die gesamte chronik


abschiedhamburg, 15.10.2004
zwischen farce und saddam-altarberlin, 15./16.10.2004
floating downstream...
berlin, 16.10.2004
der schatten der geschichte
krakau, 18.10.2004
stadt des todes
auschwitz/oswiecim, 19.10.2004
krakau, eine landpartie
19.10.2004
snapshot
bratislava, 21.10.2004
a night out at the trafo
budapest, 23.10.2004
budapest - manikuere einer stadt
23.10.2004
sonntagmorgen in budapest
24.10.2004
die stadt badet
budapest, 24.10.2004
ein tag im zug
zwischen budapest und sibiu, 25.10.2004
reste einer parallelwelt
sibiu, 26.10.2004
sibiu H null/modell mit bäumen
26.10.2004
now that's what I call capitalism
bukarest, 27.10.2004
"big apple" im osten
bukarest, 28.10.2004
bosporus-express
istanbul, 30.10.2004
was ist reisen?
istanbul, 30.10.2004
ankunft
istanbul, 30.10.2004
groove is in the heart
istanbul, 30.10.2004
istanbul ist westanbul
30.10.2004
snapshot #2
istanbul, 1.11.2004
gespräch im basar
istanbul, 1.11.2004
osteuropa-schnipsel
2.11.2004
im bus
zwischen istanbul und göreme, 2.11.2004
in asien
göreme, 3.11.2004
gespräch im auto
göreme, 4.11.2004
doch ein kulturschock
aleppo, 5.11.2004
naher ostblock
aleppo, 6.11.2004
im land der dicken taube
aleppo, 6.11.2004
tarantino mit hommus
beirut, 7.11.2004
beirut - opening soon
8.11.2004
snapshot #3
beirut, 8.11.2004
morgens in beirut
9.11.2004
clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004
in der moschee
damaskus, 11.11.2004
captainsdinner auf der "MS damaskus"
11.11.2004
hopper in syrien
damaskus, 12.11.2004
service-taxi
zwischen damaskus und amman, 12.11.2004
eine "stadt"
amman, 12.11.2004
ramadan, einen monat völlerei
amman, 13.11.2004
ein tag auf dem wuestenplaneten
irgendwo in jordanien, 14.11.2004
der neue beduine
wadi ram, 15.11.2004
von aqaba nach nuweiba: die boat-people-erfahrung
17.11.2004
luxus
dahab, 18.11.2004
ABBA und die wasserpfeife
dahab, 19.11.2004
intellektuellen-stammtisch, oder: SPIEGEL-lektüre am roten meer
dahab, 20.11.2004
snapshot #4
dahab, 20.11.2004
tatooine
dahab, 21.11.2004
Besuch der Eisheiligen
dahab, 21./22.11.2004
no sleep till cairo
23./24.11.2004
duefte der grossstadt
kairo, 24.11.2004
phiesta in kairo
24.11.2004
die pyramiden
kairo, 25.11.2004
der unterschied zwischen hannover und kairo
25.11.2004
freitag in kairo, oder: was das leben hier so kosten kann
26.11.2004
haste töne
kairo, 26.11.2004
oase mit eurozeichen in den augen
farafra, 27.11.2004
dali-land
farafra, 28./29.11.2004
der alchemist von dakhla
29./30.11.2004
welcome to schergiland
luxor, 3.12.2004
ein paar gedanken am nil (das leid mit der "leitkultur")
assuan, 5.12.2004
servicewueste ägypten
assuan, 5.12.2004
nahost-schnipsel
5.12.2004
auf in den sudan!
assuan, 5.12.2004
die traurige arche
wadi halfa, 6./7.12.2004
endlich in afrika
wadi halfa, 7.12.2004
ein ägyptischer business-fuchs
wadi halfa, 7.12.2004
morgens in wadi halfa
8.12.2004
zen oder die kunst im bus zu sitzen
zwischen wadi halfa und khartoum, 8.12.2004
sitzen lernen
zwischen wadi halfa und khartoum, 8./9.12.2004
ein afrikanischer moloch
khartoum, 10.12.2004
und wieder raus aus dem sudan
khartoum, 10.12.2004
sudan-transport mal anders
zwischen khartoum und gedaref, 11.12.2004
tausche abitur gegen sport-BH
zwischen gedaref und gallabat, 11.12.2004
paradies im grenzmuell
metema, 11.12.2004
jenseits von entenhausen
gondar, 13.12.2004
halbe strecke
gondar, 14.12.2004
abgestempelt
bahar dar, 15.12.2004
fruehstueck in fuenf akten und andere merkwuerdigkeiten
bahar dar, 15./16.12.2004
macchiato an der piazza
addis abeba, 18.12.2004
what time is it?
addis, 18.12.2004
die welt des schönen scheins
addis, 18.12.2004
tor fuer äthiopien
addis, 19.12.2004
in der recycling-stadt
addis, 20.12.2004
was ist reisen? #2
addis, 20.12.2004
nachrichten aus äthiopien
addis, 20.12.2004
der garten afrikas
addis, 20.12.2004
brot fuer die welt
arba minch, 21.12.2004
gech
arba minch, 22.12.2004
das gut versteckte paradies
arba minch, 23.12.2004
die alltägliche pluenderung
arba minch, 24.12.2004
stille nacht, heilige nacht
arba minch, 24.12.2004
small is beautiful
arba minch, 25.12.2004
entschleunigung bis zum stillstand
konso, 26.12.2004
in anti-äthiopien
konso, 26.12.2004
durchs rift valley
27.12.2004
ein schulaufsatz
28.12.2004
endlich in kenia
moyale, 28.12.2004
master & servant
moyale, 28.12.2004
afrikanische logik
marsabit, 29.12.2004
return of the dicke taube
marsabit, 29.12.2004
baustelle...
marsabit, 30.12.2004
snapshot, aber was fuer einer
marsabit, 30.12.2004
flucht im 4WD
marsabit, 31.12.2004
verbranntes niemandsland
am turkana-see, 2./3.1.2005
im rausch der weite
zwischen turkanasee und baragoi, 4./5.1.2005
von jedem ein bisschen
nairobi, 7.1.2005
die grossstadt leuchtet
nairobi, 8.1.2005
a taste of nairobbery
nairobi, 8.1.2005
morgens in nairobi
9.1.2005
die rohe suche nach dem glueck
nairobi, 10.1.2005
ab in die serengeti!
arusha, 13.1.2005
strassenstrich serengeti
13./14.1.2005
zwischen komödie und farce - ein geschäft mit wilden tieren
serengeti, 14./15.1.2005
darwin im krater
ngorongoro, 16.1.2005
cluedo in arusha
17.1.2005
die hure arusha
17.1.2005
afrikanische krankheit
arusha, 17.1.2005
im schwitzkasten
pangani, 18.1.2005
endlich am meer
pangani, 18./19.1.2005
mit der dhau nach sansibar
nungwi, 20.1.2005
bacardi-feeling, oder: urlaub vom reisen
nungwi, 22.1.2005
die huefte von zimmer 12
nungwi, 22.1.2005
köpfchen in das wasser...
nungwi, 25.1.2005
sonnige tage in SwahiliWorld
nungwi, 26.1.2005
idylle hoch 10 tansania
nungwi, 27.1.2005
on the road again
stone town, 28.1.2005
malindi landungsbruecken
stone town, 29.1.2005
lustiges vespa-gestuemper in sansibar
stone town, 30.1.2005
snapshot #5 (double snapshot)
stone town, 30.1.2005
ebony & ivory
daressalaam, 31.1.2005
im sambia-express
zwischen daressalaam und mbeya, 1.2.2005
no stop till kyela
kyela, 2.2.2005
coole sackgasse
kyela, 3.2.2005
phiesta in nkhata bay
3.2.2005
dr. viwanda
nkhata bay, 7.2.2005
trainingslager fuer philanthropen
auf dem malawisee, 8.2.2005
tropische kreuzfahrt
monkey bay, 9.2.2005
ein tag in monkey bay
10.2.2005
afrika lebt
blantyre, 11.2.2005
Bächtig möse
Blantyre, 12.2.2005
hähnchen und politik bei mrs makhumula
blantyre, 13.2.2005
ostafrika-schnipsel
14.2.2005
galao in tete
14.2.2005
veilchen ohne schlägerei
vilanculo, 16.2.2005
planet mozambique
vilanculo, 16.2.2005
vaffanculo vilanculo
tofo, 17.2.2005
entspannte tage in BambooziWorld
tofo, 23.2.2005
was ist reisen? #3
tofo, 23.2.2005
das grosse grinsen
tofo, 24.2.2005
24 stunden mit einer diva
maputo, 27.2.2005
highway to hell
maputo, 27.2.2005
wieder in der ersten welt
johannesburg, 28.2.2005
das neue afrika
johannesburg, 2.3.2005
wollemer neilasse?
durban, 3.3.2005
auf dem dach afrikas
sani pass, 6.3.2005
dunkler beat
coffee bay, 7.3.2005
im mentalen landeanflug
cintsa, 9.3.2005
europa vs. suedafrika (weiss)
cintsa, 9.3.2005
"rueckkehr" - die generalprobe minus pauli
hamburg, 11.3.2005
abends im township
port elizabeth, 12.3.2005
zielgerade
13. - 15.3.2005
am ziel
kapstadt, 16.3.2005
sägemehl (ein paar unaufgeregtere gedanken zu afrika)
kapstadt, 18.3.2005
game park long street
kapstadt, 21.3.2005
freue sich, wer kann
kapstadt, 22.3.2005
letzte worte vom kap
kapstadt, 22.3.2005



abschied
hamburg, 15.10.2004

17:30 h. es ist unglaublich. die phiestaner trudeln auf dem bahnsteig am dammtor-bahnhof ein. inmitten des lärms, des wochenendverkehrs stehen wir da zusammen, trinken noch mal astra, das der gute leon mitgebracht hat, hören "studio one ska". der saure kreist. die leute um uns herum gucken irritiert. wir stossen ein ums andere mal an und können es nicht glauben, dass wir uns erst in ueber fuenf monaten wieder sehen. chartert ein flugzeug, einen phiesta-jet nach sansibar, denke ich. noch drei minuten, wir hören ein letztes mal "I want justice" von delroy wilson, all die gesichter. das ist phiesta.

dann rauscht der zug rein. schnell die ska-CD eingesteckt, die nehme ich doch mit, eine einzige CD, wer weiss, mit wem wir dabei freundschaft schliessen werden. noch mal den dode gedrueckt, mir wird plötzlich ganz anders. dann steigen wir schnell ein, aber dieser abschied ist ganz anders als vor acht jahren vor meiner letzten grossen tour. damals war die zukunft nur ein nebel. diesmal habe ich ein zuhause, auf das ich mich jetzt schon freue: st. pauli und die phiestaner. die bande steht auf dem bahnsteig, wir schon im waggon, die tuer geht zu, wir setzen uns in bewegung, anja und petra auch, sie laufen neben dem waggon her. ich sehe genau, dass anja erbsenaugen hat, aber woldo und ich erst mal! wir sind ganz mitgenommen von diesem ruehrenden  abschied. und klar ist: no sleep till pauli after kapstadt! -nbo


zwischen farce und saddam-altar
berlin, 15./16.10.2004

berlin meint es gut mit uns. vom zoo geht's zum senefelder platz und ein paar minuten später stehen wir in mr. walters appartement. ein appartment mit sehr viel platz, in dem ein plattes zebra auf dem boden liegt. so muss es sein, wir wollen ja schliesslich nach afrika. hightech und filmtrophäen um uns herum, wie angenehm angesichts des ueberbordenden retroquatsches im kollwitz-kiez. das viertel wird immer absurder. nicht nur thermopen-fenster und yucca-palmen in den kneipen - uebelste verfrankfurtung des inneren ostens - nein jetzt werden auch noch mutwillig die 20er herbeizitiert. alles ist so kulturell und gediegen. wohnen hier nur geisteswissenschaftler? die kulturbrauerei, in der wir noch ins kino gehen, setzt dem ganzen die krone auf. vor sechs jahren war ich das letzte mal hier. und jetzt? ein uebler berliner themenpark und gleichzeitig voll amerikanisiert mit all den neon-schriftzuegen ueber den bareingängen. das ganze ist so steril. eine trauer.

gregor rettet den prenzlauer berg am nächsten abend, als er uns ins bassy auf der schönhauser allee fuehrt. ja, das ist das richtige berlin. ein roher enger hinterhof, frühindustrielle fabrikatmosphäre mit schornstein und ziegelwand, am ende ein altar mit einem riesigen saddam-poster. in der mitte des kleinen hofes lodern flammen aus einer öltonne. eine schöne art und weise, vermeintlichen dämonen wie saddam das irrational böse zu nehmen, indem man sie einfach zum witz umfunktioniert. toller laden, das ist noch der spirit des frueh-90er-berlin, nicht diese ueble hauptstadt-retro-kult der gegenwart. berlin soll roh sein, roh bleiben, wenn es schön sein will. alles andere wird zur farce. -nbo


floating downstream...
berlin, 16.10.2004

hinter dem gendarmenmarkt befindet sich das floatcenter. eine schwäbische frohnatur par excellence bereitet uns dort auf die samadhi-tanks vor. das sind eine art meditationstanks, die john lilly in den 50ern fuer die US-Navy entwickelt hat. 300 kilo salz sind in 600 liter wasser gelöst. unmöglich, darin  unterzugehen. die tankkapsel beinhaltet sozusagen eine miniatur des toten meeres. sie sieht aus wie ein kleiner wal, lang und bucklig.

ich steige ein, lege mich ins wasser und lass den deckel runtergleiten. rotwarme dunkelheit umfängt mich. das salzwasser hat körpertemperatur. kein druck auf der haut, nirgends. schwerelosigkeit, fast. durch die ohren unter der wasseroberfläche dringen ab und zu ferne, gedämpfte geräusche. ich schwebe in meiner kapsel wie in einer anderen welt. back to the roots, als ob ich noch einmal dicht an meine zeit als fötus herankomme. körperloses bewusstsein, die reine existenz, vor meinen geschlossenen augen tanzen kaskaden aus blautönen, breiten sich aus, ziehen sich wieder zusammen. nur wenige konkrete bildert. totale ruhe, absoluter anti-stress. gar nichts. auch keine langeweile. eher eine art re-boot: dahintreiben, noch mal von vorne anfangen. noch mal aufbrechen. -nbo


der schatten der geschichte
krakau, 18.10.2004





wir steigen im stadtteil kazimierz ab. im cafe mlynek am plac wolnica, ueber dem wir wohnen, hängen neue bilder zum verkauf. sie erinnern mich in ihrer rohheit ein bisschen an die von karlos artstore in st. pauli. rund um den plac nowy reihen sich die neuen bars und cafes aneinander. aber die szene ist nicht fuer touristen angerichtet. hier trinkt das neue krakau.

die hochgelobte altstadt dagegen, durch die wir am nächsten tag streifen, ist mir zu huebsch, zu puppenstubenhaft. dass krakau "das muenchen polens" sei, wie jemand vorher gesagt hatte, kann man durchaus so sehen. fuer mich aber kein kompliment. mir kommt es vor, als sei die stadt, die einmal hauptstadt polens war, von einem jahrhunderte währenden schlaf am rande der habsburger-monarchie erwacht und putze sich nun heraus. als wir die dietl-allee aus der altstadt kommend richtung kazimierz ueberqueren, wird es gleich grauer und grossstädtischer. strassen voller altbauten, die eher an friedrichshain oder das westliche lichtenberg erinnern.

schon stehen wir vor dem alten juedischen friedhof am platz der szeroka-strasse. wir gehen in die synagoge, die daneben steht. ein altes paar beaufsichtigt streng die ankommenden touristen. ich fuehle mich plötzlich nicht wohl in meiner haut. 65.000 juden haben bis zum zweiten weltkrieg und zum holocaust in kazimierz gelebt. beim anblick der gassen und fassaden fallen mir die "zimtläden" ein, jenes theaterstueck anfang der 90er in berlin, in dem die untergegangene welt der osteuropäischen juden wie gespenster noch einmal lebendig wurde. nichts ausser ein paar schildern und zeichen an den hauswänden ist uebrig geblieben, in kazimierz ebensowenig wie in anderen städten der region.

in einem dieser versuche, an die alte zeit anzuknuepfen, hatten wir am ersten abend gegessen. im restaurant "alef". am nachbartisch sassen vier alte, drei männer und eine frau. sie sprachen hebräisch. was der weisshaarige wohl 1943, 44 erlebt hat, fragte ich mich. die frau musterte uns zwischendurch mit einem blick, der sich nicht deuten liess. es war ja nicht zu ueberhören, wo wir herkommen. die geschichte holt einen immer wieder ein. morgen wird sie uns wohl eher wie ein nasses handtuch ins gesicht treffen, wenn wir nach auschwitz fahren. aber das muss sein. -nbo


stadt des todes
auschwitz/oswiecim, 19.10.2004





das wetter ist an diesem tag von einer guetigen ironie. die sonne scheint aus einem strahlend blauen herbsthimmel auf die reste der einstigen todesfabrik. nimmt ihnen den gröbsten schrecken. unzählige reisegruppen schieben sich durch die KZ-wege. japaner schiessen entspannt das obligatorische urlaubsbeweisfoto vor dem tor, ueber dem der spruch "arbeit macht frei" prangt. polnische schulklassen reissen draussen auf eine zigarettenlänge witze. das grauen liegt nicht einmal als schatten auf den gebäuden. die monstrosität des verbrechens ist kaum begreifbar. nur in den baracken, in denen berge von schuhen, koffern oder haaren der ermordeten fuer die nachwelt aufbewahrt sind, wird es in ansätzen sichtbar.

aber es verschlägt mir dennoch die sprache. gerade, weil ich aus deutschland komme. schweigend ist mir der ort erträglich, alle vernehmlichen deutschen worte kommen mir schlagartig unglaublich deplatziert vor. sie sind hier oft genug gefallen. sie starren mich in buerokratischer kälte aus den zahlreichen SS-schriftstuecken an, die in den vitrinen ausgestellt sind. dass die schergen keinen klaren kopf gehabt hätten bei dem, was sie taten, lässt sich beim besten willen nicht sagen. da wurde "mitgedacht", was das zeug hält. einer ereiferte sich etwa, ob man das von den toten geraubte zahngold, das die wehrmachtsärzte nicht brauchten, nicht - gegen eine "quittung" - der reichsbank zufuehren solle, wo es "sinnvoller" angelegt sei. akribische listen von häftlingen, trockene paragraphenhuberei, totenscheine voller luegen...

sicher habe ich vorher einiges darueber gelesen, habe auch "schindlers liste" gesehen. aber dies ist der ort des verbrechens selbst, nicht mehr von buchseiten oder kinoleinwänden auf distanz gehalten. hier ist auschwitz, das schwarze loch der deutschen und auch der europäischen geschichte.

drei kilometer weiter in auschwitz-birkenau, dem zweiten, später angelegten teil des KZ, weitet sich das ohnehin schon unfassbare noch einmal in seinen dimensionen. eine regelrechte stadt des todes öffnet sich kilometerweit hinter jenem tor, das wir so oft auf alten aufnahmen gesehen haben. von vielen baracken sind nur noch betonpfeiler uebrig, ragen zahllos aus dem gras, das heute alles ueberwuchert. aber die nachmittagssonne lässt kein kopfkino zu. ich kann mir nicht vorstellen, wie hier 90.000 menschen eingepfercht in der maschinerie der vernichtung gelebt haben können.

erst später, als ich anna pawelczynskas buch "werte gegen gewalt. betrachtungen einer soziologin ueber auschwitz" (dt. 1994 erschienen) beginne, steigen erste bilder hoch. gerade die nuechternheit ihrer analyse, in der sie sich - bewusst, wie sie schreibt - ihrer eigenen auschwitz-erlebnisse enthält, ueberwältigt mich. mehr noch, beunruhigt mich. die zur floskel, zur politischen sonntagsrhetorik verkommene forderung "nie wieder auschwitz!" bekommt wieder kraft. orwells "1984" ist blass im vergleich zu ihrer beschreibung des KZ-systems.

mir kommt carl amerys bemerkenswertes buch "hitler als vorläufer" in den sinn. amery argumentiert, dass das eindimensionale terror-weltbild des nationalsozialismus möglicherweise nur ein erster testlauf fuer biopolitische apokalypsen des 21. jahrhunderts war, die durch globale umweltzerstörung, ueberbevölkerung und politische konflikte ausgelöst werden könnten. es sind kleinigkeiten wie jene porzellanisolatoren an den einst unter starkstrom stehenden stacheldrahtzäunen oder die schlichten betonpfeiler, die zeigen, dass es sich hierbei nicht um relikte einer fernen epoche handelt, sondern um das technisierte 20. jahrhundert. die gegenwart ist nicht weit entfernt. man vergisst das nach 60 jahren leicht.

das ausmass des vernichtungslagers mahnt aber auch: guantanamo oder der neue wall am westjordanland sind nicht auschwitz. die relation der gräuel verrutscht vielen heutzutage zu leicht, ja zu leichtfertig im ereifern ueber die weltpolitik. ein bild brennt sich mir an diesem nachmittag ein, dass mir eine gewisse erleichterung verschafft: es ist die wehende isräl-flagge, die zwei isrälische schulklassen ueber ihren köpfen halten. eine bestätigung gandhis, der einmal schrieb: „Es ist meine feste Überzeugung, dass nichts Dauerhaftes auf Gewalt aufgebaut werden kann.“ -nbo


Krakau, eine Landpartie
19.10.2004




Nachdem wir an unserem ersten Etappenziel Krakau einen Tag durch die illustren Strassen geschlendert sind, sitzen wir am Dienstag im Bus und schunkeln durch die Landschaft.

Der Himmel lacht, dörfliche Idylle ausserhalb des Stadtzentrums. Bettwäsche lueftet an Balkongittern, der Futtermais ist noch auf den Feldern, hier mal ein Zementwerk, ein Autofriedhof. Eine Gegend, die es ähnlich auch bei uns gibt. Alles ganz friedlich, polnischer Alltag. Und zum Land gehören die Leute und zu den Leuten die Geschichte...

Wir stehen auf dem Gelände von Auschwitz. "Oh," mag manch einer denken, "sie machen eine Betroffenheitstour. Vom Völkermord der Nazis ueber die Apartheid in Afrika bis zu den bösen Buren am Kap." Nein, tun wir nicht. Aber dort, wo uns die Geschichte eines Landes, die auch unsere eigene ist, anspringt, möchte ich nicht wegsehen. Ich könnte jetzt all die grausigen Eindruecke und Bilder zitieren, die jeder schon mal in Dokus gesehen hat. Aber das spare ich mir besser. Was mich allerdings viel mehr beschäftigt hat im positiven Sinne, ist die Tatsache, dass es weitergeht. Egal wie, aber es tut's. Keiner von den 1,5 Mio. Toten wird je wieder lebendig. Das einzige, was wird tun können, ist, uns hin und wieder daran zu erinnern. Damit diese schlimmen Greueltaten, zu denen der Mensch fähig ist, nie wieder passieren.

Und gerade, dass die Sonne lacht ueber den Baracken von Auschwitz macht das Ganze so grotesk. Aber so ist es eben, es geht weiter! Ähnlich muessen auch die Leute gedacht haben, die ihre Häuser direkt neben dem Gelände gabaut haben und deren Vorgärten jetzt Naht an Naht mit dem Stacheldrahtzaun sind. Zugegebenermassen nicht gerade der schönste Ausblick von Balkon. Das hätte ich mir dann doch verkniffen. nach Diktat verreist -dwo


snapshot
bratislava, 21.10.2004

20:00 Uhr, wir sitzen in einem Pub. Dunkles Holz bestimmt die Athmo. Vinyl hängt an den Wänden. Wer was auf sich hält, trägt nen Pferdeschwanz, Tiedemann hätte seine helle Freude. Trendglatzen gibts nicht. Direkt vor uns spielt eine Live-Band (zwei E-Gitarren, eine E-Bratsche) die ueblichen Schmonzetten von Robbie Williams bis Guns`n roses. Natuerlich alle drei Jungs mit Pferdeschwanz. Knutschende Pärchen, kichernde Bedienung. Weinseelige Stimmung. Die Musik wird ruppiger. Eine Agro-Version von Mrs. Robinson. Dann ein lokales Stueck. Echt cool die Jungs, super Stimmen, die Bratsche gibt alles. Wir sind mittendrin. Lassen uns treiben. Keine Verpflichtungen, nur noch stoffwechseln. Was machen wir morgen? Wir werden sehen. Spätestens morgen werden wir es wissen! nach Diktat verreist -dwo

...slowakische heldengesänge, die gitarren rollen, die e-bratsche zuckt im stakkato, die rohirrim aus dem herrn der ringe scheinen auszureiten. liegt rohan etwa hier um die ecke? ritterliche pferdeschwänze ueberall, in der tat. bratislava geht gut ab. keine puppenstube, dafuer ist die einkaufsstrasse zu oll. where the hell is bratislava, werden viele denken. kennt keine sau. nur 40 kilometer von wien die donau stromabwärts. von wegen osten. da will jemand den langen schatten von prag, der verklärten ueberstadt loswerden. keine ahnung, ob dieser staat dafuer unabhängig werden musste. aber europa ist da. die leute hier sind entschlossen. B wie bratislava. muss man sich merken. -nbo


a night out at the trafo
budapest, 23.10.2004





am ende der raday utca, der kneipenstrasse am suedende des zentrums, wird es weniger bunt und schlichter. dort liegt in einer seitenstrasse das "trafo", ein ehemaliges kino. hier kommen offensichtlich die nachtschwärmer zusammen, die mit gestyleten bars, pubs und bumsdiscos nichts am hut haben. die zahl der turnschuhe, knappen t-shirts und verwaschenen jeans nimmt schlagartig zu. es ist fast wie zuhause in st. pauli.

unten im keller ist ein club mit sofas wie im "gruenen jäger" (pferdemarkt, st. pauli). in einem weissgekälkten raum daneben werden versuche ausgestellt, gelscheine in einen "anderen zustand zu transformieren". kurz, sie werden zerstört: mit schwefelsäure, edding-bemalung, speicheleinwirkung durch 10-minuetiges kauen, eine maus oder haushaltsbleichmittel, und anschliessend werden sie in petrischalen dem publikum dargeboten. wunderbare idee.

der haupt-act des abends findet aber oben im alten kinosaal statt: SEX MOB aus new york werden von einem buntgemischten publikum erwartet, dass zuvor höflich eine ungarische free-jazz-combo ueber sich hat ergehen lassen. sex mob sind anders: nicht einfach ein jazz-quartett, sondern eine richtige BAND! besetzung: posaune, saxofon, kontrabass und schlagzeug. posaunist stephen bernstein erfuellt sofort die buehne. ein kurzer, energetischer new yorker, der ueber den boden federt beim gehen. haare kurzgeschoren im albert-camus-look. ein breites grinsen dazu, und dann brennen er und seine kumpane ein feuerwerk ab.

es ist jazz auf der höhe der zeit. keine standards aus der grossen vergangenheit stilsicher, aber kraftlos  wiedergegeben, auch kein akademisches free-jazz-gefrickel. nein, präzise und reduziert entfachen sie einen richtigen groove. der bassist, ernst und fuellig, gibt einfache loops vor, die eher an hiphop-samples erinnern. wie ein fels in der brandung - so muss ein bassist sein - hält er kurs, während der drummer einsteigt. nun bernsteins kurze posaune, sehr akzentuiert. das saxofon antwortet, und zwischen beiden entwickelt sich ein musikalisches gespräch. dann ein heftiger ausbruch, eingeleitet von der unglaublichen kreativität des schlagzeugers. der typ sieht aus wie woody allen in jung und hager, aber er lacht öfter. und die band geht ab. wahnsinn. der klassiker "st. louis blues" wird ebenso verwandelt wie "goldfinger" aus dem alten bond-film oder nirvanas "smells like teen spirit". das publikum tobt, als sie schliesslich abtreten.

fur die zugabe bittet bernstein den DJ an den plattenteller, der vorher die etwas ungluecklich agierenden free-jazzer begleitet hatte. der mann hat nerven: legt hand ans vinyl und bringt die jazzer von sex mob zum staunen. die steigen auf den beat ein, und wuerden wir nicht alle auf unseren konzertstuehlen hocken (es ist ja ein jazz-konzert - vorsicht, kultur), hätten wir alle sofort losgegroovet. bernstein - wie sein grosser namensvetter - dirigiert und treibt die band zu höchstleistungen. der woody-allen-drummer spielt gar auf seinem hocker, um seinem schlagzeug-set irgendwelche neuen töne zu entlocken.

dazwischen findet bernstein zeit fuer einen schnack. im beruehmten gellert-bad habe er vor zehn jahren eine massage bekommen, die "almost homörotic" war. als er wieder im hotel ankam und sich dort einen porno ansah, habe dieser im gellert-bad im massageraum gespielt. so hat jeder seinen budapest-flash und das publikum schreit vor freude. so sanft und weich wie die gellert-massage geht's dann ins letzte stueck, fast homörotisch eben. dann ist der sex mob von der buehne. der jazz ist doch noch nicht verloren. -nbo


Budapest - Manikuere einer Stadt
23.10.2004



Wie kann ein einzelner Kopf bloss so schwer sein. Mindestens ne gefuehlte Kiste Bier trage ich auf meinen Schultern mit mir rum. Seit Tagen nun schon diese blöde Erkaltung, genau genommen seit Berlin. Wie ärgerlich. Alles wie in Watte.

Trotzdem fällt mir auf, wie sehr sich die Stadt seit meinem letzten Besuch vor acht Jahren gewandelt hat. Keine fliegenden Händler mehr auf den Bruecken. Bestimmt sind einige von ihnen in die schicken Läden gezogen auf der zum Fluss liegenden Seite von Pest. Eine typische Einkaufsmeile wie man sie in vielen Grosssteadten findet. Geschniegelt und geleckt.

Die Stadt macht sich den Dreck unter den Nägeln weg. Wie schade, gerade das Unperfekte gab ihr diesen gewissen Charme. Das Paris des Ostens macht sich heute stadtfein. Man will sich sehen lassen können. Die Frauen mittleren Alters putzen sich raus. Wohlstand rund um die Hueften, von den Schultern bis zum Steissbein. Auf dem Kopf tragen sie ne Frisur á la Rosi Mittermaier, die gesamte Farbpalette, aufgeklebte Fingernägel, Puh-Parfum und natuerlich ein Handy am Ohr. Die Innenstadt gibt Vollgas.

Budapest, die heutigen zwei Stadtteile sind so unterschiedlich, wie es unterschiedlicher nicht geht. Das museale Buda mit Burg und Kathedrale wirkt eher leblos, als wir auch noch ausgerechnet an einem Feiertag hinkommen. Hinter dem Huegel, wo der olle Gellert sein bronzenes Kreuz gen Himmel reckt tut sich herzlich wenig. Wohnstrassen und runtergekommene Plattenbauten. Auch die Haupteinkaufsstrasse wirkt irgendwie tot. Hier wird nicht gelebt, nur gewohnt. Zumindest heute. Ganz anders dagegen das quirlige Pest. Rund um den Calvin-Platz tuemmelt sich die Jugend in den zahlreichen Kneipen und Cafés.

Nach achtstuendiegenm Dauerlauf lassen wir uns bei einem Thai nieder. Mal Lust auf nix deftiges. Ich freue mich riesig auf meine Kokos-Suppe, als ich eine Schale Eintopf hingestellt kriege. Muss wohl ein Irrtum sein, sage ich dem Kellner. Aber nichts da. "It's not like in Thailand here, different.", klärt er mich auf. Ach so, ja nee, klar. Stimmt ja, so stands ja auch auf der Karte: 'Thai-Cocos Soup'. Was hatte ich auch erwartet, samesame but different, eben. Also dann doch wieder herzhaft. Na, egal.

Neben uns nehmen drei Puh-Rosis platz. Omi, Mutter und wohlgenahrte Tochter. Die beiden Frauen diesmal blondbehauptet, die Tochter ist noch nicht alt genug fuers Färben. Ganz Europa diskutiert sich wund ueber das   Nichtrauchen, aber während am Nebentisch die neuesten sitzen, kommt mir in den Sinn, die Restaurants neu zu unterteilen. Denn wem schmeckt schon ein Rind oder Huhn an Calvin Klein? Mir juckts schon wieder im Gehirn, wo ist eigentlich mein Taschentuch? nach Diktat verreist -dwo


sonntagmorgen in budapest
24.10.2004


ich geh die marmorstufen in dem alten wohnhaus in der rakozsi ut 27 runter, in dem wir abgestiegen sind. auf einem treppenabsatz fuehrt eine tuer auf einen balkon in den hinterhof. noch ist er gruen zugewachsen. die luft feucht und frisch, der himmel leider immer noch bedeckt. aus irgendeiner wohnung plärrt abbas "honey, honey" herueber.

im cafe "randevu", ein paar meter vom hauseingang entfernt, ist noch nichts los. erst heult george michäl, dann läuft tuerkischer pop und "murder on the dancefloor". der cappucino ist der bedienung beim mitwippen des beats zu duenn geraten. aber er ist unverzichtbar wie an jedem morgen. währenddessen schläft woldo noch oben ihre erkältung nieder.

ich schaue auf die strasse. pfuetzen eines nächtlichen regengusses stehen auf dem breiten buergersteig, der ebenso wie die sechs spuren der rakoczi ut asphaltiert ist. das gibt ihm etwas schmuddeliges. man möchte nicht auf ihm flanieren. die menschen eilen vorbei...

...eine rothaarige 15-jährige mit langem schwarzem ledermantel und doc martens, in der hand eine plastiktuete; ein grauhaariger mittfuenfziger, lang, mit schnurrbart, brille und hellem trenchcoat, typ arzt; ein alter mit wollener schirmmuetze und abgetragenem anzug, auf dem ruecken ein rucksack, in der hand eine art fototasche, an denen er schwer zu schleppen scheint, die augen sind halb geschlossen beim humpeln; ein ehepaar mit frischgekauften blumen, sie schaut noch mal auf die uhr, man ist verabredet; ein mittvierziger, der kraftvoll gelassen ausschreitet, braune lederjacke, braune cordhose, der kurze bart gepflegt; ein junges pärchen mit nicht ganz trendigen klamotten, er schaut angestrengt, sie hält seine hand und redet, leicht lächelnd; ein alter herr, jawohl ein herr, denn er trägt noch einen ausgehhut, den trenchcoat geguertet, tappt er vornueber gebeugt mit unsicheren schritten, in der rechten hand hält er ein päckchen graupen oder so; ein paar mit kinderwagen, beide tragen jeans und po-lange schwarze lederjacke, diese stumpfen teile, die so teuer sind, ihre frisuren sind gepflegt, aber langweilig; nochmal werden blumen in papier vorbeigetragen...

wie sieht's auf der anderen strassenseite aus? im erdgeschoss der vergilbten, mächtigen altbauten befindet sich eine ladenzeile. die durchgezogene fensterfront erinnert noch ein wenig an vergangene tage im sozialismus: die auslage ist nicht eben gekonnt drapiert. um den sozialismus abzuschuetteln, hat man offenbar zu knalligen folien gegriffen und discount-slogans auf die fenster geklebt. im "csibefarm" lacht uns gar eine riesige henne vom schaufenster an, deren stil zwischen brösels "werner" und den roadrunners von schweinchen dick liegt. schreien gelb und gross. ein laden mit taschen - drueber steht "fuerdöszoba felszereles", oha, die ungarische sprache! - -, daneben uhren, ein weiterer mit komischen klamotten... seltsame haupstrasse, diese rakozsi ut, zwischen zentrum und hauptbahnhof. -nbo


die stadt badet
budapest, 24.10.2004

das soll ein badehaus sein? das szechenyi fürdö im stadtpark am ende des andrassy-boulevards erinnert eher an ein barockes stadtschloss. es ist einfach riesig. nur mit einer badehose in der jackentasche, ohne handtuch, betrete ich diesen palast der sauberkeit. leider alleine, denn woldo kann wegen ihrer erkältung nicht mit. ein bademeister empfängt mich, teilt mir eine alte kabine zu. als ich in badehose heraustrete, schliesst er hinter mir ab. welch ein luxus verglichen mit den plastikspinden in unseren stadtschwimmbädern.

vorsichtig betrete ich den ersten baderaum. schwefel liegt in der luft, eine note von kakao mischt sich in den geruch. die hohe kuppeldecke ist von einer patina aus jahrzehnten ueberzogen. in den becken truebes gruenes wasser. es ist 38 grad warm, wie eine winterbadewanne. nach ein paar minuten wechsle ich ins dampfbad. die sicht reicht einen meter weit, der atem stockt augenblicklich in der bruellheissen schwuele. zwanzig menschen stehen in dieser feuchtwarmen hölle herum. ich muss nach vier minuten passen, meine lungen scheinen zu kochen.

ich verlasse das dampfbad durch eine andere tuer und lande in einer langen halle mit einem ovalen pool zum abkuehlen. die badenden lassen sich im kuenstlichen wirbel herumtreiben. wieder heraus, in den nächsten saal mit einem achteckigen becken. es ist ein labyrinth, durch das sich unmengen von badenden bewegen, dicke, duenne, kinder, greise, huebsche, hässliche, tätowierte, turtelnde, mit verwachsenen zehen, mit schönen fuessen, europäer, asiaten. ein babylonisches sprachengewirr verhallt im schwefeldunst.

im weitläufigen innenhof warten noch grössere becken unter freiem himmel. am rand spielen alte männer, im warmen wasser stehend, schach. die schachbretter sind dicke plastikfolien mit quadraten, die sie auf ein mäuerchen gelegt haben. eine gruppe schaut zu, alle brueten ueber dem nächsten zug und schweigen. ich lass mich einen moment durch die wärme treiben, dann erkunde ich den anderen fluegel dieses palastes, vorbei an weiteren pools, saunen, massageräumen und dampfbädern.

es ist ein kunstvoller mikrokosmos der sauberkeit - den budapest den tuerken verdankt, die hier im 16. und 17. jahrhundert das sagen hatten. währenddessen puderte sich der debile europäische adel und litt an krätze. vielleicht sollte man merkel, koch und konsorten mal einen besuch im szechenyi fuerdö empfehlen, um im schwefelbad ueber das wesen europas nachzudenken, das
den tuerken angeblich so vollständig abgeht. -nbo


ein tag im zug
zwischen budapest und sibiu, 25.10.2004

budapest entlässt uns an einem grauen, feuchten herbsttag. auf gleis sieben des hauptbahnhofs fährt der IC nach bukarest ab: rumänische waggons, braun und angeschmuddelt. während wir ueber plattes land durch morgennebel fahren, gibt mein schwarzer kuli beim schreiben seinen dienst auf.

da ich die marotte habe, nur in schwarz in mein tagebuch zu schreiben, versuche ich, im zug einen schwarzen kuli aufzutreiben. ich will schlau sein und ihn gegen einen der leuchtend blauen gauloise-kulis tauschen, die uns uli zuenkler zum bestechen äthiopischer grenzbeamter mitgegeben hat. der bebrillte kellner im speisewagen hat vielleicht einen, denke ich. ich steh also vor ihm und erkläre ihm meine marotte auf englisch. er versteht kein wort. nimmt meinen gauloise-kuli, kritzelt auf seine hand und siehe da, die tinte ist schwarz. wie peinlich. ich nehm ungläubig den kuli und kritzele nun in meine handfläche. kein zweifel - das teil schreibt schwarz. bin nie auf die idee gekommen, dass ein gauloise-kuli mit leuchtend blauem gehäuse nicht blau schreiben könnte. der speisewagen-mann sieht mich mit einem blick an, als ob er mich fuer irre hält. er schleudert mir noch ein ungarisches wort entgegen, und ich trete schnell den rueckzug an.

an der rumänischen grenze ist erst einmal stillstand angesagt. es ist offensichtlich, dass die EU hier endet: ein heer von grenzbeamten und bahnpersonal entert den zug. der grenzbeamte macht den ersten stempel dieser reise in unseren pass, der zöllner fragt uns nach mitgefuehrten pistolen, geschenken und rumänischen lei (die währung dort), die schaffnerin redet rumänisch auf mich ein, auch dann noch, als ich auf englisch bekunde, nichts zu verstehen...

dann das wunder: hinter der stadt arad öffnet sich zum ersten mal nach 1700 bahnkilometern eine landschaft, die nicht einfach nur platt, sondern von saftig gruenen huegelketten durchzogen ist, der herbst hat noch nicht begonnen, die luft ist warm, die durchs offene fenster hereinströmt. ich schau auf die uhr. noch eine halbe stunde bis deva, wo wir umsteigen muessen. letzte gelegenheit, ungarisches kleingeld im speisewagen loszuwerden.

ich pirsch mich hin, versuche, vom kellner unbemerkt, einen blick in die speisekarte zu werfen. der hält mich sowieso schon fuer bescheuert. aha. fritten fuer 300 forint (1,20 euro). ich geh zurueck ins abteil, hole unseren blechteller. wieder zurueck zum kellner, der inzwischen mit rumänen bier trinkt. ich bedeute ihm, die fritten in den teller hinein haben zu wollen. er verschwindet in seiner kueche. dann passiert nichts mehr. ich schau nervös auf die uhr. noch 20 minuten. von wegen: die ausläufer von deva kommen in sicht. ich frag den dösenden schaffner, ob das deva sei. ja, sagt er.

was ist mit den fritten? ich stecke meinen kopf in die kueche. der kellner sieht mich, ich versuch ihm zu erklären, dass ich die fritten jetzt sofort brauche. er winkt mich an den herd, auf dem in einem sieb im siedenden fett die fritten schlapp werden. sind die gut genug fuer dich, bedeutet er mir? der zug fährt in den bahnhof ein. er schuettet mir die fritten auf den blechteller. der zug hält. woldo ist mit dem gepack vier waggons entfernt. ich nehm den frittenteller in beide hände und drängle mich durch ein- und aussteigende. das geht nicht schnell genug. ich steig aus und renne den bahnsteig entlang bis zum ersten waggon hinter der lok, den frittentelle balancierend. woldo hat das gepäck in die tuer geschafft. der schaffner pfeift. es ist furchtbar. noch die jacken aus dem abteil gegriffen, rausgesprungen, und der zug fährt ab.

dann atmen wir durch, lachen und essen auf dem bahnsteig erst mal unsere fritten. der bahnhof ist fuerchterlich. er erfuellt alle klischees von suedosteuropa: ich komm mir vor wie in "schwarze katze, weisser kater". autos, die schon seit jahrzehnten nicht mehr fahren duerften, bettelnde kinder mit schwarzen nackten fuessen. wir trinken einen halben liter bier fuer 30 cent. in den rillen des bierglases aussen klebt schwarzer schmuddel. die frau an der bierausgabe lacht - lacht sie mich gar aus?

immerhin: die bank, in der ich geld tausche, hat jeden tag bis 18:30 uhr auf. nicht solche behördenzeiten wie unsere geldhäuser. nach dem bier gehen wir auf bahnsteig 3. kurz bevor unser zug kommt, fährt hier ein anderer ein. er fährt auch nicht weg, als unser zug kommt - auf gleis 2. was nun? wir greifen unser gepäck, in den zug auf gleis 3 rein, auf der anderen seite wieder raus, woldo schrammt sich das schienbein dabei an. in rumänien darf man gottseidank auf beiden seiten ein- und aussteigen. nicht so in unserem zug, so ein ultraneues teil von siemens, gegen den jeder deutsche IC abstinkt. hier gehen die tueren nur auf einer seite auf. was ist hier los? wir hechten zwischen den zuegen entlang, um unseren herum und dann sind wir endlich drin. bis sibiu passiert nichts mehr. wir sind da, nach 12 stunden. -nbo


Sibiu H null/Modell mit Bäumen
26.10.2004





Das ist es also, das sagenumwobene Transilvanien. Vom Turm in Hermannstadt schauen wir ueber ein wippendes Meer aus roten Schindeldächern, am Horizont die Bergkette der Karparten. Ein idyllisches kleines Örtchen, in dem sich gerade allerhand tut. Restaurierungsarbeiten an jeder Ecke, ganze Strassen aufgerissen. Auch der grosse Marktplatz soll bis 2007 neu gepflastert werden. Bis dahin wird geschuftet, was das Zeug hält. Und dann ist es soweit: Rumänien tritt der EU bei und Hermannstadt ist Kulturhauptstadt Europas. Mag man heute noch gar nicht glauben, denn bislang wirkt es eher wie ne Ritterburgen Stadt von Playmobil. Ein belebtes Rothenburg ob der Tauber mit erstaunlich vielen Jugendlichen, an denen sich Graf Dracula des nächtens guetlich tun kann. nach Diktat verresit -dwo


reste einer parallelwelt
sibiu, 26.10.2004

am bahnhofsgebäude steht "sibiu". aber jahrhunderte lang ist dies "hermannstadt" gewesen, die quasi-haupstadt von siebenbuergen. eine von zwei regionen auf der welt, wo man eine art deutscher "expatriat"-kultur findet (neben namibia). fuer deutsche ist es ja eher seltsam, in der ferne auf einheimische zeitungen in der eigenen sprache zu stossen (wie die "hermannstädter zeitung" oder die "allgemeine deutsche zeitung" aus bukarest), oder in geschäften von einheimischen immer wieder auf deutsch angesprochen zu werden.

wen's interessiert: hier ist die vorgeschichte. im 12. jahrhundert wurden vom könig von ungarn siedler aus dem rheinland in das land hinter dem wald (=transsilvanien) angeworben, die sich als bauern und handwerker niederliessen. sie unterstanden nur ihm und keinem fuersten oder adligen sonst, ziemlich einmalig im mittelalter. bis ins 19. jahrhundert ist dieses als "siebenbuergen" bezeichnete gebiet dann ein eigenes staatliches gebilde unter ungarischer krone gewesen, das drei "nationen" umfasste, ungarn, szekler und sachsen (obwohl es ja eigentlich rheinländer waren). 1557 beschloss der siebenbuerger landtag als erste region in europa die gleichstellung von protestanten und katholiken - lange vor dem 30-jährigen krieg, als sich beide den kopf einschlugen, und noch länger,  bevor der "alte fritz" in preussen die religionsfreiheit gewährte. von wegen hinterwäldler...

als nach dem ersten weltkrieg die K.u.K.-monarchie zerfiel, entschieden sich die sachsen (ebenso wie banater und sathmarer schwaben) als erste nichtrumänische minderheit dafuer, sich dem rumänischen staat anzuschliessen und diesen als den ihren zu begreifen. höchst bemerkenswert zu einer zeit, in der die deutschen "zuhause" längst vom nationalismus zerfressen waren. von wegen hinterwäldler...

die grosse abwanderung setzte im zuge des zweiten weltkrieges ein, denn in den 30er hatte dann auch der nationalsozialismus in siebenbuergen fuss gefasst, was rumänen und russen (als besatzungsmacht in rumänien) nicht vergassen. heute gibt es vielleicht noch 40.000 rumäniendeutsche von einst 800.000. doch die einstige deutsche parallelwelt ist noch nicht ganz verschwunden: wer die hermannstädter zeitung liest, findet berichte aus kronstadt, nicht brasov, aus klausenburg, neppendorf oder schässburg...

in der buchhandlung "friedrich schiller" in hermannstadt liegen gedichtbände von rumäniendeutschen aus, und die architektur erinnert eher ans alpenvorland als an sued(ost)europa. leute heissen hier immer noch klein, wagner oder wittstock mit nachnamen. inzwischen kommt deutsch sogar wieder in mode. wie uns toni aus potsdam, der im hermannstädter kulturamt ein praktikum macht, abends im art cafe erzählt, gebe es einen richtigen run auf deutschkurse. im hintergrund läuft dabei miles davis' "doo bop". nostalgie ist ueberfluessig: siebenbuergen war gestern, europa ist heute. -nbo

now that's what I call capitalism
bukarest, 27.10.2004


zum beeindruckenden zeugnis kapitalistischer produktivitätssteigerung in rumänien gerät uns die taxifahrt vom bukarester nordbahnhof zum hotel in der innenstadt. die frau von der rezeption hatte mich am telefon schon vor den "falschen" taxis gewarnt. "sie muessen unbedingt in ein gelbes taxi einsteigen und darauf achten, dass der taxameter eingeschaltet wird." gesagt, getan.

wir steigen zielstrebig ins erste gelbe taxi der langen reihe vorm bahnhof. der fahrer schaltet brav das taxameter an und heizt dann wie eine gesengte sau los. tja, und dann fängt das taxameter an zu spinnen: etwa im 5-minuten-takt tickt es sich zu immer absurderen preisen hoch. toller tip vom hotel, denke ich. als wir ankommen, stehen 400.000 lei auf der anzeige (etwa 10 euro). das ist etwa so, als ob wir vom dammtor nach st. pauli 70 euro bezahlt hätten. nach dem offiziellen kilometerpreis von 8.000 lei hätten das höchstens 50.000 lei werden können. ich steig aus und beäuge misstrauisch den wagen. 30.000 lei pro kilometer steht da in zahnfarbener schrift auf gelbem grund auf der tuer, das kann man in der funzelbeleuchtung auf dem bahnhofsvorplatz ja auch gut lesen.

das dumme: das ganze ist kein beschiss. "seit der liberalisierung des taxigewerbes vor zwei jahren kann jeder so viel verlangen, wie er will, und trotzdem sein taxi in der offiziellen farbe gelb anmalen", klärt uns der hotelrezeptionist gelangweilt auf. nach zehn tagen haben wir also unser erstes "schwundgeld" zu beklagen.

aber irgendwie ist das doch auch beeindruckend. der taxityp verdient also acht bis zehn mal so viel pro zeit wie andere offizielle taxen. da kann er leicht verschmerzen, dass kein bukarester je bei ihm einsteigen wird. er arbeitet einfach effizienter als seine kollegen und hat mehr freizeit. 2007, wenn rumänien in die EU kommt, wird es uns zeigen, was ein aufschwung ist. und man muss nicht mal mehr länger arbeiten, wie uns unsere wirtschaftsvertreter seit monaten weismachen wollen. einfach mehr geld fuer wertarbeit verlangen. -nbo

PS: ich habe das taxi am übernächsten tag kurz vor unserer abfahrt nach istanbul wieder vor dem bahnhof gesehen und das "beweisfoto" oben gemacht. der taxifahrer kam sofort wütend raus und stellte mich zur rede. als ich noch wütender entgegnete, er habe uns vor zwei tagen abgezockt, ich erkenne sein gesicht wieder, drehte er sich abrupt um und verschwand zurück in sein taxi.


