstigen todesfabrik. nimmt ihnen den gröbsten schrecken. unzählige reisegruppen schieben sich durch die KZ-wege. japaner schiessen entspannt das obligatorische urlaubsbeweisfoto vor dem tor, über dem der spruch "arbeit macht frei" prangt. polnische schulklassen reissen draussen auf eine zigarettenlänge witze. das grauen liegt nicht einmal als schatten auf den gebäuden. die monstrosität des verbrechens ist kaum begreifbar. nur in den baracken, in denen berge von schuhen, koffern oder haaren der ermordeten für die nachwelt aufbewahrt sind, wird es in ansätzen sichtbar.

aber es verschlägt mir dennoch die sprache. gerade, weil ich aus deutschland komme. schweigend ist mir der ort erträglich, alle vernehmlichen deutschen worte kommen mir schlagartig unglaublich deplatziert vor. sie sind hier oft genug gefallen. sie starren mich in bürokratischer kälte aus den zahlreichen SS-schriftstücken an, die in den vitrinen ausgestellt sind. dass die schergen keinen klaren kopf gehabt hätten bei dem, was sie taten, lässt sich beim besten willen nicht sagen. da wurde "mitgedacht", was das zeug hält. einer ereiferte sich etwa, ob man das von den toten geraubte zahngold, das die wehrmachtsärzte nicht brauchten, nicht - gegen eine "quittung" - der reichsbank zuführen solle, wo es "sinnvoller" angelegt sei. akribische listen von häftlingen, trockene paragraphenhuberei, totenscheine voller lügen...

sicher habe ich vorher einiges darüber gelesen, habe auch "schindlers liste" gesehen. aber dies ist der ort des verbrechens selbst, nicht mehr von buchseiten oder kinoleinwänden auf distanz gehalten. hier ist auschwitz, das schwarze loch der deutschen und auch der europäischen geschichte.

drei kilometer weiter in auschwitz-birkenau, dem zweiten, später angelegten teil des KZ, weitet sich das ohnehin schon unfassbare noch einmal in seinen dimensionen. eine regelrechte stadt des todes öffnet sich kilometerweit hinter jenem tor, das wir so oft auf alten aufnahmen gesehen haben. von vielen baracken sind nur noch betonpfeiler übrig, ragen zahllos aus dem gras, das heute alles überwuchert. aber die nachmittagssonne lässt kein kopfkino zu. ich kann mir nicht vorstellen, wie hier 90.000 menschen eingepfercht in der maschinerie der vernichtung gelebt haben können.

erst später, als ich anna pawelczynskas buch "werte gegen gewalt. betrachtungen einer soziologin über auschwitz" (dt. 1994 erschienen) beginne, steigen erste bilder hoch. gerade die nüchternheit ihrer analyse, in der sie sich - bewusst, wie sie schreibt - ihrer eigenen auschwitz-erlebnisse enthält, überwältigt mich. mehr noch, beunruhigt mich. die zur floskel, zur politischen sonntagsrhetorik verkommene forderung "nie wieder auschwitz!" bekommt wieder kraft. orwells "1984" ist blass im vergleich zu ihrer beschreibung des KZ-systems.

mir kommt carl amerys bemerkenswertes buch "hitler als vorläufer" in den sinn. amery argumentiert, dass das eindimensionale terror-weltbild des nationalsozialismus möglicherweise nur ein erster testlauf für biopolitische apokalypsen des 21. jahrhunderts war, die durch globale umweltzerstörung, überbevölkerung und politische konflikte ausgelöst werden könnten. es sind kleinigkeiten wie jene porzellanisolatoren an den einst unter starkstrom stehenden stacheldrahtzäunen oder die schlichten betonpfeiler, die zeigen, dass es sich hierbei nicht um relikte einer fernen epoche handelt, sondern um das technisierte 20. jahrhundert. die gegenwart ist nicht weit entfernt. man vergisst das nach 60 jahren leicht.

das ausmass des vernichtungslagers mahnt aber auch: guantanamo oder der neue wall am westjordanland sind nicht auschwitz. die relation der gräuel verrutscht vielen heutzutage zu leicht, ja zu leichtfertig im ereifern über die weltpolitik. ein bild brennt sich mir an diesem nachmittag ein, dass mir eine gewisse erleichterung verschafft: es ist die wehende isräl-flagge, die zwei isrälische schulklassen über ihren köpfen halten. eine bestätigung gandhis, der einmal schrieb: „Es ist meine feste Überzeugung, dass nichts Dauerhaftes auf Gewalt aufgebaut werden kann.“ -nbo


Krakau, eine Landpartie
19.10.2004




Nachdem wir an unserem ersten Etappenziel Krakau einen Tag durch die illustren Strassen geschlendert sind, sitzen wir am Dienstag im Bus und schunkeln durch die Landschaft.

Der Himmel lacht, dörfliche Idylle ausserhalb des Stadtzentrums. Bettwäsche lüftet an Balkongittern, der Futtermais ist noch auf den Feldern, hier mal ein Zementwerk, ein Autofriedhof. Eine Gegend, die es ähnlich auch bei uns gibt. Alles ganz friedlich, polnischer Alltag. Und zum Land gehören die Leute und zu den Leuten die Geschichte...

Wir stehen auf dem Gelände von Auschwitz. "Oh," mag manch einer denken, "sie machen eine Betroffenheitstour. Vom Völkermord der Nazis über die Apartheid in Afrika bis zu den bösen Buren am Kap." Nein, tun wir nicht. Aber dort, wo uns die Geschichte eines Landes, die auch unsere eigene ist, anspringt, möchte ich nicht wegsehen. Ich könnte jetzt all die grausigen Eindrücke und Bilder zitieren, die jeder schon mal in Dokus gesehen hat. Aber das spare ich mir besser. Was mich allerdings viel mehr beschäftigt hat im positiven Sinne, ist die Tatsache, dass es weitergeht. Egal wie, aber es tut's. Keiner von den 1,5 Mio. Toten wird je wieder lebendig. Das einzige, was wird tun können, ist, uns hin und wieder daran zu erinnern. Damit diese schlimmen Greueltaten, zu denen der Mensch fähig ist, nie wieder passieren.

Und gerade, dass die Sonne lacht über den Baracken von Auschwitz macht das Ganze so grotesk. Aber so ist es eben, es geht weiter! Ähnlich müssen auch die Leute gedacht haben, die ihre Häuser direkt neben dem Gelände gabaut haben und deren Vorgärten jetzt Naht an Naht mit dem Stacheldrahtzaun sind. Zugegebenermassen nicht gerade der schönste Ausblick von Balkon. Das hätte ich mir dann doch verkniffen. nach Diktat verreist -dwo


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