"Big apple" im Osten
bukarest, 28.10.2004





Hier wird nicht geschlendert, hier gehts zur Sache. Rastloses Treiben und wild pestender Verkehr in den Strassenzuegen in Downtown. Nichts Gemuetliches, geschweige denn Liebenswertes. Streunende Köter rivalisieren mit barfuessigen Strassenkinderm um Essbares. Diese Stadt ist tough und spröde, ein brodelnder brutaler Moloch. "Hast Du's hier geschafft, dann schaffst Du's ueberall.", um good old Frankie zu zitieren. Sozialistische Monumentalbauten, die die ehemalige Altstadt unter sich begraben neben Prunkbauten aus frueheren Epochen.

Aus dem Himmelreich der Trinker, einer gigantischen Bierhalle mit hohen Gewölbedecken und Freskenmalereien wankt uns nachts ein Betrunkener entgegen, gepflegter Anzug, in jeder Hand ne Flasche. Nach einigen Lallungen kriegen wir mit, dass es sich um einen Russen handelt. Er will unbedingt mit uns anstossen. Während wir uns zuprosten lallt er auf uns ein. Zum Abschied werden wir geherzt und gedrueckt, bekommen segnend seine Hand aufgelgt und ziehen mit der Falsche Wein von dannen, die er uns grosszuegig ueberlassen hat.

Komischerweise haben wir ausgerechnet in dieser viertel Stunde das Erdbeben verpasst, wie wir am nächsten Morgen in der Zeitung lesen. Immerhin Stärke 6 auf der Richterskala. Nix gemerkt. Der Russe hat's wohl weggesegnet. nach Dikat verreist. -dwo


Bosporus-Express
Istanbul, 30.10.2004

14:00 Uhr, wir steigen in den Zug, der uns in sage und schreibe 20 Stunden nach Istanbul bringen soll, fuer eine Strecke von ungefähr Hamburg bis Muenchen. Unser Schlafwagen entpuppt sich als marodes Klappergestell. Na denn, gute Nacht! Schäbig und voll auf den Hund gekommen. Aber dass das noch zu steigern ist, weiss ich, als ich aufs Klo gehe. Uhbah! Eine bestialisch stinkende Kloake, der man die Spuren der Menschheit nur allzu deutlich ansieht. Aber was solls. Wer muss, der muss. Akrobatische Toilettenturnuebungen, André Heller lässt gruessen. Männer habens da echt einfacher!

21:00 Uhr, Schlafen befohlen! Unsere "Betten" werden ausgeklappt. Neben uns im Abteil wird schon deutlich hörbar geschalfen, der Typ schnarcht wie nichts Gutes.

In stockfinsterer Nacht, um viertel vor zwei, wird wie wild an unserer Abteiltuer geruettelt. "Passports!". Ah, die Grenze Bulgarien-Tuerkei. Die Pässe werden gestempelt und nach ner guten Stunde nehmen wir erneut Fahrt auf. OK., weiterschlafen, so gut es geht bei dem Geklappere und Geschaukel.

Aber denkste! Wieder werden wir barsch wachgedroschen. "You have to go for visa!". Achso, also dann, Anziehen, raus auf den Bahnsteig, in die Schlage stellen und vom tuerkischen Grenzbeamten nen Stempel abholen. So, nun aber. Wieder ein ins Abteil, Klamotten aus. Der zweite Versuch einzuschlafen. Hah, weit gefehlt. Nach 40 minuetigem Aufenthalt an der Grenzstation meinen die tuerkischen Grenzbeamten jetzt nochmal jeden auf seinen Stempel im Pass kontrollieren zu muessen. Verstehe das, wer wolle.

Dann endlich, aller guten Dinge sind drei, die letzten 5 Stunden bis Istanbul lassen sie uns dann doch ungestört schlafen, danke. Woher der Zug seinen gloreichen Namen hat, ist mir ehrlich gesagt völlig schleierhaft. nach Diktat verreist -dwo


was ist reisen?
istanbul, 30.10.2004


es ist halb vier nachts im bosporus-"express" zwischen bukarest und istanbul, und an schlaf ist nicht zu denken. nach anderthalb stunden pässe zeigen, vorm grenzschalter antreten, wieder pässe zeigen, dabei dem ueberdrehten gebrabbel zweier schlafloser rumäninnen lauschen, bin ich in diesem zustand nervöser, kraftloser schlaflosigkeit angekommen. einzig das bett des CFR-schlafwagens ist in ordnung, der rest eine farce: kein speisewagen fuer eine 20-stundenfahrt, die klos sind verdreckte latrinen, die kabinen mit ihren blindgeschrubbten fenstern und dem abgesprungenen furnier nur transportzellen.

das ist so ein augenblick, in dem einem die frage durch den kopf schiessen kann: warum machst du das eigentlich? ist es die perverse lust eines wohlstandseuropäers an komplikationen, chaos und schmuddel? "back to the roots" kann man solche touren wie im bosporus-express nicht nennen, denn jeder anfang des eisenbahnwesens war besser als das (und schlafwagen in indien sind luxus dagegen).

im grunde steckt darin die frage: warum reist man ueberhaupt? ja, was ist reisen? fuer mich ist die essenz des reisens immer die bewegung gewesen. eine permante bewegung durch fremde gegenden. das erfahren einer landschaft, im urspruenglichen sinne des wortes: "er-fahren". die permanente bewegung fordert dich heraus, mehr noch als das zurechtkommen mit einem fremden ort, an dem du dich gerade aufhältst.

die bewegung zwingt dir als reisendem ihren rhythmus auf, der sich aus der beschaffenheit des raumes ergibt: berge, fluesse, grenzen, politische komplikationen, schlechte infrastruktur, ernährung, krankheiten... es gibt keine möglichkeit zum rueckzug mehr.

der reisende wird zur schnecke, schutzlos, mit nur einer tasche als gehäuse, das er ueberall mithinschleppt, um nicht ganz nackt zu sein. es ist eine erfahrung des reduziert-seins: plötzlich gibt es nur zwei hosen und ein paar t-shirts, aber siehe da, sie genuegen. der ganze kleiderschrank zuhause ist nur notwendig, um von zeit zu zeit rollen in der gesellschaft zu spielen, rollen, die du spielen willst oder auch musst.

auf der reise hast du nur eine rolle, bis zum ende des stueckes. du musst also wacher und auch schlagfertiger sein als zuhause, weil du dich hinter keine maske zurueckziehen kannst. die kunst der reduktion ist also gleichzeitig gepaart mit einer schärfung der sinne. natuerlich ist das ein prozess und kein zustand, der sich mit der abfahrt einschalten lässt.

nun könnte man einwenden, dass diese betrachtung ja nur vom reisenden ausgeht, nicht von der fremden kultur. kann man dieser in permanenter bewegung ueberhaupt gerecht werden? geht es hier nicht nur um einen egotrip? dieser einwand, den ich so oft gehört und mit manchen freunden diskutiert habe, erscheint mir wie eine bildungsbuergerliche heuchelei. wer reist, tut das immer zuerst aus seiner eigenen neugier, seiner abenteuerlust heraus, wie kulturbeflissen dieser drang auch verbrämt sein mag.

die entscheidung des reisenden, fortzugehen und neues zu entdecken, steht immer anfang, nicht das ziel. wir reisen, weil wir lust dazu haben und nicht, weil wir eine "interkulturelle" pflicht erfuellen wollen (ja, auch hier der immer wiederkehrende, sehr deutsche gegensatz von lust und pflicht, den schon schiller so schön verspottet hat).

der zweite trugschluss ist meines erachtens der glaube, dass man einer fremden kultur ueberhaupt je gerecht werden kann, wenn man nur den bewegungsradius klein hält, sie sozusagen von einem ort aus langsam in kreisbewegungen entdeckt  - das ist schon in der eigenen kultur unmöglich. da möchte ich doch wirklich gerne mal wissen, wer glaubt, dieses gebilde "deutschland" halbwegs erfasst zu haben. ich habe im ruhrgebiet, in hessen, berlin und hamburg jahre meines lebens zugebracht, aber verstehe ich deshalb das leben in sachsen oder baden? da mag ein engländer oder spanier, der einige zeit dort zugebracht hat, mehr drueber wissen.

es gibt noch eine wichtige unterscheidung: reisen ist nicht urlaub. urlaub ist ver-reisen, aber in dem zwiespältigen wortsinn, den die vorsilbe "ver" im deutschen ausdrueckt, wie in verfallen oder verlaufen. urlaub ist, wenn ueberhaupt, die kunst der entspannung. aber letztlich  ist er nur dem effizienzwahn des modernen kapitalistischen arbeitslebens geschuldet, das keinen muessiggang im alltag mehr duldet.

reisen im sinne einer permanenten bewegung durch die fremde hat mit diesem reparaturverhalten nichts zu tun. es handelt sich um eine eigene seinsweise, den letzten rest des nomadentums, der einem westler im 20. oder 21. jahrhundert noch möglich ist. indem der reisende sich durch viele kulturen hindurchbewegt, kann er aber ausgerechnet das hypermoderne "global village" in seiner ganzen verwirrenden komplexität und vielfalt am ehesten wahrnehmen.

die kuenstliche klarheit einer "national"kultur hingegen, die der bildungsreisende erkundet, wenn er bewusst nur in ein fremdes land fährt, kann sich in ein gift verwandeln, das die köpfe vernebelt, die menschen in einer truegerischen sicherheit des verstehens wiegt und am ende doch betruegt. urlaub, bildungsreise und das nomadische reisen sind drei arten, sich in die ferne zu begeben. eine existenzielle erfahrung ist nur das nomadische reisen. die wuensche ich jedem wenigstens einmal im leben. -nbo


Ankunft
istanbul, 30.10.2004





Endlich! Das Meer, Sonne, echte warme Sonne! Jetzt ist es da, das Urlaubsgefuehl. Istanbul, eine Stadt, die man mit einem Satz ueberhaupt nicht beschreiben kann. Die Wäsche trocknet auf der Terrasse vor unserem Hotelzimmer in einer Seitenstrasse der belebten Istiklal. Im sechsten Stock, mit Terrasse. Wie zu Hause! Voll der Luxus und das fuer schlappe 40 Euro. Auf der Preisliste an der Hotelrezeption standen 100 Dollar fuer das Zimmer. Keine Ahnung, wie ich das am Telefon gemacht habe, an meinem zarten Stimmchen kann bestimmt nicht gelegen haben. Das war bestimmt die Aishe in mir, tuerkischer Basar eben. Unten zieht ne Horde jubelnder Fussballfans vorbei. Rufen sie "Pauli, Pauli"? Nein, bestimmt nicht. Vielleicht werde ich es wissen, wenn es in fuenf Tagen weitergeht. Aber erstmal ankommen! nach Diktat verreist -dwo


groove is in the heart
istanbul, 30.10.2004

samstagabend in beyoglu. menschenmassen schieben sich durch die altbauschlucht der istiklal caddesi, vorbei an unzähligen cafes, bars, buch- und CD-läden. in den seitenstrassen wird an kleinen tischen gegessen. alle paar meter ertönt ein neuer beat und wird gleich vom nächsten ueberlagert. wir steigen in einem alten treppenhaus ein paar stockwerke hoch und landen in der baraka-bar.

der DJ steht vor seinem CD-regal und greift zum nächsten hit. red hot chili peppers, dandy warhols, manu chao, deee-lite... der junge spielt gute musik. alle paar minuten kommen neue leute rein, viele gehen freudestrahlend zu seinem kleinem verschlag, begruessen ihn (freut mich besonders fuer ihn). trainingsjacken, baseballkappen, gestiefelte frauen, dreadlocks, touristen, das ganze spektrum ist da. und während ich mit woldo auf einem sofa begeistert bei bier und raki sitzgroove, denke ich, dass ich mich in den vergangenen zwei wochen nirgendwo so zuhause gefuehlt habe wie in beyoglu, dem "neuen" teil istanbuls (der hälfte nördlich des goldenen horns, einer langen bucht. tatsächlich ist dieses neu-istanbul auch schon mindestens 800 jahre alt). dasselbe volk wie bei uns, und alles so relaxed, keine genervten oder aggressiven gesichter wie etwa in bukarest.

von st. pauli oder ottensen nach istanbul ist es ein katzensprung im geiste. mag sein, dass beyoglu nicht istanbul und istanbul nicht die tuerkei ist, genausowenig wie new york die USA repräsentiert. aber es ist AUCH die tuerkei, ueber die in den letzten wochen sich die journalisten und politiker der republik so ereifert haben.

gestern war der 81. jahrestag der tuerkischen republik, doch premierminister und aussenminister waren zum ersten mal an diesem höchsten staatsfeiertag nicht auf heimischem boden - sondern in rom, wo die regierungschefs der EU und ihrer anwärter die EU-verfassung unterzeichneten. die tuerkischen zeitungen haben viel drueber geschrieben (wie in der presseschau der "turkish daily news" zu lesen). die grossen tageszeitungen haben diesen patriotischen lapsus wohlwollend kommentiert.

die tuerkei ist im aufbruch. mag istanbul auch die avantgarde sein, die richtung stimmt. beim zweiten raki - der DJ ist zu hiphop und latin beats uebergegangen - habe ich die politik hinter mir gelassen. meine gedanken kreisen um st. pauli, phiesta und die bar centrale. hier in beyoglu sind sie besonders nah. nennt es den spirit des global village - fuer mich ist das an diesem abend ein zeichen dafuer, dass es nach 9/11 noch eine maxime ausser "war on terror" und al qaidas freudlosem djihad gibt. sie lautet: "groove is in the heart." -nbo


Istanbul ist Westanbul
30.10.2004






Wer hätte das gedacht! Der europäische Teil der Stadt, nördlich des goldenen Horns, in dem wir untergekommen sind, fuehlt sich ueberhaupt gar nicht befremdlich an. Die Gerueche aus den zig Imbisskuechen, die Auslagen in den Essvitrinen, alles wohlbekannt, wenn man aus Hamburg kommt und in St.Pauli wohnt. Wer hier schnurrbärtige Manner und bekopftuchte Frauen erwartet, muss lange suchen. Nur ganz vereinzelt mal ein Ottenser Gemuesebäuerlein mit zerschlissenem Wintersakko und dem obligatorischen Erstlingswollmuetzchen auf dem Kopf.

Erstaunlich modern und vor allem mit Menschenmengen gefuellt ist die Haupteinkaufsstrasse, die Istiklal, in der man zu jeder Tages- und Nachtzeit, egal ob werktags oder am Wochenende sämtlichen kaueflichen Geluesten nachgehen kann. Unzählige Kneipen, Cafés, Restaurants, Imbisse und Geschäfte reihen sich hier in bis zu acht Stockwerken aneinander. Gelassen gehts hier zu, geradezu fröhlich, ich bin begeistert. Gegenueber unserem Hotel stehen gelangweilte Polizisten vor ihrer Wache und versuchen, ernst dreinzuschauen. Aber selbst sie scheinen darauf zu warten, mit den Vorbeigehenden ein nettes Schwätzchen halten zu können.

So modern und aufgeschlossen, wie man sich hier gibt, scheint dem Beitritt zur EU eigentlich nichts mehr im Wege zu stehen. Meine Segen haben haben sie. Aber nur unter einer Bedingung: das Fremdgehen darf nicht mehr unter Strafe gestellt werden, denn das ist ein Eingriff in die Privatsphäre eines jeden.

Tags drauf ueberqueren wir mit der Fähre den Bosporus, um uns den asiatischen Teil der Stadt anzusehen. Kaum zu glauben, dass dies eine Stadt sein soll, deren Teile man nur mit einer viertelstuendigen Bootsfahrt oder ueber die lange Bruecke erreichen kann. Wie haben sie das denn frueher gemacht, als sie technisch noch nicht so fortschrittlich waren? Kurz hinter der Kaimauer erkenne ich auch schon den entscheidenden Unterschied dieser beiden Stadtteile. Hier geht es zu, wie ich es in der gesamten Stadt erwartet hatte. Wuseliges Treiben in den engen Basarsträsschen, alles ziemlich vermuellt.
Und da sind sie dann auch endlich: die breitbeinigen Jungs mit einem Gang, als hätten sie Rasierklingen in den Achselhöhlen, das wichtigste Ausstattungsmerkmal ihres Autos die Bassbox. Kommt mir auch ziemlich bekannt vor. Und ist es nicht grossartig, dass man trotz der vermeintlichen Unterschiede keine gegenseitigen Beruehrungsängste mehr hat? Alles braucht eben seine Zeit, think global! nach Diktat verreist -dwo


snapshot #2
istanbul, 1.11.2004

an der wand hängt ein altes schwarzweissfoto der grande rue de pera. lange bevor sie zur istiklal caddesi wurde. drei brillen diskutieren mit nachdruecklichen gesten einen neuen roman, der als hardcover vor ihnen auf dem cafe-tisch liegt. eine blondierte frau mit stola-kragen und golden lackierten fingernägeln schreibt in grossen zuegen ein gedicht in ein sehr grosses heft. tom waits raunt dabei nachlässig zeilen aus dem lautsprecher. kein lachen im raum. nur gedankenschweres starren oder bedeutsames debattieren. eine zeitung kreist zwischen vier köpfen. eine literaturzeitschrift dient als beleg fuer eine aussage. die blondierte dichterin bestellt einen tee. die brillen erheben sich, und adriano celentano uebernimmt con una bella im dialog. ein junges lockenköpfchen mit gezupften augenbrauen und teddyjacke lässt sich nieder. beim bestellen blitzt sie den gut aussehenden kellner an. an der bar ruettelt ein bezopfter zum x-ten mal am fast leeren whiskeyglas. ein blues setzt ein. im raum hängen schwere fragen: wie sieht der nächste schritt im leben aus? wie muss der nächste satz lauten? es riecht intellektuell, und der blues wechselt ins aufgeregte. das ist das kaktus kahvesi in beyoglu am montagabend, in einer seitenstrasse der istiklal caddesi. -nbo


gespräch im basar
istanbul, 1.11.2004





der grosse basar in istanbul ist eine stadt in der stadt, nur komplett ueberdacht. als wir an einem kleinen platz an der hauptgasse des basars am tee nippen, tippt mich jemand von hinten an. ich drehe mich um: es ist eine ältere frau mit streng zurueckgekämmten und zusammengeknoteten haaren, schwarzer mantel, brille, schwarze stoffhose. "was fuer einen eindruck haben sie von all dem?", fragt sie mich langsam auf englisch. sie scheint aus istanbul zu kommen.

ich erzähle ihr, wie begeistert ich vor allem vom stadtteil beyoglu bin. aber damit lässt sie mich nicht entkommen. "so what?" bohrt sie. ich fahre fort, doch sie sagt immer nur, lächelnd: "so what? come on, tell me." sie nippt kurz an ihrer sprite und kramt eine zigarette aus ihrer tasche hervor. wie sich herausstellt, spricht sie auch deutsch, weil sie vor jahren in muenchen ihre doktorarbeit geschrieben hat. wir fahren auf deutsch und englisch fort. "ich fuehle mich fremd in diesem land, in meinem land", sagt sie. "ja, es macht mir angst."

ich werde neugierig. das ist mehr als freundliche konversation mit einem touristen. ich beginne, ihr fragen zu stellen. sie ist etwa 60 jahre alt, universitätsprofessorin, an welcher uni, verrät sie mir nicht. in den USA habe sie als jugendliche ebenfalls einige jahre gelebt. dann kommt sie zum kern: sie regt sich ueber die junge generation in der tuerkei auf. die denke nicht nach, ihre maxime sei nur das verkaufen. "it's all about selling." dabei muesse sich so viel ändern in diesem land. aber da muesse wohl erst eine neue generation heranwachsen. von der jetzigen sei nichts zu erwarten. sie habe nichts anderes im sinn, als im spiel des big business mitmachen zu können. das könne sie bei ihren studenten beobachten. karriere zu machen, am besten in einem der grossen internationalen konzerne. die wuerden die besten leute abwerben. aber was könnten sie ihnen geben? "nichts. sie saugen nur ihre kraft aus." ihr sohn, 24 und elektroingenieur, sei auch schon in diesem "amerikanischen spiel" gefangen. "die menschen hier sehen nicht das big picture. sie haben keine eigenen ziele", stellt sie bitter fest, ohne resigniert zu wirken.

den möglichen EU-beitritt sieht sie skeptisch: "ich kenne die europäische mentalität." die sei auch nur im business-denken verhaftet. "ist das alles, was europa uns anzubieten hat?" dann fragt sie mich: "was ist ihrer meinung nach die lösung? sehen sie eine alternative zu dieser lebensweise?" ich verstehe sie zwar, muss sie aber ehrlicherweise enttäuschen: "darauf habe ich auch keine antwort." wir sind uns einig, dass die zeit der grossen politischen gegenbewegungen vorbei ist. "vielleicht muessen wir juengeren im kleinen ganz neu anfangen, parallel zum big business", versuche ich etwas optimismus zu verbreiten. sie lacht sarkastisch: "come on!" -nbo


osteuropa-schnipsel
2.11.2004

von krakau bis istanbul nehmen die wechselkurse immer absurdere formen an: in krakau bekommt man fuer einen euro 4,6 zloty, in bratislava 40 kronen, in budapest 245 forint, in bukarest 40.000 lei und in istanbul 1,8 millionen lira. da weiss man erst mal, was man am euroland hat.

in polen werden ausländische filme im fernsehen nicht synchronisiert, noch nicht einmal untertitelt, sondern uebersprochen. ein monoton plappernder mann leiert die uebersetzung herunter, ganz egal ob gerade ein mann oder eine frau spricht. pamela anderson war also ein gelangweilter pole. drei minuten zum lachen, danach zum weinen.

in transsilvanien gibt es jede menge bären, die den rumänen langsam auf die nerven gehen, weil sie in muelltonnen am stadtrand rumstöbern. in bukarest kann man die bären essen. wir haben es in unserer fortgesetzten reihe "kulinarische experimente in aller welt" probiert. schmeckt wild, unglaublich, aber gut. man kaut etwas lange drauf rum.

zigaretten sind ueberall zum wegwerfen billig.

zugtueren in rumänien können während der fahrt offenstehen. dann hat man ja auch einen besseren blick nach draussen. und an jedem bahnhof geht ein bahnhofsmensch mit einem hammer rum und klopft an die räder. sucht der blinde passagiere?

in osteuropa geht ohne zugreservierung nix. in polen handelt es sich aber nicht etwa um buerokratie. als wir hinter der grenze nach unserer reservierung gefragt wurden und verneinten, stellte uns der polnische schaffner eine aus: ueber null zloty. "das ist wichtig, damit genug tee oder kaffee fuer alle reisenden an bord ist, den gibt es nämlich umsonst", klärte uns eine polin auf. und ihr reisebegleiter fuegte nicht ohne leisen spott ueber die skeptischen deutschen hinzu: "so sind die polen."

während es in bratislava keine trendglatzen gab, sahen wir in budapest zur begruessung schon bei der ankunft am bahnhof welche.

die rumänischen banknoten bestehen irgendwie aus plastik. in jedem schein ist ein loch, das mit transparenten plastik gefuellt ist, und die scheine reissen nicht wie papier, sondern eher wie plastikbecher.

nirgendwo hängen so viele EU-flaggen an öffentlichen gebäuden und hotels wie in rumänien. dabei tritt es erst 2007 bei.

die zuege in rumänien waren puenktlicher als die in deutschland. und die tuerkischen fernbusse ebenfalls. ueberhaupt ist das strassennetz und das bussystem in der tuerkei schwer beeindruckend.

in rumänischen kneipen muss man wein als ganze flasche bestellen. gläser wein gibt es so gut wie nicht.

die ampelmännchen sehen ueberall anders aus. wir haben sie deshalb fotografiert und werden sie präsentieren, wenn wir wieder da sind.


Im Bus
Zwischen Istanbul und Göreme, 2.11.2004

Um halb neun abends soll es losgehen, mit dem Bus von Istanbul nach Göreme, in der Mitte Anatoliens. Wir verschlendern noch den Tag in Aussuellungen und Cafes und gehen dann samt unseres Gepäcks zum Ticket Office, von dem uns ein Mini Bus zum Busbahnhof bringt. Vorher schenke ich noch einem auf der Strasse zu Liegen gekommenen Obdachlosen meine Regenjacke, die ich ja nun hoffentlich nicht mehr brauchen werde.

Der Busbahnhof ist fuer Istanbul ungefähr das, was fuer Frankfurt der Flughafen ist. Eine unueberschaubare dreigeschossige Bausuende aus den fruehen 70igern. Im Bus sitzen wir gerade erst auf unseren Plätzen, als sich auch schon die Frau vor mir samt Sitz gemuetlich in die waagerechte Schräglage bringt, um nichts anders zu tun, als genuesslich auf zwei Sitze ausgestreckt ihre Zeitung zu lesen. Es gibt eben immer Menschen die meinen, allein auf der Welt zu sein. Mein Buch eingeklemmt zwischen Brust und Vordersitz fange ich wie ein Rohrspatz an zu schimpfen, natuerlich auf deutsch.

Als ich frage, ob wohl noch mehr Leute kommen, antwortet nicht Niels, sondern meine Vorderfrau: "Kann sein, ist noch nicht klar.", natuerlich auf deutsch. Ich schäme mich ob meiner Flueche tief in meinen Sitz. Na prima, 11 Stunden Schämen. Aber zum Glueck wird ja zwischendurch auch mal geschlafen. Lektion #1: Fluche nie in der Fremde, denn man könnte dich verstehen! nach Diktat verreist -dwo


in asien
göreme, 3.11.2004






um 6 h morgens öffne ich im sitz unseres nachtbusses die augen. hinter einer bergkette am horizont leuchtet rot der himmel, die sonne ist noch nicht aufgegangen. auf der leeren strasse gleitet der bus geradezu ueber die weite baumlose landschaft in den morgen hinein. diese leere ringsum, diese herrliche leere. keine häuser, keine dörfer, nichts. wir sind endlich in asien.

als wir zweieinhalb stunden später in göreme in kappadokien (zentraltuerkei) ankommen, finden wir uns in lummerland wieder. so phantastisch sehen die tuffsteinkegel in dem weiten tal aus. ich wuerde mich nicht wundern, wenn plötzlich herr turtur, der scheinriese aus "jim knopf", hinter einem dieser seltsam phallischen felsgebilde hervorträte. bei näherem hinsehen sind sie alle durchlöchert wie gigantische sandburgen, in die kinder zu viele tunneleingänge gegraben haben. es sind verlassene höhlenwohnungen, eingänge zu versteckten kirchen und taubenschläge (in dem guano fuer naturduenger gewonnen wird). nach fuenf städten in zweieinhalb wochen beruhigt diese surrealistische landschaft die sinne ungemein. erst recht nach dem treiben in istanbul. -nbo

In Göreme erwartet uns Postkartenwetter. Strahlend blauer Himmel bei angenehmen 20 Grad. An dem etwas ueberdimensionierten Busbahnhof lässt sich unschwer erkennen, was hier in der Hochsaison los sein muss. Diverse Reihen Miet-Vespas und einige Fun-cars stehen jetzt nur noch gelangweilt am Strassenrand. Und in der Tat, dieser Ort hat allerhand zu bieten. Dass sie hier allerdings Teile von Star wars gedreht haben, ist nur ein Bär, den sie den Touristen aufbinden, wie wir am nächsten Tag von unserem schwer gesprächigen Guide erfahren.

Nachdem wir am ersten Tag die spacige Landschaft noch auf eigene Faust erkundet haben, haben wir fuer den zweiten eine ausgedehnte Tor zu den entlegeneren Schauplätzen, wie z.B. eine 54 meter tiefe unterirdische Stadt und den 140 km suedlicheren Canyon gebucht. Nach einem 8-stuendigem Hör- und Seherlebnis habe ich eine audiovisuelle Magenerweiterung und schlafe auf dem Ruecksitz des Wagens ein. Ich kann nicht mehr, die totale Übersättigung. Göreme ist zwar eine Travellerhochburg, wo sich abends in den Restaurants die Rucksäcke mit ihren beeindruckensten Reisegeschichten gegenseitig zu ueberbieten versuchen, aber es ist auf jeden Fall ein sehr abgefahrenes Fleckchen Erde, das ich hier ueberhaupt nicht erwartet hätte. nach Diktat vereist --dwo


gespräch im auto
göreme, 4.11.2004

tourguides sind an sich eine wenig geachtete spezies. meist erzählen sie nur das offensichtliceh oder repetieren den bodensatz des wissens, der sich in besseren reisehandbuechern findet. als quelle fuer interessante einblicke in eine kultur sind sie nicht zu gebrauchen. aber es gibt ausnahmen. unser guide bora bilen ist eine davon.

der mann (ende 20) tritt in abgewetzten trendjeans und mit ungewöhnlichem after-shave auf den plan (eine tour zu einer unterirdischen stadt von christen aus dem 6./7. jahrhundert). dann beginnt er zu erzählen - und hört den rest des tages nicht mehr auf. er, der geschichte studiert hat und das politische zeitgeschehen regelrecht aufzusaugen scheint (nebenbei, er ist staatlich lizenzierter guide), entpuppt sich als origineller, mitunter provokativer kopf, der einen gewissen kemalistischen nationalstolz nicht verbergen kann und will.

während er am lenkrad sitzt, lässt er permanent osmanische militärmärsche laufen. die hielten ihn beim fahren wach, sagt er. und während er bei seinem vortrag mit einigen "touristischen luegen" aufräumt und stattdessen mit liebe zum detail die geschichte der unterirdischen städte erläutert, erklärt er uns nebenbei seine sicht der welt. well, hier ein paar beispiele.

zum irakkrieg, von dem er nichts hält: es sei klar, warum deutschland, frankreich und russland nicht mitgemacht hätten. alle drei hätten seit langem die UN-sanktionen gegen saddam husseins regime unterlaufen und- anders als die USA - in den letzten jahren florierende wirtschaftsbeziehungen zu saddam aufgebaut. die wollten sie sich nicht kaputt machen, und nur deshalb hätten sie george bush einen korb gegeben.

zum EU-beitritt der tuerkei: fuer ihn gebe es keinen grund, die tuerkei nicht aufzunehmen. nur faule ausreden seitens der europäer. doch der zug sei eigentlich abgefahren. die tuerken seien zu lange, seit den 60er,n von den europäern an der nase rumgefuehrt worden. und fuer die tuerkei lohne sich die EU auch gar nicht mehr. "der europäische basar ist voll." was solle die tuerkei dort verkaufen? die zukunft sei ein buendnis mit russland. dort könne man den russischen basar noch mit tuerkischer wirtschaftspower ("10 prozent wirtschaftswachstum letztes jahr, mehr als china!" sagt er) noch aufbauen.

zum genozid der tuerken an den armeniern in den 20ern: als das osmanische reich nach dem ersten weltkrieg zerfiel, hätten die europäer auch das gebiet der heutigen tuerkei unter sich aufteilen wollen, mit istanbul als internationaler stadt. und während atatuerks armee an vielen fronten um die unabhängigkeit der tuerkei kämpfte, hätten die griechischen und armenischen christen in anatolien die dortige zivilbevölkerung massakriert. als die tuerkische armee an den aussengrenzen gesiegt hatte, habe sie eben die brutalen griechen und armenier aus dem land geschmissen. er wolle die tuerkische politik der vergangenheit nicht schönreden, aber der begriff "genozid" passe hier nicht. das sei ein buergerkrieg gewesen und kein staatlich geplanter mord an den armeniern.

zu den tuerken in deutschland: die möge in der tuerkei keiner. das seien alles angeber, die nur kommen, um ihren mercedes zu zeigen. im grunde der unqualifizierteste teil der tuerkischen bevölkerung, der hier niemandem fehle. natuerlich hatte er auch noch ein paar leichte verschwörungstheorien zu anderen heissen eisen der weltpolitik parat, aber die trug er sehr intelligent vor. wenn einer von euch mal nach kappadokien kommt, macht eine tour mit ihm. es ist keine sekunde langweilig (kontaktdaten folgen noch). -nbo


doch ein kulturschock
aleppo, 5.11.2004

heute sind wir in der arabischen welt angekommen. im so genannten nahen osten. ich dachte, ich sei von indien und suedostasien schon viel gewusel gewohnt. aber der abendliche aufruhr in der innenstadt von allepo (im norden von syrien, zweitgrösste stadt) haut woldo und mich nach einem tag im bus voll um.

schon der grenzuebertritt kurz zuvor war wie eine symbolische zäsur. nachdem wir am tuerkischen grenzposten unseren ausreisestempel bekommen haben, wollen wir weiter zum syrischen laufen. geht nicht: verboten. so sitzen wir rauchend im transit auf einem mäuerchen und warten auf einen wagen, der uns mitnehmen könnte (weil es nachmittags keinen direkten bus von antakya nach aleppo mehr gibt, sind wir auf eigene faust mit einem minibus an die grenze gefahren). gestrandet auf einem leeren parkplatz.

nach einiger zeit hält ein syrisches taxi. fuer 30 dollar könnten wir mit nach aleppo. wir winken ab, zu teuer. der fahrer geht mit dem preis runter: 20 dollar. nun stehen drei araber um uns herum und versuchen uns klarzumachen, dass am abend vom syrischen grenzposten nichts mehr nach aleppo fährt. "minibus finished". es ist dunkel. das war's dann mit unserer improvisation. wir steigen ein und passieren mit unserem visum erstaunlich schnell den grenzposten.

nur 50 kilometer sind es dann bis aleppo, aber es ist, als ob man in einer anderen welt ankommt. auf den strassen dominieren die männer, manche in kaftanen und sogar mit beduinentuechern auf dem kopf. frauen ohne kopftuch kann man an beiden händen abzählen. viele laufen in den traditionellen schwarzen gewändern herum, bei einigen sieht man nur noch die augen (aber manchmal mit sorgfältig gezupften augenbrauen).

ich fuehle mich als analphabet. nicht nur sind alle schilder in arabischer schrift, sondern auch die zahlen in arabischen ziffern geschrieben. menschenmassen schieben sich an diesem freitagabend, der ja unserem sonntag entspricht, durch eine enge fussgängerzone. körper an körper, es ist fast kein durchkommen. verkäufer schreien, neonlichter blinken. alles ist anders. aber irgendwie atemberaubend. jetzt beginnt das abenteuer "no sleep till kapstadt". die letzten drei wochen waren dagegen nur eine aufwärmuebung. -nbo


naher ostblock
aleppo, 6.11.2004




das ist also das vielgepriesene aleppo, die stadt an der seidenstrasse, das tor der mediterranen welt nach asien. bei tageslicht, und das ist nicht viel an diesem grauen tag, sieht es mehr nach 40 jahren arabischer staatswirtschaft aus. die alten häuser in der innenstadt sind von einer russschicht ueberzogen. am strassenrand weht muell hin und her. die hälfte des verkehrs sind taxis. autos sind so unerschwinglich wie einst im ostblock: sogar fuer einen lada muss man 20.000 euro hinblättern, wie wir von einem taxifahrer hören.

und dumm, dass heute feiertag ist. wir haben nur das bisschen geld, dass uns der pfiffige typ vom hotel geliehen hat. in der einzigen bank, die wir finden - natuerlich eine staatliche syrische bank -, ist zwar betrieb, aber geld wird hier heute nicht gewechselt. ein bankmensch schickt uns zu einem exchange am al-jabri-platz, aber da ist keiner. nach einer dreiviertel stunde versuchen wir unser glueck im hotel baron, einem bau mit dem flair vergangener zeiten.
mr. walid geleitet uns angesichts der devisen strahlend zu den sofas in der lounge, als wir geld wechseln wollen (das ist privat eigentlich verboten - ähnlich wie frueher im ostblock, immerhin können die syrer bei ihrer bank devisen bekommen). er gibt uns einen guenstigen kurs und will uns auch gleich noch eine taxifahrt nach beirut verkaufen. 100 dollar sind aber etwas tough. denken sie darueber nach, sagt er, kommen sie doch heute abend in die bar. kein problem, es ist ja die einzig brauchbare in ganz aleppo.

nach drei stunden im gewusel der souqs gehen wir erst mal zurueck in den innenhof des hotels. der einzige öffentliche raum in dieser stadt, an dem man mal einfach sein kann, sind offenbar die kaffeehäuser. fuer frauen gilt: "wir muessen draussen bleiben". super idee.

im hotel schlage ich die "syria times" auf und staune nicht schlecht: eine ganze seite widmet das blatt einer unglaublichen hetztirade gegen isräl. da wird tatsächlich das angebliche "protokoll der weisen von zion" als quasi wissenschaftlicher beleg fuer die weltherschaftspläne der juden zitiert. dabei ist seit hundert jahren bekannt, dass dies eine fälschung war, die antisemiten den juden in die schuhe schoben, um ihre politik zu rechtfertigen. echt harter stoff. -nbo


Im Land der dicken Taube
aleppo, 6.11.2004

Ich bin nun wahrlich keine Frauenrechtlerin, aber was ich hier sehe, geht mir zu weit, und zwar eindeutig. Mein anfängliches Staunen ueber die strikte Befolgung der Verhuellung weicht einer immer stärker werdenden stillen Aggression, denn eine Provokation wuerde hier sowieso keiner verstehen.

Trotzdem ich meinen Kopf aus Respekt gegenueber der anderen Kultur mit einem Nickituch bedeckt halte, werde ich behandelt wie Dreck. Ach nicht mal das, eher wie Luft. Mir werden mit direktem Blickkontakt Tueren in die Rippen gestossen und auf dem Buergersteig nicht nur einmal die Ellenbogen von den gerade mal schulterhohen Arabern in den Busen gerammt. Mit Beruehrung scheinen sie hier keine Probleme zu haben. Sie geifern mich unverholen an, denn meine Kinnpartie samt Nase ist zu sehen. Sogar begrabbelt werde ich hinterruecks, mir schwillt der Kamm!

Schon die These "Die Frau gehört an den Herd" finde ich bestreitbar. Aber "Die Frau gehört an den Herd und in den Sack" ist fuer mich eine eindeutige Verletzung der Menschenwuerde. Nur damit ausserhalb der eigenen vier Wände kein anderer Mann sie zu Gesicht bekommen soll.

Was soll das? Um dadurch die soziale Ordnung zu befrieden, weil Mann sein Geschlechtsteil nicht im Griff hat? Ja laufen denn bei uns ständig alle mit einer Dauererektion herum? Und warum muss diese Unfähigkeit dann auf dem Ruecken oder besser gesagt dem Kopf der Frau ausgetragen werden? Wenn Frau das Haus verlässt, hat sie sich zu verschleiern mit trostlosem Schwarz, manchmal sogar komplett wie Huibuh das Schlossgespenst, so dass man nicht mehr weiss, ob sie gerade mit dem Ruecken oder dem Gesicht zu einem steht.

Bei einer Teilglatze, einer Gesichtsrose oder ähnlich Störendem kann diese Maskerade vielleicht von Vorteil sein, aber wenn eine Gesellschaft es Frauen von vorne herein vorschreibt, empfinde ich das als einen massiven Eingriff in ihre Persönlichkeit. Und dieselben Männer, die von ihren Frauen das strikte Befolgen des Vermummungsgebotes verlangen, geilen sich an den blonden Bikinischönheiten auf, die auf den Fernsehern der Restauraunts als Dauerberieselung in Musik-Clips zu sehen sind. Beschissene Doppelmoral.

Aber was ist mit den jungen Frauen? Verhängen sie sich, um dadurch bessere berufliche Möglichkeiten zu haben? Um Reibungsverluste mit Familie oder Chef zu vermeiden? Ich nenne das opportun und den Weg des geringsten Widerstandes. Vielleicht tun sie sich irgendwann einmal zusammen und hauen ordentlich auf den Putz. Die weiblichen Generationen nach ihnen werden es ihnen danken. Wahrscheinlich muss man sein Leben hier verbracht haben, um diese Ungerechtigkeit und diesen Mummenschanz zu verstehen. Ich jedenfall bin heilfroh, dass meine Seele in die westliche Kultur hineingeboren wurde! nach Diktat verreist -dwo


tarantino mit hommus
beirut, 7.11.2004





was ist hier los? abends auf der autobahn von tripoli (nordlibanon) nach beirut kommen wir aus dem staunen nicht mehr raus: casinos, nagelneue hotels, drive-ins, ein bombardement von leuchtreklamen und werbetafeln am strassenrand... kaum zu glauben, dass wir noch kurz vor tripoli an erbärmlichen siedlungen aus plastikplanenhuetten vorbeigefahren sind. es ist fast so, als ob man nach las vegas kommt.

vom busbahnhof nehmen wir ein taxi in den stadtteil ain mriesse. das hotel, in dem wir dort absteigen, könnte direkt aus einem tarantino-film stammen. ein heruntergekommener 60er-jahre-bau, der irgendwie den buergerkrieg ueberlebt hat. in der lobby rauchen drei arabische slacker wasserpfeifen. sie schmeissen den laden. die zimmer sind angeschmuddelt. aber bei 20 euro pro nacht und dieser terrasse mit blick aufs meer will man sich nicht beklagen, nicht in einer stadt, in der sich alles nur ums geld verdienen und wieder ausgeben dreht.

auf der suche nach etwas essbarem ziehen wir noch um zehn los, nach hamra, ins geschäftsviertel. aber sonntagabend ist die stadt schon nach hause gegangen. so lassen wir uns an einem tischchen beim imbiss "roi des frites" nieder, wo die letzten versprengten auf dem buergersteig ein nachtmahl zu sich nehmen. es ist lau wie im sommer. das essen ist erstaunlich gut: hommus, chicken shawarma mit zimt gewuerzt, ein libanesischer salat. als ich einen der frittenkönige frage, was fuer ein paste er da auf dem riesigen crepe-ofen auf den brotfladen schmiert, bekomme ich kurzerhand solch ein "sate" geschenkt. die paste besteht aus öl, sesam und jeder menge gewuerzen. lecker, aber so intensiv, als wuerde man in eine zeder beissen (den libanesischen nationalbaum). ich bin pappsatt, aber tapfer esse ich das geschenk auf.

es ist schon erstaunlich: die araber, wie wir sie in den letzten drei tagen kennengelernt haben, sind unglaublich freundlich. keine verschlossenen gesichter, immer ein lächeln parat, manchmal gar eine kleine aufmerksamkeit. das fing im taxi nach aleppo an, als einer der jungen typen uns ein fläschchen mangosaft aus dem tankstellenstop schenkte. der alte am saftstand in aleppo, bei dem wir jeden morgen frisch gepressten mandarinensaft getrunken haben, schob uns mit breitem grinsen geschnittene apfelstueckchen zu, nachdem ich mit hilfe meines arabischbuechleins "der saft ist sehr gut" auf arabisch radebrecht hatte. und walid im hotel baron bestand darauf, dass wir unser bier und unseren arak nicht bezahlen. er habe uns ja schliesslich am morgen eingeladen, sagt er lächelnd. und das, obwohl er mit uns nicht ins geschäft gekommen war. was fuer ein unterschied zur tuerkei, wo die leute im vergleich distanzierter waren (trotz tuerkisch-radebrechen meinerseits).

in beirut wird mir auch zum ersten mal klar, dass wir schon ein gutes stueck unserer strecke zurueckgelegt haben. "beirut", das hatte in den 80ern denselben klang wie heute "irak" - das pure chaos. dabei ist es nur am mittelmeer. aber die gefuehlte entfernung nach beirut ist immer noch grösser als etwa nach new york. -nbo


beirut - opening soon
8.11.2004





als wir aus dem fenster schauen, sehen wir zum ersten mal diese verrueckte stadt bei tageslicht. die häuser sind angegammelt oder verfallen, fenster starren wie leere augenhöhlen aus den fassaden. in einem hochhaus klaffen noch riesige löcher, die einst granaten hineingerissen haben. dazwischen liegen immer wieder brachflächen, auf denen zumindest der schutt weggekehrt worden ist. aber schon ragen die ersten bankentuerme in den himmel. zwei strassen weiter hat das radisson hotel aufgemacht. wohin wir auch schauen, ueberall recken sich baukräne, gähnen gigantische baugruben. an der palmengesäumten uferpromenade entsteht gerade das hilton beirut: "opening soon", das motto der stadt, das uns auf bauzäunen, an zugeklebten schaufenstern und von werbewänden permanent entgegenschlägt.

beirut: das ist eine mischung aus cannes, LA und dem berlin-mitte der fruehen 90er. die stadt schickt sich an, wieder die handelsmetropole des mittelmeeres im nahen osten zu werden, die sie vor dem buergerkrieg einmal war. beirut means business. was sonst, wenn man kein öl, keine rohstoffe hat und auch nichts fuer den weltmarkt produziert? da passt es exakt, dass unser junger "hotelmanager" - mit polohemd, verwaschenen jeans und baseballkappe, der alte "clerk" - sagt, unter den arabischen städten finde er neben beirut nur dubai gut, diese hyperstadt am golf. hier gelten arabisch, französisch und englisch gleichermassen. durch die strassen rollen luxuskarren und SUVs. geld, party, alkohol, frauen, die keinen fetzen stoff zuviel tragen, all das ist auch beirut.

fuer islamisten muss es ein verhasstes suendenbabel sein. junge araber aus anderen ländern scheint es anzuziehen. im nebenzimmer logiert ein sehr freundliches paar aus damaskus, sie aufgedonnert bis zum abwinken. ob sie in damaskus auch so rumläuft? es scheint, als wuerden die beiden hier ihren honeymoon verbringen. drei tage im teuren beirut können sie sich leisten. noch ist der libanesische traum fragil. vor macdonalds an der corniche, der uferpromenade, schieben soldaten wache. einer ruht sich auf den knien der ronald-mcdonald-figur aus, die auf einer bank sitzt. auch sonst sieht man ueberall militär, im neu aufgebauten zentrum, ueber dessen retroarchitektur ein hauch von truman show liegt, oder im geschäftigen hamra. ich bin optimistisch: in zehn jahren wird beirut "die stadt" im nahen osten sein. -nbo


snapshot #3
beirut, 8.11.2004





"1975". das jahr, als der krieg begann - und die bar, in der der krieg weggetrunken wird. auf sandsäcken in nato-oliv geluemmelt, trinken beiruter hipster cocktails oder ziehen an der wasserpfeife. an der decke hängt ein tarnnetz, der helle putz ueber den sandsäcken ist zerschossen. darueber ist ein arabisches graffitti gesprueht. der smarte barmann bedient in felduniform mit käppi auf dem kurzgeschorenen kopf. sein kinnbart lässt ihn wie eine drahtige junge ausgabe von fidel castro erscheinen. ein dicker, offensichtlich wichtiger typ tritt in den sandsack-kral. drei mädels springen sofort auf und begruessen ihn mit kuesschen. der kerl lässt sich neben der huebschesten nieder. die beiden stossen an. dann fängt er langsam an, sie zu befummeln. immer ein bisschen mehr. streichelt ihren bauchnabel, der zwischen den engen jeans und ihrem miederartigen oberteil hervorlukt. sie hält ihn auf distanz, aber wehrt sich auch nicht. gegenueber spielen zwei typen backgammon. der eine mit trendglatze. alles wie in st. pauli. die musik ist eine mischung aus arabischem pop und ambient funk. der wichtige geht in die offensive, versucht die schöne zu knutschen. sie weist ihn vorsichtig ab und schielt dabei aus den augenwinkeln zu herueber. was sollen wir bloss denken? der dicke ist so was von geil, es ist kaum zu glauben. das ende verpassen wir leider, weil wir dann doch gehen. -nbo


morgens in beirut
9.11.2004





auf drei spuren braust der morgenverkehr aus der corniche zwischen zerschossenen häusern durch die rue 61 richtung downtown. autos wechseln hupend die spur, um schneller durchs niemandsland zu kommen. aus dem mit brettern verschlagenen erdgeschoss eines abbruchreifen hotels quillt der geruch von scheisse. in einem muellhaufen daneben ein rascheln. suesslicher dunst steigt auf. ich wechsle die strassenseite, passiere den strom der fahrzeuge wie einen reissenden fluss, steuere auf ein kleines rotverputztes haus zu. das einzige, das nicht vergammelt ist.

ich betrete die "cafeteria nesreen altorous" im erdgeschoss. ein kleiner schmuddeliger laden, der kaffee, zeitungen, getränke und unmengen von chipstueten verkauft. zwei männer sitzen im halbdunkel vor einer leeren kuehltruhe und rauchen schweigend. der eine starrt auf den verkehr draussen, der gedankenverloren auf die coladosen im kuehlschrank. ich bestelle einen kaffee. der mann hinter der alten italienischen espressomaschine zieht daraufhin an einem langen hebel. es ist fast körperliche arbeit. dann reicht er mir einen kleinen braunen plastikbecher. der espresso schmeckt phantastisch.

alle zwei, drei minuten fährt ein wagen vor. es geht um den kaffee. ein junge in einem orange kittel nimmt die bestellung durchs beifahrerfenster auf, reicht augenblicke später einen becher, eine zeitung herein. ganz beirut hält an dem kleinen roten bau: ein geschäftsmann im dicken BMW, der drinnen stehend ein stueck kuchen runterschlingt, ein arbeiter in verschmiertem overall, der zigaretten kauft. zerbeulte taxen machen kurz pause, bevor sie sich ins tagesgeschäft stuerzen. auf dem buergersteig diskutieren zwei männer am nescafe nippend und beobachten den verkehr. ein wagen hält, ein gruss, einige worte durchs geöffnete fenster und weg ist er wieder. ich bestelle noch einen saft, und der junge im orange kittel beginnt, hinter der leeren kuehltruhe orangen auszupressen. die beiden männer davor sprechen noch immer kein wort miteinander. -nbo


clerks, libanesisch
beirut, 9.11.2004





ein paar worte möchte ich doch noch ueber unser tarantino-hotel verlieren. und ueber die drei "clerks", die den laden schmeissen. als wir ankommen, ist das bad verkalkt. im abfluss der badewanne eine ganze peruecke. handtuecher gibt es nicht. ich geh also nach unten, um den sympathischen slacker (sprich: den "hotelmanager") um zwei zu bitten. er ruft in einen gesichtslosen raum neben dem foyer.

ein gelangweilter scherge kommt raus. anweisungen auf arabisch. der scherge bringt zwei graue handtuecher. ein grau, das nicht etwa vom hersteller so gedacht war, sondern eines, das nach hunderttausend waschgängen uebrig bleibt. der scherge fährt mit mir im fahrstuhl nach oben. was soll das, die handtuecher kann ich doch selbst hochbringen. dann steht er bei uns im zimmer und murmelt "bakshish". na klar. habe ich nicht. er zieht genervt ab. als ich kurze zeit später mit bierdosen wiederkomme (aus einem laden, in dem ein unikum residiert, typ verfetteter senator aus dem alten rom), gibt es keine gläser im zimmer. ich wieder runter. zwei gläser? anweisungen auf arabisch. der scherge steht augenrollend auf, während der slacker und ein dritter genuesslich weiter an der wasserpfeife ziehen.

die drei jungs verbringen offenbar jeden tag 24 stunden im foyer. morgens pennen sie auf dem sofa. ab 12 geht der fernseher an, natuerlich mit satellitenfernsehen, dass sie uns auf dem zimmer vorenthalten. um zwei wird der scherge falafel holen geschickt, dann essen die drei. spätestens um sechs wird die wasserpfeife vor dem sofa aufgebaut, den fernseher immer im blick. um zwölf oder eins nachts ist der slacker nur noch imstande, einem mit glasigem blick ein freundliches "goodnight" zu wuenschen. dann ist auch schon wieder ein tag rum. am nächsten morgen druecken ein paar abreisende gäste ihr geld ab, und dann geht es nicht etwa ans putzen, sondern vor den fernseher im foyer. ein neuer tag beginnt im hotel regis. was fuer ein leben. -nbo


in der moschee
damaskus, 11.11.2004





ich bin noch nie in einer moschee gewesen. die erste ist die omayyaden-moschee in damaskus. viertheiligste stätte des islam (nach mekka, medina und dem felsendom in jerusalem). ich muss sagen, ein guter ort. im innern ist alles mit dicken teppichen ausgelegt. kronleuchter hängen von der decke. einige beten. andere halten ein nickerchen oder diskutieren leise. ein hort der ruhe und kontemplation in der brodelnden unruhe einer arabischen grossstadt. aber viel ungezwungener als in einer kirche, und nicht so feierlich wie in einem buddhistischen tempel.

die moschee ist der öffentliche raum der stadt, den ich sonst so vermisse. keiner schaut einen komisch an, wenn man als offensichtlicher nicht-moslem hier ist. man kann das nicht laut genug sagen in dieser vergifteten zeit, in der der islam unter generalverdacht steht.

ich will auch nichts schönreden: der islam hat natuerlich ein elitäres selbstbild. in istanbul habe ich mir den koran auf deutsch als reclam-ausgabe gekauft. wann, wenn nicht jetzt, einen blick in das "buch der buecher", wie es die araber sehen, hineinwerfen? weil der islam nicht von philosophen und dichtern erdacht wurde, sondern als gottes unmittelbares wort gilt, ist er nur in der arabischen originalfassung "der" koran, sagen die islamischen theologen. unuebersetzbar. gott hat zur menschheit auf arabisch gesprochen. alle uebersetzungen sind nur annäherungen. historische textkritik ist nicht nur ueberfluessig, sondern auch sinnlos. als rationaler westler, der ich nun mal bin, erst recht als aus der kirche ausgetretener katholik, kann ich das nicht akzeptieren. muss es als absurd zurueckweisen.

sei's drum: die omayyaden-moschee gefällt mir. ihre atmosphäre. der islam k a n n auch sehr tolerant sein, sehe ich. die militanten sind nicht alles. es ist uebrigens bemerkenswert, dass im osmanischen reich jahrhundertelang echte religiöse toleranz herrschte, als in europa, etwa in der bartholomäus-nacht in frankreich, protestanten (hugenotten) abgeschlachtet wurden. der islam ist widerspruechlich, keine frage. aber mit einerm einfachen schwarzweissraster nicht zu ergruenden. woldos zorn auf die missachtung der frau ist allerdings völlig gerechtfertigt. aber diese ist nur ein teil des puzzles. -nbo


Captainsdinner auf der "MS Damaskus"
11.11.2004





Rosa Tischdeckchen im vorderen Teil des Glaspavillons, der restliche Bereich in feinem Leinen mit Bluemchendekor auf jedem Tisch. Eine Athmosphäre wie auf dem Traumschiff. Dezente Piano-Konservenmusik rieselt aus den Lautsprechern. Der Maitre de nimmt die Bestellung auf und sofort huepft einer der zehn befrackten Helferlein herbei und beglueckt uns mit den Vorspeisen. Frische Radieschen, Minze, Karotten und Oliven. Bis auf unseren Nachbartisch ist der Laden menschenleer.

Die Belegschaft steht vor dem obligatorischen Deckenfernseher und starrt gespannt auf einen Bericht ueber Arafats Aggregatszustand. Leichter, duftiger Safranreis, elegant gewuerzt mit Kardamom, Rosinen und Mandeln wird gereicht, dazu ein Huhn, das bei der ersten Beruehrung mit der Gabel vom Knochen fällt. Auf dem anderen Teller gebratene Lammkoteletts, die Masstäbe setzen, Möhrchen, Bohnen und Schmorkartöffelchen, die ihresgleichen suchen. Währenddessen immerzu Richard Clayderman, jetzt eine Variation von Bryan Adams "Everything I do".

Zum Abschluss  eine dezent mit Rosenwasser abgerundete Pudding-Nachspeise unter einer Pistazien-Nusshaube, dazu arabischer Kaffee mit Kardamom. Opulente Obstteller kreisen. Das alles bekommt man, wenn man in Damaskus einmal stolze acht Euro auf den Kopf haut. Der Maitre de, der sein Gesicht nur ein einziges Mal zu einem Niessen verzogen hat, wuenscht uns eine gute Nacht. Wir gehen von Bord des Restaurants Al Kamal, hinaus in die Fluen der syrischen Grossstadt. nach Diktat verreist -dwo


hopper in syrien
damaskus, 12.11.2004

es ist schwer genug, in syrien eine bar zu finden, in der man beim bier alles entspannt sacken lassen kann. am märtyrerplatz in damaskus gibt es immerhin die karnak-bar. was fuer ein ort. das ambiente hat wahren ostblockcharme. hier sitzen die anonymen alkoholiker der stadt. an einzelnen tischen sitzen ernste, schweigsame männer. schauen rauchend auf den märtyrerplatz und nehmen einen schluck aus dem whiskeyglas. mindestens drei haben einen gläsernen flachmann auf dem tisch stehen. vor anderen reihen sich leere bierflaschen, während sie geistesabwesend ihr brot ins hommus tunken. der kellner ist total gelangweilt, der raum von grellen neonröhren erleuchtet. es ist sozusagen die damaszener variante von edward hoppers beruehmtem bild "nighthawks". -nbo


service-taxi
zwischen damaskus und amman, 12.11.2004

die fahrten werden langsam immer abenteuerlicher. weil täglich nur zwei busse von damaskus nach amman (jordanien) fahren, wollen wir ein service-taxi nehmen. das sind langstreckentaxis mit 4 bis 5 passagieren, aber nicht sehr teuer. am baramke bus terminal in damaskus kommt es beinahe zur schlägerei wegen uns. 10, 11 taxen warten.

als wir das tor passieren, sind wir sofort von einem haufen männer umringt, die uns ihren fahrpreis auf arabisch entgegenschreien. als wir uns fuer einen entschieden haben, kommt ein anderer auf uns zu und erklärt, er sei "no. 1" in der warteschlange. sieht ganz vernuenftig aus, der typ. also geben wir ihm unsere pässe fuer die polizeiregistrierung (in syrien an jedem busbahnhof obligatorisch) und packen unsere rucksäcke in seinen kofferraum. drei minuten später wuestes geschrei. unser taxifahrer und der, zu dem wir zuerst wollten, fassen sich am kragen, umringt von anderen.

irgendeiner kommt und sagt "change taxi". wie jetzt? nach kurzem zögern holen wir wieder unser gepäck aus dem kofferraum. also gut, dann fahren wir eben mit dem anderen. es geht los. nach fuenf minuten hält unser neuer fahrer mitten auf einer dreispurigen ausfallstrasse. natuerlich auf der mittleren spur. eine hand am handy, rennt er zum kofferraum. dann reisst er die tuer auf und ruft "change taxi". aha. hinter unserem wagen hat ein anderes taxi gehalten, in das wir ratlos umsteigen. dann geht es endlich raus aus der stadt. eine stunde später halten wir wieder, am rande der autobahn, wo ein älterer mann wartet. der junge steigt aus, der ältere uebernimmt das steuer. wir quittieren es nur noch mit achselzuckend. zweieinhalb stunden später sind wir wohlbehalten in amman. -nbo


eine "stadt"
amman, 12.11.2004





was fuer eine farce von einer stadt. stellt euch zehn huegel in einer steinwueste vor mit engen tälern dazwischen, und dann lässt jemand häuser vom himmel regnen. plötzlich sind die huegel und täler völlig regellos mit häusern bedeckt. ein zentrum ist nicht zu erkennen. also zeigt der allmächtige mit dem finger auf irgendein tal und sagt: "downtown". so muss amman entstanden sein. hässlich, dreckig, stickig, eng, unueberschaubar, mir fallen gar nicht genug schlechte eigenschaften ein.

wir bleiben nur eine nacht. nicht ohne eine weitere farce namens "irish pub" am ende der stadt besucht zu haben. eigentlich wollten wir uns eine entschädigung fuer unser hotel gönnen, das vor vier jahren noch "spotlessly clean" gewesen sein soll, laut lonely planet. heute ist es ein loch. und der irish pub? wird von einem lispelnden jordanier geschmissen, es läuft uebelster kindertechno. einziger gast ausser uns: ein durchgeknallter amerikaner, der in jidda (saudi-arabien) als lehrer arbeitet, nur kiffen im kopf hat und noch nie - ich schwöre - noch nie von che guevara gehört hat (wir wiederholen den namen viermal, buchstabieren ihn, castro's mate, you know?). er arbeitet als - na, als was wohl? - GESCHICHTSlehrer! in einer stunde knallt er sich sieben whiskey cola rein. dann verabschiedet er sich: "I'll go for dancing in the disco." -nbo


Ramadan, einen Monat Völlerei
Amman, 13.11.2004

"Allah ist gross, beten ist besser als schlafen", ruft der Muhezzin von seinem Minarett. Es ist vier Uhr morgens und der Gläubige kniet nieder fuer sein Morgengebet gen Mekka. Nicht ohne sich vorher mit einer vollständigen Mahlzeit den Wanst vollzuschlagen, die bis zum nächsten Abend anhalten muss, legt er sich fuer vier Stunden aufs Ohr, um gegen zehn Uhr bei seiner Arbeitsstelle anzutreten, wie uns zwei deutsche Studentinnen aus Amman erzählen. Ermattet ob der schmalen Nachtruhe verlässt der Gläubige diese wieder gegen zwei Uhr mittags, um wenigstens bis zum Sonnenuntergang noch etwas Schlaf zu bekommen. Der  Ladenbesitzer hat es in dieser Hinsicht deutlich schwerer, denn er muss ohne Nachmittagsnickerchern durchhalten. "Allah ist mächtig", ruft der Mullah zum Abendgebet. Die Glaubensgemeinde kniet nieder und bekennt erneut, diesmal mit Pfuetzchen auf der Zunge, wegen des bevorstehenden Iftars, des allabendlichen Fastenbrechens.

Halb sechs abends, alle Restaurants zum Bersten voll, jegliches Leben auf den Strassen ist kurzzeitug erloschen, die Läden geschlossen. Denn jetzt beginnt der Höhepunkt des Tages, Feuer frei fuers Hochleistungsessen. Bis zu acht Gänge werden innerhalb kuerzester Zeit bewältigt, betuchtere Familien legen dieses Ritual in ihre eigenen vier Wände.

Auf kulinarische Genuesse wird während des Ramadans nicht etwa verzichtet, nein, sie werden kurzerhand auf die Nacht verschoben. Ganz schön clever. Es wird gegessen, was das Zeug hält, alles, Suessigkeiten, die es nur im Monat des Verzichts gibt, spezielle Menues, die magenschonend beginnen, um dann um so opulenter zu enden. Und damit die Kurzweil nicht zu kurz kommt, ist der Filmfilm von viertelvoracht in diesem Monat auf kurz vor Mitternacht verschoben worden, mit dem Essen sollte man bis dahin fuers erste durch sein. Man hält sich und die Kinder wach, es wird Karten gespielt und was sonst noch so möglich ist, um sich die Zeit zu vertreiben. Bis dann um vier Uhr frueh der Mullah wieder zum Gebet ruft und man sich den Magen fuer die kommenden zwölf Stunden  vorm Zubettgehen nochmal ordentlich stopft. Nach der kurzen Nachtruhe gehts dann wieder zur Arbeit und es beginnt ein neuer Tag der Askese.

Das also ist Ramadan. Ehrlich gesagt habe ich mir den Fastenmonat, in dem Verzicht und Mässigung geuebt werden sollen, ganz anders vorgestellt. Aber heute ist "Eid al Fitr", das Fasten ist vorbei und es wird gefeiert wie bei uns zu Weihnachten. Und endlich werden wir nicht mehr scheel von der Seite angeguckt, wenn wir in der Öffentlichkeit mal einen unerhört unmässigen Schluck Wasser trinken, Prost. nach Diktat verreist -dwo


ein tag auf dem wuestenplaneten
irgendwo in jordanien, 14.11.2004





auf der autobahn zwischen ma'an und aqaba, im sueden jordaniens, biegt unser guide mit dem jeep kurzerhand richtung osten ab. fährt einmal ueber den mittelstreifen, kein gegenverkehr in sicht, und zack! geht es in die arabische wueste hinein. zehn minuten später befinden wir uns auf dem "wuestenplaneten" (wer nichts damit anzufangen weiss, das ist der science-fiction-klassiker von frank herbert, heisst im original "dune"). gigantische schroffe felsmassive ragen abrupt wie inseln aus der endlosen weite auf, mal schwarz, mal braun, mal sandfarben. ab und zu erheben sich sandduenen aus der geröllebene. der himmel ist leer und klar, und obwohl die sonne brennt, schwitze ich nicht, so trocken ist die luft.

es ist, als ob ich in die polarebene von arrakis geschleudert worden bin, kurz vor dem schildwall, dem ringgebirge, hinter dem die gluthölle des wuestenplaneten beginnt und sandwuermer die duenen durchpfluegen. von nahem entpuppen sich die felsen als grotesk erstarrte sandgebilde. versteinerte tropfen, die wie wachs irgendwann an den hängen heruntergelaufen sein muessen. die perfekte umgebung, um eines tages "dune"noch mal in der qualität der "herr der ringe"-trilogie zu verfilmen (david lynchs version von 1984 ist insgesamt missraten, und dem fernsehdreiteiler von vor drei jahren sah man das knappe budget an, alles war im studio gedreht). na gut, die wenigen grasbueschel muesste man wohl aus dem bild retuschieren.

die wueste ist fuer mich jedesmal wie ein vollwaschgang fuers gemuet. das ganze geruempel wird aus dem kopf entfernt. -nbo


der neue beduine
wadi ram, 15.11.2004





wir haben zum zweiten mal einen interessanten guide: rehbi hasanat, der mann, der uns ueber den wuestenplaneten kutschiert. rehbi ist beduine und stammt aus der gegend um wadi ram im suedosten jordaniens. "ein fisch kann nur im wasser leben", sagt er, "ich kann nur in der wueste leben." keine spur von koketterie dabei.

er wuerde nie im leben in einem gewässer schwimmen gehen. mit zehn jahren habe ihn einmal ein kamel in eine wuestenzisterne geschubst, das habe ihm gereicht. als er mal in aqaba am meer war, habe er kurz einen fuss ins meer gehalten. und keinen zentimeter mehr.

der mann ist die gelassenheit selbst. eine kippe im mund, ein schwarzes tuch um den kopf geschlungen, ein schlitzohriges lächeln. und obwohl er in modernen klamotten rumläuft - echt coole, knöchelhohe lederschuhe, armyhose und hemd - wirkt er nicht wie einer, der in der moderne gestrandet ist. die arabische musik, die er auflegt, ist frisch, mit einem guten beat, aber es ist nicht dieser cleane, ueberproduzierte ägyptische pop, der einem oft entgegenschallt.

abends am feuer fängt er mit zwei freunden an zu tanzen. abgefahren, was die drei da hinlegen: sieht fuer mich wie ein mischung aus sirtaki und schuhplattler aus. die jungs haben es voll raus. man kann ihnen lange dabei zuschauen. rehbi hat auch zwei jordanische familien eingeladen, es ist ja eid al fitr, das fest nach dem ramadan. ein haufen kinder sind dabei.

irgendwann nach dem essen schlägt uns einer der väter vor, bei einem grossen spiel mitzumachen. das spiel entpuppt sich als plumpssack. da sitzen wir handvoll touristen als nachts in der wueste mit 20 arabern ums feuer und spielen plumpssack. das geht eine stunde so, und es ist urkomisch. im hintergrund schleicht ein typ in beduinenkaftan und militärparka herum und schenkt tee aus, der typ sieht aus wie ein vetter von bin laden. dann reihen sich die männer zu einem neuen tanz auf, und rehbi macht den vorsänger. schlägt das linke bein ueber das rechte knie und huepft einbeinig im takt seines sprechgesangs. die anderen antworten jedesmal mit einer eigenen zeile. das faszinierende an ihm ist, wie lässig er den spagat zwischen beduinentradition und westen schafft. weder lächerlich noch linkisch.

nebenbei bändelt er mit einer deutschen studentin an, die zur zeit in amman arbeitet. warum gibt es eigentlich nicht das bild des "bedouin lover"? rehbi ist ein guter prototyp dafuer. -nbo


von aqaba nach nuweiba: die boat-people-erfahrung
17.11.2004

"you take fast boat or slow boat?" fragt uns der mann in der cafeteria im hafen von aqaba, als sich ein haufen wartender zum ausgang bewegt. "slow boat", antworte ich. und dann erleben wir mal, was langsamkeit bedeuten kann. um viertel vor zwölf mittags gehen wir an bord der fähre nach nuweiba (ägypten, sinai-halbinsel). der typ am fahrkartenschalter hat behauptet, das boot lege um zwölf ab. nichts da.

in den nächsten zwei stunden fuellen sich erst mal die decks mit passagieren, bis auch der letzte quadratmeter belegt ist (im innern ebenso). es muessen locker 1000, 1500 menschen an bord sein. um zwei uhr fahren langsam die busse und laster in die fähre. um halb vier schauen selbst die araber auf die uhr. um halb fuenf legen wir ab. es ist eine uebung im nichtstun. jordanische dinar haben wir keine mehr, die cafeteria hat noch nicht auf. so sitzen wir stundenlang, ein königreich fuer ein bier, zu kauen haben wir auch nichts mehr, also rauchen wir hin und wieder ein zigarette, wie all die kettenraucher von arabern um uns herum. die sonne wandert, wolken ziehen auf, container werden auf dem kai hin und her gefahren, menschen kommen an bord.

wir betreiben notgedrungen zehenstudien. das ist kein spass. ich frage mich, ob die männer ihr leben lang keinen blick auf ihre fuesse werfen. fussnägel, die lang wie schaufeln sind oder gar zerbröseln, rissige schwarze fuesse. es sind wohl gedanken, die nur ein westlicher städter haben kann.

hinter uns liest ein junger typ singend koransuren vor. viele männer tragen das weisse gewand der mekka-pilgerer, offenbar sind sie auf dem rueckweg von ihrer hadsch. der koran ist das einzige buch, das hier auf deck gelesen wird. als wir ablegen, beginnt ein junger vollbärtiger brillenträger mit strengem gesichtsausdruck, laut irgendetwas auf arabisch zu deklamieren. die menge wiederholt seine sätze im chor, und er fährt mit der intensität eines predigers fort. ich verstehe nur ein wort, safir, "reisend". eine halbe stunde später ertönt irgenwo auf dem deck ein sprechgesang. die weissgewandeten versammeln sich auf dem helikopterlandeplatz zum gebet. das halbe deck neigt sich in der abenddämmerung gen mekka. es ist unglaublich.

noch unglaublicher ist die ankunft in nuweiba. als wir uns bis zu den tueren auf dem untersten deck vorgearbeitet haben, finden wir diese verschlossen vor. die besatzung hat sie kurzerhand abgeschlossen, damit erst mal die laster und die passagiere aus dem innern von bord gehen können. die menge vor den tueren auf dem schmalen decksgang wird grösser, flueche sind zu hören, einige fangen an, sich im gedränge zu beschimpfen. es geht nicht vor und zurueck, wir stehen körper an körper, wobei die frauen zum teil riesige pakete auf ihren köpfen balancieren. zehn minuten vergehen, zwanzig minuten, eine halbe stunde, die stimmung droht umzukippen. tausend mann warten an deck und duerfen nicht von bord. es ist so ein augenblick, in dem menschen zur gegängelten masse werden und vieles passieren kann.

als ein steward nach einer dreiviertel stunde die tuer aufschliesst, hebt der ansturm sie fast aus den angeln. jetzt bloss nicht stolpern, geschweige denn hinfallen. nach einer weiteren viertelstunde geschiebe durch enge gänge, in denen bereits die abgase der abfahrenden laster stehen, sind wir draussen. und fix und fertig. neun stunden auf einer ueberfuellten fähre fuer eine ueberfahrt von schlappen 80, 90 kilometer. eine schreckliche uebung in langsamkeit. -nbo


luxus
dahab, 18.11.2004





so, jetzt wollen wir euch mal so richtig den mund wässrig machen. während ihr im trueben feuchtkalten herbst hockt, relaxen wir auf kissen am roten meer. dahab, das ist die maximale entschädigung fuer den boat-people-trip gestern. auf der anderen seite blicken wir auf das ufer der freudlosen. die kueste gehört schon zu saudi-arabien, wo ausser rauchen alles, was spass macht, verboten ist: kino, bier, fotografieren, öffentliche musik, westfernsehen, mit einer unverschleierten, unverheirateten frau flanieren... wir dagegen gönnen uns nach fast fuenf wochen unseren ersten banana pancake, dieses schlimmste klischee der travellerkultur. er schmeckt toll. -nbo


ABBA und die Wasserpfeife
Dahab, 19.11.2004





Die Seele baumelt, die Wellen brechen sich seicht am vorgelagerten Riff. Wir sind angekommen in der Pension Jasmine in Dahab am Roten Meer. Hier gehts richtig peacig zu, die Leute luemmeln sich entspannt auf Kissenlandschaften aus Kelims und Kamelhaarkissen, die bis ans Wasser reichen. Alles lacht, die Sonne, das Gemuet, Haut, Haare und vor allem die Fuesse. Unser sehr eingeschränkter Aktionsraduis besteht aus ca. 150 Metern, vom Bett in die Luemmellandschaft, ins Meer und wieder zurueck. Es gibt nichts zu entscheiden, nicht wann, wo, welcher Bus, Minibus oder Service-Taxi uns zum nächsten Etappenziel der Reise zu nehmen ist. Rein gar nichts, nur ob mal wieder Schatten angemessen wäre, oder ob man sich weiterhin in der Sonne fläzen soll.

Nach 5.625 km zurueckgelegter Wegstrecke die wohlverdiente Kurpackung fuer die Seele. Eine Augenpause nach dem zugegebenermassen oft anstrengenden "Städte-Essen" des letzen Monats: Ankommen, Verdauen, Ausscheiden und Weiterfahren in die nächste Stadt. Hier in Dahab gönnen wir uns mal eine kurze Auszeit vom Reisen. Das mag sich vielleicht fuer den ein oder anderen merkwuerdig anhören, aber es tut Not. Wie Ulla Meinecke einst schon sang "Schlendern ist Luxus". Wir hängen einfach mal entspannt ab.

Am dritten Abend bestellen wir uns nach dem Essen eine Honig-Sheesha, die wir in einer dreiviertel Stunde weghecheln. Wir saugen so heftig an dem Ding, dass unsere Wangen zu hohlen Kuhlen werden und uns fast die Augen aus dem Kopf treten. Wir muessen zum Bruellen komisch ausgesehen haben, aber das Teil wollte einfach nicht richtig ziehen, dachten wir. Ein fataler Irrtum, der uns am nächsten Morgen mit leisen Kopfschmerz weckte.

In horizontaler Schräglage geniessen wir sechs Tage lang das Nichtstun, bestellen Pancakes in allen Variationen und zwischendurch bewegen wir uns auch mal. Aus den Boxen dröhnt zeitweise ein unentschlossenes Potpourri aus Gipsy Kings, ABBA und dem Royal Symphonic Orchestra und dann wieder richtig coole Mucke. Hier lässt es sich aushalten, hier ruft alles nach Entspannung und Auftanken und wir betreiben es exzessiv. Der Berg Moses kann warten. Und kommt er nicht zu uns, so gehen wir zu ihm. Morgen, uebermorgen? Mal sehen... nach Diktat verreist -dwo


intellektuellen-stammtisch, oder: SPIEGEL-lektuere am roten meer
dahab, 20.11.2004

in unserer kissenburg am strand kommt jeden tag ein zeitungsverkäufer vorbei. in seinem wägelchen liegt die internationale presse. obenauf der aktuelle SPIEGEL mit dem titel "allahs rechtlose töchter - muslimische frauen in deutschland". das muss ich lesen, keine frage nach unseren wochen im nahen osten.

als ich die titelstrecke durch habe, kann ich mich einer gewissen empörung nicht erwehren. die gilt aber nicht nur den schicksalen der dort beschriebenen tuerkinnen - andere muslimische frauen kommen darin nicht vor -, sondern auch und nicht zu knapp dem gehobenen stammtischniveau des SPIEGEL. ich kann mir lebhaft vorstellen, wie chefredakteur stefan aust sich in der rolle des tabubrechers gefällt, der eine längst ueberfällige debatte befluegeln will.

was der SPIEGEL jedoch glänzend schafft, ist nicht etwa eine nuechterne, kritische analyse muslimischen lebens in deutschland, sondern die aufstachelung zum "kampf der kulturen" auch bei uns. nach dem motto "bad news is good news" finde ich auf 30 seiten nur horrorgeschichten. kein wort darueber, wieviel tuerkinnen zufrieden in der bundesrepublik leben.

ich sehe erguen von mr. kebap und seine schwester vor mir und frage mich, was sie davon halten. keine differenzierung zwischen dem dumpfen anatolischen landislam und den tuerkischen islamistischen gruppen, die unter dem kopftuch zum teil eine ganz eigene form des feminismus verfechten. 

da ich guenter seuferts hochinteressantes buch "cafe istanbul" von 1998 (in istanbul gekauft) gelesen habe, weiss ich, dass zwischen beiden welten liegen. im SPIEGEL-artikel wird alles in einen topf geworfen, ein paar radikale vom schlage mohammed attas werden auch noch hinzugefuegt, "tuerkischer islam" draufgeschrieben und deckel drauf.

dazu zieht sich eine geradezu paternalistische haltung durch den text, die deutschen (politiker) muessten die tuerkinnen befreien. alice schwarzers expertenstimme sichert das ganze gegen die blöden gruenen multikulti-naivlinge ab (wo gibt es die ueberhaupt). erst im letzten absatz steht: "emanzipation kann man nicht verordnen, die muslimischen frauen in deutschland werden sie sich erkämpfen muessen."

aber da ist der stammtisch längst am schäumen, und das vermutliche ziel der strecke, nämlich gegen einen EU-beitritt front zu machen, erreicht. denn warum sonst kommen nur tuerkische muslimische frauen darin vor und keine arabischen oder persischen? warum kann man der tuerkischen community eigentlich nicht ihre eigene kulturrevolution zutrauen, so wie die europäer auch ohne hilfe von "oben" oder "aussen" ihre 68er hatten? dieselben probleme gab es bei uns vor noch gar nicht so langer zeit auch, von wegen vorgeschriebene ehen oder religiöse borniertheit (man denke nur an heinrich bölls "ansichten eines clowns").

das zentrale problem von deutscher seite ist vielmehr, dass die bundesrepublik sich noch immer nicht als einwanderungsland versteht. dieser fehler wird en passant im SPIEGEL-text der schröder-regierung in die schuhe geschoben, dabei war es die kohl-regierung und nach 1998 der CDU/CSU-dominierte bundesrat, die den schritt vom ethnischen deutschland zum einwanderungsland BRD (ich schreibe das bewusst in analogie zu USA, dem klassischen einwanderungsland) blockiert haben. eine in der BRD geborene tuerkin hätte mit einem automatisch vergebenen pass ganz andere möglichkeiten, nach einem bruch mit ihrer familie ihr leben selbst in die hand zu nehmen.

dann kommt noch ein interview mit harry mulisch, schriftsteller aus holland, weil dort ja gerade die koranschulen brennen. der hat ausser der tatsache, dass seine eltern auch einwanderer waren (zitat: "Er [der Vater] hat eben keinen Gott im Gepäck." !!!) nichts erhellendes zur problematik zu sagen. interessant ist aber, wie die SPIEGEL-redakteure mit suggestivfragen aus mulisch antworten herauskitzeln wie diese am ende des interviews: "Aber was ist die Alternative? Die hiesse Krieg."

Da ist er wieder, der "unvermeidliche" kampf der kulturen. nach diesem titel steht doch jeder tuerkische mann in deutschland unter verdacht. eine unverschämtheit. dass ich junge tuerkische machos, die auf der strasse breitbeinig daherstolzieren, nicht mag, steht auf einem anderen blatt. ihre deutschen gegenstuecke sind mir genauso zuwider.

mein fazit: wieder ein grund mehr, den SPIEGEL zu boykottieren. eine journalistische bemerkung noch: auf seite 62 des artikels steht in der infografik, 1,9 mio. tuerken lebten 2003 in der bundesrepublik. drei spalten weiter ist im text die rede von 2,5 mio. wie nun? dann lese ich doch lieber den intelligent konservativen ECONOMIST. -nbo 


snapshot #4
dahab, 20.11.2004

in der sphinx-bar mit palmengarten am strand steigt die party der woche in dahab. ein komisches volk versammelt sich hier. westler, die fun suchen und sich ueber die lächerlich billigen drinks freuen, und ägypter, die sich auch irgendwas von diesem nightlife versprechen. die männer tragen stranduniform: beutelige skater-shorts mit dicken aufgenähten taschen, die frauen sind seltsam gekramt. der DJ ("from sharm", wie er angekuendigt wurde, wie um seine qualität unter beweis zu stellen), spielt diesen faden neuen hiphop ohne groove oder hammerbeats vom schlage "I can't get no sleep" von faithless, docht die leute stuermen trotzdem die tanzfläche. party muss sein. man ist hier schliesslich, um sich vom kapitalistischen alltag zu regenerieren. dahab ist ebenso der globalisierte reparaturbetrieb fuer funktionalisierte individuen wie goa, koh phangan oder mykonos. keine spur von phiesta. nur bei outkasts "hey ya" reisst es woldo und mich fuer ein paar minuten aus dem korbsessel. aber dann ist der spirit auch schon wieder verflogen. wir gehen lieber um ein uhr nachts in den supermarkt und schauen, was in den regalen liegt. auch eine lustige samstagabend-beschäftigung. -nbo

tatooine
dahab, 21.11.2004





der sinai ist eine trostlose felshalde. seit jahrhunderten rieseln granitblöcke von den bergen und bleiben in baumlosen tälern liegen. am tag brennt die sonne, nachts wird es scheisskalt. und schon wieder ein film-flash: im geiste sehe ich eine banta-karawane um die ecke eines tales biegen, so wie in star wars 1 auf "tatooine". die westler suchen in dieser einöde wie ueberall ihren wahren neuen gott: die sonne. beten sie entweder am strand an oder steigen auf einen berg, um sie aufgehen zu sehen. alle anderen götter sucht man hier vergebens. nach all den jahrtausenden seit moses ist hier nur der sonnengott uebriggeblieben. -nbo


Besuch der Eisheiligen
dahab, 21./22.11.2004





"Bring a jacket, it's getting cold up there", rät uns Rabia'a Arabi, unser Pensionsmanager, der schon bei 24 Grad mit dicker Lederjacke rumläuft. Seinem Rat folgend ziehen wir also dick eingemummelt los zu unserer Nachtwanderung auf den 2.285 Meter hohen Berg Moses.

Als wir um halb zwei nachts aus dem Minibus steigen, schlägt uns schon eine ungewöhnlich kuehle Brise entgegen. In Fleecejacken und Bommelmuetzen machen wir uns auf, um im Stockdunkeln die letzten 950 Höhenmeter zu bezwingen, immerhin ungefähr 50 mal die Stufen zu unserer Wohnung rauf. Schwer damit beschäftigt im Licht der Taschenlampe einen sicheren Tritt zu finden, höre ich das Schnaufen der Kamele in meinem Nacken, die uns die Beduinen fuer den Aufstieg unentwegt feilbieten. Der reinste Höcker-Highway. Kamelpöter vor mir, Kamelnuestern hinter mir, Kamelhueften in Stirnhöhe neben mir. Man muss höllisch aufpassen, um nicht vom Trampelpfad geschubst zu werden.

Je höher wir kommen, desto mehr freue ich mich ueber jedes Läppchen Stoff am Körper. Es wird beissend kalt, ein Temperaturunterschied zur Kueste von 30 Grad. Auf dem Gipfel soll uns dann der Sonnenaufgang belohnen, aber Geduld, noch ist es nicht so weit. Wir suchen uns ein stilles windgeschuetztes Eckchen und in Windeseile hat sich eine Menschenmenge von ca. 200 Leuten, die meisten davon Russen, auf der Bergspitze eingefunden. Wir alle haben den Blick gen Osten gerichtet.

Und endlich, nach 45-minuetigem regungslosen Warten in Eiseskälte, in denen ich mich schon damit abgefunden hatte, wie Reinhold Messner mit vier Zehen weniger in mein irdisches Leben zurueckzukehren, passiert das Unvermeidliche: die Sonne geht auf. Die Meute zueckt die Kameras und es gibt ein Blitzlichtgewitter. Kurz darauf ist dann schon wieder alles vorbei und man macht sich an den Abstieg. Wir bleiben noch etwas sitzen und versuchen sanft, unseren nahezu erfrorenen Gebeinen neues Leben einzuhauchen.

Aus der Ferne hören wir plötzlich leisen, wunderschönen Gesang, der aus der kleinen Gipfelkapelle zu kommen scheint. Lassen sie hier etwa jeden Tag zum Sonnenaufgang ein Band laufen? Wir öffnen das kleine Holztuerchen und stehen mitten in einer russisch-orthodoxen Messe. Frauen knien singend auf dem Boden. Der Pfarrer, mit demselben gutmuetigen Gesicht, wie ich mir in Kindertagen immer den Weihnachtsmann vorgestellt habe, hält in brummigem Russisch seine Andacht. Ein einmaliges, entruecktes Erlebnis hier in 2.285 m Höhe, das sich die meisten Sonnengläubigen entgehen lassen, weil sie schon wieder runtermarschieren. Es gibt sie also doch, die kleinen, feinen Begebenheiten abseits der Touristenströme.

Das Katharinenkloster im Tal fällt unserer Muedigkeit zum Opfer. Nach 24 schlaflosen Stunden, in denen wir nebenbei noch Hochleistungssport betrieben haben, kann uns weder der Mosesbrunnen noch der brennende Dornbusch vom Hocker hauen.

Bleibt nur noch die Frage, wie es die Mönche hier in den eisigen Höhen aushalten ohne die Thermosystemunterwäsche aus dem Tchibo-Magazin. Haben sie womöglich eine ueppige Ganzkörperbehaarung oder singen sie sich in Trance? Wir sind heilfroh, dass wir wieder  runter duerfen in den 25 Grad warmen ägyptischen Winter, zurueck in die Bikinizone nach Dahab. nach Diktat enteist --dwo


no sleep till cairo
23./24.11.2004





21:30 h. wir verabschieden uns vom jasmine-team in dahab: dem barmann, der uns schon am ersten abend gras verkaufen wollte, dem besitzer rabia und seiner rechten hand, dem maitre d', den wir "walter von dahab" getauft haben, weil er uns an unseren freund mr. walter in berlin erinnert, dem jungen mit der zahnluecke, der immer einen kleinen, versteckten witz auf den lippen hatte. was fuer eine nette truppe.

auf der strasse wartet der minibus, der uns zum nachtbus bringen soll. gepäck wird eingeladen, doch halt, wo ist meine jacke? mit woldos pass drin! (mein pass steckt in meiner hosentasche). alarm. ich erinnere mich dunkel, dass ich sie gegriffen habe als wir vorhin vor dem essen noch mal rausgegangen sind. liegt sie im internet-cafe? wir also dorthin. da liegt sie nicht. jetzt wird mir etwas flau. das wär der GAU.

oder habe ich sie in dem kleinen bankbuero nebenan liegenlassen? das längst geschlossen ist. wir halten trotzdem noch mal. im bankbuero brennt noch licht. ich versuche, durch die gittertuer und die vorhänge hineinzuspähen. da tritt ein polizist auf mich zu und lächelt. "jacket? passport?" dann ruft er ins buero rein, der bankscherge schlurft an die tuer - hat offenbar drinnen ferngesehen - und reicht die jacke durchs gitter. mir fallen sinai-granitbrocken vom herzen. einmal mehr bin ich von der freundlichkeit der araber beeindruckt, in dreieinhalb wochen nahost keine komische situation, keine aggressiven töne, kein beschiss.

eine viertelstunde später sitzen wir im nachtbus nach kairo. ein schöner knochenbrecher von bus ist das. die sitzreihen sind eng wie in asien, die klimaanlage bläst eisböen heraus, die leselichter gehen nicht und nach einer viertelstunde wird das erste video angemacht. irgendwie sinke ich in einen unruhigen schlaf, aus dem ich alle 20 minuten aufschrecke, weil die beine weh tun, der filmton aufdreht, leute hin und her gehen.

kurz vor fuenf wollen mir die augen dann nicht wieder zu fallen. der fernseher läuft immer noch, obwohl keiner mehr hinschaut. leicht gerädert werfe ich einen blick auf den ägyptischen film. eine eigenartige komödie, in der ganze ballsäle massentänze auffuehren. die hauptfiguren sind wohlgenährt, die schauspielkunst hält sich in grenzen. alle agieren so uebertrieben wie in stummfilmen. die band im film spielt plotzlich einen ganz coolen, fast jazzigen bläsersatz, der sich ständig wiederholt. da habe ich meinen ohrwurm. es ist halb sechs, der abspann beginnt, der bläsersatz laueft ein letztes mal, und die morgendämmerung setzt ein. mir fallen wieder die augen zu.

einige stunden später. erwartungen truegen. kairo sei ein wahrer moloch, habe ich oft gehört. als wir in "downtown" ankommen, bin ich ueberrascht. der midan talaat harb, der platz, an dem wir abgestiegen sind, verbreitet mit seinen angegrauten, aber opulenten altbauten *(8, 9 stockwerke!) ein gewisses pariser flair. die sonne scheint, und wir trinken in der konditorei groppi ("depuis 1891", steht auf den fenstern) espresso. kairo sei eine dieser weltstädte, die man nur lieben oder hassen könne, schreibt der lonely planet. an diesem morgen deutet alles darauf hin, dass ich kairo klasse finden werde. -nbo


Duefte der Grossstadt
Kairo, 24.11.2004


Wir gehen durch Kairos Strassen und gucken. Auf neue Fahrgäste hoffend, hupen uns vorbeifahrende Taxis wild an. Was wir denn suchen wuerden, fragt uns ein sparsam bezahntes Väterchen, das auf einem Stuhl am Strassenrand sitzt. Er hatte uns deutsch reden hören, beginnt zu strahlen und legt dabei seine marode Kauleiste frei. Sämtliche Schneidezähne fehlen, der Rest durchs Kettenrauchen bernsteinfarben gebeizt.

Aufgeregt von seinem Höckerchen aufgesprungen erzählt er uns in deutsch, dass er frueher mal in Muenchen gelebt habe, zwölf Jahre lang bis 1992. Aber es sei ihm zu kalt und zu teuer geworden, deshalb ist er jetzt wieder hier in seiner Heimat. Er bittet uns in seinen Souterrainladen, in dem es ausser einigen Glasflakons in Setzkastenformat nicht viel zu sehen gibt. "Mokka, Tee?", "Mokka, bitte, schwarz." Wir setzen uns auf eine ehemals wohl weisse, zerschlissene Kunstledercouch und er fängt zu erzählen an. Ja, Deutschland, in Schwabing habe er gelebt. Er redet von seinen Kindern, seiner Familie und den Bluetenplantagen in der Oase.

Was wir denn gern mal riechen wuerden, fragt er uns unaufdringlich, ganz nebenbei. Er zählt Unmengen Blueten- und Pflanzenessenzen auf. Sandelholz und Papyrus, ja, das klingt interessant. Die unscheinbaren Glaskaraffen im verstaubten hinteren Regal, in denen ich abgestandene Alkohole verschiedenster Färbung vermutet hatte, entpuppen sich als reinster Garten der Duefte. Wir können uns nicht entscheiden, riecht beides echt irre. Aber eigentlich wollen wir doch gar nichts kaufen, wo wir doch alles bis nach Kapstadt schleppen muessen.

Aber was sind schon 50 Gramm, das Gramm nur 2 ägyptische Pfund, umgerechnet 25 Cent? OK, er hat uns ueberzeugt. Dann also Sandelholz- und Papyrusessenz, jeweils ein kleines Fläschchen. In Europa koste ein Gramm Essenz immerhin 45 Euro! strahlt er uns zum Abschied nochmal an. Eingewickelt in arabisches Zeitungspapier tragen wir unseren Schatz ins Hotel. So haben wir ihm wohl einen gelungenen Tagesumsatz beschert, und er uns eine dufte Reise. nach Diktat verreist -dwo


phiesta in kairo
24.11.2004

um acht holt uns alaa, der neulich anja in hamburg besucht hat, mit dem auto ab. 21 ist der gute erst, aber wirkt schon so erwachsen und liebenswuerdig. als wir mit ihm ueber eine der nilbruecken fahren und wie alte freunde plaudern, habe ich das gefuehl, teil dieser stadt zu sein. wir grooven uns bei rotwein und pasta im "l'aubergine" im stadtteil zamalek ein.

dann fährt uns alaa zu einem pub, wie er sagt. es ist der cairo jazz club, vor dem bereits eine hippe meute auf der treppe ansteht. alaa bringt uns rein - und drinnen ist bereits der bär los. der DJ spielt "copacabana", "don't you want me" (human league) und andere hits von vor 20 jahren. ja, er spielt "dieselben alten lieder", zu denen ich mich in st. pauli immer wieder genötigt sehe, aber selten haben sie mich so begeistert wie jetzt. der mann rockt das haus, noch ein hit und noch einer, und langsam bringt er die menge zum kochen.

wir sitzen mit alaa an der bar und erzählen uns bald mit ein paar anderen kairörn (oder sagt man kairener?) lustige klamotten. ali, ein gut aufgelegter, afrikanisch aussehender glatzkopf mit brille, kriegt sich nicht mehr ein ueber woldos humor. er schreit fast vor lachen und schlägt sich auf die schenkel.

alaa guckt sich unterdes verstohlen die augen nach einer frau aus, die aus einem ägyptischen relief herabgestiegen sein könnte, um sisters of mercy zu hören. sofort wird sie von uns "die ägypterin" getauft und mit blicken beschattet. alaa ist offensichtlich nicht der einzige, den die ägypterin beeindruckt. ständig springt ein anderer gestylter clubgänger um sie herum.

der DJ ist noch lange nicht am ende: "jump around", der alte hiphop-gassenhauer von house of pain, bringt das fass zum ueberlaufen. keiner steht mehr still, von der bar bis hinten zu den toiletten zuckt die menge, und ein paar frauen tanzen, ungelogen, auf stuehlen. dann kommt run DMCs "walk this way". es ist phiesta pur, und durch die fensterscheibe scheint das bleiche neonlicht eines minaretts. der "kampf der kulturen" muss irgendwo anders stattfinden. hier drinnen erleben wir eine sternstunde der globalisierung. -nbo


die pyramiden
kairo, 25.11.2004





ja, wir haben sie gesehen. es ist eines dieser bilder, die man von klein auf im kopf hat. aber wenn man davor steht, ist doch alles anders. grossartiger. 4600 jahre haben den drei steingiganten nicht viel anhaben können. wahrscheinlich werden sie in 4000 jahren immer noch da stehen, während der moloch kairo, der sich inzwischen bis dicht an sie heranreckt, im nilschlamm versunken sein wird. lange sitzen wir auf einem wuestenhuegel am rande der stadt und schauen sie an, bis die untergehende sonne sie orange färbt. sie werden einfach nicht langweilig. -nbo


der unterschied zwischen hannover und kairo
25.11.2004

wir treffen ali und zwei seiner kumpel noch einmal noch einmal im cairo jazz club. alaa ist leider nicht dabei, weil er fuer eine unipruefung am montag bueffeln muss. während im hintergrund eine rai-band spielt, unterhalte ich mich mit ahmed, den ali und die anderen "mr opel" nennen, weil er so deutsch aussehe. er könnte in ruesselsheim tatsächlich fuer einen hessen durchgehen. ahmed arbeitet seit jahren als software-berater. seine musikalische offenbarung sei die erste metallica-platte gewesen. seitdem gebe es fuer ihn nichts grösseres als metal.

dann erzählt er, was fuer ihn der grösste unterschied zwischen dem leben in deutschland und dem in ägypten sei. er habe einmal einige tage fuer eine firma in hannover verbracht, um dort ein projekt zu besprechen. seine deutschen geschäftspartner seien zwar beeindruckend effizient und organisiert gewesen. aber nach getaner arbeit hätten sie ihn am ende eines tages sich selbst im hotel ueberlassen und seien einfach nach hause gefahren. undenkbar in ägypten, sagt ahmed. hier wuerde man sich 24 stunden um seine geschäftspartner kuemmern, ihnen die stadt zeigen, sie zum essen mitnehmen. "bei uns gibt es diese unterteilung in werktag und wochenende nicht", meint er in sehr gutem englisch. "wir treffen unsere freunde jeden tag." keiner käme auf die idee, sich in seinen eigenen vier wänden einzugraben.

vom arbeitsleben in kairo ist er allerdings nicht ganz so begeistert. ägypter wuerden selten investieren, dächten zu kurzfristig. wozu ein teures IT-system anschaffen, wenn irgendeiner die buchhaltung billig per handarbeit erledigen kann (so ein scherge sitzt auch den ganzen abend im cairo jazz club neben dem tresen und schreibt alle rechnungen per hand). und es komme auch oft genug vor, dass gehälter mit fadenscheinigen begruendungen gekuerzt oder gar nicht gezahlt wuerden.

ihm ist das in seinem vorletzten job passiert. in einer firma, deren inhaber ein reicher und auch politisch einflussreicher mann war. die mitarbeiter wuerden hier nicht so behandelt und geschätzt, wie sie es verdient hätten, selbst wenn sie ihren job sehr gut machen. ahmed erzählt das alles mit einer bemerkenswerten balance. weder ist er modernist, den alles ägyptische nervt, noch traditionalist, der den westen verflucht. es sind genau diese leute, die in unserer unsäglichen islam-debatte nicht auftauchen. nicht als beispiel aus hamburg oder duisburg, und erst recht nicht als beispiel aus dem nahen osten, wo männer gewöhnlich nur schreiend und ballernd im fernsehen gezeigt werden. –nbo


freitag in kairo, oder: was das leben hier so kosten kann
26.11.2004





wochenende in kairo. alles läuft etwas gemächlicher ab, obwohl in der innenstadt einige geschäfte geöffnet haben. in alt-kairo suedlich von downtown sitzen die männer im cafe und spielen backgammon und domino. klack, klack, klack, werden die dominosteine schnell aufs spielbrett geschnallt und nach einer minute ist ein spiel rum. daneben steht ein tee, ein glas wasser. ein mann schaut kurz vom backgammon auf und winkt uns ueberschwenglich heran.

nach dreieinhalb wochen im nahen osten sind unsere beruehrungsängste gegenueber frauenlosen kaffeehäusern geschwunden. wir setzen uns an ein tischchen und keiner stört sich daran, dass woldo dabei ist. zwei arabische kaffee ohne zucker, bitte. dann die uebliche frage, wo wir herkomme. "germany good", lautet die schon oft gehörte  antwort. immer schwingt die wertschätzung mit, dass sich deutschland nicht am irakkrieg beteiligt hat. ein neues erlebnis, nicht sofort mit der kriegsluesternen vergangenheit von wilhelm II bis hitler konfrontiert zu werden.

hier in alt-kairo zählt die gegenwart. die beide kaffee kosten 1,50 pfund (etwa 20  cent). vorher hatten wir in einer bäckerei einen ganzen kuchenteller fuer zwei pfund gekauft. es ist erstaunlich, wie in kairo verschiedene welten nebeneinander existieren. in zamalek oder agouza kann ein espresso so viel kosten wie in st. pauli. ein abendessen wie im vorgestern im l'aubergine mit alaa macht 220 pfund (27,50 euro). fuer viele leute undenkbar. 400, 500 pfund monatsverdienst seien in ägypten nicht ungewöhnlich, hat  uns alaa erzählt. ahmed, der software-berater, gehört mit 3000 pfund (375 euro) zu  den gutverdienenden.

ein "ägyptischer" tag sieht so aus (1 pfund = 12,5 cent): morgens am strassenstand fuul, einen bohnenpaste mit brot, fuer 1 pfund zum fruehstueck, dazu ein tee fuer höchstens 50 piaster. mittags ein schawarma auf die hand, die arabische variante des döners, nur viel leckerer (weil unter anderem mit zimt gewuerzt). dazu ein frischgepresster orangensaft fuer 1 pfund. und abends kann man sich bei abu tarek mit diesem sensationellen koschari satt essen. eine kleine portion kostet 3, eine grosse 5 pfund. dazu ueber den tag verteilt zwei flaschen wasser (2 pfund) und einige gläser tee (vielleicht 3 bis vier pfund). mit 15 pfund ist man sitt, satt und gluecklich durch den tag gekommen.

und selbst das können sich viele leute selten leisten. nach oben sind der konsumfreude natuerlich keine grenzen gesetzt. wer will, kann auch in kairo einen lebensstil pflegen, der so teuer ist wie in hamburg-winterhude. -nbo


Haste Töne
Kairo, 26.11.2004

Wir haben schone 'ne Menge ägyptische Spezialitäten probiert, gebackene Tauben, Foul - gekochte Saubohnen -, Beduinen-Calamari. Aber eins kannten wir bis jetzt noch nicht: Koschari. Wo es das beste Ägyptens geben soll, verrät uns Ashrab aus dem Cairo Jazz Club und verdreht dabei schwelgerisch die Augäpfel. "But be careful," meint er, "very explosive!" Aha?

Das Abu Tarek ist ein typisches Fastfoodrestaurant, in das die ägyptische Durchschnittsfamilie Essen geht. Ungewollt stylisch sieht es hier aus, weil nahezu alles aus Stahl ist, das Geschirr, das Mobiliar, praktisch eben. Hier bestellen wir, ohne zu wissen, was uns erwartet, das in den höchsten Tönen angepriesene Mahl: ein Nudel-Reis Gericht mit Zwiebeln und roten und gruenen Linsen. Zum Wuerzen eine höllenscharfe Piri Piri Sosse und Zitronen-Knoblauchwasser.

Es schmeckt göttlich, zum Niederknien und Jauchzen, ein echter Kracher. Aber das Zeug hat es tatsächlich in sich, alle Vorwarnungen waren gerechtfertigt. Schon auf dem Weg zurueck ins Hotel gehts los, das Rumoren im Orchestergraben. Die Fanfare der Trompetenkäfer tutet durch die nächtliche Stadt und ist erst am nächsten Abend in der weissen Wueste verhallt. Das reinste Hupkonzert. nach Diktat verreist -dwo


oase mit eurozeichen in den augen
farafra, 27.11.2004

farafra ist die zweite oase im oasenbogen, der sich westlich des nils von kairo nach luxor zieht. es ist die kleinste von allen, in der der tourismus gerade erst beginnt. doch genau das entpuppt sich als ihr problem. es gibt nur zwei hotels. weil das badawiya voll ist, landen wir im el waha. die reinste bruchbude. aus dem weitgehend unverständlichen gemurmel des tranigen inhabers schliesse ich, dass gerade renoviert wird. jedenfalls ist das haus eine einzige baustelle, obwohl es schon seit drei jahren existiert. als wir unser interesse an einer wuestentour bekunden, ruft der inhaber seinen bruder, der sei der guide, sagt er.

hamdy ist ein witziger typ, der als krankenpfleger im hospital arbeitet. er hat das mustergesicht eines beduinen, mit diesen gemalten augenbrauen und dem sorgfältig geschnittenen schnurr- und kinnbart. wir plaudern ein wenig, worauf er uns zum essen einlädt. im schattigen innenhof des hauses seiner schwester gibt es ägyptische brotfladen, gekochtes gemuese und kräuter zum wuerzen (eins erinnert an rucola). alles kommt aus dem oasengarten der familie, in dem auch melonen, basilikum und fruehlingszwiebeln wachsen. als hamdy beten will, breitet ihm seine schwester den gebetsteppich aus. als er fertig ist, schiebt sie ihm die schlappen hin. er ruehrt keinen finger, gibt leise irgendwelche anweisungen.

dennoch träumt er davon, eines tages eine europäerin zu heiraten. fuer diesen fall hat er bereits begonnen, ein neues haus zu bauen. ausser mauern steht noch nichts, aber er ist schon weiter als seine brueder, die es bisher nur zum fundament gebracht haben. so weit, so schön.

als wir wieder mit ihm und dem bruder im "hotelbuero" sitzen, um die tour zu besprechen, erleben wir unser blaues wunder. die beiden winden sich ein paar minuten, bevor sie mit dem preis rausruecken. ja, es käme darauf an, welche teile der wueste wir sehen wollten, das benzin sei teuer, die strecke äusserst schwierig zu fahren. mir schwant böses. wieviel also, frage ich noch einmal. 75 euro pro nase. mich haut's aus dem sessel. 150 euro fuer einen uebernacht-trip in die wueste? der tranige bruder-inhaber geht auf 105 runter. völlig absurd, da der uebliche preis irgendwo bei 50 bis 60 euro fuer einen jeep und bis zu sechs leuten liegt (lob sei dem lonely planet).

wir verabschieden uns mit der begruendung, das ganze bei einem tee ueberdenken zu wollen. als wir schon draussen sind, kommt hamdy hinterher. was unser maximum sei. 60, 70 euro sage ich, worauf er uns ins buero zurueckschiebt. wieder quatschen die brueder mit ernsten gesichtern. 75 euro, na gut. aber jetzt traue ich den beiden nicht mehr. sie wollen um jeden preis verhindern, dass wir ein alternativangebot einholen.

zu spät, wir erheben uns, und lassen die beiden genervt in ihrem office zurueck. draussen ist das kaff wie ausgestorben, es ist dunkel. in geradezu detektivischer manier zwischen teehaus und badawiya-hotel bekommen wir in den nächsten zwei stunden heraus, dass a) die beiden brueder nicht die einzigen sind, die mal kurz ein ganzes monatsgehalt abzocken wollen, und b) es eine "richtige" tour gibt - im badawiya-hotel. die ist zwar auch nicht geschenkt, aber der liebenswuerdige manager ueberzeugt uns am ende mit vernuenftigen details und offenheit.

perplex gehen wir in unser "hotel" zurueck, wo wir einem sichtlich geknickten hamdy darlegen, warum auf seine art von gefeilsche keinen bock haben. plötzlich will er alles viel billiger und ohne seinen inhaber-bruder organisieren. but no way.

ja, farafra ist gerade auf dem sprung. das alte staubige oasendorf mit seinen lehmhäusern am palmengarten lebt noch in einer anderen zeit. die neue breite hauptstrasse davor mit den beiden hotels, zwei schulen, dem krankenhaus und etlichen baustellen zeugt hingegen von frischem geld, das nach farafra kommt (nicht nur von touristen, sondern vor allem von der regierung, die die oasen modernisieren will). mit der oasenromantik, die der naive europäer seit "tausend und eine nacht" im kopf hat, hat beides nichts zu tun. das hier ist das neue ägypten, aber in einer eigenartigen variante. zum ersten mal seit aleppo gehen uns einheimische auf den sack. bloss weg hier. -nbo


dali-land
farafra, 28./29.11.2004









es gibt sandwuesten, es gibt geröllwuesten, und es gibt die weisse wueste bei farafra. wenn man stunde um stunde durch diesen natuerlichen skulpturengarten aus kalkstein und rotem sand fährt, meint man, salvador dali könnte hier in einer unbemerkten stunde seines lebens die inspiration fuer seine beruehmten bilder gefunden haben. groteske gesichter, schakalköpfe und habichtschnäbel balancieren auf duennen steinsäulen. zu wellenkämmen geformter kalk schlägt wie eine erstarrte brandung gegen ausgewaschene felsen. steinplateaus gleissen wie sonnenbeschienenes wasser in der ferne. farag, unser freundlicher fahrer, spricht nicht viel englisch, und das ist diesmal gut so.

schweigend geniessen wir diesen surrealistischen traum. als es schon dunkel ist, geht ein orange mond zwischen zwei felsschemen auf und taucht dali-land in fahles licht. ein wuestenfuchs schleicht sich ans lager heran. im schein des lagerfeuers sehen wir seine riesigen ohren. ein kurzer forschender blick, dann tappt er lautlos wieder in die nacht. als farag frierend in der kälte des ägyptischen winters eingeschlafen ist, sitzen wir noch lange da und starren in den nächtlichen wuestengarten. das einzige geräusch ist das knacken unserer abgegessenen huehnerknochen, an denen sich der fuchs guetlich tut. kein windhauch, keine fliege, kein motorengeräusch in der ferne. alles ist leer und friedlich. -nbo


Der Alchemist von Dakhla
29./30.11.2004




Wer glaubt, eine Oase sei ein märchenhafter Ort in der Wueste, mit buckligen Lehmhäuschchen, einem Palmenhain und einem Brunnen, der hat sich geschnitten. Die Oasen auf unserer Tour durch die weisse Wueste sind aufstrebende Kleinstädte, wo an die touristische Zukunft gedacht wird. Überall angefangene Baustellen, an denen erst weiter gearbeitet wird, wenn wieder genuegend Geld da ist. Und genau das versuchen sie, den Touristen aus der Tasche zu ziehen. Wohl wissend, dass man in dieser Ödnis auf sie angewiesen ist, verlangen sie fuer alles, sei es Wasser, Tee oder Transport das 2-3 fache des eigentlichen Preises.

Nach einem sensationellen Trip durch die weisse Wueste sind wir tags drauf erleichtert, dass wir eine lustige Vierertruppe finden, der wir uns fuer die Weiterfahrt nach Dakhla anschliessen können. Ein derzeit arbeitsloser Independentfilmer und Modellflieger aus Schweden mit drei malaysischen Frauen, die sich während der Fahrt ruehrend um uns kuemmern. Die in ihrer Art und Erscheinung eher vehemente der drei Mädels ist die Freundin des Schweden und eine wahre Frohnatur. Die zweite, Typ Asiagazelle ist gleichen Gemuets und die dritte im Bunde, aus der selben Baureihe, aber von der Natur etwas benachteiligt durch das beleidigte-Leberwurst-Gesicht.

In Dakhla angekommen, stossen wir im Restaurant seines Bruders auf den 38-jährigen Beduinen Nasser und seine deutsche Frau Birgit. Sie haben im Ort ein Hotel und organisieren Touren in die Wueste. Nasser war bereits etliche Male in Deutschland, spricht deutsch und kann ohne seine Wueste nicht leben, wie er sagt. Nach den Versuchungen des Westens hat er hier seinen Platz im Leben gefunden und nun kommt die Welt eben zu ihm. Im Gespräch ueberzeugt er uns nach und nach von seinem faszinierenden Wissensschatz der Naturheilkunde, drueckt mir zwischen Daumen und Zeigenfinger und diagnostiziert einen sensiblen Magen. Soso.

Angefixt von seinen Appetithäppchen und seiner sympathischen Art liege ich am nächsten Morgen in seiner "Hotelpraxis", werde eine Stunde lang massiert und mit Ölen und heissen Schröpfkissen behandelt. Anschliessend rieche ich wie eine Mischung aus Eukalyptusbonbon und Fruehlingsrolle, soll mich zwei Tage lang nicht waschen und fuehle mich wie frisch geschluepft. Ölig und mit zwei handtellergrossen Knutschflecken auf dem Ruecken steige ich in meine Klamotten und bin während der ganzen Fahrt nach Luxor ein kleines, weiches, schläfriges Knäuel. Habibi, Inshallah. nach Diktat verreist -dwo


welcome to schergiland
luxor, 3.12.2004





nun sind wir seit drei tagen in "upper egypt", wie man hier sagt. von kairo aus gesehen ist das der etwas lahme sueden. und oha, die leute hier sind wirklich der hammer. schergen vor dem herrn. warum soll einer eine arbeit machen, wenn es nicht auch drei machen können? warum besseren service, wenn man einmal das dreifache abzocken kann? das mag jetzt wirklich uebellaunig klingen, aber dieser ort kommt indien bisher am nächsten. wenn dir einer mit turban in einem tempel irgendetwas zeigt, geh bloss nicht hin - dreissig sekunden später murmelt er "bakshish".

durch die innenstadt zu laufen, ist eine art davidstrassenerfahrung: die ladenbesitzer stellen sich dir ebenso bestimmt mit penetranten spruechen in den weg wie die nutten in st. pauli. hier sind einfach so viele touristen, dass alle mit minimalem aufwand auf den grossen reibach hoffen. darin unterscheidet sich luxor von der  touristenhochburg dahab, wo die leute wirklich pfiffig sind. hier sind sie irgendwie tranig und nervig. ein kutschenfahrer wollte uns gar am liebsten eine runterhauen, weil wir nicht nach der halben strecken aussteigen wollten, denn wir hatten ihn ärgerlicherweise auf den halben preis runtergehandelt.

vielleicht gibt es zu viele pauschaltouristen, die ständig absurde trinkgelder und was weiss ich bezahlen. woldo und ich haben uns jedenfalls bei diesem verzweifelt lachenden zynismus erwischt, der dich nach dem 30. "want a XY? good price" ueberfällt.

luxor hat aber gottseidank noch mehr als seine schergen zu bieten: den nil und die tempel. auf dem balkon sitzen, den booten auf dem fluss nachschauen, ein stella (das hiesige bier) trinken... sehr angenehm. und dann die geschichte: vor jahrtausenden hiess luxor theben und war das zentrum des altägyptischen universums. die tempel hier sind schwer beeindruckend, obwohl es schon eine geballte ladung steine angucken ist (drei grosse tempelkomplexe).

aber wenn man etwa durch den luxor-tempel geht, zwischen 20 meter hohen granitsäulen, die stilisierte lotusblueten darstellen, und wuchtigen steintoren, dann kommt einem die akropolis in athen oder das alte rom plötzlich nicht mehr so spektakulär vor. dass diese ruinen ebenso wie die pyramiden wissenschaftliche verschwörungstheorien zum bluehen bringen, wundert mich gar nicht. ständig kann man in statuen und auf reliefs prähistorische astronauten erkennen, wenn man nur will. ein abgefahrener ort, trotz aller schergen. -nbo


ein paar gedanken am nil (das leid mit der "leitkultur")
assuan, 5.12.2004





die zugfahrt von luxor nach assuan ist eine wohltat: platz fuer die beine, tee vom schaffner, ein blick auf den nil, zeitung lesen. ach, könnte es doch so bis kapstadt weitergehen. assuan selbst ist genauso entspannt. bei einem tee oder obstsaft auf einem bootrestaurant erholen wir uns vom steinegucken. hier gibt es nichts zu sehen. die sonne scheint, die autos hupen, die nubier scherzen.

im economist lese ich ueber den neuen streit um eine "leitkultur" in deutschland. weit weg und doch ärgerlich. schröder und union, die sich gegenseitig mangelnden patriotismus vorwerfen. oja, die deutschen muessen wieder eine normale nation werden. was fuer ein scheiss. was fuer ein krebsgeschwuer die  nationalstaatsidee ist, kann man doch wunderbar am nahen osten beobachten. dieser absurde stolz, ein ägypter zu sein; "welch ein glueck, tuerke zu sein" (das prangt ueber tuerkischen kasernentoren, lese ich bei orhan pamuk). ein argwohn gegenueber den nachbarn. selbstueberschätzung. brauchen wir das noch mal?

stoiber kann auf die frage, was fuer ihn die werte der deutschen "leitkultur" seien, nur familie und ein paar allgemeinplätze benennen, die vermutlich in jedem land der erde gueltigkeit haben. interessanter wäre doch, welche deutschen im 20. jahrhundert ueberhaupt eine quelle der inspiration darstellen können. fuer meinen teil sind das, unter anderem, in wilder aneinanderreihung:
max ernst (erhielt 1919 oder so eine vorladung von der kölner polizei wegen "betrug", da die von ihm ausgestellten kunstobjekte doch keine kunst gewesen seien);
johannes litten ("der anwalt, der hitler in die enge trieb"); georg elser sowieso (aufmuepfiger einzelgänger);
wolfgang neuss(der antispiesser);
rudi dutschke & fritz teufel (68er-ikonen); willy brandt (fuer seinen kniefall in warschau);
peter hein (von fehlfarben, wegen seiner verdienste um die deutsche popmusik, um es mal ganz feierlich zu sagen)...

von denen lasse ich mich gerne leiten. was wuerden wohl angela und edmund dazu sagen? und was meint ihr dazu? lasst mal hören. -nbo


Servicewueste Ägypten
Assuan, 5.12.2004

So, nun reichts. Raus hier. Mann, bin ich froh, diese Nachtkappen ab morgen nicht mehr sehen zu muessen. Entweder kommen sie hyperaktiv hinter dir hergeschossen, um dir irgendeinen Souvenierkram anzudrehen, oder stehen sich als Festangestellte in irgend einer Ecke zusammengerottet die Fuesse in den Bauch. Sie funktionieren wie Pawlowsche Hunde, bei einem vollständigen englischen Satz reagieren sie nicht, man muss ihnen mit Codewörtern das Gewuenschte abringen. Auf "may we get two glasses, please?" wurden wir nur milde angelächelt. "GLASS, two!" unterstuetzt durch Fingerzeichen, ja, so gehts und zwar nur so.

Und mit welch beneidenswerter Gelassenheit der Hotelscherge versucht hat, die Bierflaschen aufzustreicheln. Auf die Bitte um zwei Bettlaken bekamen wir eine dreiviertel Stunde später ein Handtuch, die Toilette blieb trotz Reinigungswunsch ein Jason Pollock, oder doch vielleicht Beuss? Unsere Wasche bekamen wir nass und zerknueddelt aus dem Wäscheservice. Man braucht erst gar nicht versuchen, ihnen zu erklären, wie Service funktioniert, sie wuerden es nicht verstehen, man dringt nicht zu ihnen durch, nur mildes Lächeln. Hauptsache, man zueckt sein Portemonnaie. Einer wollte doch tatsächlich zwei Pfund von uns haben, als wir ein altes Hufeisen auf der Strasse gefunden und einsteckt haben, unglaublich.  nach Dikat verreist -dwo


nahost-schnipsel
5.12.2004

zuerst das wichtigste: bier- und zigarettenpreise. in syrien kostet das lokale bier (z.b. al chark) ca. 60 syrische pfund (1 euro), in beirut fanden wir nur importiertes bier fuer 3000 libanesische pfund (1,70 euro), in jordanien gibt es mit "philadelphia" eine richtig gute marke, aber die flasche kostet 3 jordanische dinar (3,50 euro), das ist leider der einheitspreis fuer bier im hashemite kingdom!! in ägypten kostet ein "stella" ab 8 pfund (1 euro). zigaretten kosten in syrien zwischen 50 und 80 pfund (80 cent bis 1,30 euro), in beirut knapp einen euro, in jordanien einen dinar (1,15 euro) und in ägypten ab 2,50 pfund (0,28 euro). marlboro ist natuerlich ueberall teurer, aber muss man das rauchen?

Fuer Sauberkeit und Hygiene hat man hier keine Schwäche, in der Gruppe erst recht nicht. Wenn mehr als zwei zusammenstehen, hinterlassen sie eine Muellhalde, alles wird einfach fallengelassen oder weggeworfen, wo man gerade steht. Ekel-GAU bis jetzt: die  "Bowle" auf der Frauen-Hocktoilette auf der Fähre von Akaba nach Nuweiba, als die Wasserpumpe nicht funktionierte, keine weiteren Details...

die ägyptischen männer fahren voll auf libanesinnen ab, erzählt uns alaa. das libanesische arabisch klingt fuer ägyptische ohren irgenwie geil und sexy, weil die libanesen in ihrer alltagssprache wörter benutzen, die ägypter offenbar als "dirty" empfinden

obwohl sich araber und amerikaner (um das mal so pauschal zu schreiben) zur zeit spinnefeind sind, gibt es drei auffällige gemeinsamkeiten: ein hang zur frömmelei bis hin zum gefuehl göttlicher auserwähltheit, ein nationales uebergewichtsproblem, da beide auf zucker abfahren (die leute schaufeln sich hier ihren tee zu, in jordanien ist die hälfte der bevölkerung uebergewichtig, warnen gesundheitsexperten), und einen hang zur alkohol-prohibition. signifikantester unterschied: die araber sind meist kettenraucher, die amis haben eine rauchphobie. vielleicht liegt's daran, dass sie sich nicht richtig verstehen.

der bedouine schaltet die autoscheinwerfer erst an, wenn es stockdunkel ist. die dämmerung ist ihm noch hell genug.

In Damaskus im Swiss-Magazin den ersten Burkini gesichtet: eine Burka bis zum Bauchnabel, mit Sehschlitz und Tangahöschen, leider nur eine Persiflage eines europäischen Kuenstlers.

wer hat den arabischen männern bloss diesen einheitshaarschnitteingeredet? vom syrischen präsidenten bis zum taxifahrer: fast alle tragen kurz geschnitten und dann leicht nach hinten gekämmt (manchmal mit ein wenig gel drin). sieht schrecklich spiessig aus, erst recht mit schnurrbart

obwohl wir per luftlinie nicht weit von der westbank entfernt waren, konnte man von der unruhe wegen arafats tod in jordanien und syrien nicht viel spueren. die leute haben in seinen letzten tagen im krankenhaus in paris ueberall am fernseher gehangen, aber das war's dann auch. naja, die zeitungsschlagzeilen konnten wir natuerlich nicht entziffern. in amman hingen nach seinem tod die flaggen auf halbmast.

thema zeitungen: wer nicht an die internationale presse herankommt, muss hier nicht verhungern. in allen vier ländern, in denen wir waren, gibt es eine englischsprachige tageszeitung. in syrien die syrian times (nur acht seiten, schlecht und propagandistisch), im libanon den lebanon daily star (recht umfangreich, gut gemacht), in jordanien die jordan times (auch brachbar) und in ägypten den egyptian chronicle (acht seiten, geht noch). in ägypten erscheint ausserdem die englischsprachige wochenzeitung al ahram weekly. ein lesenswertes blatt, in dem kluge köpfe und intellektuelle ueber die gegenwart räsonnieren.

Fast alle Autos fahren mit Diesel, die Luftverschmutzung ist so gewaltig, dass einem abends die Abgase aud der Nase bröseln.

Am Muezzin kommt keiner vorbei, selbst im christlichen Viertel in Kairo wird geblökt. Weil es so viele, aus so unterschiedlichen und vor allem schlechten Lautsprechern sind, hören sie sich an wie eine wildgewordene Kuhherde beim Almabtrieb.

In Damaskus kann man keine grössere Strasse ganz normal ueberqueren, man muss ueber einen der kolossalen Fussgängerueberwege aus Beton, die einer Altkleidersammlung gleichen: ueberall liegen ausrangierte Klamotten auf dem Boden.


auf in den sudan!
assuan, 5.12.2004

OK, leute, der lonely planet ist zuende, die zeit in ägypten auch. morgen bewegen wir uns auf den weissen fleck auf der landkarte zu, mit dem alle zur zeit nur mord und totschlag verbinden: den sudan. um sechs uhr abends geht die fähre ueber den nasser-stausee den nil flussaufwärts bis zur sudanesischen grenze. es gibt keine bilder von bekannten sehenswuerdigkeiten mehr, keinen reisefuehrer, aber einige ermutigende berichte in travellerforen im netz, dass der sudan trotz seines schlechten rufs ein schönes land sein soll. bis bald, nbo & dwo --- PS: die tips zu syrien, beirut und jordanien haben wir endlich eingetragen. die zu ägypten folgen demnächst.


die traurige arche
wadi halfa, 6./7.12.2004





als wir gegen elf am fähranleger beim "high dam" von aswan ankommen, glauben wir zunächst an einen schlechten witz. dieser seelenverkäufer soll die fähre sein? als der mann von der river nile transport company in aswan uns sagte, es wuerden 600 passagiere mitfahren, waren wir erleichtert. das ist ja nichts im vergleich zur 2000-mann-fähre von aqaba nach nuweiba, dachten wir.

aber dieses boot ist kaum grösser als eine der grossen HVV-fähren im hamburger hafen (und tatsächlich auch in hamburg gebaut, wie wir später entdecken). wir gehen an bord und breiten unsere decke unter einem der beiden rettungsboote aus. dann schauen wir sieben stunden dem spektakel des beladens zu. LKW um LKW rollen auf den kai, turmhoch beladen mit matratzen, kuehlschränken, farbeimern, colapaletten, zwiebelsäcken... wuetend sich anbruellende hafenarbeiter schleppen die fracht an bord, die 600 reisenden kommen dazu, bis jeder quadratzentimeter stellfläche von menschen und guetern bedeckt ist. sogar die rettungsboote werden beladen.

das tuepfelchen auf dem i ist der jeep eines älteren holländischen paares, der zuletzt auf den schleppkahn muss. auf diesem werden weitere tonnen fracht hinter der fähre herfahren. inmitten der kisten und ballen haben die hafenarbeiter einen kleinen korridor freigelassen, in den der arme holländer seitlich seinen wagen fahren soll. dumm nur, dass unter der last der kahn einen meter unter die kaimauer gesunken ist. anstatt planken zu legen, wird der schleppkahn kurzerhand ein paar meter nach links manövriert, bis die kaimauer nur noch 40 zentimeter ueber dem kahnboden liegt. die menge hält den atem an. wird der jeep im wasser landen? nein, irgendwie setzen die vorderräder doch auf dem kahn auf und zwei minuten später ist der ganze jeep an bord. man möchte fast applaudieren.

als wir endlich ablegen, ist es schon dunkel. dann tuckern wir die nächsten 20 stunden ueber den nasser-stausee. als ich später unser bordessen, das jedem passagier zusteht, abhole, schlägt mir unter deck eine wueste geruchsmischung aus erbrochenem und gekochten saubohnen entgegen. ueber beine, kisten und andere körperteile trage ich die tabletts aufs deck. immerhin schmeckt es, aber was heisst das schon? in so einer situation schmeckt fast alles, was satt macht.

die nacht ist lang, aber der schlaf kurz. immer wieder wachen wir auf, weil unsere knochen auf dem harten stahlboden ächzen. dann geht endlich die sonne auf. am seeufer ist nicht, kein haus, kein baum. tempel und dörfer sind in den 60er jahren in den gestauten nilfluten versunken. es ist, als ob wir auf einer traurigen arche am zweiten schöpfungstag durch universum schippern: nur wasser, wueste und gleissendes licht.

um drei uhr nachmittags legen wir schliesslich an. dass die fahrt trotzdem erträglicher ist als die aqaba-fähre vor drei wochen, verdanken wir zwei bonnern, hans und klaus, die mit ihren motorrädern nach kapstadt fahren. geteiltes leid ist eben halbes leid, und so mancher witz macht die endlosen stunden annehmbar. hoffentlich sehen wir sie in äthiopien noch mal wieder. ueberhaupt sind auf der fähre nur traveller, die es mit jeep und truck nach kapstadt zieht. zuhause war unsere route fuer viele eine verrueckte idee, hier unterwegs ist sie nur noch der kap-kairo-pfad, auf dem nicht wenige unterwegs sind. das verbindet ungemein, man ist mit seinem spleen nicht allein. -nbo


Endlich in Afrika
Wadi Halfa, 7.12.2004






Die 28 Stunden auf der Fähre sind ueberstanden und noch immer hängt der beissende Käsemaukengeruch in der Luft, den wir während der gesamten Überfahrt in der Nase hatten. Wen wunderts, bei diesen Fuessen. Aufgesprungene Hacken, in denen bestimmt so einiges nistet. Wahrscheinlich wurden die Nylon-Strumpfhosen ohne Fuessling fuer den arabischen Markt erfunden, denn jede andere mit Fuss wäre schon nach dem ersten Tragen hinueber. Neben diesen Fuessen zu schlafen macht nicht allzu grosse Freude. Ihr Geruch treibt einem die Tränen in die Augen, vor allem, wenn man sie als Betthupferl neben den Kopf gelegt bekommt.

Dann, im Hafen von Wadi Halfa ist es plötzlich da, Afrika! Wir haben Glueck und bekommen zwei Betten in dem ueberfuellten Hotel Nil, einem ummauerten Hof mit Lehmhuetten. Dienstags, wenn die Fähre aus Aswan ankommt, ist hier, in der einzigen Übernachtungsmöglichkeit im Ort, die Hölle los. Sogar draussen im Hof werden Betten aufgestellt. Die Klos sind Betonverschläge mit Pinkelrinne im Boden, alles sehr spartanisch. Aber diese Einfachheit stört nicht weiter, im Gegenteil, jetzt hats mich gepackt, das afrikanische Fieber.

Geschrumpft auf die absolute Beduerfnislosigkeit fallen die Ansprueche der Zivilisation von mir ab und machen einer heiteren Gelassenheit platz. Auf der anderen Seite der Sandpiste, der Hauptstrasse des Ortes stehen einige bunte Plastikstuehlchen neben einem Bretterverschlag, ein fuelliger Kaftanträger wedelt ueber der heissen Glut der Steine das Fleisch gar. Und richtig, dies ist das "Restaurant", in dem sich alle Hungrigen und Durstigen von der Fähre nach und nach einfinden. Alles bekannte Gesichter und auf nahezu jedem europäischen dieses heimliche Strahlen. Alle sind gerädert, aber gluecklich. Der afrikanische Kontinent hat söben begonnen.
Zwar sind die Frauen hier auch verhuellt, aber ihre Tuecher sind farbenfroh und elegant. Im Vergleich zu ihren tristen, oft plumpen arabischen Schwestern wirken sie wie buntgewandete nubische Göttinnen. Grazil und anmutig jede ihrer Bewegungen, schuechtern ihr strahlendweisses Lächeln dem Fremden gegenueber. Ihre Hände und Fuesse weich und zart, keine verhornten Hacken und Gesichter mehr. Und selbst wenn ein solcher Fuss mal riechen wuerde, nähme ich es ihm nicht uebel. So gut und fest wie hier, auf einer Stahlpritsche im kargen Lehmhuettchen mit Sandboden, habe ich während der ganzen Reise noch nicht geschlafen. Etre simple. nach Diktat verreist -dwo


ein ägyptischer business-fuchs
wadi halfa, 7.12.2004

spät am abend setzt sich plötzlich ein alter, stämmiger ägypter in einem schwarze kaftan zu uns, kramt sein englisch hervor und erklärt uns seine geschäftsidee. seit 20 jahren träumt er davon, autörsatzteile wie zylinderköpfe aus deutschland nach ägypten zu importieren, um sie dort fuer das vierfache zu verkaufen. kann man leicht ein visum fuer deutschland bekommen? wieviel kostet ein alter LKW auf einem deutschen autofriedhof? fragen, auf die wir keine antwort wissen.

aus drei alten lastern könne man in ägypten einen neuen machen, erklärt er mit siegerlächeln. in deutschland seien maschinenteile ja nach einem jahr veraltet, in ägypten dagegen könne er auch mit vier jahre alten teilen noch ein bombengeschäft machen. er sei händler, die araber seien alle gute händler, fuegt er hinzu. zumindest hat er es in kairo zu einem mercedes und zwei häusern gebracht. obwohl er gut und gerne 60 ist, treibt ihn immer noch der ehrgeiz, "business" zu machen.

aber business allein ist heute nicht alles, ja vielleicht sogar das problem der arabischen länder, denke ich. in zeiten der globalisierung kann technik nicht mehr nur ein importgeschäft sein. man muss selber entwickeln und weiterentwickeln. daran hapert es offenbar in ägypten, wie ich in der al ahram weekly gelesen habe. der ägyptische maschinenpark ist offensichtlich unglaublich veraltet, ein guter teil duerfte nach westlichen massstäben als schrottreif gelten. aber solange staaten wie ägypten nur alte technik importieren, weil neue zu teuer ist, werden ihre wirtschaften den technischen rueckstand nicht aufholen können. dann fehlen wieder umsätze fuer investitionen, ein ewiger teufelskreis, aus dem auch männer vom schlage des sympathischen alten business-fuchs ägypten herausreissen können.

zum schluss tischt er uns noch eine echte räuberpistole auf. ja, hitler sei der grösste staatsmann gewesen (das ist an sich noch nicht so ueberraschend, hört man in dieser weltgegend immer mal). dass die deutschen die atombombe nicht gebaut hätten, habe daran gelegen, dass die USA die deutschen atomwissenschaftler entfuehrt und gezwungen hätten, die hiroshima-bombe zu bauen. "das haben sie noch nicht gewusst, oder?" fragt er uns und freut sich. "da können sie von mir noch etwas ueber ihre eigene geschichte lernen." dann verabschiedet er sich und kuesst woldo und mich auf die wangen. wir sind baff. -nbo


morgens in wadi halfa
8.12.2004

um sieben uhr bin ich an der haltestelle, an der die busse abfahren sollen. so frueh muesse ich kommen, um eine fahrkarte zu sichern, hiess es gestern am schalter. von wegen. eine handvoll menschen verliert sich hier, die sonne ist noch nicht aufgegangen, sand und plastikmuell treiben im kuehlen wind. eine frau hat ihren kleinen teestand aufgebaut, fächelt dem holzkohlenfeuer luft zu. weihrauch steigt aus der glut auf. ihre konkurrentinnen kommen gerade erst an, und so versammeln sich die ersten versprengten am stand dieser gut aussehenden nubierin. kaffee, tee, kakao, ingwer, hibiskusblueten, milchpulver, weihrauchkuegelchen, sie hat alles. wohin ich wolle, fragt mich einer. nach khartoum. der ticketschalter ist noch zu, sagt er. wir trinken den ersten kaffee, den ersten tee, reden wenig, die sonne geht auf, die anderen nubierinnen beobachten argwöhnisch unsere ausgeschlafene teefrau, um die sich immer mehr wartende scharen. ein älterer araber gibt mir einen tee aus. die holzkohlen der anderen frauen gluehen noch immer ungenutzt. ein mann aus khartoum beruhigt mich, alles sei hier in "sudan time", sieben uhr kann auch acht uhr sein.

wir trinken noch einen kaffee. und was ist mit dem krieg in darfur? der ist weit weg, sagt der khartoumer und lächelt. der platz wird voller und voller, wann öffnet der ticketschalter, frage ich erneut, nervös? ach, der ist schon auf, sagt der khartoumer jetzt. mich trifft der schlag, ich renne zu den holztueren auf der rueckseite der baracken, ich habe die falsche im auge behalten. in einem ticketoffice hat sich schon eine menschentraube versammelt. ich drängel mich zum verkäufer durch, zwei tickets nach khartoum bitte. nur noch ein platz uebrig. mir wird heiss. es ist schon neun uhr. soviel kaffee, tee und warten, um den bus vor der nase zu verpassen? der khartoumer redet jetzt auf arabisch auf den verkäufer ein, ein ernster blick, ein nachdenkliches wiegen des kopfes, OK zwei plätze, bitte sehr. wann fährt der bus, frage ich beim bezahlen. "now" sagt der verkäufer gewichtig. drei stunden später geht es los. -nbo


zen oder die kunst im bus zu sitzen
zwischen wadi halfa und khartoum, 8.12.2004

du weisst längst nicht mehr, wie viele stunden du schon in diesem LKW-bus sitzt. als die sonne am wuestenhorizont unterging, waren es sechs stunden. das ist lange her. jetzt scheinen ein paar sterne durch die halbblinden fenster. im bus herrscht finsternis. als der fahrer endlich die scheinwerfer anmachte, ging die innenbeleuchtung aus. man kann nicht alles haben. bei jeder bodenwelle fliegst du aus dem sitz und landest hart auf deinem hintern. du hast längst aufgehört, von einem kuehlen bier zu träumen. vorhin schweiften die gedanken noch in die vergangenheit, die zukunft, prallten ab und verebbten schliesslich. alles, was geblieben ist, ist dieses rollende schuettelrost, die pure gegenwart. du hast keine beduerfnisse mehr, starrst in die dunkelheit des busses und versuchst, den nächsten stoss abzufangen. keine musik, kein buch, in dessen traumwelten du entfliehen könntest. hellwach bist du, das reine körperliche sein, ein leichter schmerz. ja, du bist. und lächelst unbegreiflicherweise. dann zuendest du dir eine zigarette an, rauchst mit deinen sitznachbarn und sprichst ueber fussball. -nbo


Sitzen lernen
Zwischen Wadi Halfa und Khartoum, 8./9.12.2004





Mittags steigen wir in den LKW-Bus nach Khartoum.  Wie lange die Fahrt dauern soll, kann uns keiner genau sagen. Die Auskuenfte reichen von 15 Stunden bis hin zu zwei Tagen. Wir freuen uns wie die Könige, einen Sitz in der letzten Reihe an der Tuer erwischt zu haben. Endlich mal viel Platz fuer die Beine. Doch schon nach 500 Metern werden wir durch ein Schlagloch eines Besseren belehrt. Aus freiem Fall prallen wir auf unsere Sitze zurueck, au Backe! Nicht zum Festhalten, kein Vordersitz, der den Stoss abfängt. Und das auf einer unausgebauten Huckelpiste, die jedem Motocross-Fahrer das Herz höher schlagen liesse.

Neugierig werden wir angegrinst, während unsere Gliedmassen in der Luft wilde Kapriolen schlagen, um dann unsanft auf dem Schoss des verdutzten Sitznachbarn zu landen. Völkerverständigung der etwas anderen Art. Zur Belohnung fuer die willkommene Kurzweil bekommen wir in der Pause Zigaretten geschenkt, ein Polizist aus Saudi Arabien uebernimmt gar die Patenschaft fuer uns und schaut bei jedem Halt nach unserem Wohl, lädt uns zum Essen ein und schuettelt dauernd den Kopf. Er kann es selber nicht fassen, worauf er sich bei diesem Trip eingelassen hat.

Eine durchschnittliche Fahrt in einem der Ruettel- und Schuettelautomaten auf dem Hamburger Dom dauert fuer gewöhnlich nicht länger als fuenf Minuten und kostet drei Euro. Aber diese hier dauert nun schon 5 Stunden, quasi unbezahlbar, und wir haben noch nicht mal die Hälfte der Strecke hinter uns. Ich habe schon jetzt das Gefuehl, als wuerde ich auf meinem unteren Rippenbogen sitzen. Die Sitze sind mit 3cm dickem Schaumstoff gepolstert, der den harten Aufprall um nichts schmälert. Jeder Arzt hätte uns schon jetzt ein Schleudertrauma bescheinigt. Wer einmal auf einem Rodeobock geritten ist, kann den Bewegungsablauf in etwa nachempfinden. Hysterisch kichernd klammern wir uns unter unseren Sitzen fest, um zumindest die Flughöhe zu beeinflussen.

Im Bus herrscht ausgelassene Stimmung, ausweglos sind alle dem selben Schicksal ausgeliefert. Die drei Jungs aus Kairo einige Sitzreihen vor uns drehen sich zu uns um, winken uns zu und rufen immer wieder "Nil, Nil!" 10 Stunden dauert dieser Ritt jetzt schon, und es ist kein Ende abzusehen. Wir sind gefangen in einer Zeitschleife, die sich minuetlich von Aufprall zu Aufprall  wiederholt. Draussen wird es dunkel, und wir reiten weiter durch die Dämmerung.

Pause. Teppiche werden ausgebreitet, wir werden von unserem saudischen Paten zum Tee eingeladen und strecken unsere verpruegelten Körperteile von uns, während sich zehn Meter hinter uns eine Reihe von fuenfzehn Kaftanträger zu einer Mauer aufbaut. Einer nimmt Anlauf, lueft den Ball ueber ihre Köpfe hinweg in die obere linke Ecke. Tor, Tor!, die Menge jubelt. Nein, falsch. Die Gewandeten gehen hingebungsvoll gemeinsam in die Knie zum Sonnenuntergangsgebet. Sogar auf einer solchen Knueppeltour wird nicht versäumt, Allah zu danken. Sie haben auch die besseren Plätze.

Weiter gehts stundenlang durch die sternklare Nacht. Ohne weitere Erklärung wird um zwei Uhr unvermittelt im schwarzen Nichts angehalten. Festgefahren im Sandboden? Einige nehmen ihre Teppiche und Wolldecken unter den Arm und legen sich nach draussen. Jetzt haben auch wir es verstanden, Nachtruhe befohlen. Unvorbereitet auf dieses Nachtlager bleiben wir im Bus und versuchen im 90-Grad-Winkel einzuschlafen. Wenigstens ruettelt es jetzt nicht mehr, dafuer wird mehrstimmig atonal geschnarcht. Neben meinem Ohr hat einer Schnupfen und ich höre seinen Rotz rhythmisch durch seine Nebenhöhlen blubbern. Keine Chance, so kriegen wir kein Auge zu. Wir steigen ueber Leiber und schlafende Körperteile aus dem Bus und legen uns mit unserem duennen Deckchen in die klirrendkalte Wuestennacht. Nach zwanzig Minuten kapitulieren wir auch hier. Lieber im warmen Bus dösen, als zähneklappernd hier draussen zum Eisblock zu werden.

Zurueck im Bus gelingt es uns auf wundersame Weise dann doch noch, drei Stunden zu schlafen. Um halb acht heisst es dann wieder Aufsitzen zum 8-stuendigen Schlussritt nach Khartoum. Nach 28 Stunden Busfahrt weiss ich nun auch, was mit dem Wort Sitzfleisch gemeint ist. Ich habe jedenfalls keins mehr. Wo meins einmal war, sind nur noch Schwielen. nach Diktat verreist -dwo


ein afrikanischer moloch
khartoum, 10.12.2004

was fuer eine schreckliche stadt. ein lehm und beton gewordenes nichts am zusammenfluss von weissem und blauem nil. ueberall sieht es aus wie nach einem bombardement. brachflächen, hausskelette, bei denen man nicht weiss, ob es unfertige neubauten oder ruinen sind. im industriegebiet vor khartoum warten ziegenherden mit ihren hirten zwischen fabriken auf was auch immer. am nilufer in der innenstadt langweilen sich grimmige soldaten vor ministerien. kein cafe, keine promenade. als wir uns auf eine bank setzen, um auf den traurigen nil zu schauen, werden wir weg gescheucht. hinsetzen nicht erlaubt.

je 40 kilometer in alle vier himmelsrichtungen erstreckt sich dieser platte drittweltmoloch von der innenstadt. 1977 lebte hier 1 million einwohner, heute sind es 2 oder 3, niemand hat mehr nachgezählt. die innenstadt ist ebenso amorph wie die vorstädte, auch hier seitenstrassen aus schutt, bankgebäude von undefinierbarem architekturstil, die eine oder andere ziege. das klingt vielleicht ganz cool, es ist aber trostlos. der freundlichkeit der sudanesen tut das allerdings keinen abbruch. ein spässchen, ein lachen, und wenn man nicht weiter weiss, hilft jemand (ausser soldaten, die sollte man meiden).

nach omdurman, dem einzigen offenbar etwas älteren und gewachsenen stadtteil, gehen wir mit unserem muskelkater nicht. es ist zu heiss, wir sind zu kaputt. guesthouses gibt es in khartoum nicht, fuer die paar verirrten rucksackmenschen lohnt das nicht. das billigste doppelzimmer kostet 38 dollar (ist aber auch wirklich in ordnung). die NGOs tummeln sich im "hotel acropole", fuer 175 dollar die nacht.

wir gehen kurz hin, um in ermangelung eines handbuchs ueber den sudan ein paar informationen rauszubekommen. die beiden europäer, die das hotel leiten, sind ziemlich arrogant. als traveller bist du hier nur pack, erst recht, wenn du noch den staub der wueste an dir hast. alkohl gibt es im ganzen staat offiziell nicht. nur in khartoum duerfen ausländer und vermutlich einheimische oberschichtler in privatclubs picheln. wir muessen uns mit einem alkoholfreien bier nach all den strapazen begnuegen, das uns der eine der beiden acropolisten herablassend anbietet.

in einer provinz, lese ich aber in einer kolumne des "sudan monitor" (tageszeitung), haben frauen ein alkoholgebräu entwickelt, das knallt. sie haben es "internet" getauft, "because it connects you to the world within", wie der kolumnist schreibt. können diese frauen nicht den sudanesischen staat uebernehmen? -nbo


und wieder raus aus dem sudan
khartoum, 10.12.2004

seit drei tagen sind wir nun im sudan. ehrlich gesagt, reicht uns das schon. nicht dass hier etwas vom krieg in darfur zu spueren wäre. aber irgendwie ist das land nicht gerade heiter. selbst die strecke von atbara am nil entlang nach khartoum, die schlussetappe unserer busfahrt, war öde. und atbara (kleinstadt mit 60.000 einwohnern) eine ebenso trostlose ansiedlung von häusern in der wueste wie die hauptstadt khartoum. ich hätte nicht mal lust, eine andere provinz zu erkunden, selbst wenn wir zeit genug hätten. morgen fahren wir richtung gedaref, um dort einen truck an die äthiopische grenze zu finden. -nbo


sudan-transport mal anders
zwischen khartoum und gedaref, 11.12.2004

es geschehen zeichen und wunder. der bus, wir heute morgen besteigen, ist ein nagelneuer mercedes-reisebus. die busgesellschaft el gailani muss von einem reichen saudi im namen der arabischen bruederlichkeit finanziert sein, anders ist diese luxusfahrt nicht zu erklären. el gailani habe "good service", sagen die leute am ebenfalls brandneuen busbahnhof von khartoum, der eher einem flughafen gleicht. sie haben recht. wir bekommen kaffee, ein fruehstueck, cola, saft und kekse.

währenddessen gleiten wir sanft abgefedert durch die landschaft richtung suedosten. und siehe da, auch hier ändert sich etwas. die öde ebene weicht einer freundlichen gruenen huegellandschaft, die städte bestehen aus runden lehmhuetten mit strohdach, sind auf einmal sauber und gepflegt. gedaref, wo wir aussteigen, ist geradezu malerisch im vergleich zum nordsudan. gutgelaunt besteigen wir mittags am rande des marktes von gedaref einen truck nach gallabat. unsere letzte etappe bis zur äthiopischen grenze. ein sudani vor mir hat auf seinem hemd stehen "one life - live it" stehen. wir wahr, denke ich, als wir durch die  heisse savanne losruckeln. -nbo


Tausche Abitur gegen Sport-BH
Zwischen Gedaref und Gallabat, 11.12.2004






Afrika, 42 Grad, die Sonne brennt. Perfekter Halt dankt 3-Wetter-Taft. Schön wär's. Die Fortbewegungsmittel werden abenteuerlicher. Wir sind in Gedaref umgestiegen vom Luxus-Bus auf die Pritsche eines LKWs und werden "zu Fuss" gefahren in Richtung äthiopischer Grenze.

Vier Stunden soll die Fahrt dauern, fuer 180 km. Stehend wohlgemerkt, zusammengepfercht zwischen 35 weiteren Passagieren und landwirtschaftlichem Gerät. Durch zerfurchte Pisten, die ihren Namen nicht verdient haben. Ein Schlagloch nach dem anderen. Bloss nicht die Knie durchdruecken, dann wird man zur Stange und kann die Stösse nicht mehr abfedern. Den Klammergriff haben wir zwar schon auf der letzten Bustour perfektioniert, aber der nuetzt uns wenig. Die Fliehkraft reisst dich vom Boden, das gesamte Gewebe deines Körpers in ständiger Auf- und ABwärtsbewegung. Ich fuehle mich wie in einem Dauerbelastungstest fuer IKEA-Schubladen.

Die beiden kichernden Mädchen im Basthuettchen am Marktplatz von Gedaref wollen mich vor der Abfahrt noch schminken, aber ich erkläre ihnen durch Hochhalten meiner Sonnenbrille, dass es keinen Sinn macht, mir die Augen schön zu machen. Na gut, dann rauchen wir eben eine zusammen. Ich bin baff, die ersten rauchenden Frauen seit der Tuerkei. Überhaupt sind die Frauen hier in Afrika ein eigenes Kapitel. Nicht nur, dass sie grösstenteils wunderschön geschnittene Gesichter haben, sie sind auch erstaunlich selbstbewusst und offen. Eine Wohltat nach der männerdominierten arabischen Welt.

Nach fuenf Stunden auf dem Ruettelbrett, uebersät mit blauen Flecken und Schuerfwunden und Gesichtern wie Bergarbeiter kommen wir am sudanesischen Grenzort an. Das muss man sich mal vorstellen: Herr der Ringe Teil 1+2 stehend und durchgeschleudert. Im Stockdunklen passieren wir die äthiopische Grenze. Heute nacht kann ich ueberall schlafen, hauptsache in der Waagerechten, geduscht wird morgen. nach Diktat verreist -dwo


paradies im grenzmuell
metema, 11.12.2004

als es schon dunkel ist, passieren wir endlich die bruecke zwischen gallabat/sudan und metema/äthiopien. mateus, ein junger typ, der sein auskommen als grenzgänger findet, hat uns durch die amtsstuben gelotst. jetzt staunen wir ueber die hauptstrasse von metema, einem dorf, in dem nächtliches leben brodelt. in einer huettenbar fallen wir verschwitzt und staubbedeckt wie grubenarbeiter auf einen stuhl und zischen das erste bier seit ägypten. im hintergrund läuft groovige mucke, die frauen tragen keine kopftuecher mehr, und alle sind entspannt. ein travellerparadies!

dass es schäbig ist, stört uns nicht, im schein der lichter wird hier alles in eine hippie-atmosphäre getaucht. und wir sind zu kaputt, um noch ansprueche zu stellen. unser zimmer ist ein verschlag, die toilette im hof ein loch im boden, an dessen grund im schein der taschenlampe es krabbelt und wabert. auch das ist reisen.

mateus findet fuer uns hinter der zehnten huette abseits der hauptstrasse noch ein geöffnetes restaurant, in dem wir injera, das graue, poröse, pfannkuchenartige brot äthiopiens, mit fleisch essen.

zum schluss ein bier in einer der unzähligen huettenbars. und ueberall nur junge leute. keiner ist älter als 25 (äthiopien ist das zweitbevölkerungsreichste land afrikas, mit 72 millionen einwohnern). ob metema bei tageslicht traurig aussieht, werden wir nie erfahren: unser bus nach gondar fährt am nächsten morgen freundlicherweise um halb sechs. -nbo


jenseits von entenhausen
gondar, 13.12.2004





gondar ist verwirrend und unwirklich. in 2200 metern höhe gelegen, mit jahrhunderte alten burgartigen schlössern, die fast schottisch anmuten, eingerahmt von huegeln mit waldstuecken und weiden, die einen eher an eine voralpenlandschaft erinnern. schilder sind mit seltsamen runen beschriftet (amharisch). im zentrum befindet sich die "piazza", die die italiener samt grossem cafe aus ihrer sechsjährigen kolonialzeit hinterlassen haben. die äthiopier sind zwar schwarz, aber ihre gesichter haben oft wenig ähnlichkeit mit den afrikanern, die man normalerweise im kopf hat. eher sehen sie europäisch aus, nur eben dunkel.

gondar wirkt wie eines dieser unter dichten wolken verborgenen märchenländer, auf das die duckfamilie nach tausenden von kilometern auf schatzsuche jenseits von entenhausen in gestuerzt ist. im ethiopia cafe an der piazza trinken wir erst mal einen kaffee. schön stark, die äthiopische variante des espresso, mit viel crema. sobald wir aber einen fuss vor die tuer des cafes oder hotels setzen, sind wir von einer horde kinder und jugendlicher umringt, die uns wie ein schwarm folgt. die kleineren fragen "mister, buy me book?", die älteren "you go to simien mountains?". daran muss man sich gewöhnen, die kerle verschwinden nicht.

die erwachsenen sind auf den ersten blick um so reservierter. sitzt man aber erst mal mit ihnen in einer der zahlreichen kneipen zusammen, tauen sie sofort auf. in einer mischung aus kramladen und bar trinken wir äthiopischen ouzo (nicht schlecht!) und lästern ueber den sudan. da lachen die äthiopier schallend. währenddessen wird ueber die tresen-theke wasser und klopapier verkauft. in der ecke wippt ein mann im rhythmus der musik. die besitzerin des ladens winkt uns am nächsten morgen gleich freudestrahlend zu - wahrscheinlich auch, weil woldo meinte, äthiopische frauen wuerden so gut aussehen. das hat ihr sichtlich geschmeichelt.

die äthiopischen männer sind fussballverrueckt. als wir nachmittags in unserem zimmer sind, hören wir plötzlich ein tierisches geschrei von oben. ich renne rauf in die rooftop bar, ein tor ist gefallen. die bar platzt aus allen nähten, so viele wollen das spiel sehen. ich denke, das tor muss fuer äthiopien gefallen sein. ein blick auf den bildschirm belehrt mich eines besseren: es ist ein premier-league spiel zwischen arsenal und birmingham. englischer fussball ist das einzige, was hier zählt.

mit den äthiopien-klischees, die sich seit dem band-aid-konzert 1984 in allen köpfen festgesetzt haben, hat das alles hier nichts zu tun. weder hungernde blähbäuche noch fliegenuebersäte kinderköpfe. bettler gibt es allerdings genuegend, die auch den einheimischen ihr spruechlein runterbeten. auffällig ist auch, dass hier unglaublich viele leute in den strassen unterwegs sind, ohne erkennbar etwas zu tun zu haben. das ist das einzige indiz dafuer, dass es äthiopien wohl nicht so gut geht, wie einen das entspannte treiben glauben lässt (äthiopien ist im human development report der UNO auf platz 170 von 177). -nbo


halbe strecke
gondar, 14.12.2004

die erste etappe ist geschafft. bis gondar regierte der zeitplan, aufgedrueckt vom stempel des äthiopischen visums. macht nichts. so haben wir mehr zeit in ostafrika mit seinen phantastischen landschaften. städte und historische orte haben wir auch genug gesehen. jetzt sitzen wir in unserem runden hotelturm in gondar und legen eine art wochenende ein. lesen, essen, kaffee trinken, vom balkon in die landschaft schauen. planen. luft holen.

an zuhause denken: an das gemuetliche, saubere bett in unserer wohnung. an st. pauli und phiesta sowieso. an ein kölsch in der bar centrale, einen wein "auf der ecke" bei mr. kebap (in unserer erinnerung ist in hamburg immer noch spätsommer/fruehherbst), an das schwarzbrot in der bäckerei in der paul-roosen-strasse, einen joghurt im glas, spaghetti mit pesto, ein fischbrötchen an den landungsbruecken, die elbe, einen galao beim portugiesen, einen schwarzen bei karlo, einen von knuts cocktails, an den tue-bop...

zwei monate ist das alles her. 9.800 kilometer haben wir vom dammtor zurueckgelegt. noch mal soviel liegen vor uns, wie uns gestern zwei suedafrikaner gesagt haben, die von kapstadt hochgekommen sind. morgen geht's weiter. -nbo


Abgestempelt
Bahar Dar, 15.12.2004

Hier in Äthiopien gehen die Uhren anders, und zwar jede. Keine zeigt die selbe Uhrzeit an, jede hat ihre eigene Zeit. Die Taktgeber der westlichen Welt sind hier offensichtlich reine Dekorationsartikel oder wir haben das System nur noch nicht verstanden. Nachdem wir gestern in Bahar Dar, einem kleinen Ort am Lake Tana angekommen sind, fällt es uns schwer, gute Laune zu behalten.

Hier herrschen bad vibrations. Nur einfach ein Gast in diesem Land zu sein, funktioniert hier in Äthiopien nicht. Man ist Tourist, ein weisser Leuchtturm und muss dafuer bluten. Fast scheint es, als wuerde man dafuer bestraft, dass man Interesse an diesem Flecken Erde hat. Der Weisse ist reich und sie sind arm und deswegen muessen wir blechen, aber richtig.

An jeder Ecke wird man aufs Übelste abgezockt. Als muesse man eine Ablasszahlung fuer vorrangegangene Ungerechtigkeit leisten. Und dabei ist gerade Äthiopien das Land, dass niemals eine europäische Kolonie gewesen ist, bis auf die kurze siebenjährige Besetzung durch Italien. Also können sie sich auch nicht auf Wiedergutmachung berufen, sie haben sich hier alles selber eingebrockt, ihr Missmanagement und ineffiziente Landwirtschaftstechnik hat es in diesen maroden Zustand hineinkatapultiert. Der 17 Jahre währende Kommunismus bis 1991 hat ihm dann noch den Rest gegeben. Durch die westlichen Hilfsorganisationen kam dann das weisse Geld hierher, und seitdem sind wir abgestempelt als goldene Kuehe.

Vor allem im Tourismus wird man uebers Ohr gehauen, dass einem Hören und Sehen vergeht und vor allem die Fröhlichkeit. An allen öffentlichen Stellen scheint Abzocke befohlen. Bei Eintritten und Transport zahlen wir dass 2-3 fache der einheimischen preise. Damit hätte ich grundsätzlich kein Problem, wenn sie zudem nicht auch noch ganz offensichtlich versuchen wuerden, die Kosten einer kompletten Minibusladung auf uns abzuwälzen.

Hinter ihrem Ruecken tun wir uns mit anderen Touristen zusammen, um auf eigene Faust die Fahrt nach Addis Abeba zu organisieren, nur um nicht erneut uebers Ohr gehauen zu werden. Am nächsten Morgen kommt der Minibus natuerlich nicht, weil sie hier alle unter einer Decke stecken, Saubande. Es ist traurig und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Und dass, obwohl ich gerade auf dieses Land so gespannt war. Der einzige Ort, wo ich bis jetzt nicht dieses ungute Gefuehl hatte, waren die Kneipen und Cafes, in denen wir fuer ein komplettes Fruehstueck mit Saft und Kaffe umgerechnet 1,80 Euro bezahlt haben.

Nicht dass es mir um den Betrag des Geldes geht, natuerlich sind wir reich gemessen am Durchschnittslohn hier. Es geht mir vielmehr um das Gefuehl der Gleichbehandlung und des Willkommenseins. Denn genaugenommen praktizieren sie hier jetzt nichts anderes, als die ihnen nur zu gut bekannte Ungleichbehandlung, nur eben umgekehrt, schwarz gegen weiss. Die Atmospäre zwischen "Gästen" und Einheimischen erinnert mich hier schwer an Kuba. Wir muessen zahlen und uns obendrein noch schlecht fuehlen, des Gewissens wegen. Weder möchte ich wegen meiner Hautfarbe bevorzugt, noch benachteiligt werden. Ich möchte einfach nur das Land kennenlernen. Mann, wie ticken die hier eigentlich. Zum ersten mal beschleicht mich so ein Gefuehl wie Heimweh. nach Diktat verreist -dwo


fruehstueck in fuenf akten und andere merkwuerdigkeiten
bahar dar, 15./16.12.2004

kann ich bitte noch einmal die araber zurueckhaben? die letzten 24 stunden in bahar dar sind das frustrierendste, was wir bisher erlebt habe. schlimmer noch, wir sind total angefressen und regen uns auf. genau das aber macht dich als reisenden angreifbar. wenn einem das lachen vergeht, kommt's erst recht dicke.

fangen wir mit dem komischen an: unserem fruehstueck im hotel "dubambessa", fuer hiesige verhältnisse teure mittelklasse (dafuer ist das bad sauber, es liegt am tana-see, die zimmer sind schön). wir sitzen auf der terrasse mit seeblick und bestellen unser fruehstuck. die kellnerin nickt dauernd, und uns schwant schon, das sie kein wort verstanden hat. drei minuten später kommt ihre kollegin, die ein wenig englisch kann, und nimmt die bestellung noch einmal auf. irgendwann kommt das brot. fuenf minuten später die cornflakes (die ersten in afrika), aber ohne milch. drei minuten später die milch. dann ein einzelner saft. wir lachen schon. zuletzt kommt der kaffee, der in äthiopien eigentlich die einfachste sache ist. keiner in diesem schuppen spricht einen zusammenhängenden satz englisch. aber alle nicken und sagen ständig "yes", auch wenn man eine frage stellt, die man nicht mit "ja" beantworten kann.

weniger lustig ist die touristenverarschung gestern nachmittag. wir fahren zum wasserfall des blauen nils, der hier aus dem see entspringt. als wir unser ticket bezahlt haben, kommen wir nach ein paar hundert metern an die stelle, wo man ueber den nil uebersetzen muss. ein haufen schergen umringt uns und will fuers uebersetzen mehr haben als fuer den eintritt (20 birr, ein abendessen fuer zwei hier). wir sind unter anderem mit drei äthiopiern aus addis unterwegs, die ebenfalls kaum glauben können, was diese typen dafuer haben wollen. als wir uns wundern, werden sie auch noch ärgerlich. wir beissen in den sauren apfel und setzen ueber.

dann die nächste ueberraschung: der wasserfall existiert nicht mehr. eine lächerliche dusche rauscht die felsklippe runter, während das wasser ins nahe wasserkraftwerk umgeleitet wird. das ist das gute recht der äthiopier, aber warum streichen sie den "wasserfall" dann nicht von ihrer liste der sehenswuerdigkeiten? die drei aus addis sind tief enttäuscht.

abends wollen wir nach nairobi telefonieren, um erkundigungen bei einer safari-agentur einzuholen. auf meinem handy erscheint zwar das netz der ethiopian mobile, aber einloggen kann man sich nicht. ein typ vor dem hotel, der freund von unserem wasserfall-guide, bietet uns an, von seinem handy aus anzurufen, wenn wir eine prepaid-karte kaufen. na gut.

dann wählen wir uns eine dreiviertelstunde die finger wund, um bei jeder nummer, selbst der der deutschen botschaft in nairobi, "the number dös not exist" zu hören. das guthaben ist verloren - es ist auf das handy unseres helfer gebucht. ein schelm, böses dabei denkt. mehr als die hälfte will er uns aber nicht zurückgeben, denn es sei ja nicht seine schuld, dass die verbindung nicht zustande gekommen sei. "I want just be friendly to you". meine laune ist im keller bei solch blumigem gelaber.

heute haben wir dann versucht, einen minibusplatz nach nairobi zu ergattern, weil die strecke dann in einem tag zu bewältigen ist. öffentliche busse muessen eine zwangsuebernachtungspause einlegen, weil sie nicht nach einbruch der dunkelheit fahren duerfen. lustig nur, dass in äthiopien alle busse um 5:30 h losfahren, wenn es stockdunkel ist (sonnenaufgang ist hier um 7 h) und die fahrer sicher total ausgeschlafen sind (man sieht sie noch am abend vorher um zehn putzmunter um preise feilschen).

wir fragen also morgens im hotel, und ja, verspricht man uns, der minibusplatz wir organisiert. als wir mittags nachfragen, weiss an der rezeption niemand von nichts. sicherheitshalber hauen wir noch einen zweiten typen draussen vor dem hotel an, denn jeder behauptet hier, einen platz im minibus organisieren zu können.

nachmittags kommen auf einmal zwei typen auf uns zu, der deal sei perfekt, fahrer und wagen kämen gleich. stunden vergehen. währenddessen schnellt der preis um 50 % in die höhe. das liege an angebot und nachfrage, erklären uns die äthiopier. viel nachfrage, höhere preise. das nenne ich marktwirtschaft im stundentakt. folgerichtig wird der mann, der die minibusse organisiert, auch "broker" genannt. aber es gibt nur einen broker im ort. von wegen marktwirtschaft.

als wir erneut fragen, wann denn der wagen komme - man soll hier in kein fahrzeug einsteigen, dass man nicht vorher gesehen hat -, wird einer der typen fuchtig. "do it or not", sagt er, "I'm not pushing you." da muss ich fast lachen, aber ich bin schon zu wuetend. langschweifige erklärungen folgen zum x-ten mal, dann wieder druck, sich fuer einen der beiden minibusse zu entscheiden.

nun könnte man sagen, ja wir sind von unserer sudan-durchquerung ausgepowert. sind wir, keine frage, sonst hätten wir alles weggelacht. aber wir treffen andere, denen es in dieser stadt genau so geht. ein älterer serbe bei uns im hotel schimpft wie ein rohrspatz. ein traveller-paar aus isräl, das wir in einem cafe treffen, ist total angepisst. und das, obwohl die frau urspruenglich aus äthiopien stammt. sie findet ihr frueheres heimatland fuerchterlich. wir haben beide zum ersten mal seit dem dammtor richtiges heimweh. -nbo


macchiato an der piazza
addis abeba, 18.12.2004





was fuer eine erleichterung. wir hatten schon mit dem schlimmsten gerechnet. addis, wie man hier sagt, sei eine trostlose stadt, meinten die anderen traveller in bahar dar, noch viel schlimmer als diese stadt am tana-see. aber addis ist klasse.

eine entspannte grossstadt, die in einem talkessel liegt und anders als khartoum wirklich eine stadt ist. an der "piazza" sitzen wir in einem strassencafe und trinken espresso macchiato. ein paradies fuer kaffeetrinker. geschäftsleute, tagediebe, stadt-hipster sitzen hier gegenueber dem kino in der sonne und schluerfen ihren kaffee. die kellnerinnen haben abgefahrene lockenfrisuren, und gut sehen sie sowieso fast alle aus.

um die ecke von unserem "hotel baro", das eine ueppig gruenen innenhof hat, reihen sich bars und puffs aneinander. mensch, da fuehlt man sich ein wenig wie zuhause. die stimmung steigt, das heimweh verfliegt beim dritten "makiato" und bahar dar ist nur noch eine blöde episode. jeden tag werden die karten eben neu gemischt auf dieser tour. -nbo


what time is it?
addis, 18.12.2004

heute ist der 10.4.1997 in äthiopien. ein land, das im wahrsten sinne des wortes in der vergangenheit lebt, weil hier noch der alte julianische kalender kalender gilt, der bei uns im mittelalter abgeschafft wurde. und wenn man mit irgendjemandem hier eine uhrzeit ausmacht, heisst es: "OK, at eight o'clock in your time."

ich habe das zuerst fuer eine floskel gehalten, "in your time". aber ein blick auf armbanduhren, etwa im bus, zeigt immer eine andere uhrzeit. nach einiger zeit stelle ich fest, dass die uhren konsequent anders gehen, und zwar sechs stunden vor (oder nach, wie man es sehen will). wenn wir uns um zwei uhr nachmittags im bus fragen, wie lange wir wohl noch brauchen, ist es auf äthiopischen handgelenken acht.
des rätsels lösung: sieben uhr morgens ist hier ein uhr am tag, sieben uhr abends ein uhr nachts. auch sonst ist die vergangenheit allgegenwärtig. im kino gegenueber unserem stammcafe läuft "the rock" mit sean connery, ein actionschinken von 1996 oder "I know what you did last summer" von 1997. die zeitungshändler vor dem kino verkaufen time-, newsweek- oder economist-ausgaben von 2001. keine ahnung, wer das noch liest. selbst in einem ordentlichen buchladen wie bookworld sind nur internationale magazine von vor vier, fuenf wochen zu bekommen.

in äthiopien gehen nicht nur die uhren anders, sondern auch die frauen. sie sehen nicht nur gut aus, sie sind auch noch vorwitzig. als wir gestern eine strasse lang gingen und eine gruppe von drei schlendernden äthiopierinnen ueberholten, zupfte es mich plötzlich am ärmel. darauf sogar ein kniff in den arm, gefolgt von einem kichern und giggeln. nach dem nahen osten ein ganz ungewohntes, auesserst sympathisches gefuehl. -nbo


Die Welt des schönen Scheins
Addis, 18.12.2004

Mitten in Addis steht eine Festung, sie gehört zum Königreich Sheraton, die Residenz der Reichen und der Businesswelt, inmitten der Strassenbuden und alltäglichen Durchschnittsarmut. Wir gehen hin, um Geld zu wechseln. Vorbei an den uniformierten Wachen, durch Sicherheitsschleusen in die wohltemperierte Halle. Professionell lächelndes Personal begruesst uns zurueckhaltend, alle ausgebildet in Europa. Aus den Lautsprechern rieselt sanft Konserven-Weihnachtsmusik, unter dem Weihnachtsbaum liegen Deko-Geschenke, alles funkelt und glitzert. In diesem gigantischen Hotelkomplex kosten die Zimmer im Schnitt 300 $ die Nacht, die Suite ist fuer schlappe 4.300 $ zu haben. Eine Summe, die fuer einen Äthiopier einem Lottogewinn gleichkäme. Aber fuer Einheimische ist dieser Schuppen auch nicht gedacht, hier ist man entre nous.

Im hoteleigenen Bookshop wollen wir ein Buch ueber die afrikanische Entwicklungspolitik mit Kreditkarte bezahlen, immerhin 198 Birr, umgerechnet ungefähr 18 Euro. "No, not for small amounts", lächelt mir die äthiopische Kassiererin entgegen. Was denn, bitteschön, not a small amount fuer sie sei, möchte ich von ihr wissen. "Starts at 500 Birr", ist ihre gepflegte Antwort. 500 Birr! Das durchschnitliche äthiopische Monatseinkommen ist hier der Mindestbetrag fuer Kreditkartenzahlung. Unfassbar!

Wer hier absteigt und behauptet, in Äthiopien gewesen zu sein, luegt sich in die eigene Tasche. Als interessante Randbemerkung sei noch erwähnt, dass die Sheraton Hotelkette dem Äthiopier Al Amoudi gehört. Und nicht nur die, auch den Pepsi Konzern nennt er sein Eigen. Ausgewandert in den 70ern residiert er nun in Saudi Arabien. Ars vivendi! nach Diktat verreist -dwo


tor fuer äthiopien
addis, 19.12.2004





sonntag nachmittag. die hauptstadtstrassen sind leergefegt. die äthiopische nation hängt vor dem fernseher: äthiopien spielt in der ostafrika-meisterschaft gegen sansibar. das letzte gruppenspiel vor dem einzug ins halbfinale. was da im schneegestöber des fernsehbildes in unserem hotelinnenhof zu erkennen ist, beeindruckt nicht gerade. ein einziges ballgeschiebe im mittelfeld, manchmal verspringt auf dem grasacker des stadions von addis. immerhin keine rueckpässe zum torwart. aber auch kein offensivdrang. im strafraum passiert nichts. "den äthiopiern fehlt ein torjäger", sage ich zu einem älteren äthiopier, der auch guckt. "du hasst es erfasst", antwortet er lächelnd.

die mannschaften kommen aus der halbzeitpause. äthiopien dreht jetzt auf. "antenne" treibt den ball immer wieder ueber die linke seite, jedenfalls scheint das der name zu sein, wie ich aus dem amharischen wortstrom des reporters schliesse. die sansibarer sind noch schwächer geworden und fallen alle fuenf minuten theatralisch zu boden. antenne zu "schnaffi", schnaffi passt zu "aider", da plötzlich ein getuemmel im sansibarischen strafraum, der ball fliegt senkrecht nach oben, was macht der sansibarer torwart da, er kommt nicht heran, ein äthiopier legt sich quer in die luft und hämmert die kugel zwischen vier verdutzten abwehrspielern aus zehn meter ins netz. ohrenbetäubender jubel bricht los: 1:0 fuer äthiopien, die lautsprecher des fernsehers verzerren, und der sender zeigt sogar eine wiederholung.

die gesichter der äthiopier im hotelinnenhof entspannen sich. einige minuten später, schnaffi und antenne haben wieder die sansibarische abwehr durcheinandergebracht, der wird in die rechte strafraumhälfte gepasst, aider, dieser ballfuchs, stoppt vorbildlich, legt sich auf rechts vor, zieht ab und tor! 2:0 fuer äthiopien. da sah der sansibarische torwart alt aus, als die kugel an ihm vorbei ins rechte obere eck zischte. kurz vor schluss besorgt aider mit einem flachen 20-meter-schuss ins linke untere ecke den 3:0-endstand.

die zuschauer tanzen, gesänge erschallen von der tribuene, die denselben rhythmus wie in unseren stadien haben. eine äthiopische pop-ikone mit weissen haaren schmettert nach abpfiff ein patriotisches lied, und draussen hört man die ersten autos hupen. heute sind alle gluecklich. -nbo   PS: äthiopien besiegte im halbfinale kenia gluecklich im elfmeterschiessen und im finale burundi mit 3:0, diesmal aber souverän. da war vielleicht was los.


in der recycling-stadt
addis, 20.12.2004





in addis gibt es nicht einfach nur einen markt. es gibt den "mercato". den grössten markt in ostafrika. eine stadt in der stadt. er ist so gross, dass man wir ihn zunächst fast uebersehen. denn all die wellblächdächer, die sich westlich vor der piazza den hang hinabziehen, sind keine dächer von heruntergekommenen wohnhäusern. es sind marktbuden, zwischen denen sich gänge von höchstens anderthalb metern breite befinden.

der mercato erfordert eigentlich einen eigenen stadtplan. da gibt es ein ganzes viertel, in dem nur stoffe verkauft werden, so gross wie in vielen anderen städten der ganze markt, viertel fuer schuhe, korbwaren, haushaltskram...

nachdem wir zwei stunden in sengender hitze durch dieses scheinbare durcheinander gelaufen sind, kommen wir in eine gasse ohne asphalt, voller schotter und schlaglöcher. laster und minibusse sind in einem stau verkeilt, es geht nicht vor und zurueck, menschen sich durch die wagen. an einer ecke werden leere mineralwasserflaschen zu buendeln verschnuert, leere konservendosen gesammelt. ein paar meter weiter stossen wir auf alte reifen. ein paar werden zerschnitten und in badelatschen umgewandelt. wir gehen weiter, winden uns zwischen "you" rufenden kindern und neugierigen erwachsenen hindurch. die gasse wird immer enger und schmutziger, fällt ab, ölschlieren schimmern in pfuetzen zwischen dicken wackersteinen. ein paar männer sitzen in diesem dreck und biegen armiereisen zurecht. hier ist kein durchkommen, wir suchen einen anderen weg.

ein lautes hämmern ertönt. schwarzverschmierte männer schlagen auf ausrangierte stossdämpfer von lastern und bussen ein. wir biegen um die ecke und landen in einer "stahlhandlung". ueberall sind stäbe in buendeln gestapelt, die meterhoch in den himmel ragen. einige meter daneben schneiden andere lederriemen zurecht. frauen tragen körbe und wannen vorbei, niemand steht still, alle such den weg zu einem gegenstand, der ihnen fehlt. ein mann sitzt in einem verschlag und repariert buegeleisen. an den wänden stapeln sich elektroartikel und elektroschrott, laden an laden, kein knopf, kein schalter, kein motor, der sich hier nicht finden liesse.

was bei uns wahlweise als ökonomischer luxus oder ökologische zukunftsvision gilt, hier ist es blanke ueberlebenskunst. alles muss wiederverwertet werden, weil das neue unbezahlbar ist. die alltagstechnik, die wir im geschäft kaufen, ist hier ein schweineteurer import, den sich nur die upper class leisten kann. der rest ist auf die kunst des recyclings angewiesen. was uns auf den ersten blick bemitleidenswert oder rueckständig vorkommt, ist möglicherweise eine notwendigkeit in der zukunft auf einem ausgelaugten planeten.

wenn bei uns eine neue ölkrise oder ein crash der weltwirtschaft die hightechzivilisation zusammenbrechen liesse, wäre addis längst gewappnet. hier wuesste man die lebensdauer der technosphäre noch um jahre zu verlängern, wenn man bei uns schon längst resigniert hätte, weil nichts mehr geht. -nbo


was ist reisen? #2
addis, 20.12.2004

reisen ist ein full-time-job. du kommst an einem neuen ort an und musst erst mal ein bett finden. wehrst hotelschlepper ab, die dich wie fliegen umkreisen, wenn du aus dem bus steigst. begutachtest ein zimmer hier, ein bad dort. dan eine entscheidung. durchatmen. dringend etwas trinken. ständig brennt die sonne und trocknet dich aus. oder verkleben autoabgase deine lungen. du zwingst dich, wenigstens deine 1,5-liter-flasche wasser am tag zu trinken, obwohl dir die laue bruehe schon lange zum hals raushängt.

OK, gehen wir mal vor die tuer. sofort bist du wieder von gluecksrittern umzingelt, meistens um die 20 jahre alt. can I help you? you make tour? where you from? zu viele fragen, auf die du nicht antworten willst oder kannst. du gehst die strasse runter und spuerst den schatten, der dir folgt. "mister", "hello", "my friend" wispert es permanent aus tuernischen und läden. ein "good price" verfolgt dich unablässig, denn bist du etwa nicht zum hardcore-shoppen in dieses land gekommen?

du willst dir etwas angucken und hast keine lust laufen, weil es zu heiss ist oder der das mister-gefluester auf die nerven geht. ein taxi, ein rikscha, ein tuktuk muss her. du nennst dein ziel, und der fahrer antwortet dir mit einem phantasiepreis. dann folgt das ewige gefeilsche. nach einem kurzen wortwechsel steigst du achselzuckend ein. am ziel schaust du dir etwas an, was dir fremd ist, was du nicht verstehst. blätterst in deinem handbuch, in dem nie genug steht, um deinen wissensdurst zu stillen. vielleicht nimmst du einen guide, der dir auch wieder nur die basics herunterleiert. deine nachfragen versteht er nicht richtig.

mit bildern und fragen im kopf ziehst du weiter. setzt dich irgendwohin, um einen kaffee, einen tee zu trinken, eine zigarette zu rauchen. aus dem hintergrund schwappt schon wieder ein schwall von fragen herueber. kinder kommen vorbei und wollen dir kleinkram verkaufen, den du nicht brauchst. jede minute eins.

irgendwann wird es dunkel, zeit etwas zu essen. du checkst strassenstände, restaurants, vergleichst sie vielleicht mit einem tip aus deinem handbuch. dein abendessen ist entweder ein gericht, das du noch im leben gesehen oder schon die ganze woche gegessen hast, weil die lokale speisekarte ziemlich kurz ist. 5 tage mensaf in jordanien, 5 tage huehnchen und fuul in ägypten, 5 tage kebap im sudan, 5 tage kitfo oder tibs in äthiopien.

OK, ich uebertreibe ein wenig. im nahen osten oder asien kommt ein anderes problem hinzu. diese trostlose getränkekultur. wasser, cola, tee oder bier. cola ist dir auf die dauer zu suess. tee, davon reichen vier tassen am tag wirklich. das zweite bier am abend schmeckt auch schon fad (ein königreich fuer ein frischgezapftes jever). ein guter wein? apfelsaft? apfelschorle? ein toller cappucino? mineralwasser mit kohlensäure? Matelimo? ach ja.

mit schwirrendem kopf sinkst du in einen unruhigen schlaf, der mitten in der nacht - so kommt es dir vor - unterbrochen wird. der muezzin ruft, die ersten trucks donnern hinter der einfachverglasten scheibe dahin, eine huehnerarmada gackert und kräht. du drehst dich um und erhaschst noch mal zwei stunden schlaf.

dann das nächste problem: was fruehstuecken? im nahen osten oder in afrika gibt es immerhin hervorragenden kaffee. aber das essen? schon morgens saubohnen (fuul) wie in ägypten? nudelsuppe wie in asien? firfir wie in äthiopien? oder das 43. traveller-omelett, das fuer "den" westler ueberall auf der welt auf der karte steht? das continental breakfast besteht aus chemiemarmelade und brot. na wenigstens brot. ach, ein camembert - doch vor dir liegt nur schmelzkäse, der mit der lachenden kuh, auf dem teller, jedenfalls im nahen osten.

und irgendwann musst du dich entscheiden, wie du weiterfährst. bustickets am ende der stadt organisieren. oder in aller hergottsfruehe am busbahnhof sein, weil fahrkarten nur am selben tag verkauft werden. dann fährst du ab, kommst stunden später woanders an, und das spiel geht von vorne los. -nbo


nachrichten aus äthiopien
addis, 20.12.2004

es gibt hier erstaunlich viele zeitungen, diverse auf amharisch, aber auch einige englischsprachige tages- und wochenzeitungen. das ereignis der letzten woche war der besuch von bundespräsident horst köhler, der sich tatsächlich drei tage zeit nahme, um das hundertjährige jubiläum der deutsch-äthiopischen beziehungen zu wuerdigen. im gepäck hatte er einen schuldenerlass von 70 mio. euro. das klingt nicht viel, aber in birr umgerechnet sind es 770 mio. wenn man beruecksichtigt, dass im alltag ein birr eine ähnliche kaufkraft hat wie ein euro bei uns, ist das eine ungeheure summe. ungeheuerlich ist aber auch ein lapsus der deutschen delegation, den die hiesigen zeitungen kritisch vermerkt haben. seit jahren verweigert der äthiopische premier meles zenawi unabhängigen medien die teilnahme an seinen regie-rungspressekonferenzen. nun hatten die deutschen im vorfeld des köhler-besuchs den wunsch angemeldet, dass das bei der gemeinsamen pressekonferenz anders sein solle. irgendein ministerium versprach sich, darum zu kuemmern. das war's dann auch. als die konferenz stattfand, kamen wie ueblich nur die journalisten der staatlichen medien. das ist nicht nur peinlich, sondern skandalös. es wäre ein leichtes gewesen, fuer den schuldenerlass so viel entgegenkommen durchzusetzen. stattdessen räsonnierte köhler in wohlfeilen worten ueber die probleme afrikas mit korruption und demokratisierung. der wortlaut seiner rede war ueberall abgedruckt. viel heisse luft. und einem premier, der äthiopien massgeblich mit in den absurden krieg gegen eritrea (1998 - 2000) hineingeritten hat, erlässt man das minimum demokratischer kultur.

in äthiopien gibt es 4,7 mio. waisen, lese ich. zurueckgelassen von hunger, krieg und AIDS. das sind immerhin 7 prozent der gesamtbevölkerung.

ein neues gesetz legt erstmals eine mindeststrafe fuer vergewaltigungen fest, nämlich 5 jahre. wie eine frauenrechtlerin hierzu in einer zeitung bemerkte, konnten vergewaltiger bisher damit rechnen, mit läppischen strafen davonzukommen (wenige monate, geldbusse).

gewalt gegen kinder und frauen scheint in äthiopien ein echtes problem zu sein. in mehreren zeitungen wurde innerhalb der letzten acht tage darueber berichtet. vor allem eine strikte festschreibung von kinderrechten fehle bisher.

und noch einmal premier meles zenawi. der hat vor kurzem einen 5-punkte-friedensplan fuer den konflikt mit eritrea vorgelegt. das erstaunliche: zenawi begnuegt sich nun damit, den zustand vor dem krieg von 1998 wiederherzustellen, den er vor zwei jahren noch als inakzeptabel bezeichnet hatte. die fuenf punkte sind ein witz. punkt 1 beinhaltet zum beispiel, dass sich äthiopien dem frieden verpflichtet fuehlt. so fuellt man diplomatisches papier.

die wochenzeitung "capital" titelte "water crisis in addis". der zustand der wasserversorgung in der hauptstadt ist offenbar total verrottet und chemisch belastet. und in naher zukunft wohl irreparabel. das ist um so erstaunlicher, als grosse teile äthiopiens nicht unter wassermangel, und addis liegt im zentralen hochland, das saftig gruen ist. der leitartikel von capital war dennoch tiefpessimistisch. "ethiopia is dying" lautete die these. -nbo


Der Garten Afrikas
Addis, 20.12.2004

Denkt man an Äthiopien, kommen sofort die Katastrophenbilder aus den 80ern in einem hoch. Blähbäuchige Kinder mit unzähligen Fliegen in jeder Kopföffnung und hungrigen glasigen Augen. Heute, 20 Jahre nach der Duerre, hat das nur noch wenig mit diesem Land zu tun. Hier wachsen Fruechte aller Art in Huelle und Fuelle, Mangos, Papayas, gigantische Bananen, Orangen. Hier muss keiner hungern. Der rote Boden ist der fruchtbarste, den es gibt.

Trotzdem, wuerde wieder eine Ernte ausbleiben, wuesste sich auch heute keiner zu helfen, die Probleme wären heute die gleichen, wie vor 20 Jahren. Keiner hat hier etwas dazugelernt, es gibt keine Vorratshaltung oder vorrausschauende Vorsorge.

Was geblieben ist aus deser Zeit, ist der Glaube an die westliche Hilfe, vor allem in finanzieller Hinsicht. Warum deswegen auch planen? Man muss doch nur abwarten, bis die nächste Katastrophe kommt und man wieder ueberschuettet wird mit Hilfsguetern aus aller Welt.

Der körperliche Hunger ist einem anderen Beduerfnis gewichen, dem Hunger nach Wohlstand. Doch dafuer sind es einfach zu viele, eine Bevölkerung von 72 Mio. Menschen, von denen es jeder als Erster geschafft haben will.

Und plötzlich ist nichts mehr uebrig von der vollmundig beteuerten afrikanischen Gelassenheit. Es wird gerempelt, getreten und gespuckt. Es regiert der Instinkt, von Zivilisation weit entfernt. Die Scheisse quillt unter Klotueren durch, Hygiene ein Fremdwort, Krankheiten können sich verbreiten, wie Lauffeuer. Wenn eine Population aus den Fugen grät, herrschen animalische Zustände. Vor allem, wenn der ueberdurchschnittliche Teil unter 25 Jahre alt ist, eine pubertierende Bevölkerung ohne die so notwendige Weitsicht.

Wieso auch an morgen denken, wenn es uns doch heute gut gehen soll? "Hey mister, give me five Birr!" Schnorren kann hier jeder, diese Lektion haben sie von ihrer Regierung nur zu gut gelernt. nach Diktat verreist -dwo


Brot fuer die Welt
Arba Minch, 21.12.2004

Wer kennt sie nicht, die zahllosen nichtstaatlichen Organisationen, in denen man gerade zur Weihnachtszeit sein Gewissen erleichtern kann. Dann herrscht hier Hochkonjunktur, und das nicht nur in den Spendentöpfen. Auch in den teuersten Hotels des Landes, in denen die Angestellten dieser Organisationen (NGOs) weihnächtens zu residieren pflegen.

Im Bekele Mola Hotel in Arba Minch, in dem wir uns eine gepflegte Pause gönnen wollen (das Zimmer immerhin zu 288 Birr) haben wir Glueck und bekommen das letzte freie Zimmer. Alle anderen sind schon seit Wochen ausgebucht, von NGOs, wie wir vom Manager erfahren. Da geht das Geld also dahin. Geld, bei dem der edle Spender sicherlich dachte, damit ein hungriges Mäulchen zu stopfen zu können oder dringend benötigtes Schulmaterial und nicht den Weihnachtsurlaub irgendeines "Wohltäters" zu finanzieren.

Wieviel der Spendeneinnahmen tatsächlich beim Empfänger ankommt, nachdem Administration, Managergehälter und Fuhrpark abgezogen sind, ist unueberschaubar. Es mag vielleicht idealistisch klingen, aber abgesehen von medizinischen Unterstuetzung sollte Helfen kein Berufszweig sein, sondern vielmehr eine Herzensentscheidung, ehrenamtlich, Hochqualifizierte nicht ausgeschlossen. Wenn ich sehe, wo hier das Geld versickert, bleibt fuer andererleuts Weihnachts-Chichi meine Tasche jedenfalls zugeknöpft. nach Diktat verreist -dwo


gech
arba minch, 22.12.2004

"ich bin auf dieser strasse gross geworden", sagt gech und zeigt auf die buckelpiste vor der flamingo pastry. das ist die hauptstrasse der unterstadt von arba minch. seine haare will re sich jetzt lang wachsen lassen. im nacken baumeln ein paar kurze geflochtene zöpfe, wie manche hiphopper das tragen.

in sechs monaten wird gech vater. "das baby wird ein makiato." ein milchkaffee, denn die mutter ist eine engländerin, die er hier in arba minch kennengelernt hat, als sie als englischlehrerin arbeitete. jetzt ist sie wieder in london und im fruehjahr will er sie dort besuchen. "aber ich will nach paar monaten wieder zurueck, am liebsten meine eigene agentur aufmachen."

gech ist anders als die "lost generation", wie woldo und ich die jungen männer zwischen 15 und 30 getauft haben. gech kennt deren traum. "die glauben, dass in europa das geld auf den bäumen wächst." sie hoffen auf das schnelle geld, das man den "faranji", den touristen, aus der tasche ziehen kann. natuerlich ohne arbeit. bloss keinen finger kruemmen und sich am besten noch den nagel vom kleinen lang wachsen lassen.

und was macht die lost generation den ganzen tag? "24 hours ass-working", sagt gech trocken. also rumsitzen und nach touristen ausschau halten. gech hat als kleiner steppke am busbahnhof fuer touristen ruecksäcke getragen und dabei das erste englisch aufgeschnappt. wie viele andere.

aber irgendwann hatte er eine neue idee, neu jedenfalls fuer den ort. er machte einen buechertausch fuer traveller auf. engländer schickten ihm 50 gelesene buecher zu, und dann zog er mit seinem stapel durch die cafes. wer ein buch tauschte, musste 5 birr zahlen. das brachte ihm schliesslich genug geld ein, um mit zwei freunden fuer 30 birr im monat ein zimmer zu mieten, ohne wasser und strom. endlich weg von der strasse.

dann ueberzeugte er eine reisegruppe, ihn mit ins omo valley zu den stämmen zu nehmen. so fing er an, das tal kennenzulernen, bis er selbst tourguide wurde. das geld reichte dann, um ein ganzes haus zu mieten.

mit seiner mutter hat er dann auch noch ein waisenhaus aufgemacht. 40 kleinkinder leben dort, ältere nicht, die könne man nicht mehr auf den richtigen weg bringen, sagt er. er hat auch anderen strassenkindern jobs organisiert. "die leute hier in den läden", und er zeigt auf die andere strassenseite, "haben alle genug geld. von denen ist keiner arm. aber sie kuemmern sich hier um nichts."

warum gibt es nicht mehr typen wie gech? es sind offenbar vor allem europäische traveller gewesen, die ihn geprägt haben. "I love this generation from europe." fuer die mutter seines makiato will er putzen und kochen, wenn das so sein muss, so wie es in europa inzwischen auch selbstverständlich fuer männer ist.

mit den äthiopischen frauen kann er nicht mehr viel anfangen. "die waschen ihren männern sogar die fuesse." und vergässen dabei das leben, sagt er. das leben, das ihn fasziniert. anfang 20 ist gech erst, aber ich glaube, er ist sogar weiter als viele der von ihm bewunderten generation in europa. -nbo


Das gut versteckte Paradies
Arba Minch, 23.12.2004





Der Sueden Äthiopiens ist abgesehen von seiner Naturvielfalt in jeder Hinsicht unterentwickelt. Und wenn es nach der Regierung geht, soll es so auch bleiben. Eigeninitiativen, wie zum Beispiel die touristische Erschliessung dieser Region werden finanziell nicht unterstuetzt oder sogar vereitelt. Dies erzählt uns Kapo Kansa, der das Tourist Office in Arba Minch im Alleingang schmeisst und der diesen Boykott schon am eigenen Leib erfahren hat. Der Sueden mit den Naturparks Omo Valley und Rift Valley wird vorsätzlich ausgeblutet. Das ganze Geld geht in den Norden, dorthin, wo die meinungsstarke Wählerschaft sitzt. Was fuer uns als Touristen durch die Urspruenglichkeit dieses Landstrichs reizvoll scheint, ist fuer dessen Bevölkerung eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Die nötigen Gelder fuer Wasserversorgung und Strassenbau bleiben aus, damit der Norden blueht. In keinem äthiopischen Bildband ist auch nur ein einziges Foto dieser Region abgedruckt. Jetzt weiss ich auch, warum.  nach Diktat verreist -dwo


die alltägliche pluenderung
arba minch, 24.12.2004





tief hängt die graue wolkendecke ueber dem rift valley, giesst den nechisar national park zu fuessen unserer hotelterrasse noch einmal kräftig. als wir mit unserem guide kapo kansa nach dem fruehstueck den steilhang hinuntergehen, kleben uns schon nach wenigen minuten zentimeterdicke schlammklumpen unter den sohlen. die wolken haben aber auch ihr gutes. es ist angenehm kuehl in dem friedlichen wald unten in der talebene, der die beiden seen abaya und chamo von einander trennt.

doch von dschungel kann hier keine rede sein. der wald ist stellenweise gelichtet wie deutsche vorstadtwälder. immer wieder hören wir eine axt durchs gruen schallen. einen burschen treffen wir, der in einer baumkrone hockt und einen riesenast abhackt. krachend fällt der zu boden. an den zweigen hängen trauben von dokme, kirschenähnlichen fruechten. so erntet man hier also obst, anstatt es zu pfluecken, wird kurzerhand der halbe baum umgehauen.

wieder und wieder sehen wir frauen schwere brennholzbuendel aus dem unterholz schleppen. als wir nach stunden schwitzend und schnaubend auf dem huegel auf der anderen seite des waldes stehen - mit einem grandiosen blick ueber beide seen -, runzelt kapo die stirn. "da hinten an dem hang fehlen ein paar bäume." jeden tag wird der nationalpark ein wenig mehr ausgepluendert. bis eines tages auch hier in arba minch das tal so kahl ist wie in den meisten teilen äthiopiens, durch die wir gefahren sind. dann werden dort höchstens ein paar eukalyptusbäume stehen, die schön schnell wachsen, aber die böden entwässern und auslaugen.

auf dem rueckweg durchqueren wir eine riesige lichtung, die von kuehen und ziegen halob kahl gefressen worden ist. die blanke rote erde lugt zwischen weit auseinander stehenden hohen grasbuescheln hervor. die ueblichen wolkenbrueche werden sie eines tages in die seen gespuelt haben. -nbo


Stille Nacht, heilige Nacht
Arba Minch, 24.12.2004

Nach unserem Weihnachtsspaziergang quer durch das Rift Valley machen wir es uns nach anstrengendem, 8-stuendigen Fussmarsch durch sumpfigen Dschungel und bruellheissem Aufstieg des 400m hohen Huegels gluecklich und erschöpft mit einem Bier auf der Hotelterrasse gemuetlich und schauen auf unsere vollbrachte Leistung zurueck.

"May I get this chair?" frage ich einen Äthiopier am Nebentisch. "Ja, der ist frei", antwortet dieser mit gerolltem 'R'. "Oh, Sie sprechen deutsch?" "Ja, ein wenig", schmunzelt er. "Ich wohne seit 20 Jahren in Deutschland, im Siegerland." "Mensch, das is ja'n Ding. Kennen Sie Muesen?" "Ja sicher, ich wohne in Kreuztal." "Achwas! Meine Schwester wohnt mit ihrer Familie in Hilchenbach." "Ja, das kenne ich, ist nur 10 Kilometer von uns entfernt, Zufälle gibt's!" Sein Sohn Daniel kommt dazu, ein knorke Typ, 14 Jahre, Wuschelkopf, aber wir muessen dringend duschen.

Als wir nach einer dreiviertel Stunde auf die Terrasse zurueck kommen, erwarten uns die Beiden schon am gedeckten Tisch, mit Blumen und brennender Kerze. "Das war Daniels Idee" sagt Bezabeh stolz. "Ich möchte Sie heute abend einladen, hier in meinem Land, weil ich den Deutschen etwas zurueckgeben möchte." Wir sind platt und geruehrt von so viel Herzlichkeit.

Er fängt an zu erzählen, von seiner Anfangszeit in Deutschland. 3 Monate nur Pommes und Currywurst, weil er nicht wusste, wie er etwas anderes bestellen sollte. Heute ist er hier in Arba Minch, um nach seinem Schulprojekt zu schauen, das er mit privaten Spendengeldern hochgezogen hat. "Klein, aber fein", sagt er. "Wir ermöglichen Kindern, die ihre Eltern durch AIDS verloren haben, eine Schulausbildung. Denn das ist die Voraussetzung fuer ein besseres Leben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mir mit meiner Schwester damals einen Bleistift teilen musste. Ich weiss, woran es hier mangelt."

Diesmal hatte er neben T-Shirts der Sparkasse Siegen zwölf Laptops im Gepäck, sein ganzer Stolz. Alles finanziert mit privaten Spenden. Wir verabreden uns fuer den nächsten Tag, um dieses Schulprojekt zu besuchen. Wir reden und reden und unterdessen hat sich der Himmel mit drohend schwarzen Wolken zugezogen. Es blitzt und donnert jetzt und schuettet wie aus Eimern. Wir sitzen mitten im Gewitter unter der ueberdachten Terrasse, durch das Rift Valley schiessen schwefelig-silbrige Blitze, die das ganze Tal erleuchten, eine gewaltige Szenerie.

Während unserer angeregten Unterhaltung ziehen wir gemeinsam ueber die NGOs her und bekommen gar nicht mit, dass sich das Unwetter mittlerweile verzogen hat. Zum Schluss werden wir noch ueberhäuft mit Segen und guten Wuenschen und fuehlen uns zu Heilig Abend wieder einmal sehr willkommen in der Ferne. Kann es Zufall sein, dass wir dieses liebenswerte Vater-Sohn Gespann ausgerechnet heute getroffen haben? nach Diktat verreist -dwo


small is beautiful
arba minch, 25.12.2004





bezabeh, unser weihnachtsmann gestern und eine wahre seele von mensch, zeigt uns mittags sein schulprojekt. von den spenden aus dem siegerland, wo er seit den achtigern lebt, hat er gebrauchte laptops, PCs, drucker und scanner organisiert und nach arba minch gebracht. zusammen mit einigen verwandten und bekannten hat er dort das private omo teachers training institute (omo TTI) gegruendet. "ich habe allen auf unserer sitzung heute morgen noch mal klar gemacht, dass das hier kein profitunternehmen ist", erzählt er uns.

fuer ihn ist es echte hilfe zur selbsthilfe, vorbei an NGOs und internationalen grossprojekten, in denen das geld zu oft versickert. am omo TTI werden 300 grundschullehrer ausgebildet. zehn monate dauert das programm, das in zwei etagen eines versicherungsgebäudes in der oberstadt von arba minch stattfindet. ein lehreranwärter benötigt fuer diese zeit samt miete und essen 480 euro. was fuer eine lächerliche summe fuer uns, die wir zuhause womöglich an einem langen wochenende in einer europäischen grossstadt auf den kopf hauen.

bezabeh ist äthiopier und siegerländer zugleich. dass ausländer hier in äthiopien manchmal "sonderpreise" aufgedrueckt bekommen, beschämt ihn, vor allem, wenn es seine freunde sind. ueber die wasserversorgung in arba minch gerät er richtig in rage. obwohl es manchmal schuettet und die stadt 40 natuerliche quellen hat, gibt es manchmal jeden zweiten tag kein wasser. von den zwei pumpen des wasserwerks, die vor 20 jahren aus deutschland kamen, funktioniert nur noch eine richtig.

bezabehs nächstes projekt ist die errichtung einer modellgrundschule, an der die frischgebackenen lehrer des omo TTI das gelernt gleich umsetzen können. wenn er das zum laufen bringt, hat er mit seinen freunden ein modell fuer all die kommunen geschaffen, die die misswirtschaft in addis links liegen lässt. selber machen statt eloquent zu lamentieren oder neoliberalen effizienzträumen nachzuhängen. E.F. Schumacher, der schöpfer der "small is beautiful"-idee, hätte seine freude gehabt. -nbo


entschleunigung bis zum stillstand
konso, 26.12.2004




von der balkonveranda des st. mary hotels, des einzigen dreistöckigen hauses in konso, beobachte ich die zentrale kreuzung dieses bergortes. die äthiopische fahne flattert ueber der verkehrsinsel im wind. in der morgendlichen sonne werfen menschen und kuehe noch lange schatten ueber die rote schotterstrasse. alles scheint scheint wie in zeitlupe abzulaufen. niemand eilt irgendwohin.

nur ein paar kinder rennen kurz hinter einem jeep her. spätestens mit 13 werden sie sich das abgewöhnt haben. danach werden sie nur noch schlendern wie alle erwachsenen männer hier. die strasse rauf und wieder runter, einmal um die verkehrsinsel, um dann fuer eine halbe stunde auf der mauer der einzigen tankstelle von konso zu sitzen. um zu warten.

aber vielleicht ist schon "warten" ein falsches wort, ein westliches wort. in konso wird heute, an einem sonntag, nichts passieren. der bus aus arba minch ist schon angekommen, der aus jinka wird gleich da sein, und das war's dann. mehr busse kommen nicht. ein paar faranji fahren in der jeep-kolonne einer organisierten tour in den hof gegenueber. nur ein paar frauen ackern schwer und schleppen tiefgebueckt riesige brennholzbuendel auf dem ruecken ueber die kreuzung. die männer schaukeln lieber ihre eier - eine rollenverteilung wie in vielen (dritt)weltgegenden.

an diesem leben prallen sämtliche konzepte der westlichen moderne ab. "effizienz", "produktivität", das lässt sich wahrscheinlich in der konso-sprache nur umständlich umschreiben. alles ist bricolage, improvisation, reine gegenwart, aber ohne jede romantik oder erleuchtung, nein, ganz schier. da ist nichts cooles, nicht faszinierendes dran. eine entschleunigung, die im stillstand endet. nicht das, was sich der von burnout bedrohte westler unter einer lektion "entschleunigung" vorstellt. es gibt nichts zu lernen. alles, was sich da unten abspielt, ist offensichtlich und belanglos. fuer den westler gibt es keinen weg, der dort unten auf die kreuzung fuehrt. er wird dort nie ankommen können. völlig ausgeschlossen. -nbo


in anti-äthiopien
konso, 26.12.2004





mit einem isuzu-LKW fahren wir von konso in eins der umliegenden bergdörfer. äthiopien ist hier längst zuende. die menschen sprechen nicht mehr amharisch, sondern konso. wie vogelnester thronen diese dörfer auf 1500 meter hohen gipfeln.
was wir dort finden, ist eine ueberraschung: eine fast mittelalterliche stadt, machekie. von engen steinmauern eingefasste gassen ziehen sich zwischen familiengrundstuecken mit strohlehmhuetten dahin, öffnen sich zu grossen plätzen. 5000 menschen leben hier auf engstem raum, davon allein 1000 kinder im grundschulalter und juenger. wir sind attraktion, sie folgen uns schnatternd und fragend auf schritt und tritt.

dinote, unser guide, erzählt uns, dass noch vor einigen jahren die menschen weggerannt sind , als er erste touristen hierher brachte. er musste die einwohner geradezu anbetteln, fuer ein foto näherzukommen. die leute hier haben schnell begriffen, dass dabei etwas zu holen ist. heute recken sich unzählige hände nach einem birr-schein. frauen posieren mit einem baby an der brust, einer wollspindel in aktion.

alle 18 jahre errichten die machekianer einen neuen generationspfahl auf ihren plätzen. daran machen sie ihre zeitrechnung fest. wie alt einer genau ist, wissen sie nicht, nur ob einer vor oder nach dem aufstellen eines pfahls geboren wurde. die machekianer sind aber vor allem in einer hinsicht bemerkenswert. sie sind die einzigen in ostafrika, die seit jahrhunderten eine landwirtschaft auf befestigten terrassen betreiben. dadurch haben sie verhindert, dass an den berghängen der boden durch erosion abgetragen wird.

die gesellschaftsordnung ist noch strikt. junge männer muessen zwischen ihrem zwölften geburtstag und der heirat in gemeinschaftshäusern wohnen. sex vor der ehe ist verboten. und wo sollte er auch stattfinden, in dem engen dorf bleibt nichts unbemerkt, kennt jeder jeden.

ich frage mich, wovon die jungen, die auf uns einreden, träumen. "willst du hier bleiben oder nach addis gehen, wenn du gross bist?" frage ich einen, aber er schaut mich nur verständnislos an. wer weiss, was passiert, wenn einer hier die satellitenschuessel mitbringt.

auch im weiter entfernten omo valley ist die zeit - noch - stehengeblieben, wie uns kapo kansa, unser guide in arba minch, erzählt hat. leo, ein sehr netter holländer, der vorhin in konso eingetroffen ist und mit uns die tour macht, berichtet von einem erlebnis auf dem markt in jinka. dort habe er eine frau in stammestracht fotografiert und das foto mit einem stueck seife bezahlen muessen. die frau aber habe die seife angeschaut wie einen ausserirdischen gegenstand, als wisse sie nicht, was sie damit machen solle.

suedwestäthiopien ist ein flickenteppich von stämmen (und sprachen), die mit der moderne bisher nur ueber kameraobjektive von touristen, alkohol und birr-geldscheine in beruehrung gekommen sind. die äthiopier, also die tonangebenden stämme der amharer (20 mio), oromier (16 mio) und tigrinier (5 mio) aus dem norden, empfinden sie ebenso als kolonialherren wie diese frueher die briten oder italiener. fuer sie ist die äthiopische nation ein sinnloses konstrukt. -nbo


durchs rift valley
27.12.2004





ich bin gluecklich wie ein kind, dass stundenlang in einem spielzeuglaster umhergefahren wird. fuehle mich zurueckversetzt in jene zeit vor 30 jahren, als wir aus dem ruhrgebiet nach hessen zogen und ich zwischen kisten, teppichrollen und anderem kram rumtollte. so ähnlich sieht es auch auf der ladefläche des trucks aus, der drei stunden durchs rift valley braust. mangokisten, chatsäcke, autoreifen, kartoffelsäcke, darauf und dazwischen unglaublich viele menschen...

der heisse fahrtwind bläst mir ins gesicht, täler öffnen sich zu weiter savanne, gewaltige bergruecken nähern sich und verschwinden wieder, während die ausladenden afrikanischen bäume vorbeifliegen. da, drei dik-diks, hasengrosse antilopen, ueberqueren die strasse. eine pavianfamilie. wir halten in einem ausgetrockneten dorf. eine dicke frau verkauft von unserem laster herunter buendelweise chat, diese wachmacherblätter. arme recken sich, birr-scheine werden ueber den wagenrand gereicht, aufgeregte gesichter, aufgebrachte stimmen, das wöchentliche dope ist da.

dann fahren wir weiter und lassen eine rote staubfahne zurueck. termitenhuegel säumen die schnurgerade piste wie insektenwolkenkratzer. ein paar männer tauchen am horizont auf, einige rufe, wir halten. alle fuenf haben ein gewehr umgehängt, einer eine kalaschnikow. aber sie haben nichts uebles im sinn. auch sie warten nur auf ihre chatration, die sie fuer die nächsten stunden high machen wird. der einzige kick, den diese leere landschaft hergibt.

wir lassen die knarrenträger und das tal hinter uns, der truck quält sich jetzt die berge hinauf, die bäume stehen dichter, alles ist saftig gruen. irgendwo knabbern kamele an zweigen. "you" sagt der junge bursche mir gegenueber, "photo?" ich schuettele den kopf. diese bilder kann man gar nicht alle festhalten. es sind zu viele. grossartiger als kino. -nbo


Ein Schulaufsatz
28.12.2004

Heute sind wir busgefahren, von Äthiopien nach Kenia. Wir haben viele Tiere gesehen. Zwei Dik-Diks und eine Antilope und einen grossen Leoparden. Alle tot. Plattgefahren auf dem Trans-Afrika Highway. Wie schade. nach Diktat verreist -dwo


endlich in kenia
moyale, 28.12.2004

um ein uhr liegt äthiopien hinter uns. mit leo gehen wir grinsend unter dem schlagbaum am kenianischen grenzposten durch. der immigration officer wickelt alles schnell ab. unsere 20 euro wechselgeld für die visa gibt er uns in shilling zurueck. weil er es nicht passend hat, 80 shilling zuviel. "you're my brother", lautet seine begruendung. wann hat man so etwas je an einer grenze erlebt?

in moyale/kenial wird die selbe sprache wie in moyale/äthiopien gesprochen, borana. aber irgendwie ist der ort anders. noch schlichter, mehr moslems, sogar verschleierte frauen. dafuer sind die ladenfronten geradezu ordentlich und knallbunt bemalt. viel aufgeräumter als äthiopische geschäfte. die strassen sind nicht asphaltiert, nur ausgewaschene flussbetten, die hotels löcher, aber leute lassen einen zum ersten mal seit zwei wochen in ruhe. keine bettelnden kinder, kein permanentes "you"- und "mister"-gefluester.

Dafuer gibt es kein bier mehr auf der hauptstrasse. der islam regiert wieder, mit cola und fanta. so eine scheisse, denn leo, woldo und ich haben einen höllendurst. dann finden wir immerhin zwei chatkauende burschen, die uns durch die bruellhitze zu einem bier bringen können - in die "prison canteen" neben dem knast. in der gartenbar gilt das islamische nuechternheitsgebot gottseidank noch nicht. unsere beiden schatten setzen sich dazu und stopfen sich unaufhörlich chatblätter in die dicken backen. "it makes you happy", sagen sie und nehmen einen schluck bier.

auch später, als wir eine leicht freudlose ziege mit reis und tomaten in einem strassenrestaurant essen, kauen die jungen männer um uns herum nur stumpf chat. einer starrt uns die ganze zeit einfach an. eine attraktion. im muell der strasse stöbert ein esel. im radio ueberlagern sich zwei nachrichtensender. "...30.000 dead...", mehr ist nicht zu verstehen. meine begeisterung, in kenia angekommen zu sein, ist verflogen. -nbo


master & servant
moyale, 28.12.2004

langsam und schleichend wirst du wieder zum weissen kolonialherren. redest auf eine nachtkappe in einem strassenrestaurant ein, was du essen möchtest. er nickt, behält kein wort, und innerlich rollst du schon wieder mit den augen. oder lachst in dich hinein. erklärst dem typen im hotel, dass das zimmer nicht sauber ist, dass die vollmundig versprochene dusche nur ein rinnsal ist.

leo, unser holländischer reisecompanero, macht den nachtkappen dieser welt mit subtilem und pädagogischem witz beine. plötzlich laufen sie, versprechen alles in ordnung zu bringen, weil er in aussicht stellt, ueber den preis reden zu wollen. wir fragen im medina hotel in moyale nach handtuechern, und ein paar minuten später kommt einer mit einem einzigen handtuch. fuer uns drei. erklärt leo, dass gerade kein weiteres da sei, aber morgen bestimmt. aber morgen sind wir schon in marsabit.

"can you forgive me?" fragt der hotelscherge leo. was fuer ein satz. das muss man sich mal ueberlegen. "well, I have to think about it", antwortet er trocken, und wir brechen in lachen aus, als der handtuchueberbringer wieder abgezogen ist. man redet am ende in einem tonfall mit den leuten, als ob sie nicht alle tassen im schrank hätten. das ist schon schlimm genug.

noch schlimmer ist, dass wir aufgehört haben, die generation der 20-, 25-jährigen ueberhaupt ernst zu nehmen. sonne, schmutz und anstrengung vernebeln dir zuweilen den verstand, und zuletzt ziehst du dich hilflos in die rolle dessen, der das geld fuer alles hat, zurueck. lässt dich in genau diese rolle hineindrängen, die dir die einheimischen ohnehin wegen deiner hautfarbe zugeschrieben haben. wir, die seltsamen "faranji" mit den rucksäcken voller geld, das wir in europa von den bäumen gepflueckt haben. wie kommt man da wieder raus? -nbo


afrikanische Logik
marsabit, 29.12.2004

als wir morgens um sieben an dem platz in moyale ankommen, wo der bus nach marsabit abfahren soll, steht da nichts. der bus sei noch in marsabit. "mechanical breakdown", lautet die begruendung. dann muesst ihr eben morgen fahren, meinen die leute am fahrkartenschalter der busgesellschaft. bloss das nicht. keine stunde länger in diesem grenzkaff, in dem es bier nur in einer "prison canteen" gibt.

plötzlich ist da ein jeep, und ganz schnell eine menschentraube. einer der busleute winkt uns herbei, er hat drei plätze fuer uns organisiert (natuerlich gegen ein kleines trinkgeld). als leo, unser reisecompanero, beim einladen bittet, doch eine plastikplane ueber die dieselöllache im kofferraum zu legen, wird er uebel angeblafft. vom fahrer, wie sich herausstellt. und schon ist die atmosphäre im wagen vergiftet, den wir mit drei kenianerinnen teilen. unser fahrer ist dermassen uebellaunig, aber gottlob haben wir um zwölf bereits die halbe strecke und die meisten schlaglöcher hinter uns.

um viertel vor eins hält unser fahrer plötzlich in einer ebene, die mit schwarzen lavabrocken uebersät ist. die sonne brennt erbarmungslos, es ist unglaublich. der fahrer öffnet die motorhaube, fummelt an irgendwas im motor herum und macht ein langes gesicht. wir steigen aus. was ist los? "der motor ist zu heiss", sagt er in gebrochenem englisch. mehr nicht. dann holt er einen wasserkanister und beginnt, den trockengefallenen kuehler aufzufuellen. das wasser rauscht durch und pladdert unten wieder raus auf die piste.

wir schauen den motor näher an. alles ist irgendwie geflickt, aus dem zylinderblock quillt durch eine ritze ueberhitztes öl. da stehen wir also. es geht nicht weiter. unser fahrer setzt sich in den staub und starrt in die ferne. als ein truck vorbeikommt, macht er keinerlei anstalten, diesen um hilfe anzuhalten. schliesslich wäscht er sich die fuesse und betet auf einem tuch. die richtung von mekka trifft er nicht ganz, aber es ist auch heiss. eine der kenianischen frauen betet ebenfalls.

dann passiert wieder lange nichts. woldo verfällt in die afrikanische starre der ereignislosigkeit, die ryszard kapuscinski in "afrikanisches fieber" so schön beschrieben hat. auf der rueckklappe des jeeps, im schneidersitz mit geschlossenen augen, stoffwechselt sie im schatten der klappe vor sich hin.

nach zwei stunden kommt ein weiterer truck und hält. der fahrer hat freundlicherweise ahnung, denn es ist ein ueberlandtruck fuer traveller (allerdings ohne tour). in zwei minuten hat er das problem entdeckt. ein schlauch vom kuehler zum motor hatte sich gelöst, weil er nur lose aufgesteckt war - ohne flansch natuerlich. uns wird klar, dass unser fahrer keinen schimmer von diesem wagen hat, obwohl er die strecke jeden tag hin und zurueck fährt. der jeep wird gestartet, der truck entfernt sich richtung moyale und wir fahren weiter.

nach einer halben stunde bitten wir den fahrer, noch mal das kuehlerwasser zu kontrollieren. das tut er und wuergt dabei den motor ab. der danach nicht mehr anspringt. kein wunder, da einer der batteriekontakte lose herumschlackert, nur mit einer badelatsche - kein witz - festgeklemmt. mit seinem einzigen werkzeug, einer zange, fummelt er vergeblich an dem kontakt herum. idiotisch. wir muessen den wagen anschieben, damit er anspringt.

von da an hält der fahrer alle halbe stunde, um seinen kuehler mit wasser zu besprengen. drei kilometer vor marsabit, unserem ziel, bleibt er dann endgueltig stehen. er wolle seinen motor nicht riskieren. endstation? wir schwanken zwischen sarkastischen lachanfällen und beschimpfungen, und unser fahrer verflucht uns, weil wir seine ganze blödheit vor den frauen blossstellen. der typ fährt tagein, taugaus seinen jeep ein stueck weiter dem exitus entgegen, und plötzlich packt ihn das risikobewusstsein? der wagen ist nie im leben je gewartet worden, seit er ihn fährt (hat 370.000 kilometer runter). "that's africa", beruhigt uns eine der kenianerinnen, als wir in den sonnenuntergang, so kurz vorm ziel, starren. "take it easy." -nbo


Return of the Dicke Taube
Marsabit, 29.12.2004

Come to where the Mullah is. Come to Muslim Country. Da sind wir wieder, im Land der Freudlosen. Direkt hinter der kenianischen Grenze, im Grenzort Moyale geht es wieder los: es gibt kein Bier mehr, geschweige denn anderen Alkohol. Nur noch Limo, uebrzuckerten Tee und Kaffe aus Tueten. Der internationale Vertrieb von Coca Cola hat ganze Dienste geleistet, in jedem noch so abgelegenen Kaff gibt's Coke oder Fanta.

Wir können sie ärgern, indem wir ihnen erklären, dass das Zeug aus Amerika kommt, aus dem Land von George W. Bush. Keiner kann verstehen, dass man Bier auch wegen des Geschmacks trinkt und nicht nur, um sich damit zu besaufen.

Ab hier ist's vorbei  mit den feingliedrigen schlanken Naturschönheiten wie im Sudan oder Nordäthiopien. Frau ist wieder bäuerlich plump und unelegant, trägt Schneidezähne aus Weissgold  und verhuellt ihren ungeahnten Charme unter undurchsichtigen Tuechern, auch diese mit Metallfäden durchzogen.

Mann sitzt dagegen stumpf in der Ecke, kaut Miraa, die kenianische Variante des äthiopischen Chat und glotzt nur scheel. Bekommt er doch mal die Zähne auseinader, versteht man kein Wort, weil er das Zeug als einen dicken, kleingekauten Klumpen in der Backe hat. Vielleicht auch besser so, denn "what's your name" und "where you come from" haben wir wahrlich schon zur Genuege gehört. nach Diktat verreist -dwo


baustelle...
marsabit, 30.12.2004

ich stehe hier in kenias wildem norden im postamt von marsabit an einem von vier internet-terminals, die sich eine einzige modemverbindung teilen. was ihr hier unten seht, ist der versuch, schon mal ein paar einträge aus der letzten zeit anzulegen. das dauert pro eintrag etwa 6 minuten! aufschreiben werden wir alles in nairobi, der digitalsten stadt ostafrikas, die wir am 7. januar erreichen werden. bis dahin werden wir an einer organisierten safari teilnehmen (habt ihr ganz richtig gelesen). morgen nachmittag um drei geht's hier in marsabit los. euch allen einen guten rutsch!!! -nbo


snapshot, aber was fuer einer
marsabit, 30.12.2004





auf dem weg zum postamt in diesem muffigen kaff komme ich an einem ulkigen laden vorbei. "best fish'n'chips, pudding around" steht da in weissen lettern auf der blauen hauswand. pudding, ja, was die engländer hier so zurueckgelassen haben. ich hole die kamera aus der hosentasche und schau durch den sucher.

mit einem mal hebt wildes geschrei an. "stop", "no photo" prasselt es von allen seiten auf mich ein. ich setz die kamera ab, da ist doch niemand, kein mensch vor der linse. rechts neben dem laden sitzt ein mann auf der veranda und bruellt besonders laut herueber. "warum willst du ein foto machen?" ich nehme keine notiz von ihm, bin ich dem kerl etwa rechenschaft schuldig?

doch er gibt keine ruhe. "das ist mein besitz. das geht nicht, ohne vorher zu fragen." wie? ich gehe zu ihm hin. "warum willst du ein photo von meinem laden machen?" fragt er schon wieder. "als erinnerung", antworte ich, "mir gefällt die beschriftung des ladens." "ist das auch nicht fuer business?" setzt er misstrauisch nach.

ich bin verbluefft. was meint er denn damit? "nein, nur fuer mich, ich bin tourist." er entspannt sich immer noch nicht. "woher kommst du? bist du amerikaner oder engländer?" "nein, ich komme aus deutschland." "OK", grummelt er und gibt mir dann die erlaubnis, seinen laden zu fotografieren. und sagt: "britain is a very bad country." -nbo


flucht im 4WD
marsabit, 31.12.2004

um drei uhr nachmittags warten wir am hauptplatz von marsabit auf den jeep von gametrackers, unserer safari-agentur. zum ersten mal haben wir eine solche tour gebucht, denn den turkana-see auf eigene faust zu erreichen, ist nur etwas fuer ganz hartgesottene.

wie diesen deutschen, mit dem ich kurz in der kenya lodge quatsche. er war mir bereits gestern in der bank aufgefallen, in seinem langen indischen anzug mit der ueberlangen kurta, mit seinem bart und der riesenrastawollmuetze. seit 1993 ist er aus deutschland weg, lebt die meiste zeit in indien, kommt nur hin und wieder mal zurueck und reist viel durch die weltgeschichte. jetzt wartet er auf einen truck an den turkana-see.

es ist einer dieser augenblicke, in denen wir mit unserer hamburg-kapstadt-route die totalen durchschnittsreisenden in dieser weltgegend sind. es gibt immer einen, der viel, viel verrueckter drauf ist und wirklich auf die harte tour die welt erkundet.

dann ist der jeep da, woldo und ich steigen ein, laden leo, unseren reisecompanero, und das gepäck ein. eine halbe stunde später sind wir im marsabit national park und bauen inmitten des dschungels mit drei weiteren safarikumpanen (alan aus neuseeland, vali aus australien und oliver aus muenchen) unsere zelte auf.

nur zwei kilometer vom zentrum von marsabit town entfernt, und doch liegen welten dazwischen. schlagartig entspannt sich woldos gesicht, und das alte strahlen, das afrikanische fieber, leuchtet wieder in ihren augen, das nervende äthiopier und muffige kenianer in den letzten tagen ueberschattet hatten.

jetzt sind wir also auf einer safari, diesem relikt kolonialen reisens. aber schon kurze zeit später, als wir durch den feuchtgruenen wald noch einmal zu den kraterseen fahren, elefanten und wasserbueffel sehen, ist mein letztes unbehagen verflogen. hier können wir wieder zur ruhe kommen. das grenzgebiet hat woldo, leo und mich geschafft. mit goodwill allein kann man diesem ansturm von gluecksrittern, nachtkappen und durcheinander nicht standhalten. wir fliehen in die afrikanische natur, vor dem heranschleichenden zynismus und unserer eigenen hilflosigkeit. -nbo


verbranntes niemandsland
am turkana-see, 2./3.1.2005





du sitzt am ufer eines riesigen sees in einem gemuetlichen korbsofa, die sonne scheint, der horizont ist weit. klingt wie eine afrikanische postkartenidylle. doch es gibt kein kuehles bier, nur warmes mineralwasser, und ein heisser wind schlägt dir pausenlos ins gesicht. du schwitzt dumpf vor dich hin. der see ist kuehl, aber voller krokodile. kein baum weit und breit, kein boot auf dem see, am horizont tuermen sich nur graue, unheimliche berge auf.

das ist der turkana-see im rift valley in nordwestkenia (bis 1975 als rudolfsee bekannt). ein verbranntes niemandsland, in dem einige menschen in trostlosen dörfern das ueberleben meistern. das seewasser ist zu salzig, als dass man damit auch nur einen tomatenstrauch, eine gurkenstaude wässern könnte. die menschen leben in huetten, die wie fragile, uebergrosse graspillen am seeufer stehen.

auf einer trockenen landzunge fristet eine der letzten beiden elmolo-gemeinden ihr dasein, ein stamm, von dem nur noch 200, 300 angehörige uebrig sind. ihre sprache ist bereits ausgestorben, heute sprechen sie turkana. kein baum, der in diesem dorf schatten spendet. zum fruehstueck gibt es in diesem dorf von fischern porridge, zum abendessen stockfisch mit brot. tag fuer tag. nur weihnachten habe es fuer das ganze dorf gemuese gegeben, sagt der junge mann, der uns herumfuehrt. im unterschied zu den anderen stämmen der region, den gabra, turkana, rendile oder samburu, haben die elmolo keine kamele, von denen sie frisches blut abzapfen können, um damit ihren vitaminbedarf zu decken. manche kinder haben deshalb verkrueppelte fuesse.

john lennon erklingt in meinem kopf. "he's a real nowhere-man, sitting in his nowhere-land, making all his nowhere-plans for nobody." hier ereignet sich nichts, hier fuehrt keine strasse hin, hier enden die staubigen pisten. eine schule gibt es immerhin, aber der unterricht nach den weihnachtsferien kann noch nicht beginnen, weil der lehrer fehlt. wahrscheinlich sitzt er in north horr fest und wartet auf einen truck, der ein paar kisten bier und soda zum turkana-see bringt.

"das hier ist nicht kenia", sagt ein anderer mann in loyangalani, dem grössten dorf am ostufer des sees, dessen ende man nicht sehen kann. wie eine grosse, tote meeresbucht liegt er da, ueber die eine steife brise von den bergen herunterkommt. kenia, das ist nairobi, und das ist hier weit weg. eine einzige luxuslodge gibt es seltsamerweise in loyangalani, die einem deutschen gehört. "der trinkt den ganzen tag whiskey", sagen ein paar jungen grinsend. kann man ihm eigentlich nicht verdenken.

auf der suche nach einem KUEHLEN getränk statten wir ihm schliesslich einen besuch ab und finden ihn auf der terrasse. halb lallend, dabei hessisch klingend, erklärt er uns, die wenigen kuehlen drinks, die noch uebrig seien, muesse er fuer seine gäste aufsparen. seine zähne sind gelb wie die eines kamels, ein ekelhafter zeitgenosse, wir hauen schnell wieder ab.

dann trinken wir notgedrungen eine ziemlich warme cola in einem kleinen laden auf der hauptstrasse. die hitze nervt. immerhin versinkt die sonne schliesslich hinter den schwarzen vulkankegeln der suedinsel des turkana-sees, und wieder ist ein tag im niemandsland rum. morgen werden die samburu, rendile, turkana und elmolo wieder ihre wenigen ziegen und kuehe im harten, stachligen gras am see weiden lassen, dessen wasserspiegel seit jahrzehnten dramatisch sinkt. irgendwann wird nur eine pfuetze uebrig sein, und dann wird der turkana-see tolkiens mordor an faszinierender trostlosigkeit in nichts mehr nachstehen. -nbo


im rausch der weite
zwischen turkanasee und baragoi, 4./5.1.2005






ganz langsam quält sich der toyota landcruiser die geröllpiste vom ufer des turkana-sees herauf. da ist kein weg, nur noch zwei rillen im schotter. irgendwann bleibt er in den steinen stecken, die räder graben sich bei jedem druck aufs gaspedal noch tiefer ein. sami, unser koch, und ein junge geben dem wagen schliesslich den schubs, um wenigstens zuruecksetzen zu können. dann prescht nikos, unser fahrer, den schotterhang hinauf, dass die steine fliegen, und wir stapfen hinterher.

eine stunde später haben wir den talkessel des sees hinter uns gelassen. eine turkanafamilie taucht aus den savannenbueschen am strassenrand auf, gestikuliert. ob wir wasser haben, fragen sie nikos. schuesseln und bottiche werden aus dem wassertank des jeeps aufgefuellt. die frauen tragen eine art irokesenhaarschnitt, ihre ohren sind mit grossen ringen behängt. genantes gelächter, als wir uns ein paar fotos von ihnen "stehlen". dann fahren wir weiter und sie ziehen ihres weges durch die ausgedörrte landschaft.

durch trockene bachbetten treibt nikos den wagen steile hänge hinauf, immer höher, bis wir auf einem pass ankommen. eine atemberaubende landschaft öffnet sich, endlose geschwungene savannenebenen, eingefasst von schroffen bergruecken. der fahrtwind ist heiss wie ein föhn. nach drei stunden erreichen wir schliesslich tuum, ein dorf am rande eines weiten, flachen tals.

vier junge samburus laden unser gepäck auf kamele, die wuetend bruellen und lieber an den bäumen knabbern wuerden. dann setzen wir uns im gänsemarsch in bewegung und machen uns auf den weg zu unserem camp. die samburus hinter uns lachen und stimmen irgendwann einen rhythmischen sprechgesang an. der erste singt ein zeile, der zweite uebernimmt, dann der dritte, der vierte.

so ziehen wir am fusse der berge durch die savanne. bis baragoi, zur nächsten "stadt", sind es 50 kilometer. leeres land. nicht ganz: manchmal kreuzt eine ziegenherde unseren weg, dann sind es einige kuehe mit dem typisch afrikanischen fetthöcker. unsere samburu-kameltreiber sind ganz anders als ihre muerrrischen zeitgenossen in den traurigen dörfern am turkana-see. sie scheinen keine schlechte laune zu kennen. man hört sie nur reden und lachen im camp, während sami, der koch, auf dem feuer unser abendessen herbeizaubert.

von den hängen hinter dem camp klingen kuhglocken, ziegengemecker und vereinzelte rufe von nomadisierenden samburus durch den fruehen abend. im unterschied zu den "städten" findet man hier auch keine beckham- oder adidas-T-shirts. die männer tragen karierte lungis, eine art gewickelte herrenröcke. an die gegenwart erinnern nur die digitaluhren, die unsere kameltreiber zwischen ihren traditionellen armreifen am handgelenk tragen. am nächsten morgen bringen sie uns zur strasse, hinten in der savanne, wo wir wieder auf nikos, unseren fahrer und guide, treffen. dann preschen wir wieder in die endlose weite, während die samburus mit ihren kamelen zurueckbleiben, immer kleiner werden und schliesslich zwischen den bäumen verschwinden. -nbo


Von jedem ein Bisschen
Nairobi, 7.1.2005





Alles, was piekt und beissen kann, hat es auf mich abgesehen. Ganze Galaxien von Mueckenstichen trage ich mit mir herum. Nicht nur die Muecken finden Gefallen an mir. Als ich mich am Lake Turkana auf die Matratze setze, wird mein nackiger Po von Ameisen innigst Willkommen geheissen, es brennt höllisch.

Unsere Safari-Truppe ist eine bunte Mischung von Abenteuerlustigen: Leo, der 45-jährige Architekt aus Holland, seit Konso/Äthiopien unser Reisegefährte.
Vali, 22 Jahre, Inder, seit seinem 11. Lebensjahr in Australien aufgewachsen, Mathematik- und IT-begeistert, dem sein Studienfach (internationale Finanzen) offensichtlich schwer zu schaffen macht, nach seinen malträtierten Fingernägeln und Nagelbetten zu urteilen. Mit Angehörigen in Nairobi und dem Rest der Welt, natuerlich in den Geschäftsmetropolen, tuechtig, wie die Inder nun mal sind.
Und dann ist da der etwas spurlose Ingenieur Oliver aus Muenchen, 35 Jahre. Frage, konkrete Antwort, Punkt. Seit Oktober ist er im Overland-Truck unterwegs, war schon in Uganda und im Kongo.
Zu guter Letzt ist da Alan, der Zorbas aus Christchurch, Neuseeland. Nachdem seine Frau starb, hat er kurzerhand seine Firma verkauft und sich dem Reisen gewidmet. Kein Land, das der 74-jährige robuste Ruhepol der Reisegemeinde noch nicht gesehen hat. Es macht Spass, sich mit ihm zu unterhalten. Sein unterschwelliger Humor und wacher Verstand machen Mut fuer das Alter, seine Neugier und Offenheit wuenscht man manchem 30-jährigen.

Mit diesem internationalen Potpourri verlegen wir unser gemeinsames Silvester vor auf elf Uhr. Sinnlos, bis zwölf Uhr abzuwarten, in Australien und Neuseeland ist es längst vorbei und in Deutschland erst in zwei Stunden soweit. Mit handwarmem Bier prosten wir uns am Lagerfeuer ins neue Jahr. Wie ich es vermisst habe, das Zelten in der Wildnis! Sollen sie doch kommen, die Kreuch- und Fleuchtiere, ich bin gewappnet! nach Diktat safari (kisuaheli fuer reisen) dwo


die grossstadt leuchtet
nairobi, 8.1.2005





ein tolles neues jahr wuenschen wir euch. unseres hat gut begonnen, und nun sind wir nach einer phantastischen tour in nairobi angekommen. ja, diese stadt meint es gut mit uns. wir finden in einem buchladen unseren footprint-reisefuehrer wieder, der uns in äthiopien abhanden kam. es gibt supermärkte mit joghurt. cafes mit espresso. zeitungen. asphaltierte strassen, hochhäuser, bars, verkehr, schnelle internetverbindungen, ach eine richtige grossstadt. kein zweifel, nairobi ist die modernste stadt zwischen beirut und suedafrika, mehr noch als kairo. wir geniessen es, wieder in der zivilisation zu sein.

unter afrikakennern ist nairobi als "nairobbery" verschrien. tatsächlich habe ich noch nie so viele wachmänner pro hektar gesehen wie in dieser stadt. westlands, die vorstadt, durch die wir gestern nachmittag in die stadt reingefahren sind, ist eine sammlung aus festungen, in denen villen stehen. die zukunft des kapitalismus, so sieht sie aus. aber im zentrum lässt es sich aushalten.

heute abend gehen wir in die "trattoria", in der salami, schinken, antipasti und parmesan in der theke liegen! ach, wir fuehlen uns gerade sauwohl. und auch nicht zu alt (lest mal moschess bemerkung in den kommentaren, was seine nachbarn ueber uns denken). alan, der neuseeländer, der mit uns auf tour war, ein pfundskerl mit knochentrockenem witz, ist 74 - und fährt jedes jahr zweimal fuer mehrere monate in die so genannte dritte welt. da sehen doch moschess' nachbarn ganz schön alt aus. -nbo


a taste of nairobbery
nairobi, 8.1.2005

man soll den tag nicht vor dem abend loben. es sind nur wenige hundert meter von der "trattoria" zu unserem hotel. die strassen sind hell erleuchtet, warum ein taxi nehmen? wir vier sind kurz vor unserer strasse, als wir eine meute herumlungernder typen an einer strassenecke sehen. sie sitzen da und machen nichts. wir beschliessen, die strassenseite zu wechseln.

woldo und ich sind schon fast drueben, als wir lautes geschrei hören. wir drehen uns um und sehen sieben, acht nichtsnutze wegrennen. leos geistesgegenwart, sie so laut wie möglich anzubruellen, hat sie vertrieben, sie hatten ihre finger schon fast an seinen und an alans armen. geschockt erreichen wir die andere strassenseite.

geschockt, weil auch nachts noch genuegend wachleute auf den buergersteigen vor sich hin dösen. die polizei hat die innenstadt offenbar längst aufgegeben, wie uns die leute im hotel erzählen. "solchen halunken legt man am besten einen reifen um den hals", sagt einer und grinst noch dabei. -nbo


morgens in nairobi
9.1.2005

"3 gangster gelyncht", lautet eine der schlagzeilen des tages. auf dem lande in kenia wird nicht lange gefackelt. es geht auch ohne polizei und rechtsstaat. ein schauder ueberkommt mich, während ich an einem frischen fruchtsaft nippe. plötzlich geschrei auf dem buergersteig vor dem cafe in downtown, ein mann rennt vorbei, drei, vier andere sind ihm auf den fersen. "der hat was gestohlen", sagt der kenianer am nebentisch trocken und liest weiter in seiner zeitung.

die strasse vor dem cafe gerät in bewegung, ich stehe auf, schaue der meute nach, die jetzt mit jedem meter anschwillt. wachleute kommen aus den eingängen von banken und läden und schliessen sich der verfolgungsjagd an. schon haben sich an die hundert passanten in der strassenflucht versammelt, hinter einem querstehenden muellabfuhrlaster ertönen wuetende rufe und beschimpfungen.

vorsichtig bahne ich mir den weg durch die menge, da vorne in ihrer mitte klafft ein loch, umgeben von hasserfuellten gesichtern, die auf den buergersteig starren. ich erhasche einen blick durch die körper und beine, ein mann liegt am boden, fusstritte prasseln auf ihn ein. einige ältere männer und wachleute, versuchen ihn abzuschirmen, aber die menge scheint ausser rand und band. dann schaffen sie es, den verdächtigen auf die beine zu stellen.

er blutet an der stirn. rotz und wasser laufen ihm uebers gesicht. er zittert am ganzen leib, während ihm verwuenschungen entgegenschlagen. dann wird er in einen hauseingang gebracht, und die menge beruhigt sich langsam. nach drei minuten ist der spuk vorbei, und alle gehen wieder ihren geschäften nach. der vulkan nairobi hat kurz sein wahres gesicht gezeigt. -nbo


die rohe suche nach dem glueck
nairobi, 10.1.2005

ist nairobi die zukunft? ist das die richtung, die der globalisierte kapitalismus nimmt? je weiter wir nach sueden kommen, desto roher erscheint der alltag, desto weiter klafft die luecke zwischen dem blossen ueberleben der vielen und dem teilweise obszönen reichtum der wenigen.

nairobi ist eine kapitalistische metropole im permanenten belagerungszustand. die reichen und die weissen verschanzen sich hinter meterhohen mauern, auf denen unter strom stehender natodraht thront. die gesichter der grossstädter verraten anspannung, nur selten huscht ein lächeln darueber. jeder versucht hier im zentrum von nairobi, die bitter nötigen shilling zu ergattern.

wovon träumen all die kellner, angestellten, verkäufer, wenn sie abends in ihren vorstädten angekommen sind? sehnen sie sich nach den dörfern in samburuland oder kikuyuland zurueck, oder wollen sie weiterkommen auf dem weg zum wohlstandsleben der moderne?

als wir abends aus dem kinosaal kommen ("oceans 12" gesehen, sehr gut), haben wir fuer kurze zeit vergessen, wo wir eigentlich sind. wir trinken ein bier an der bar des kenya cinema plaza und reden ueber den film. durch die fenster scheinen die lichter der grossstadt. wie zuhause. dort wuerden wir jetzt aus dem kino gehen, nach hause laufen und unterwegs noch irgendwo fuer einen absacker eintrudeln.

aber draussen ist nairobi, nicht hamburg oder amsterdam. der öffentliche, städtische raum, jene grosse errungenschaft der europäischen kultur, existiert hier nicht. wer zeit hat, flaniert nicht, sondern lauert. denn wer zeit hat in einer stadt wie nairobi, ist ganz unten. auf der strasse. im cafe sitzen, sich geschichten erzählen oder ueber gott und die welt diskutieren, ist ein luxus, den sich hier niemand leisten kann.

nairobi ist business: geld scheffeln, in einem servicejob malochen oder stehlen, es sind nur varianten des rohen rat race, das keinen platz fuer andere lebensentwuerfe lässt. -nbo


ab in die serengeti!
arusha, 13.1.2005

kaum sind wir in tansania angekommen, da melden wir uns schon wieder ab. wir gehen tiere gucken, die big 5, im ngorongo-krater und in der serengeti. das ist ein absolutes muss, wenn man hier unten ist. wir werden euch berichten, ob die safariromantik noch existiert oder alles ein gut organisiertes business ist.


Strassenstrich Serengeti
13./14.1.2005





Die Kindheit des Masaijungen endet mit der Initiation. Er wird beschnitten und dieser schmerzhafte Eingriff mit weisser Gesichtsbemalung und schwarzer Kleidung dokumentiert. Dann darf er sich drei Monate nicht waschen, bevor er, wie seine männlichen Stammeskollegen, seinen Körper mit rotem Schurz und Schultertuch bedeckt. Die Frauen tragen blau.

Der Dorfälteste weist dem dekorierten Masaijungen einen Platz an der Strasse zu, wo er sich von nun an fuer vorbeifahrende Touristen in Pose zu werfen hat. Ein Stueckchen weiter hat ein älterer Kollege Sitzdienst, er hat es besser getroffen als der neben ihm Stehende, der heute Speerschicht schieben muss. In unbequemer Haltung verrengt er seine Arme, um damit auf den Schultern seinen Speer zu balancieren.

Der Gartenmasai verharrt dagegen in der Hocke und streichelt den Boden. Und wenn ein Tourist auf die Idee kommen sollte, von diesem zugegebenermassen sehr huebschen Motiv etwa ein Foto schiessen zu wollen, wird er mit fuenf Dollar zu Kasse gebeten.

Mich beschleicht das Gefuehl, in ein riesiges Kostuemspektakel geraten zu sein. Ausverkauf der Traditionen, Hauptsache die Knete stimmt. Der Westen hat mit seinen Touristenströmen bereits Einzug gehalten in diesen so urspruenglich scheinenden Winkel der Welt. Warum sonst stehen die Dörfer der Masai, ein Nomadenvolk, seit Jahren an den selben Stellen neben der Hauptroute vom Ngorongoro Krater in die Serengeti? Vor neurigen Blicken abgeschottet durch einen Bretterzaun. Zahlt man hingegen dreissig Dollar Eintritt, wird einem Einlass gewährt. Ein teures Open-air Museum, dem ich mich verweigere.

Kommt der Deko-Masai dann von seiner Strassenschicht nach Hause, wirft er wahrscheinlich erstmal seine lästige Arbeitsklamotte ab, schmeisst sich in T-Shirt und Boxershorts und holt sich ein eisgekuehltes Bier aus dem Keller seiner Hightech-Huette. Dann setzt er sich vor seinen Rechner um per email mit seinem Kollegen im Kaokoveld in Namibia zu kommunizieren, wo er seine nächste Saison zu absolvieren hat.

Einzig die Tiere in der Serengeti scheinen kein Interesse daran zu haben, mit einem Ticket per Flieger nach Übersee verfrachtet zu werden. Sie sind nicht kaueflich, entweder stehen sie im richtigen Moment oder eben nicht. Ob Dollar oder Euro, sie machen keinen Unterschied, Touristen schmecken alle gleich. nach Diktat verreist -dwo


zwischen komödie und farce - ein geschäft mit wilden tieren
serengeti, 14./15.1.2005





wer in arusha ankommt, will wilde tiere sehen. alle dort wissen das. serengeti und ngorongoro-krater sind das kapital der zweitgrössten stadt in tansania. nirgendwo auf der welt muss man so wenig tun, um die wahrzeichen afrikas zu präsentieren. das einzige problem ist: wie bekommt man die touristen in seinen wagen, wenn sich 200 safari-agenturen um sie balgen?

erste möglichkeit: versprich ihnen alles. zweite möglichkeit: verpack die tour in eine tolle huelle. die zweite klasse der safaris schläft in einem campingzelt, die erste in einem luxuszelt mit bettgestell oder gar in einer klimatisierten lodge. das ist aber auch der einzige nennenswerte unterschied, obwohl die erste klasse das zwei- bis vierfache bezahlt..

als wir an der olduvai-schlucht (wo die leakeys in den 30ern einige urmenschenschädel entdeckten) mittagspause machen, tummeln sich gut und gerne 15 safarigruppen an derselben picknickhuette. masauda, unser koch, gibt uns unsere lunchpakete. huehnchen, obst, einen muffin, ein saftpäckchen, brot, all das ist in einer tupperbox eingepackt. dabei macht er ein gesicht wie ein gepruegelter hund. seit wir losgefahren sind, fragen wir uns, ob er eine lachmuskellähmung a la silvester stallone oder einen todesfall in der familie hat. aber sein handwerk versteht er, das essen ist gut.

eine safarigruppe der ersten klasse gesellt sich zu uns. jeder hat eine schicke pappbox mit dem logo der safari-agentur in der hand. das macht mich neugierig. vorsichtig lunze ich den khakigekleideten ueber die schulter. ueberraschung! in der pappbox ist exakt dasselbe drin wie in unserer tupperbox. immerhin wird dazu eine flasche rotwein rumgereicht.

dann schau ich mir all die wagen auf dem parkplatz an. fast alle sind toyota landcruiser. einige ganz teure agenturen wie abercrombie & kent packen ihre kunden in schlichte minibusse. als wir später am parkeingang der serengeti ankommen, tuermen sich bereits die markenlunchboxen der ersten klasse zu muellhaufen. da lob ich mir die budget-tupperbox. dann brausen wir alle in unseren wagen durch die weite grasebene richtung camp oder lodge.

am nächsten morgen treffen wir uns alle wieder, denn es gibt in der serengeti keine wege erster oder zweite klasse. irgendjemand hat leoparden in einem baum gesichtet, und in windeseile spricht sich die neuigkeit zwischen den fahrern herum (unser entpuppt sich als besonders blind, er muss immer anderswo nachfragen). als wir am leopardenbaum ankommen, sind wir der fuenfte jeep, zehn minuten später drängeln sich dort 23 wagen, um die meisterjäger der nacht zu sehen.

artikel 1 der serengeti: vor dem leoparden sind alle touristen gleich. es gibt keine erste reihe. so wiederholt sich das spiel tag fuer tag. wo löwen und andere raubtiere sind, bildet sich im nu ein jeepauflauf, den man kilometerweit sehen kann. nach einiger zeit erkennt man die gesichert wieder, die aus den dachluken der wagen herausschauen.

ein abenteuer entgeht der ersten klasse allerdings: die nächtliche geräuschkulisse rund ums zelt. mitten in der nacht weckt dich ein grunzen, ein grasrupfen, ein schnaufen, so klar, dass es nur wenige meter neben deinem kopfkissen sein kann. dann sind die bueffel, elefanten und nilpferde ins camp gekommen und grasen zwischen den zelten.

zartbesaitete machen den rest der nacht kein auge mehr zu. andere drehen sich zufrieden im schlafsack um, weil sie fuer augenblicke teil der wildnis geworden sind, fernab der behueteten westlichen zivilisation. kein grund zur panik, denn wenn es etwas gibt, worum sich die tiere der serengeti einen dreck scheren, dann sind es diese seltsam riechenden touristen. -nbo


darwin im krater
ngorongoro, 16.1.2005





das "survival of the fittest" ist die wohl wichtigste wissenschaftliche entdeckung des 19. jahrhunderts und wird uns schon in der schule als das grundprinzip allen lebens eingetrichtert. fressen und gefressen werden. so richtig vorstellen kann man sich das als europäer aber nicht, der raubtiere nur aus dem zoo kennt. und so abstrakt macht es sich dann gut in all dem wirtschaftspolitischen gequatsche der gegenwart.

wenn es einen ort auf der welt gibt, wo einem die trostlosigkeit und brutalität dieses prinzips klar wird, ist es der ngorongoro-krater in nordwesttansania. tausende von tieren leben auf dem fast baumlosen boden dieser riesigen, millionen jahre alten caldera, die einen durchmesser von bestimmt zehn kilometern hat. pflanzenfresser, fleischfresser, ob mit hörnern oder ohne hörner, mit reisszähnen oder nur mit kauleisten - fuer kein tier gibt es hier eine möglichkeit, dem tod ein schnippchen zu schlagen. zebras stehen seite an seite, mit den köpfen in entgegengesetzte richtungen, um die kraterebene ganz im blick zu haben. gazellen stapfen hypernervös durchs gras, durch das der tod schleichen kann. die ganze existenz besteht nur aus fressen und auf der hut sein.

kein blick in die phantastischen wolkenformation ueber dem kraterrand, kein innehalten ueber die schönheit dieser landschaft, nur ein stumpfes sein bis zum exitus, der schon heute nacht, vielleicht auch erst morgen mittag in der prallen sonne kommen kann. der kraterrand pfercht alle zusammen zu einer gemeinschaft, aus der es kein entkommen gibt. in der es keinen fortschritt gibt, weil alle energie ins fressen und nicht-gefressen-werden fliesst. ich hatte zwar noch nie etwas fuer sozialdarwinistische argumente uebrig. aber erst hier im krater wird mir klar, wie primitiv die zeitgenossen sind, die im "survival of the fittest" irgendeine inspiration fuer die probleme des menschlichen zusammenlebens sehen. soll darwin im krater bleiben, in der zivilisation hat er nichts zu suchen. -nbo


cluedo in arusha
17.1.2005

shit happens, und heute hat es uns erwischt. 200 dollar bargeld, die restlichen reiseschecks und mein handy sind perdu. gestohlen aus dem zimmer unseres ach so ehrenwerten hotels "spices & herbs" in arusha. kein aufgebrochenes tuerschloss, keine eingeschlagene fensterscheibe. der dieb kam mit dem schluessel, während wir im ort unseren rueckflug von kapstadt nach hamburg organisierten.

wir liegen im bett und können doch nicht einschlafen. wer könnte es gewesen sein? alle sind verdächtig. war es die frau an der rezeption, die schwört, den ganzen nachmittag bei den schluesseln gewesen zu sein, die in einem körbchen an der bar liegen? ihre nonchalance, mit der sie unsere entdeckung aufnimmt, macht sie verdächtig.

war es die schuechterne putzfrau, der wir idiotischerweise gesagt hatten, sie möge heute bitte nicht putzen, weil wir nach der safari unseren kram im zimmer verstreut hätten? ihre schuechternheit macht sie verdächtig. könnte ja gespielt sein.

war es der hotelmanager, der uns allen ernstes erzählt, er habe den gast aus zimmer 2 verdächtigt und vorsorglich schon mal dessen gepäck durchsucht, aber da seien unsere sachen nicht drin gewesen? wenn das nicht verdächtig ist.

oder war es die hotelbesitzerin selbst, die unsere geschichte am abend mit augen, kalt wie stein, anhört? sie gehört zur upper class von arusha, spätestens seit sie das essen fuer das grosse bill-clinton-dinner vor einigen jahren hier in der stadt organisiert hat. auch sie ist verdächtig: kurz bevor nachmittags die polizei kommt, rauscht sie im jeep heran, eilt an die rezeption, um eine grosse tasche zu holen, und braust wieder davon, ohne uns, die opfer und ihre gäste, eines blickes zu wuerdigen. erst letzte woche ist ein angesehener geschäftsmann aus arusha als kopf einer grossen, hier ansässigen gang verhaftet worden.

vielleicht war es aber auch der ewig lächelnde und leicht unterbelichtete kellner, in dessen zimmer unser gepäck während der safari "in sicherheit" gewesen sein soll. zeit genug hatte er ja, um sich an den vorhängeschlössern unserer rucksäcke zu ueben. verdächtig, einfach verdächtig. aber es ist wie frueher, als wir als kinder "cluedo" gespielt haben. ich hab's nie geschafft, den täter zu ueberfuehren. gewonnen haben hier immer die anderen. -nbo


Die Hure Arusha
17.1.2005

Stolz hält sie ihre Nase in den Wind vom benachbarten Mount Meru. Arusha ist sich ihrer Wichtigkeit fuer Tansania allzu deutlich bewusst, hier starten alle Safaris in die Serengeti und Touren zum Kilimanjaro. Geradezu hochmuetig kommt sie daherstolziert und gibt sich selbstsicher auf dem grossen Tourismusparkett.

Doch schaut man ihr unter den Rock, wird einem schlecht. Marodes Gekröse, zerfressene Innereien, es stinkt erbärmlich. In ihrem offenen Unterleib haben sie sich eingenistet, die Kanalratten und Scheisshausfliegen. Auf den Strassen ist man nach Einbruch der Dunkelheit ihr gefundenes Fressen, sogar Einheimische bevorzugen selbst fuer die kuerzesten Strecken ein Taxi. Keiner vertraut keinem, jeder bezichtigt den Nächsten der eigenen Hinterhältigkeit.

Der Charme dieser Stadt ist längst auf der Strecke geblieben, Korruption und Kriminalität regieren den Alltag. Eines sollte die rotznasige kleine Cousine Nairobis allerdings noch lernen: wenn man bei den Grossen mitspielen will, muss man ihre Regeln beherrschen. Und wenn man mogelt, dann bitte so, dass es keiner merkt. Verwundert denke ich an Belinda und Jens, die hier demnächst ein halbes Jahr verbringen wollen. Sie sollten gezinkte Karten und mindestens ein Pokerface im Gepäck haben, toitoitoi. nach Diktat verreist -dwo


afrikanische krankheit
arusha, 17.1.2005

viele löwen, elefanten, gnus, zebras und sogar zwei nashörner liegen hinter uns. ja, serengeti und der ngorongoro-krater waren grandios. aber nur die natur. was wir in den letzten paar tagen an trostlosem miterlebt haben, reicht. das  afrikanische fieber wächst sich im moment zu einer ernst zu nehmenden krankheit aus. morgen brechen wir auf in richtung sansibar, von dort dann mehr. wir fuehlen uns im moment echt ruhebeduerftig.


Im Schwitzkasten
Pangani, 18.1.2005





Der ueberschwenglich angepriesene Full Luxury Bus inklusive Videomonitor entpuppt sich mal wieder als das uebliche afrikanische Klappergestell: ein ausrangierter Volvo oder Isuzu, der irgendwo ausserhalb Afrikas gerade noch vor der Schrottpresse geretten werden konnte. Die Sitze sind mit Plastikfolie ueberzogen, so dass man während der sechs Stunden dauernden Fahrt durch klammes subtropisches Klima auch ordendlich ins Schwitzen kommt.

Kurz vor der Abfahrt kriegt Niels ein Kind. Der Busfahrer drueckt ihm ein anderthalbjähriges Mädchen auf den Schoss, dass bei seiner Mutter keinen Platz mehr gefunden hat, weil da schon seine dreijährige Schwester sitzt. Mit diesem zusätzlichen Schwitzkissen im Arm heizen wir mit halsbrecherischen 120 Sachen ueber die Landstrasse von Arusha nach Tanga an die Kueste.

Während der gesamten Fahrt geben die beiden Krollenlöckchen auf den Schössen keinen einzigen Mucks von sich, kein Weinen, kein Gequengel, nichts. Wie kann das sein, frage ich mich. Sind sie wirklich so grundzufrieden? Oder sind sie vielleicht bereits von kleinauf durch das Getragenwerden im Hängetuch auf dem Ruecken der Mutter, zur Bewegungslosigkeit verdammt, auf Ausharren konditioniert?

Wenn ich mich in den Reihen der Erwachsenen umschaue, scheint mir Letzteres gar nicht so unwahrscheinlich. Was werden diese beiden Mädchen in zwanzig Jahren wohl machen? Haben sie ueberhaupt ueberlebt, haben sie Aids, wie so viele Afrikanerinnen? Wo werden sie leben, in welchem Land? Was ist die afrikanische Zukunft?

In Tanga angekommen wartet dann bereits der Bus nach Pangani. Gleiches Modell, nur dreimal so voll. Es wird gestanden, voll bis zum letzten Quadratzentimeter. Wir werden reingeschoben und aufgefordert, weiter nach hinten durchzugehen. Aber wohin denn, es ist doch alles schon brechend voll? Das hält den Busfahrer allerdings nicht davon ab, noch zusätzlich jeden Wartenden am Strassenrand mitzunehmen, der Bus platzt aus allen Nähten.

Dann und wann huscht mal etwas warmer Fahrtwind durch die geöffneten Fenster, es ist bruellend heiss. Jeder schwitzt aus allen, ihm zur Verfuegung stehenden Poren. Meine Nase zu tief in der strengen Achselhöhle des Haltsuchenden neben mir, hoffe ich inständig bei jedem Halten, dass diesmal doch bitte jemand aus- anstatt einsteigen möge.

Auf den klitschnassen Gesichtern neben, um und an mir sehe ich wachsende Ratlosigkeit. Auf den Platz- und Frischluftmangel hingewiesen, antwortet der Busfahrer bloss: " I know, but what can we do about it?" Ja, das ist eine gute Frage! Afrika, was meinst Du dazu? nach Diktat verreist -dwo


endlich am meer
pangani, 18./19.1.2005

als wir schwitzend wie die berserker aus dem rumpelbus von tanga nach pangani aussteigen, ist es schwuelheiss. vorbei das angenehme sommerwetter des hochlands. aber da hinter den palmen, da ist das meer. der indische ozean, von dessen wueten wir erst tage später erfuhren, weil wir in nordkenia aus der welt waren. stuerzen ein kuehles bier hinunter, die friedliche bucht im blick.

nicht mehr viel los in der einst geschäftigen hafenstadt an der swahilikueste. heute ist die flussmuendung des pangani river teilweise verlandet, und die schiffe fahren nach tanga, 50 kilometer weiter nördlich. der ort ist eines dieser heissen, verschlafenen nester, auf die levi-strauss' ausdruck "traurige tropen" perfekt passt.

ja, die flussmuendung hat etwas von dieser beklommenheit aus joseph conrads "heart of darkness". hier ereignet sich nichts. alle, auch die einheimischen, schwitzen dumpf vor sich hin. dann und wann legt eine dhau nach sansibar ab. schlanke boote mit dreieckigen segeln, die schon seit jahrhunderten diesen teil des indischen ozeans befahren.

aber gerade dieses aus-der-welt-sein ist nach nairobi und arusha eine wohltat. die leute lächeln verhalten, und wenn wir ein paar wort kiswahili stammeln, strahlen sie sogar. niemand will einem etwas verkaufen. in der ortsdisco, der "pangadeco bar" hinter dem strand, dröhnt abends der reggä. so laut, dass wir uns mit mr. iddi und mr. sekibaha anschreien muessen.

iddi hat uns eine dhau-ueberfahrt nach sansibar vermittelt. draussen auf der strasse tänzeln ein paar panganier, die sich keinen drink leisten können. mr. sekibaha hat plötzlich eine philosophische anwandlung und erzählt von der notwendigkeit eines neuen weltbildes fuer das 21. jahrhundert, von einem schriftsteller namens bruno vogelmann, streift die deutsche kolonialgeschichte ("when they built the railway to the hinterland", ja er sagt wirklich hinterland), regt sich ueber die atombombe als fehlgriff der westlichen wissenschaft auf. der rest seiner gedanken geht in den reggäbeats verloren.

ich habe das gefuehl, das gerade wieder eine etappe zuende geht. rift valley, wuesten, savannen liegen hinter uns. jetzt kommt die kueste. -nbo


mit der dhau nach sansibar
nungwi, 20.1.2005









nachts um kurz vor drei klopft iddi, der "schiffsmakler" von pangani, an unsere zimmertuer. wir schnappen unser gepäck und gehen runter zum fluss, durch halden von kokosnussschalen. in der dunkelheit wartet die dhau, die schon am abend vorher prallvoll mit fruechten beladen worden ist. unsere passage nach sansibar.

wir klettern an bord, die hosenbeine werden nass, als wir durchs wasser waten. die milchstrasse leuchtet und eine einsame neonröhre hinter uns im ort. die crew schiebt das boot in den fluss und setzt das segel. kein lufthauch bläht den stoff.

langsam, ganz langsam treiben wir mit der ebbe aus der flussmuendung in die bucht. keiner redet. es gibt nichts zu sagen. nur das rauschen von wellen, die in der ferne auf eine sandbank schlagen, ist zu hören. rechts ueber dem segel steht das kreuz des suedens, hinter uns der grosse wagen. einer aus der crew schöpft wasser aus dem bootsrumpf.

zusammengekauert hocken wir mit leo achtern am ruder, auf dem letzten flecken, der nicht mit mangos, bananen und holzkohle beladen ist. vor fuenfhundert jahren kann es nicht anders gewesen sein. irgendwann, später, beginnt sich der himmel vor uns aufzuhellen. wir sind höchstens fuenf kilometer vorwärts gekommen. noch immer kein wind. woldo zeigt hinter sich ins meer, ja, ein delphin begleitet uns gemächlich. grauschwarz taucht sein körper aus den glatten fluten auf.

der anbrechende tag zaubert die wildesten wolkengebilde an den himmel, wie in alten gemälden von seeschlachten. ich sehe hasen, elefanten und riesen, die vorbeieilen. sansibar ist noch nicht in sicht. die seeleute wechseln sich mit dem wasserschöpfen ab.

eine erste leichte brise, wir nehmen fahrt auf. wechseln ein paar worte mit der crew, die kein englisch spricht, auf kiswahili. "kuna upepo kidogo", es gibt nicht viel wind. zustimmendes lachen. im morgenlicht tauchen weitere segel am horizont auf. eine grosse dhau auf dem weg von tanga nach stone town kreuzt dicht hinter uns. das meer ist tiefblau, alles ist perfekt, nur der kaffee fehlt.

einer aus der crew summt leise ein lied, die anderen dösen. die sonne steigt höher, erscheint ueber den wolken, der wind kommt und vergeht doch wieder. in der crew entspinnt sich plötzlich eine diskussion, lauter und immer lauter, unterbrochen von kurzen lachern. wer schreit, hat recht, auch hier. ich lausche dem angenehmen klang des kiswahili, schnappe ein paar zahlen auf, die ich wiedererkennen kann. dann verfallen alle wieder in schweigen und ergeben sich in die heraufziehende hitze.

ein schluck mineralwasser, eine mango, ein zigarette, das ist unser fruehstueck. doch dann, endlich, tauchen am horizont die ersten palmen von sansibar auf, und wind dazu, jetzt geht es voran, ein wenig gischt spritzt, die dhau schaukelt durch die langen, flachen wellentäler des indischen ozeans. der strand von nungwi kommt immer näher.

wir zahlen den rest unserer passage und nach neun stunden landet die dhau am korallenstrand. einigen touristen fallen in ihren beach-ressort-liegen die augen aus, kameras klicken, als wir da wie aus einem anderen zeitalter von bord ins tuerkise wasser springen. wir setzen uns in den sand und können es kaum glauben - wir sind in sansibar. währenddessen hat die crew das boot schon wieder zurueck ins meer geschoben und nimmt kurs auf die kleine nachbarinsel tumbatu. wir hingegn sind mit in der bacardiwerbung angekommen. -nbo


bacardi-feeling, oder: urlaub vom reisen
nungwi, 22.1.2005





nach wochen im innern ostafrikas ist es jetzt erst mal genug mit all den reise-erfahrungen. am strand von nungwi auf unguja (in europa bekannt als sansibar, das in wirklichkeit der name einer ganzen inselgruppe ist) ist fuer die nächsten tage schwerstes abhängen angesagt, lesen, durchatmen, ein wenig nachdenken, kraft fuer die vierte etappe sammeln. ja, und wir muessen euch leider sagen, dass das wetter hier phantastisch, das wasser tuerkis ist, die fischgerichte grandios sind.


Die Huefte von Zimmer 12
Nungwi, 22.1.2005

Abgestumpft wie eine Krankenschwester nach langjähriger Tätigkeit bringe auch ich langsam kein Mitgefuehl mehr auf. Ich gucke mir die Leute hier an, diagnostiziere eine Mentalthrombose und lasse sie dann mitten in ihrem Touri-Blabla einfach stehen. Sollen sie doch lieber andere Gehörgänge fluten. Bei mir gibts gerade nichts mehr zu holen. Zum einen, weil wir ohnehin bereits mutwillig unserer Barschaft entledigt wurden, und zum anderen ist mein  Goodwill-Pensum mittlerweile erhebllich ueberschritten ist. Es haben sich unterwegs schon zu viele daran bedient. Jetzt wird erstmal an mich gedacht und zwar volles Programm. Sansibar, here I come. Tuer zu, die Afrikakophonie draussen lassen und Feierabend! Gutenachtschwester. nach Dikatat verreist -dwo


Köpfchen in das Wasser...
Nungwi, 25.1.2005

Wir gehen schnorcheln und werden morgens wir mit einem Boot zum Atoll vor Mnemba Island gebracht. Diese Insel, ein Privat-Resort fuer Steinreiche, darf nur derjenige betreten, der pro Übernachtung 500 Dollar hinblättert. Alle durchschnittlich Begueterten duerfen allerdings vor ihrer Kueste im seichten Wasser planschen.

Wir stuerzen uns in die Fluten und finden uns wieder zwischen Myriaden von Fischen. Sie sind um, ueber und neben uns und kommen neugierig an uns heran. Ich fuehle mich wie ein schwebendes Teilchen in einem Fisch-Mobilee. Unsere T-Shirts haben wir vorsorglich anbehalten, um einen Sonnenbrand auf dem Ruecken zu vermeiden, die Pöter gucken allerdings ungeschuetzt aus dem Wasser, und das anderthalb Stunden lang.

Diese langanhaltende feuerrote Erinnerung auf unseren Sitzflächen spueren wir noch, als wir fuenf Tage später auf der Fähre zum Festland sitzen, und wie! nach Diktat verreist -dwo


sonnige tage in SwahiliWorld
nungwi, 26.1.2005

der koch ist eingeschlafen. sein kopf liegt auf der tischkante, die bestickte kappe daneben. eben hat er noch in meinem economist geblättert. aber er ist schon wieder muede, vielleicht noch immer, es ist vormittag, noch hat niemand lunch bestellt. die restliche belegschaft des union beach ressorts döst im schatten zwischen den bäumen. draussen im meer sammeln frauen im seichten wasser der ebbe sardinen. ein fischerboot segelt in der ferne vorbei. frieden.

die idylle in nungwi ist perfekt und doch irgendwie verstörend. da ist zum beispiel dieses fitnessstudio eines italienischen edelressorts auf einem pier im meer, in dem uebergewichtige europäer im angesicht des sonnenuntergangs auf laufbändern traben. masai rennen als strandwächter in ihren roten roben rum und haben ultracoole sonnenbrillen auf.

dazwischen fehlt etwas: etwas magisches, inspirierendes. die fischerboote am strand sind malerisch, ja, aber sie wirken wie eine dekoration, in der afrikanern nachempfundene roboter so tun, als ob sie fische fangen. nungwi ist so glatt wie "westworld", jener roboterbestueckte ferienpark aus dem 70er-thriller mit yul brynner, in dem sich westler glueckliche tage in einer 23-grad-welt kaufen können (das thermostat ist allerdings kaputt, es ist mindestens fuenf grad zu heiss).

der reale nungwier ist anfang zwanzig und fischt höchstens noch nach guten deals mit touristen. morgens kommt er aus dem dorf in die kulisse der huetten und bungalows am strand und sagt ständig "karibu" (willkommen), aber es klingt wie "karibu, dollar". in seinen augen kann ich nichts entdecken ausser dem appetit auf das dollarland. das leben an der swahilikueste war gestern. er träumt davon, hip zu sein, abends mit den touristen in cholo's strandbar zu trinken. teil der ewigen party zu sein, fuer die die westler herkommen, weit weg von afrika, das irgendwo hinter dem meer, hinter dem horizont im westen liegt.

tag um tag vergeht, alle gleich schön und auch ein wenig belanglos, gedanken verebben am korallenriff. nachts heisst es "schöner träumen mit lariam" (dieser hammerchemikalie von einem malariamittel: ich lande in new york, um eine lederjacke zu kaufen, die ich schon habe, kann aber keine passenden schuhe finden...

morgens wache ich auf vom flapflap des ventilators und fuehle mich seltsam benommen. draussen bahnt sich längst wieder die hitze der tropen an. ich bin grundlos beunruhigt in dieser perfekten SwahiliWorld, in der alle nur ihren spass haben wollen, die die welt vor mir verbirgt. auch die idylle nagt an mir, ich will endlich das afrika finden, das ryszard kapuscinski in "afrikanisches fieber" so grossartig beschrieb, das kurz im rift valley, im samburuland, aufschien und dann wieder verschwand. ich glaube, ich will hier wieder weg. -nbo


Idylle hoch 10 Tansania
Nungwi, 27.1.2005

Hier ist Dollar-Country und wenn ueberhaupt die Landeswährung akzeptiert wird, ist alles mindestens 10mal so teuer, wie auf dem Festland. Der alljährliche Urlaubstraum hat seinen Preis und das wissen die Sansibaris gut fuer sich zu nutzen. Die Insel hat sich kommplett dem Tourismus verschrieben, die Zukunft ist gesichert, dank TUi & Co. Die eigenen Traditionen wurden längst ueber Bord geworfen und duempeln irgendwo im tuerkisblauen Wasser.

Fast wundert es mich, dass ich ueberhaupt nass werde, wenn ich ins Wasser gehe und nicht einfach nur ein Loch in der blauen Leinwand hinterlasse und mich am Set-Buffet wiederfinde neben verdutzen Beleuchtern und Buehenarbeitern. So gut, wie es die Natur mit dieser Insel gemeint hat, grenzt es schon an Unerträglichkeit. Kilometerlange feinste Sandstrände gesäumt mit Kokospalmen, tuerkisblauestes Wasser, ein vorgelagertes Riff. Verschwenderisch schön, zu schön fuer meinen Geschmack.

Wie bei einer Wackelpostkarte warte ich ständig darauf, dass das Blatt sich wendet und die Insel mir ihre getarnte Fratze zeigt. Trotz der uebernatuerlichen Schönheit kann ich mich hier nicht entspannen, zu gross ist mittlerweile das Misstrauen gegenueber den Einheimischen. Jeden Tag eine neue Horrorgeschicht von Diebstählen, Überfällen auf Touristen oder gefakten Trinkwasserflaschen. Die Inszenierung des Paradieses kann mich mal, ich will auf den Arm. nach Diktat verreist -dwo


on the road again
stone town, 28.1.2005

als wir heute morgen aufwachen, ist klar: die zeit in nungwi ist um. genug banana boat cocktails in willie's bar, genug dösende köche im union beach ressort. als wir zahlen, streiten wir noch kurz um zwei angeblich unbezahlte biere, die längst auf der abrechnung stehen, und freuen uns um so mehr, weiter zu ziehen. im staubig-schmuddeligen dorf hinter der strandkulisse steigen wir in ein dala-dala nach stone town. eine offene pritsche mit zwei notduerftig gepolsterten bänken. aber es gibt kuehlenden fahrtwind, die einsteigenden dörfler gruessen uns mit einem "jambo" ohne dollar-gedanken, und als die palmen und mangobäume am strassenrand vorbeifliegen, fuehlen wir uns "on the road again". SwahiliWorld fällt zurueck, schön war's dort, keine frage, aber ein kraft-auftanken in einer zwischenwelt. -nbo


Malindi Landungsbruecken
Stone Town, 29.1.2005





Viele verwegene Geschichten spinnen sich um Stone Town, der "Hauptstadt" Sansibars. Und alle könnten wahr sein. Diese Stadt ist ein ueberdimensioniertes Piratennest mit unzähligen verwinkelten Gässchen und undurchdringlichen Gesichtern. Dazu die alten Bauwerke aus der Kolonialzeit, ein Schmelztiegel der arabischen, afrikanischen und europäischen Kulturen. Überall werden Kraueter und Gewuerze feilgeboten und natuerlich Fisch. Durch unser Guesthouse im Stadtteil Malindi, direkt am Hafen, weht der wohlbekannte Duft von Fischbuden, da wir fuehlen wir uns Hamburg schon wieder ein Stueckchen näher. nach Diktat verreist -dwo


lustiges vespa-gestuemper in sansibar
stone town, 30.1.2005

mit 17 habe ich davon geträumt, eine vespa zu haben. 20 jahre später sitze ich zum ersten mal auf einer. und das geht fast in die hose. der typ vom motorradverleih erklärt mir kurz die gangschaltung und zeigt mir die ersatzzuendkerze. wie? woher weiss ich, wo dieses teil hinkommt, wenn der motor seinen geist aufgibt? ich sitze zum viertel mal im leben auf einem moped, und die hatten alle automatik.

die ersten vier startversuche wuerge ich alle ab, unter allgemeinem gelächter der umstehenden sansibares. woldo lässt sich davon nicht erschuettern. dann zockeln wir im ersten gang wie eine schildkröte los. an der ampel kurz vor unserem guesthouse - wir haben die sonnenbrillen vergessen - säuft das gerät zweimal ab, als die ampel auf gruen springt. das wird ja lustig.

mit 20 kmh schleichen wir aus der stadt. es dauert keine fuenf minuten, da winkt uns der erste polizist an den strassenrand. ich versuch mit der handbremse am lenker das ding zum stehen zu bringen. blöde idee, denn auf der seite ist auch der gaszug, und die vespa macht einen satz wie ein wildgewordener bulle, anstatt zu stoppen. 20 meter weiter halten wir dann irgendwie.

"careless driver, careless driver", sagt der bulle in seiner strahlend weissen uniform, und ich sehe schon die dollarzeichen in seinen augen aufblitzen. wir ergehen uns in blumigen erklärungen, aber ich muss leider zugeben, dass ich keine ahnung hatte, dass diese kleine schwarze pedale da unten die fussbremse ist.

immerhin sind unsere papiere alle in ordnung. dann muss ich unter den strengen augen des polizisten probebremsen. es klappt, und wir schwören stein und bein, die vorsichtigsten fahrer ueberhaupt zu sein. fast habe ich am ende den eindruck, als könne sich der mann das lachen nur muehsam verkneifen. und tatsächlich wuenscht er uns eine gute und sichere(!) fahrt.

zehn kilometer ausserhalb von stone town meistere ich dann den zweiten und den dritten gang. mit 50 kmh knattern wir jetzt durch eine prallgruene gartenlandschaft. wir werdern noch dreimal rausgewunken. denn jeder bulle hier hofft, dass er einen mzungu findet, der seinen internationalen fuehrerschein nicht mit hat. das bringt schliesslich das extracash zum mageren gehalt. aber da inzwischen auch das bremsen klappt, kommen wir immer durch.

als wir am spätnachmittag von der ostkueste zurueckkehren, hat sich alles entspannt. zwei polizisten auf dem nachhauseweg winken uns freundlich zu und wir winken zurueck. die insel hat feierabend, die strassenhändler und bauern schlendern in ihre dörfer zurueck. zum ersten mal ist sansibar einfach nur friedlich und echt.

als wir schon wieder in stone town sind, werden wir ein letztes mal rausgewunken. "woher kommen sie?", fragt der weissgekleidete. "aus paje", antworten wir wahrheitsgemäss, das ist der ort an der ostkueste. "wie viele jahre sind sie schon in sansibar?" "was?" "wie viele jahre?" fragt er noch mal. "8 tage", sagen wir, und dann muessen wir alle lachen. er hatte eigentlich nur "from germany" hören wollen. -nbo


snapshot #5 (double snapshot)
stone town, 30.1.2005





noch 30 minuten bis sonnenuntergang. auf der terrasse des africa house, des ehemaligen british club von sansibar, ist der bär los. 300 meist gestylte leiber luemmeln sich in schweren barsesseln, stehen am terrassengeländer, reden, schreien, lachen. alle stuerzen bier oder cocktails hinunter. sehen und gesehen werden, fleischbeschau, es ist wie eine mischung aus bar rossi und strandperle (fuer die nichthamburger: eine schickibar und "das" strandcafe an der elbe). nach monaten on the road im nahen osten und in ostafrika ist das fast ein kulturschock. ueberfluessig zu erwähnen, dass sich ausser den kellnern kein sansibari in diesem sundowner-gelage tummelt. es ist der neue tourismus-kolonialismus, mit dollarscheinen in der hand, der die britischen kolonialherren von einst beerbt hat.

szenenwechsel, 500 meter entfernt, 30 minuten nach sonnenuntergang: die forodhani-gärten an der uferpromenade von stone town. zwanzig garkuechen bieten alles, was der indische ozean an leckerem herzugeben hat. riesige krebse, hummer, fische in allen grössen... sansibaris bummeln mit kind und kegel an den ständen entlang, es ist wochenende, zeit zum flanieren unter den ausladenden bäumen des gartens. wir setzen uns mit einer "zanzibar pizza" (ei, zwiebeln, hackfleisch in einer teigtasche frittiert) und tintenfisch  an einen der plastiktische. ein älterer sansibari spricht uns an und wundert sich, dass wir von den bevorstehenden wahlen gehört haben. seit wann interessieren sich touristen fuer politik? wir fragen ihn nach dem tourismus und der kriminalität. der schurke kommt vom festland, stellt sich heraus. "die" tansanier seien es, die hier in stone town touristen ueberfallen und an den stränden das grosse geld machen. die dörfler wuerden selten zum zuge, wenn die inselregierung konzessionen fuer neue ressorts vergebe. das klingt nicht sehr begeistert. all is not well in zanzibar. -nbo


Ebony & Ivory
Daressalaam, 31.1.2005

Stickige Hitze schlägt uns entgegen, als wir in Daressalaam an Land gehen. Die nächtlichen Regenguesse haben die Stadt in eine dampfemde Sauna verwandelt. Jeder Schritt treibt mir das Wasser aus den Poren und hinterlässt dunkle Spuren auf meinen Klamotten. Ich schwitze nicht, nein, ich bin Schweiss. Nachts liege ich wach, die Luft klebt. Der Deckenventilator durchsäbelt die feuchte Hitze und lässt und lässt dicke Scheiben auf uns runterklatschen.

In mir dreht sich alles, meine Gedanken zentrifugieren unter meiner Schädeldecke, während ich versuche, meine bisherigen Eindruecke von Afrika zu sortieren. Doch alles ist ueberladen und schwammig, die Luft, die Nacht, meine Gehirn. Draussen tobt wieder ein Sturm, der Regen prasselt auf die benachbarten Metalldächer, die Vögel in ihren Käfigen auf den Balkonen kreischen hysterisch.

Fragen rauschen mir durch den Kopf, während ich auf die kreisenden Rotorblätter starre und die  Unordnung immer grösser wird. Was habe ich mir von dieser Reise versprochen, ein klareres Bild ueber diesen Kontinent, Erkenntnis oder einfach bloss eine Erfahrung? Hier in diesem Teil des afrikanischen Kontinents passt nichts zueinander.

Solange Weisse hierherkommen, sind diese per se immer an allem Schuld. Und solange in Afrika die Kinder schwarz geboren werden, wird die Hautfarbe als Generalentschuldigung benutzt, fuer alles, weil es so schön praktisch ist. Womit sie dann auf der Benachteiligungsskala ihrer Meinung nach ganz oben stehen.

Ich frage mich, was wir hier eigentlich zu suchen haben. Ich komme mir hier ohnehin eher wie ein ungebetener Eindringling vor, denn als ein willkommener Gast. Was wuerde mit Afrika passieren, wenn sie die Tueren zum Westen fuer die nächsten 10 Jahre dichtmachen, um erstmal mit sich ins Reine zu kommen, ungeachtet der westlichen Massstäbe. Ist es dafuer vielleicht schon zu spät?

Der allgegenwärtige Rassismus in diesem Teil des Kontinents richtet sich allerdings nicht nur gegen die weisse Übermacht, selbst innerhalb der einzelnen Länder sind sich die Stämme gegenseitig nicht gruen. In Äthiopien können sich die achtzig verschiedenen Stämme nicht als gemeinsames Volk fuehlen, in Kenia schlachten sie sich gar gegenseitig ab.

In Tansania hat man sich darauf geeinigt, das gesamte Land dem Tourismus zum Fressen hinzuwerfen. Das bringt Ruhe in die 120 Stämme, weil so jeder etwas abkriegen kann. Political correctness wird hier jedenfalls nicht praktiziert und wirkt als westlichen Verständigungskonstrukt auch deplaziert.

Nach 15.000 Kilometern, Sonnenbränden und Mueckenstichen, die nicht mehr auf einen einzigen Körper passen, bin ich keinen Zentimeter weitergekommen in meinem Wunsch, Afrika besser zu verstehen. Aber wahrscheinlich kann das auch nur, wer hier geboren wurde. Und zwar schwarz. nach Diktat verreist -dwo


im sambia-express
zwischen daressalaam und mbeya, 1.2.2005





die halle der tazara railway station in daressalaam erinnert eher an ein flughafen-terminal. ein riesiger wuchtiger bau, vor dem die taxis ueber eine rampe auf der abfahrtsebene vorfahren. wir haben erste klasse gebucht und werden gleich in die lounge komplimentiert. schwarze ledersessel, livrierte kellner mit fliege. augenblicklich verfällt jeder in diesen diskreten fluesterton.

auf dem makellos sauberen bahnsteig wird noch der zug startklar gemacht. einer von fuenf zuegen, die hier in der woche abfahren. mehr passiert auf diesem ueberdimensionierten bahnhof nicht. wie auf ein unsichtbares zeichen hin springen plötzlich alle auf und dann eilen hunderte aus der halle auf den bahnsteig.

woldo und ich haben zwei plätze in zwei verschiedenen waggons bekommen. getrennt nach männern und frauen. kann das wahr sein? ich rede auf eine schaffnerin ein, wir wuerden gerne einen platz tauschen. kommt ueberhaupt nicht in frage, sagt die frau, es sei denn, sie mieten ein ganzes abteil (und zahlen noch mal zwei tickets). der ton erinnert mich schwer an alte reichsbahnzeiten im berlinzug durch die DDR. aus den lautsprechern in den abteilen plärrt inzwischen eine bruellend laute ansage.

ein sambier schimpft auf tansania. "alles chinesischer mist." der zug ist tatsächlich in china gebaut, und die sambia-linie stammt noch aus den zeiten des tansanischen sozialismus-experiments. dann finden wir einen engländer, der kurzerhand seinen platz mit uns tauscht.

wir holen tief luft und lassen uns in eins der sofas in der bordbar fallen. ja, richtige sofas, gar nicht so schlecht, der chinesische mist. die fenster sind geöffnet, das castle lager ist kuehl und läuft gut, während draussen eine tropische landschaft vorbeirauscht. da, eine giraffe knabbert an einem baum neben dem bahndamm, und da, gleich fuenf giraffen.

wir rauchen eine zigarette an der offenen tuer und sehen paviane im gras neben den gleisen sitzen. zum ersten mal seit luxor in ägypten wieder in einem zug, es ist grossartig, noch ein castle, und noch ein schnack mit anderen travellern. abends gibt es fisch und reis, serviert von uebellaunigen kellnern, und durchs fenster dringt das lärmen von fröschen und insekten aus der nacht herein. das reisefieber hat uns wieder gepackt. -nbo


No stop till Kyela
kyela, 2.2.2005

Nicht, dass hier etwa alle luegen wuerden. Nein, sie drehen sich die Wahrheit bloss ständig so zurecht, wie sie sie gerade brauchen können und erzählen dir, was du gerade hören möchtest. Der Non-Stop-Expressbus von Mbeya nach Kyela erweist sich dann auch mal wieder als ein ausgelutschter, zerjuckelter Minibus, der gnadenlos mit Frachtgut und Passagieren vollgestopft wird. "Oh no, just three stops!" hatte uns der Ticketverkäufer vorher noch vielversprechend zugegrinst.

Wer's glaubt, wird selig! So halten wir dann auch an jedem Bastkörbchen am Strassenrand, um es samt Besitzer in die ueberfuellte Chaise reinzuquetschen. Nach dem dritten Halt hätte es dann ja wie angekuendigt non-stop weitergehen sollen. Aber Pustekuchen. Nach dem zehnten Ein- und Auslademanöver am Strassenrand tue ich meine Verwunderung kund. Ich schnappe mir den vermeintlichen Geldeintreiber des Busses und erkläre ihm unmissverständlich: "No more stops, otherwise I get money back!" Mal gucken, was es bringt.

Natuerlich ueberhaupt nichts. Denn beim nächsten Stopp steigt mein Gesprächspartner dann aus, winkt mir nochmal freundlich zu und ich stelle fest, dass ich einen Passagier zugetextet hatte. Na, macht auch nichts, hauptsache ich bin's mal losgeworden. Ich drehe mich um und Niels, Dawn und James grinsen sich eins ins Fäustchen. Sie haben es wohl schon vorher gewusst. nach Diktat verreist -dwo


coole sackgasse
kyela, 3.2.2005

nach 20 stunden im zug und drei im fucking minibus kommen wir in kyela an. der letzte ort vor malawi, am nordzipfel des malawisees. staubig, laut, unerheblich, schreibt der rough guide. von wegen. in der haupstrasse am markt dröhnt afrikanischer pop aus den boxen des musikladens, die leute sind freundlich und hilfsbereit, kein jambo-gequatsche mit anschließendem verkaufsgespräch. tansania, wie es wirklich ist, ganz bei sich. kinder winken und lachen, als wir zu viert mit james und dawn durch den ort tapern, um fahrkarten fuer die fähre zu suchen. die soll morgen frueh fuenf kilometer von hier ablegen, richtung mbamba bay und nkhata bay. irgendwann landen wir schliesslich im tourist office, und was hören wir da? "die fähre ist seit einer woche ausgefallen", sagt der manager.in drei, vier wochen fahre sie wieder.

dann trinken wir eben ein bier auf der veranda unseres hotels und schauen dem treiben zu. zum ersten mal sind wir gestrandet und können nicht so weiterfahren, wie gedacht. als wir im bett liegen, läuft im hinterhof country music, telly savalas, kein witz. am nächsten morgen gehen mit sonnenaufgang die boxen auf der strasse wieder an. diesmal läuft hiphop. von wegen hinterland. das war eine coole sackgasse. -nbo


phiesta in nkhata bay
3.2.2005





frueh morgens ueberqueren wir mit james und dawn, den engländern, die grenze zwischen tansania und malawi. neues land, neues glueck. vor dem grenzhäuschen rauchen drei kanadier eine zigarette, und zack, beschliessen wir, zu siebt weiter zu fahren. kurzerhand mieten wir einen ganzen minibus nach sueden.

zwei der kanadier haben eine deutsche mutter: norbert und karl, der sich als begnadeter eisbrecher entpuppt. ein dummer spruch, ein witz, ein lächeln, und jede situation entspannt sich augenblicklich. zum beispiel, als ein polizist unseren minibus anhält und den fahrer und seinen schaffner (hier gehören ja immer mindestens zwei zur besatzung) zu 2000 kwacha (20 dollar) verdonnern, weil ein scheibenwischer fehlt. nicht dass das den ersten polizeiposten auf unserem weg gestört hätte.

aber dieser hat offenbar die gunst der stunde erkannt: wo mzungu drin sitzen, fährt viel geld vorbei. und an einem afrikanischen minibus wird man immer einen grund fuer ein bussgeld finden. als fahrer und schaffner lang und breit mit dem bullen verhandeln, tritt nun karl in aktion. er behauptet, nico, der dritte kanadier im bunde, habe hohes fieber, wir hätten es sehr eilig.

nico schläft zwar nur, aber der spruch wirkt, und weiter geht's. schneller wird die fahrt aber nicht. der minibus ist total rott und keucht auf einem zylinder die hänge am ufer des malawi-sees hoch.

am spätnachmittag erreichen wir endlich nkhata bay (james und dawn haben wir in mzuzu verabschiedet). eine kleine quirlige hafenstadt am malawi-see, mit dick zugewachsenen ufern, die zum wasser hin abfallen wie an der cote d'azur. nach dem dritten "green", wie das in malawi gebraute carlsberg genannt wird, dreht karl eine tuete. wir sitzen in einer lauen sommernacht unter bäumen hoch uber dem see und hinten, auf der anderen seite uber mosambik, zucken blitze durch den nachthimmel. wir hören endlich unsere gute alte ska-CD, "I want justice", erzählen viel quatsch und lachen noch viel mehr.

zum ersten mal seit unserem abschied auf dem dammtor-bahnsteig vergesse ich, in der ferne zu sein. karl, den wir "curry-kalle" taufen (wegen seines nachnamens kouri), norbert, der so herrlich "this is pure shit, man" fluchen kann, und nico entpuppen sich als phiestaner im geiste. kein wunder: le plateau ist fuer montreal das, was st. pauli fuer hamburg ist. der phiesta-spirit ist international. -nbo


dr. viwanda
nkhata bay, 7.2.2005





"ich bin kein hexendoktor, den namen habt ihr mir gegeben", sagt william alias dr. viwanda lächelnd mit dem hauch eines vorwurfs. "ich bin ein naturheiler." "ihr", das sind die europäer. naja, meine ich, das seien doch wohl eher unsere grosseltern gewesen.

william duerfte so um die 40 sein. in seiner "chapika"-arztpraxis in kakumbi, einem dorf oberhalb von nkhata bay, bringt er die einheimischen wieder auf vordermann. der unterschied zwischen hexendoktor und naturheiler ist fuer ihn eine frage der ehre. denn hexendoktoren, klärt er uns auf, beschränken sich darauf, böse geister auf arglose menschen zu hetzen.

er als naturheiler hingegen will alles, was die leute quält, aus ihren körpern und auch seelen vertreiben. dazu sammelt er in den umliegenden wäldern wurzeln, blätter und baumrinden. mahlt sie zu einem schwarzen feinen pulver, dass dieselbe wirkung wie aspirin hat. sagt er. gut möglich, das in dieser mischung aus mehr als 20 pflanzen viel salicylsäure drin ist wie in aspirin. dieses wie seine praxis chapika genannte pulver ist williams allzweckarznei gegen kopfweh, schmerzen, fieber...

stressgeplagten, falls es die in nkhata bay geben sollte, können mit einem trunk zur ruhe kommen, in dem das extrakt zweier wurzeln - lipulanda und subala - steckt. ein anderes wurzelpulver hilft gar gegen malaria.

aber dr. viwanda hat auch so manche obskure behandlung im angebot. in einem fläschchen schwimmen ein paar muenzen in einer nach terpentin riechenden fluessigkeit. das mittel werde verabreicht, wenn jemand glueck brauche, zum beispiel ein gutes geschäft abschliessen wolle. einfach ein paar tage vor dem grossen augenblick ein wenig auf den kopf reiben und warten, bis das glueck wirklich lacht. meningitis wird angeblich dadurch geheilt, dass man dem kranken einen strick um den hals legt. recht straff, bis die krankheit verschwindet. und wer sich vor der verwuenschung eines hexendoktors schuetzen will, kann sich von dr. viwanda zehn kleine schnitte an verschiedenen körperstellen beibringen lassen, in die dieser dann ein pulver streut.

der uebergang von der chemie zur magie ist bei dr. viwanda fliessend. aber in seinem weltbild trennt man nicht harte fakten und weiche mythen. alles gehört zusammen. selbst als exorzist verdingt er sich manchmal. dann wird die von den geistern der vorfahren heimgesuchte person einer zwei- bis dreistuendigen trancesession unterzogen, bis dr. viwanda mit den geistern direkt kommunizieren und sie vertreiben kann.

er selbst sei mit 18, 19 voller böser geister gewesen, erzählt er, habe nur mist erzählt und sich von der dorfgemeinschaft abgesondert. dann ging er anderthalb jahre nach simbabwe, wurde geheilt und lernte selbst die naturheilerei. in kakumbi sorgt er fuer das wohlergehen der dörfler seit zehn jahren. natuerlich nicht aus reiner selbstlosigkeit.

wer zu dr. viwanda kommt, muss auch zahlen. eine dreitägige behandlung mit dem chapika-pulver kostet 100 kwacha, etwa einen dollar. klingt billig, aber es ist ein fuenfzigstel eines durchschnittlich schlechten monatseinkommen in malawi. das ist so, als ob bei uns eine schlichte aspirinkur 30 euro und mehr kostet. fuer eine gluecksbehandlung mit seiner muenz-tinktur nimmt er gar 300 kwacha. wenn das keine schwarze, ja kapitalistische magie ist: geld zieht geld an. das ist im westen auch nicht anders. -nbo

trainingslager fuer philanthropen
auf dem malawisee, 8.2.2005

zwei monate fahren wir nun schon durch ostafrika. und mit jedem kilometer verstehen wir weniger. die oberfläche ist phantastisch, rift valley, savannen mit zigtausenden von tieren, tropische palmenstrände, ueberbordende märkte, menschen in bunten gewändern, moscheen und kirchen selbst in der hintersten halbwueste. das auge schlingt und schlingt, bis mir flau wird von all den eindruecken.

aber afrika selbst scheint mir dabei zu entgleiten, ja mich zurueckzuweisen, je näher ich mich herantaste. keine spirituelle faszination schlägt mich in ihren bann wie in asien. stattdessen fuehle ich den kolonialismus von einst wie einen bumerang auf mich niedersausen, mich den mzungu, den faranji, weiss wie ein leuchtturm, der sich nicht verstecken kann.

ich will nur beobachter sein und werde ueberall auf meinen vermuteten geldsack hin abgescannt. jedes gespräch, jede hilfsbereite geste endet in einer ausgestreckten hand. ostafrika am anfang des 21. jahrhunderts ist mir ein unentwirrbares knäuel aus träumen von einem besseren leben, latenter gewalt, enttäuschung und ausbeutung.

mir brennt sich ein bild ein, wieder und wieder: von menschen - eigentlich sind es fast immer junge männer -, die am strassenrand warten und nicht wissen, worauf. alte menschen sind eine rarität, die jungen dafuer allgegenwärtig mit ihrer gier nach leben, ihrer rohheit, ihrem machismo und ihrem nicht-wissen-wohin-mit-sich. nicht anders als bei uns, nur in einem ausmass, das ich von zuhause nicht kennen. ostafrika, das sind kuenstliche nationen in einer kollektiven pubertät.

der westen leuchtet und ist doch verhasst, weil zu mächtig, so erwachsen, brutal und guetig zugleich, eine unerträgliche anmassung, die auch allzu oft wahr ist. und gerade deshalb eine allzu billige entschuldigung. "but what can we do?" und "this is africa" sind die ewigen letzten worte, wenn wieder etwas irreparabel im eimer ist, wenn eine neue einheimische elite zur nächsten bereicherungswelle ansetzt und der geldstrom des westens verdunstet, bevor er ein pflänzchen in der provinz benetzen konnte, wenn man seinen arsch nach 24 stunden "ass working" wieder nicht hochbekommen hat.

afrika, ja gerade ostafrika, war die wiege der menschheit, und hier liegt auch die zukunft. denn irgendwo zwischen baobabs und akazien und grashuetten muss die frage beantwortet werden, ob und wie hass und gewalt ueberwunden und ein gutes leben auch fuer die dreiviertel der menschheit möglich sein kann, die nicht im westen geboren wurden. wir westler haben keine ueberzeugenden antworten mehr, haben auch lange genug den klugscheisser gespielt.

uns bleibt nur eins: nicht auch noch in nihilismus zu verfallen, mit dem unser kanadischer freund curry-kalle seine afrikärfahrung resuemiert, und gleichzeitig mit diesem philanthropischen flanieren und posieren auf dem laufsteg intellektuellen goodwills zuhause aufzuhören. kuemmern wir uns lieber um unseren eigenen mist, der sich im westen hoch genug auftuermt. ich fuer meinen teil werde mich bis auf weiteres der konsequenten "lokalisierung" verschreiben. no sleep till pauli. -nbo


tropische kreuzfahrt
monkey bay, 9.2.2005





um sieben uhr abends gehen wir in nkhata bay an bord der "ilala". knapp zwei tage "tropische kreuzfahrt" liegen vor uns, ans suedende des malawi-sees. james und dawn sitzen schon auf dem erste-klasse-deck (jaja) in korbsesseln. wo man auch hinkommt auf dem pfad nach sueden, man trifft ständig bekannte gesichter. wir trinken ein paar greens mit ihnen und nicken schliesslich auf unserer matratze ein.

zwei stunden später geht der erste wolkenbruch los, der wind treibt das wasser auch unters riesige sonnensegel, unter dem wir liegen. an schlaf ist nicht mehr zu denken. wir fluechten aufs kabinendeck, wo sich die restlichen traveller zusammenkauern. mitten in der nacht erreichen wir dann likoma island.

das deck leert sich schlagartig. die traveller gehen von bord. wir erhaschen ein paar stunden schlaf und finden uns am nächsten morgen allein auf dem deck wieder. woldo zuendet geburtstagskerzen fuer mich an, und ein kaffee bringt uns wieder auf die beine. wir spannen unsere hängematte auf und passieren entlegene stranddörfer am ostufer in mosambik. weil das wasser zu seicht ist, werden die rettungsboote herunter gelassen und bringen bruellende ziegen, fracht und passagiere an den strand.

ein junger typ ist mit dem zurueckkehrenden boot an bord gekommen, springt kurz vom deck ins wasser und schwimmt zurueck an den strand. gute idee, denke ich, und gönne mir beim nächsten halt eine geburtstagsdusche. fuenf meter tief fliege ich ins klare gruenliche wasser, vorbei an verdutzten afrikanern auf dem unteren deck, und klettere wieder an bord.

in der ferne ballen sich schon neue gewitterfronten zusammen, hinter denen die sonne verschwindet. die bar auf unserem deck ist geschlossen, ausser uns ist dort niemand mehr, der noch trinken wuerde. wir köpfen zur feier des tages einen rotwein und geniessen den frieden dieses riesigen, stillen sees, auf dem selten ein anderes boot zu sehen ist.

die stille währt nicht lange - um ein uhr nachts reisst uns ein höllenunwetter aus dem schlummer. die ilala fährt jetzt direkt durch ein gewaltiges gewitter, rechts und links schlagen blitze in den see ein und tauchen fuer sekundenbruchteile die regengepeitschte oberfläche in grelles unwirkliches licht. der donner ist ohrenbetäubend. das gesamte deck ist triefnass und woldo und ich ducken uns in die letzte trockene windgeschuetzte nische an der bar. nach einer stunde haben wir den tropischen gewittersturm ueberstanden. ich klettere wieder in die hängematte, woldo legt sich auf die bank daneben.

als wir aufwachen, ist die sonne schon wieder ueber dem mosambikanischen ufer im osten aufgegangen. ein neuer tag auf dem see hat begonnen. ankern, boote zu wasser lassen, fracht aufnehmen, so geht es stunden lang weiter am malawischen westufer entlang, bis wir nachmittags monkey bay erreichen. seelengewaschen gehen wir von bord. -nbo


ein tag in monkey bay
10.2.2005





es ist die perfekte oase des friedens. ein breiter strand mit palmen in einer lang geschwungenen, eingerahmt von gruenen huegeln. in der ferne ueberragt eine schroffe bergkette den malawi-see. fischer lassen ihre einbaum-kanus ins wasser, kinder planschen. niemand nimmt notiz von uns zwei mzungus, die im "venice beach", dem einzigen guesthouse weit und breit, ihren kaffee trinken. kein gequatsche, keine verkäufer.

als im hintergrund eddy grants "gimme hope joanna", der anti-apartheid-song von 1988, läuft, geht eine frau gemessenen schrittes unter einem aufgespannten sonnenschirm den strand entlang. stolz. in diesem augenblick scheinen apartheid, kolonialismus, rassismus und das afrikanische elend nur fernes echos duesterer zeiten zu sein. hier in monkey bay treffen wir wieder auf das afrika, von dem wir leichtfertig geträumt haben.

auf dem fussballacker hinter dem dorf spielen die schulmannschaften von monkey bay und mangochi gegeneinander. die spieler umkurven kleine palmenstummel, die auf dem spielfeld wachsen. das publikum ist bereits in partylaune, am spielfeldrand probieren die mangochier stage diving, denn ihr team fuehrt mit 1:0, und es sind nur noch wenige minuten zu spielen. auf der dorfstrasse erschallen die unvermeidlichen beats, und in einigen bars werden die ersten greens geköpft.

so muss sansibar vor 30 jahren auch mal gewesen sein. die monkey bayer können gluecklich sein, dass der touristenscheiss noch nicht ueber sie gekommen ist. -nbo


afrika lebt
blantyre, 11.2.2005

wir sind nicht verschollen. nein, wir waren nur die letzten zwei wochen offline und sind heute sehr entspannt in blantyre, der industriestadt malawis, angekommen. nach gut einer woche in diesem kleinen land um diesen riesigen see können wir euch allen nur empfehlen: kommt bloss hierher. hier ist noch pures afrika.


Bächtig möse
Blantyre, 12.2.2005

Nach vielen bemerkenswerten Eindruecken in Malawi bleibt mir einer am nachhaltigsten in Erinnerung: der Fischgeruch in meinem Rucksack, der sich während der Fahrt von Mangochi nach Blantyre ausgiebig in einer Fischlache auf dem Boden vom Minibus suhlen darf und ordentlich damit vollgesogen hat. Als ich den gelangweilten Fahrer beim Aussteigen streng frage, was er denn davon hält, meint dieser nur: „ I don’t know, can you forgive me?“ Mensch nein, natuerlich nicht, du alte Knalltuete! Fällt hier denn keinem mal was besseres ein als andauernd dieser beharrliche Stumpfsinn? Oh Herr, wirf Hirn vom Himmel. Und vielleicht auch ein kleines Päckchen Waschpulver? nach Diktat verreist –dwo


hähnchen und politik bei mrs makhumula
blantyre, 13.2.2005

wenn im doogle's, dem in-backpacker von blantyre die musik zu schlecht wird (marusha, oh shit) und der hunger drueckt, bleibt nur die flucht. raus aus der stacheldrahtbewehrten trutzburg fuer traveller und reiche malawier, ueber die strasse und ins "safari restaurant".

aus krächzenden boxen dröhnt ein uebersteuerter radiosender, und hinter der theke warten mrs makhumula und ihre enkelin auf hungrige. ah, ein green bitte, und dazu ein ganzes hächnchen mit nsima, der malawischen polenta. mrs makhumulas hähnchen schmecken phantastisch. wir erzählen ihr, wie traurig die mageren legehennen in deutschland schmecken. "ich zuechte sie selbst, und sie bekommen bei mir gemuese und gutes futter", sagt die grauhaarige alte dame. und wenn wir unsere zähne in den flattermann schlagen und wohlig brummen, strahlt sie. die hähnchen können es locker mit dieser gaststätte in kreuzberg, "neue welt" oder so, aufnehmen, die in berlin als beste hähnchenbraterei bekannt ist.

aber mrs makhumula ist mehr als nur die chefin des "safari restaurant". letztes jahr hat sie sich als unabhängige kandidatin fuer das malawische parlament zur wahl gestellt. hat am ende nicht gereicht, sagt sie, denn allein gegen die grosse politik anzukommen, das geht auch in malawi nicht. vom neuen präsidenten bingu wa mutharika hat sie allerdings eine hohe meinung. am anfang hätten alle gedacht, er sei nur eine marionette des alten präsidenten muluzi gewesen. "aber im letzten jahr hat er gezeigt, dass er wirklich mit der korruption schluss machen will." er habe nicht interveniert, als nach und nach politiker, ja sogar minister seiner regierung angeklagt wurden, sagt mrs makhumula.

man wuenscht sich solche frauen ueberall in ostafrika an der macht. resolut, wuerdevoll, integer. das wäre schon mal ein anfang. als wir sie auf die "lost generation" ansprechen, lächelt sie. nein, die jungen männer hätten es tatsächlich nicht so mit dem arbeiten. ihr vater und ihr grossvater seien da noch ein anderer schlag gewesen. "die haben hart gearbeitet und auch die feldarbeit gemacht", sagt sie. "damals haben die frauen sich noch mehr auf die hausarbeit konzentriert." heute machen die frauen in ostafrika fast alles: familie, geschäft, markt, landwirtschaft... "aber frueher ist auch die arbeitslosigkeit noch nicht so hoch gewesen", fuegt sie wie zur entschuldigung der jungen männer von heute an. -nbo


ostafrika-schnipsel
14.2.2005

fangen wir mal nicht mit bier und zigaretten an. bleiben wir beim saft. kaum hatten wir die grenze zwischen kenia und äthiopien überquert, war's vorbei mit dem orangensaft. von kenia bis bis malawi gab es keine orangen mehr. nur mango, ananas und passionsfrucht. nicht ganz unsere geschmacksrichtung. da ist man in den tropen, und es gibt keine orangen. wahrscheinlich nur unsere unwissenheit, überall orangen zu vermuten. aber sie waren einfach weg.

ebenso der kaffee. in kenia und tansania tauchen sie teebeutel in warme milch. das war's. kaffee? haben wir nicht. au backe. tee mit milch. dabei wird in kenia und tansania kaffee angebaut. aber, wie uns ein italiener in stone town sagte, dort verstehen sie nichts vom kaffee rösten. stattdessen nur instant-kaffee (marke "africafé"). fürchterliche plörre.

ja, aber nun doch zum wichtigsten: bier und zigaretten. da sieht alles gleich viel freundlicher aus. zigaretten - ein paradies für raucher: im sudan schlotet man "bringi" im 10er-päckchen fuer 200 dinar (60 cent), in äthiopien kostet die 20er-packung "nyala" 3 bis 4 birr (25 - 35 cent), in kenia gibt es 20 "superman" für 40 bis 60 shilling (40 - 60 cent), in tansania haben wir 800 bis 1000 shilling (55 - 70 cent) hingelegt, und in malawi waren es 40 bis 80 kwacha (35 - 70 cent) für eine packung "ascot" oder "embassy". und das bier: im sudan natuerlich fehlanzeige. in äthiopien gibt es leckeres "dashen", die flasche für 10 birr (knapp 1 euro), in kenia ist "tusker" für 80 bis 100 shilling (80 cent - 1 euro) nicht zu verachten, in tansania zischt "safari "fuer 1000 bis 1500 shilling (70 cent - 1 euro) am besten, in malawi gibt es "carlsberg green" für 50 bis 90 kwacha (40 - 75 cent).

wer in ostafrika in einem 40 grad heissen bus drei stunden mit der nase in der achselhöhle des nachbarn auf dem gang gestanden hat, hört das wort "sweatshop" mit anderen ohren. diese kapitalistische ausbeutung ist an sich schlimm genug, aber in afrika muss es unerträglich sein.

autofahren muss man nicht in der fahrschule lernen, macht in ostafrika auch bestimmt keiner. aber so fahren sie dann auch. wer zu früh schaltet, ist uncool. der berg wird im dritten gang genommen, bis der wagen fast steht. und wenn's bergab geht, schaltet man runter, damit man noch mal so richtig schön den schwung für die nächste steigung abwuergt.

flüstern ist in ostafrika nicht nur unbekannt, sondern wohl auch unmöglich. die lokalen sprachen werden immer lautstark artikuliert, auch morgens um vier, wenn alle nachbarn noch schlafen. diskutieren heisst automatisch schreien. da ist an schlaf nicht zu denken.

müll wegbringen funktioniert nach dem prinzip "ich mach die augen zu, dann sieht mich keiner". in nkhata bay wurde er von den gärtnern direkt neben unsere hütte gekippt, weil da so schöne bullige felsen waren. die gärtner konnten ihn dann nicht mehr sehen, aber wir um so mehr, und noch viel mehr riechen. als wir uns beschwerten, schauten sie uns nur ratlos an. ach, diese mzungu.

die gummi-schlappen aus recycelten autoreifen, die wir zum ersten mal in addis auf dem mercato gesehen haben, werden bis unten in arusha und serengeti getragen. hemingway hat schon 1935 in "green hills of africa" diese schlaue schuhmode erwähnt. so alt ist diese idee schon. klasse.

die restliche mode in ostafrika ist weniger erbaulich. wer nicht traditionelle kleidung trägt (männer fast nie mehr), rennt mit klamotten aus der altkleidersammlung des roten kreuzes herum. das trendpolentum in st. pauli, möglichst schlecht angezogen zu sein (blaue skijacke, graue anzughose und kackbraune turnschuhe zum beispiel), kann da nicht mithalten. wann sind die männer auf die idee gekommen, dass ihre traditionellen sachen schlecht aussehen? da lob ich mir die samburu oder massai mit ihren togen oder wickelröcken.

wer in malawi avocados gekauft hat, will nie wieder eine beim obstmann um die ecke erstehen. dort gibt es riesengeräte für umgerechnet 5 cent, während bei uns winzige verschrumpelte grüne eier rumliegen, die 1 euro kosten, im ökosupermarkt sogar 1,60.

last but not least ein blick in den zeitungsständer: im sudan gibt's unter anderem den duennen täglichen "sudan monitor", der die pfoten schwärzt; in äthiopien überrascht eine wochenzeitung namens "capital" mit kapitalismuskritischen analysen; in kenia können wir täglich "the standard" oder "the nation" lesen, beides ein mässiger genuss; schon etwas besser informiert ist man in tansania mit dem "guardian", der auch denselben schriftzug wie sein englischer namensvetter hat, es gibt eine eigene sektion "world & business news", in der einiges drin steht; die malawischen "mail" und "nation" sind hingegen wieder recht schmalbrüstige tageszeitungen. absolut lesenswert ist dagegen die wochenzeitung "the east african", die in kenia, tansania und uganda verkauft wird. da erfährt man mehr als nur crime-stories und politiker-skandale. lesen!



galao in tete
14.2.2005

ein heisses und trostloses nest sei tete, eine provinzhauptstadt in mosambik, steht im lonely planet, dem hitchhikers guide to planet earth. aber er irrt sich: der ort ist gar nicht trostlos. im gegenteil, ein hauch von schulterblatt weht durch die hauptgeschäftsstrasse: eine ähnlich verramschte auslage in den schaufenstern und im cafe gibt es galao, portugiesische törtchen und schinken-käse-toast (fuer die nichthamburger: das schulterblatt ist die hauptstrasse des schanzenviertels mit diversen portugiesen). hamburg kommt näher.

ja, und ostafrika liegt hinter uns, denn hier in dieser ersten mosambikanischen stadt hinter der malawischen grenze fuehlt sich alles anders an. die frauen sind schicker, die autos dicker, die strassen breiter und gefegter, die männer gepflegter. das bier kommt in 550-ml-flaschen. in der mitte des ortes spannt sich eine riesenbruecke ueber den sambesi, die letzte bruecke bis zur muendung am indischen ozean.

englisch ist ebenfalls passe, hier schnattern alle in portugiesisch und wir muessen erst mal im kopf kramen, was wir an spanischen wörtern und portugiesischen fetzen noch drauf haben. das einzige, was uns nicht ganz so begeistert, sind die busse: die fahren nämlich wie in äthiopien wieder "de noite", nachts zwischen 4 und 5 uhr ab. muito frueh und ohne galao. morgen quälen wir uns dann also aus dem bett richtung kueste. até mais tarde.


veilchen ohne schlägerei
vilanculo, 16.2.2005





als ich vor einigen tagen aufwache, habe ich diesen seltsamen schmerz unter dem linken auge. wenn ich's nicht besser wuesste, wuerde ich glauben, mir hätte jemand am vorabend eins aufs jochbein gegeben. aber da ist nichts zu sehen - noch nicht.

als ich am nächsten morgen aufwache, hat sich mein linker tränensack mächtig aufgepumpt. eine rote schleifspur zieht sich darueber. kann das... diese blöde chilischote gewesen sein? klein, gruen und so höllenscharf, dass ich schluckauf bekam, hatte ich sie mir ueber meinem reis zerkruemelt. den anschliessenden schwitzanfall im gesicht kurz mit der hand weggewischt. kann chili solche folgen haben?

als ich am folgenden morgen aufwache, ist die antwort: und wie! aus dem aufgepumpten tränensack ist eine einzige brandblase, ja ein stattliches veilchen geworden, und ueber das linke auge hat sich von nasenwurzel kommend eine hautfalte gelegt. im spiegel starrt mich ein "elefantenauge" (o-ton woldo) an, himmel, was geht hier vor? kleine eiterpusteln leuchten jetzt auf der tränensackblase. mein sichtfeld auf dem linken auge ist halbiert, und bei jeder grimasse spannt die haut.

als ich am nächsten morgen aufwache, kann woldo das elend nicht mehr mit ansehen und organisiert einen eisbeutel. den halte ich mir aufs auge, während wir zur grenze fahren, und woldo erklärt irritierten malawierinnen im bus, das sie mich nicht geschlagen habe. nach einer stunde ist zumindest das elefantenauge verschwunden. zurueck bleibt ein riesiger roter schorfring, der mir prompt scherereien macht (s."planet mozambique").

heute, fuenf tage später, ist mein auge das chiliveilchen endlich losgeworden, und woldo freut sich ueber die rosarote "kleine haut", mit der sich mein tränensack verjuengt hat. -nbo


planet mozambique
vilanculo, 16.2.2005





das meer, das meer, die weite des ozeans. da wollen wir hin, nach vilanculo, es soll grossartig dort sein, und dafuer ertragen wir wieder einmal stundenlange busfahrten durch endlose savannen. schleichen morgens um vier durch die kuehle der nacht, um einen sitzplatz in ausgebuchten bussen zu ergattern, die wie in äthiopien mitten in der nacht losfahren. schwitzen schon bald nach sonnenaufgang und schuetteln uns beim nächsten schlagloch.

kilometer um kilometer durch gruene wände aus bäumen und sträuchern, keine orte weit und breit, davon gibt es in mosambik offenbar nicht viele. "wählt gegen die mörder von der renamo", schreit ein politgrafitti, als wir schliesslich doch eine stadt erreichen, chimoio. breite alleen, ein riesiger rechteckiger platz, ein kreisel mit einem betonmonument in form eines fuenfzackigen sterns, es riecht förmlich nach sozialismus, ja nach kuba. so mediterran-romanisch nach tausenden kilometern durch ex-empire-kolonien.

auf den dächern prangen riesige alte neonreklamen fuer bier und batterien, wie man es aus lissabon oder madrid kennt. in den cafes gibt es delta-kaffee und gezapftes bier. die kellner tragen fliegen, die hotelmenschen sind wie aus dem ei gepellt.

in der pensao flor de vouga bekommen wir kein zimmer, weil ich mit chiliveilchen ums auge und dem schwarzen piratentuch zu wuest fuer diese romanische eleganz sein muss. in der residencial flor de vouga ein paar meter weiter mustert mich die alte portugiesin unbehaglich von oben bis unten und lässt mich erst nach kurzem zögern ein zimmer begutachten. dann treffen wir ein weiteres sozialismusrelikt am billardtisch einer kneipe.

pedro dove spricht mich auf deutsch an, weil keiner ein wort versteht, als ich auf portugiesisch zwei tosta mista zu bestellen versuche. 1988 war pedro fuer drei monate in dresden, im bruderstaat DDR. damals als frelimo und renamo noch jenen buergerkrieg fuehrten, der die stolpernden minenopfer in den strassen von heute hervorgebracht hat. drei monate hat er sich im wesentlichen von bier ernährt, und es sei sehr kalt gewesen. theatralisch beschreibt er, wie viel kleidungsstuecke er sich damals anzog.
in drei jahren ist seine tochter volljährig. "dann kann ich mich entspannt zuruecklehnen, dann muss sie sie selbst das leben meistern." jetzt muss er noch gute geschäfte mit billardtischen und queues machen. ein 24-jähriger barbesitzer in tete bezahle in jedes mal cash in dollar, der habe so viel geld, es sei unglaublich. das neue mosambik.

auch der fahrer unseres nächsten busses, zu dem pedro uns bringt, ist in der DDR gewesen. "leipzig" sagt er grinsend. da muss ihm preussische puenktlichkeit in die knochen gefahren sein. als morgens um vier noch nicht alle passagiere im bus sitzen, einige noch gemächlich ihre koffer ueber den buergersteig ziehen, regt er sich höllisch auf. "bleibt zuhause", flucht er, "ich habe doch nicht umsonst ins fenster geschrieben, dass dieser bus um vier abfährt. um vier!" von wegen this is africa. here is planet mozambique.

hier ist alles anders als in ostafrika. zum ersten mal seit äthiopien werden wir auch wieder von einem einheimischen zu einem bier eingeladen, nach all den drinks, die wir unseren "schatten" in tansania spendiert haben. ricardo julio langa, geologe und bei der staatlichen wohnungsbaugesellschaft beschäftigt, kennt sich ueberraschend gut mit deutschem fussball aus. rummenigge, andi möller, littbarski, da kann beckham glatt einpacken. das liegt daran, dass er seine fussballleidenschaft bei der WM 82 in spanien entdeckte. im finale 2002 gegen brasilien sei er auch fuer die deutschen gewesen. dann wären beide länder mit je vier titeln gleichauf, sagt er. wow. dann kommt eine weitere runde, obwohl uns das bier schon zu den ohren rauskommt.

ricardo ist zufrieden mit dem fortschritt in mosambik. es herrsche frieden und es gehe langsam bergauf. obwohl europa natuerlich noch viel, viel besser zum leben sei. na prost, dann fährt er mit seinem kumpel in einem pickup der wohnungsbaugesellschaft davon. uns schwirrt der kopf, in sechs stunden muessen wir schon wieder aufstehen, mit dem bus durch gruene wände rasen, denn wir wollen ja ans meer... -nbo


vaffanculo vilanculo
tofo, 17.2.2005

es ist bruellheiss, als wir nach drei tagen endlich das meer erreichen. vilanculo. das klang so verheissungsvoll. aber es ist nicht schön dort. der strand zu schmal, die wenigen backpacker absurd teuer, die ebbe zu heftig - man kann hunderte meter rauslaufen, fast bis zum riff, ausgerechnet nachmittags -, und die dörfler fangen schon wieder an zu bescheissen. sind wir nicht gestern abend in chimoio noch von ricardo zu einem bier eingeladen worden?

vilanculo ist bereits im tourismus angekommen, wenn auch noch nicht so heftig wie sansibar. aber es ist verloren. also weiter. und so sitzen wir heute morgen wieder im bus, halb fliehend, halb weiterziehend. in maxixe steigen wir auf eine fähre um, die uns ueber den meeresarm hinueber nach inhambane bringt. und als wir dort nach einer bank suchen, fragt uns plötzlich ein mosambikaner: "bamboozi?" klick.

"bist du von der bamboozi-lodge in tofo?" das ist der backpacker am tofo beach, 20 kilometer entfernt, zu dem wir wollen. dann taucht noch ein rothaariger, bärtiger suedafrikaner auf, der gerade ein paar zutaten fuer die kueche kauft. wir klettern auf den pickup, nicht ohne noch eine stange grande-turismo-zigaretten gekauft zu haben. als wir eine halbe stunde später auf der barterasse des bamboozi stehen, haut's uns lang hin.

this is The Beach - jedenfalls fuers östliche afrika. eine weite bucht mit breitem strand und mächtiger brandung, eingefasst von hohen duenen und palmenhainen. die bar ist knallvoll, es herrscht eine stimmung wie sonntags im sommer an der elbe, schnell ein bier, und mucki, der liebenswerte kölner hinter dem tresen, lacht uns an, als wären wir alte bekannte. nach ein paar stunden kennen wir die hälfte aller traveller, im hintergrund läuft bester hiphop, das essen, mosambikanisches krabencurry, ist phantastisch, ein paar leute tänzeln vor der bar auf und ab. redet da noch einer von sansibar? -nbo


entspannte tage in BambooziWorld
tofo, 23.2.2005





die brandung kracht rechts von mir an den strand, dumpfe beats treiben links von mir aus der bamboozi-bar, oben ueber den duenen, heran. ein tropisches ennui liegt ueber diesem ort, an dem europas travellergeneration eine auszeit nimmt. tagsueber tauchen, abends trinken, rauchen, geschichten erzählen, grooven (ja, unsere ska-CD mit "I want justice" ist hier ein grosser renner geworden).

amerikaner gibt es hier nicht mehr. seit 9/11 bleiben sie offenbar zuhause, sehen sich nicht mehr um, während die europäer unverdrossen ausschwärmen. abends sitzen wir am strandfeuer, engländer, deutsche, schweizer, franzosen, belgier, spanier, und es ist kaum zu glauben, dass sich unsere grosseltern vor 60 jahren noch kugeln und granaten um die köpfe jagten.

wir seien die erste kindergartengeneration, sagt bo, der schwede mit der trendglatze, der schon 47 ist. der kindergarten habe uns dazu konditioniert, die gruppe zu suchen, um das ewige spielen fortzusetzen. am strand von koh phangan, goa, mykonos oder eben hier in tofo. die tage gehen dahin in dieser spielwelt, die nichts mehr zu sein vorgibt ausser dem reinen spass.

die einheimischen sind in den kuechen verschwunden, in den palmengärten der ressorts und backpacker. sie nehmen nicht mehr teil wie noch in ostafrika. suedafrika ist nahe, man fuehlt den wechsel, das erbe der apartheid sickert ueber die grenze und trennt weisse spassvögel und schwarze bauern. niemand nimmt notiz davon, weil es allen so gut geht. wer liest, schmökert airport novels wie den zur zeit unvermeidlichen "da vinci code". es gibt nichts mehr, mit dem ich noch ringen und hadern muesste. afrika ist zuende, hier in BambooziWorld, und ich bin nicht einmal traurig darueber. -nbo


was ist reisen? #3
tofo, 23.2.2005

traveller glauben, die besseren reisenden zu sein. ihre ideologie ist die suche nach dem authentischen, die sie von touristen trenne, glauben sie. denn diese dickbäuchigen, rotgesichtigen zeitgenossen mit ihren sonnenhueten, tennissocken und khakihosen begnuegten sich mit den vorverdauten und mundgerecht zubereiteten kulturhäppchen, die ihnen die reiseveranstalter vorsetzen.

und so wird kurzerhand jeder ort, jeder pfad, an dem die zahl der mzungu und faranji sprunghaft zunimmt, fuer verdorben erklärt. hier habe der tourismus authentische kulturen angefressen, ja zerstört, versichern sich die traveller und es klingt wie eine beschwörung.

es ist bestenfalls naivität, wahrscheinlich aber masslose ignoranz. die wohlmeinenden halten einen ort wie pangani an tansanias nordkueste fuer authentischer als nungwi in sansibar, nur weil dort das geschäft mit den fremden noch nicht angekommen sei. aber die jungen checker und gluecksritter der swahilikueste (nur ein beispiel fuer viele weltgegenden), sie sind genau so echt wie der dhau-käptn, der noch mangos und bananen mit dem wind verschifft.

auch sie sind das afrika von heute, und unsere enttäuschung ueber ihr gehabe und gequatsche entlarvt nur die grosse travellerillusion, es gebe noch andere, ja bessere, weil urspruenglichere zivilisationen, die dem von sich selbst entfremdeten westen etwas voraus hätten. mehr spiritualität, mehr gemeinschaftssinn, weniger materialismus. oder so. das ist lange vorbei. ob in indien, kambodscha oder tansania, der grosse traum, der alle eint, ist derselbe wie im westen: ein gutes leben ohne mangel und krankheit, in dem alles zur hand ist in dem augenblick, da man es sich wuenscht. der traveller ist genauso wie der tourist ein willkommenes mittel, dieses leben schneller zu erreichen als durch jahrelangen pfluegen, fischen oder anderweitiges schuften.

es ist absolut folgerichtig, dass niemand in der dritten welt einen unterschied zwischen traveller und tourist macht. der vermeintliche unterschied zwischen beiden reisendengruppen ist eine intellektuelle augenwischerei der westler.

die realität des reisens hingegen ähnelt eher der quantenmechanik: so wie in dieser der beobachter immer das messergebnis eines experiments in der welt der atome und elementarteilchen beeinflusst, kann auch der traveller nie nur reiner gast, stiller beobachter sein. wo immer er auftaucht mit seinem rucksack, den er fuer bescheideneres gepäck hält als die koffer der touristen, wird er zur attraktion, zur gelegenheit.

jeder "authentische" einheimische, der clever genug ist, wird sich sofort auf die gegenwart dieses mzungu einstellen und sich höchstens wundern, warum sich ein fremder in einen kaputten bus zwingt, in einem hotel mit dreckigen klos und kaputten duschen schläft. die vorstellung authentischer kulturen hat ihre wurzeln im zeitalter der entdecker und romantiker, als europäer zum ersten mal in fuer sie fremde weltgegenden vorstiessen und einige wohlmeinende patres den "edlen wilden" vor dem suendenfall entdeckt zu haben glaubten. der edle wilde wurde im kolonialismus schnell zum untermenschen, grund genug fuer alle antiimperialisten unter den travellern, den edlen wilden im fremden zu rehabilitieren.

was aber ist falsch daran, wenn diese "authentischen kulturen" sich genauso verändern wie wir westler, die wir begeistert sushi und thaicurries essen, im sommer mit sarongs oder lungis um die hueften unsere grossstadtstrände bevölkern oder zuhause buddhafiguren oder afrikanische masken in unsere wohnzimmer stellen? im 21. jahrhundert , in dem bob marley und beckham, hiphop und hotmail in jeden weltwinkel vordringen, sind wir alle touristen, sobald wir uns in die fremde begeben, um neue erfahrungen zu machen - und immer auch hoffen, weiter zu uns selbst vorzudringen, uns zu entspannen, loszulassen vom rat race des kapitalismus.

ob im verrosteten toyota-dala-dala in tansania oder im klimatisierten bus eines fuenfsterne-ressorts auf bali, ist unerheblich. denn reisen entspringt immer auch einer gehörigen portion egoismus, die wir uns leisten, indem wir von zuhause verschwinden und eine luecke hinterlassen, zur selben zeit aber in der fremde anderen unsere gegenwart zumuten. -nbo


Das grosse Grinsen
Tofo, 24.2.2005

Ich lasse mich rueckwärts vom Schlauchboot ins Wasser fallen und schaue in das breiteste Grinsen der Welt, anderthalb Meter von einem Knopfauge zum anderen. Ich traue meinen Augen nicht, auf Armlänge vor mir schiebt sich ein Walhai, der grösste Fisch des Planeten majestetisch durch das Wasser.

Zahnlos wie ein alter Opi macht mir dieses sieben Meter lange Exemplar nicht die geringste Angst. Im Gegenteil, seine Ruhe und Friedfertigkeit springt auf mich ueber und wir grinsen um die Wette. Dieses tonnenschwere Supermodell meint es heute besonders gut mit uns, er wirft sich in Pose und zeigt sich von seinen besten Seiten. Richtig eitel, dieses Kerlchen. Und er macht sich einen Spass daraus, eine halbe Stunde lang mit uns Schnorchlern zu spielen. Fuer einen Fisch doch eher ungewöhnlich.

Mein weisses T-Shirt gefällt ihm offensichtlich besonders gut, denn als ich etwas von der Schorchlermeute zurueckbleibe, um ihn mir in voller Länge anzusehen, macht er eine behäbige Wende und kommt direkt auf mich zu. „Bloss nicht anfassen!“ hat man uns vorher noch gesagt, aber wie soll ich das denn machen, dieser Koloss schwimmt ja geradezu auf mich drauf, ausweichen zwecklos. Ich schwimme ein Stueckchen auf Augenhöhe neben ihm her, fast kommt es mir vor, als wuerden wir uns angucken und uns was erzählen.

Dann habe ich genug, schöner kanns nicht mehr werden und klettere wieder ins Boot zurueck, die anderen turnen weiter im Wasser herum. Und dann kommt dieser Riesenfisch doch tatsächlich hinter mir her und hebt seinen Kopf aus dem Wasser, als wolle er mir sagen, dass ich doch wieder reinkommen soll um weiterzuspielen, Wahnsinn. Nach einer Weile sind dann auch die Unermuedlichen, darunter ein Apnötaucher aus Suedafrika, der 4 Meter unter Wasser tollkuehne Kunststueckchen vor dem Hai vollbracht hat, gluecklich und erschöpft wieder an Bord.

Und wieder kommt der kolossale Kopf aus dem Wasser, genau neben mir. Er will uns tschuess sagen, der Fisch. Ich winke ihm mit meinem gruenen Kopftuechlein zu, bin sprachlos und habe eine Gänsehaut. Was fuer ein Erlebnis! nach Diktat verreist –dwo


24 stunden mit einer diva
maputo, 27.2.2005





maputo ist eine alternde diva, die nie ein star war. die das zeug zu etwas grossem hatte, sich aber auf schlechte gesellschaft einliess. heute sind die breiten alleen mit ihrem mediterranen flair heruntergekommen, kolonialgebäude und vom bauhaus inspierierte wohnblöcke vom monsun angefressen.

senhora maputo sieht am abend im funzligen, gelben schein sozialistischer laternen verlassen und traurig aus. obwohl wochenende ist, laufen nur wenige menschen durch die strassen. ueberall tuermt sich muell auf, und auch die paar neuen bankentuerme mit ihren neonschriftzuegen können nicht ueber die melancholie hinwegtäuschen.

dabei hat die diva durchaus noch charme. aber er entpuppt sich spätestens dann als schal, als roger und ich - roger und sabrina sind zwei schweizer, die wir in tofo getroffen haben - noch auf ein bier in eine laute bar stolpern, sozusagen hinter den maputo landungsbruecken. wir sitzen noch keine zehn minuten am tresen, als plötzlich ein geschminktes gesicht rechts neben mir auftaucht und eine hand meinen ruecken krault. "do you like me?" fragt die frau, die höchstens 20 sein kann und zwei freundinnen im schlepptau hat. die sind ganz offensichtlich auf fischzug, hier unten am hafen in der rua de bagamoyo. da trinken wir unser bier auf und fluechten.

die brut von jungspunden, mit der sich die diva maputo dieser tage umgibt, lernen wir am nächsten morgen kennen. genau genommen sabrina und roger. hautnah. als woldo und ich vom fruehstueck aus dem cafe continental zurueck kommen, tritt ein nicht gerade heiterer roger aus dem hotelfahrstuhl. "wir sind gerade ueberfallen worden", sagt er. gleich um die ecke. wie? an einem samstag morgen in der belebten innenstadt?

eine gruppe von fuenf, sechs jungen typen nahm roger und sabrina von hinten blitzartig in den wuergegriff. roger verlor das bewusstsein, während sabrina noch versuchte "ajudo" (hilfe) zu rufen und dafuer einen fausthieb ins gesicht bekam. dann filzten die räuber den rucksack der beiden und nahmen das bargeld aus dem portemonnaie, das sie gnädigerweise auf den buergersteig warfen. und während roger wieder zu sich kam und sabrinas nase wie der teufel blutete, bildete sich ein auflauf von passanten um die beiden. sie alle hatten die szene verfolgt, ohne einzugreifen. einige strassenverkäufer boten der blutueberströmten sabrina sonnenbrillen und anderes unnuetze zeug an, andere riefen hämisch "welcome to mozambique". die beiden männer an der hotelrezeption zeigten nicht den hauch von mitgefuehl, als die beiden geschockt ins hotel wankten. was sagen sie dazu, senhora maputo? sind ihre genossen allesamt auf den hund gekommen?

am abend gehen woldo und ich in die africa bar, während sabrina und roger ihren schock wegschlafen. aber auch die band dort entpuppt sich als farce, als erinnerung an eine grosse vergangenheit, die es nie gegeben hat. garrido jr., der sänger, ist eine mischung aus barry white und mediterranem intellektuellen. ganz in schwarz gekleidet, mit grossen gesten. die musik ist ein kraftloses gemisch aus soulcoverversionen und brasilianischem pop, zu schmalzig, zu wenig jazz im blut. nach dem ersten set verlassen wir die seltsame szene. regen hat senhora maputo derweil durchnässt, aber sauberer ist sie dadurch nicht geworden. dieser schmuddeligen möchtegern-diva ist nicht zu helfen. welch trauriger endpunkt unseres ostafrika-pfades. -nbo


Highway to Hell
Maputo, 27.2.2005

Zwanzig Minuten warten wir auf ein Taxi. Was dann aber kommt, ist eher ein Krankentransport, der Fahrer der Patient mit riesiger Kopfwunde. Gleich einem Irokesenschnitt hat er ein mächtiges gepolstertes Pflaster auf seinem Schädel und kommt auf uns zugeschwankt, als wäre er total betrunken. Wir haben keine andere Wahl und steigen in sein Taxi, denn durch diese Gegend Maputos rund um unser Hotel geht man nachts um halb zwölf besser nicht zu Fuss, ausser man ist lebensmuede.

Bereits auf den ersten zehn Metern uebersieht der narkotisierte Fahrer beim Abbiegen einen heranrasenden Mercedes, der es gerade noch schafft, mit quitschenden Reifen kurz vor uns zum Stehen zu kommen. Glueck gehabt. Doch Fahrer und Wagen haben einen gehörigen Linksdrall, so dass wir immer um Haaresbreite an parkenden Autos vorbeischrammen. Vom Ruecksitz bruellen wir auf den Untoten ein. „Don’t worry“ lallt es von vorne.

An der Kreuzung vor der Africa Bar rammt er noch beinahe einen fahrenden Polizeiwagen. Mit schlotternden Knien wie nach einer Achterbahnfahrt steigen wir aus. Diese kurze Strecke, wie von uns bis zur Reeperbahn hat uns bis jetzt die meisten Nerven gekostet. Sieben Minuten blanke Angst! nach Diktat verreist -dwo


wieder in der ersten welt
johannesburg, 28.2.2005

nach zwei wochen mosambik sind wir vorhin in jo'burg, dem moloch von suedafrika, angekommen. kulturschock! ein geradezu britisch anmutendes downtown, hochhäuser und alte fabriken, höllischer verkehr, bankpaläste und shopping malls, ueber denen ein dunkelgrauer gewitterhimmel hing, das wetter feucht-kuehl. gar nicht afrikanisch.

passend zum namen der stadt wurden wir von nbos altem "woche"-kollegen johannes an der gigantischen park station abgeholt. nach einer kleinen rundfahrt durchs toughe zentrum und einem echten deutschen abendbrot mit wurst, käse und guerkchen (phantastisch) bei johannes und merle zuhause werden wir nun erst mal im stadtteil melville einen trinken gehen.

mosambik war sehr zwiespältig: wir haben den tollsten strand unserer tour dort entdeckt, in maputo, der hauptstadt, aber auch den bisherigen tiefpunkt aller afrikanischen trostlosigkeit gefunden. mehr dazu morgen, wenn wir wieder einmal eine unserer internetsessions einlegen (mosambik ist nicht gerade connected).


das neue afrika
johannesburg, 2.3.2005





johannesburg ist die hauptstadt der paranoiden dieser welt. gewalt und unsicherheit begleiten alle mit hellerer hautfarbe auf schritt und tritt. jeder weiss eine horrorgeschichte zu erzählen. um so erstaunter sind wir, als uns johannes newtown, den stadtteil suedlich der park station, zeigt. kneipen und fabrikgebäude, in den konzerte und raves stattfinden, reihen sich da aneinander, und ich fuehle mich sofort ins berlin-mitte der fruehen neunziger zurueckversetzt. damals im e-werk oder im tresor. jo'burg hat dieselbe toughe oberfläche, unter der das leben brodelt und die so viele verstört, wie berlin.

noch verblueffter sind wir, als wir in melville ankommen, einem der besseren stadtteile im westen. kalifornisches lebensgefuehl pur: ueppige vorstadtgärten, breite wohnstrassen, cafes und bars, buchläden, nichts, was mit den bildern der verbrechensmetropole zusammenpasst. selbst die zäune und gartentore sehen im vergleich zu nairobis westlands festungsmauern bescheiden aus. abends fahren wir in ein neues einkaufszentrum, das in jo'burgs stadtteilen intakte ortskerne simuliert. trinken ein bier im moyo's, einer afrikanisch gestylten restaurantbar, in der gutbetuchte - schwarz und weiss - ihr "bedrohtes" leben geniessen. die schwarzen hier wirken ganz anders als in ostafrika, viel individualisierter, hipper, keine spur von dem provinzlertum oder der underdog-klischee, das bisher vorherrschte.

dass die apartheid erst vor elf jahren offiziell abgeschafft wurde, kann ich kaum glauben. erst im apartheid-museum am nächsten tag bekommt dieses duestere kapitel juengster geschichte ein gesicht. bilder von pruegelnden polizisten in faschistoiden uniformen, von burenfrauen am voortrekker-denkmal mit seltsam altmodischen häubchen, von zusammengeschossenen demonstrationen, dazu ganz reale einzelzellen, galgen und polizei-panzerwagen, all das ist hier fuer den ungläubigen besucher aus der ferne in einem beeindruckenden bau zusammengetragen.

der kreis schliesst sich: mit auschwitz fing unsere reise an, mit dem apartheid-museum nähert sie sich dem ende. doch während auschwitz, ruine, die es ist, schon einer fernen vergangenheit angehört, hat die apartheid noch bestand gehabt, als das internet schon erfunden war, als beatles und apollo-mondlandung bereits geschichte waren. ein faschistoides spiegelbild europas suedlich des äquators, das in einer parallelwelt zu existieren schien, als der westen seine gespenster schon vertrieben hatte.

als wir später mit johannes durchs abendliche soweto fahren, ist auch dieses schon in einer neuen epoche angekommen. wir fahren an winnie mandela protzigem wohnbunker vorbei, auch sie ist schon eine figur der geschichte. nur die 20 meter hohen flutlichtmasten, die ueberall in soweto die nacht zum tag machen, erinnern daran, dass diese stadt als straflager gedacht war.

im "the rock", der "yuppiekneipe" von soweto, wie johannes sagt, trinken wir ein bier. als wir uns eine zigarette anzuenden, werden wir höflich gebeten, doch bitte draussen oder im raucherzimmer zu schmöken. ein paar mittelklasseautos fahren vor. das also ist soweto, einst fanal im kampf gegen die apartheid, symbol fuer kriminelle unregierbarkeit? soweto 2005 ist eine stadt, in der die menschen anfangen, die vergangenheit hinter sich zu lassen und etwas aus ihrem leben zu machen. wenn es fuer diesen traurigen kontinent hoffnung gibt, dann sind jo'burg und soweto fuer mich ihr symbol. hier wird das neue afrika seinen anfang nehmen. -nbo


Wollemer neilasse?
Durban, 3.3.2005



Zwei Minuten vor Toreschluss erreichen wir den Bahnhof in Jo'-burg, weil der Taxifahrer sich mit uns im Feierabendstau verfranst hatte. Mit geschulterten Rucksäcken galoppieren wir durch die Bahnhofshalle und suchen mit gehetzten Blicken den Nachtzug nach Durban. Da! Halt noch nicht zumachen, wir kommen! Die Tore werden tatsächlich geschlossen, puenktlich zehn Minuten vor der Abfahrt, wie es auf dem Ticket stand. Nix mehr mit afrikanischer Gelassenheit.

Auf den letzten Druecker schluepfen wir noch durch und lassen uns erschöpft, mit Schweissperlen gross wie Pingpongbälle auf die Sitze in unserem Abteil fallen. Gerade erst abgefahren, gehts auch schon los. Es rasselt an der Tuer, sie wird aufgeschoben und ein freundlicher Zugbegleiter bietet uns Kaffee an. So geht es dann die nächste halbe Stunde, mal ist es die Bettwäsche, mal das Klopapier samt Zahnputzbecher, Abendessen. Entwöhnt von soviel Zuwendung im öffentlichen Leben fuehlen wir uns geradezu muetterlich umsorgt.

Die Krönung ist dann der Auftritt des letzten Diensteifrigen: "Hello, my name is Prince. If you need anything just call me. And no, you are not allowed to smoke in here, but you can. Me, I know nothing." Na, darauf erstmal eine rauchen.

Zur Nachtruhe gebettet fängt unser Abteilnachbar, der sich die Fahrt mit einer Flasche Whiskey geteilt hatte, erstmal an zu randalieren, als wolle er den ganzen Laden kurz und klein hauen. Nachdem er seinen fluesigen Mageninhalt bei voller Fahrt aus dem offenen Zugfenster geworfen hat schläft er endlich ein. So, und jetzt ist Ruhe! Noch einen Mucks und ich hol den Prince, Du!

Mit vierstuendiger Verspätung kommen wir am nächsten Mittag in Durban an, unsere Zugbegleiterschar ist untröstlich und entschuldigt sich etliche Male bei uns. Schon gut, keine Ursache. Seit wann kommt's denn hier auf Puenktlichkeit an, wir sind doch schliesslich in Afrika. Oder etwa nicht mehr? nach Diktat verreist -dwo


auf dem dach afrikas
sani pass, 6.3.2005









tibet ist das "dach der welt", hören wir von kindesbeinen an. aber auch afrika hat ein dach, das kaum jemand kennt: lesotho. einer festung gleich erhebt es sich auf einer hochebene ueber suedafrika, abgeschirmt im sueden von den dreitausendern der drakensberge, ueber deren gipfeln mörderische gewitter toben.

ueber die alte händlerstrasse durch haarnadelkurven hinauf zum sani-pass erreichen wir nach anderthalb stunden im keuchenden landrover diese seltsame, entrueckte welt, die tolkien die erste inspiration zum "herrn der ringe" gegeben haben soll. als wir im baumlosen hochland mit seinen gelben blumenwiesen und steinhuetten ankommen, ist suedafrika plötzlich so weit weg wie europa.

viehhirten stapfen, in wolldecken gehuellt, mit federnden schritten in gummistiefeln durch die weite gruene tundralandschaft. und während wir kurzatmig und ungläubig ueber diese atemberaubende bergwelt in unsere sandwiches beissen, liegen fuenf junge basotho bäuchlings vor uns im gras und amuesieren sich ueber uns seltsame zeitgenossen.

hier oben in lesotho gelten noch andere gesetze, hat die moderne kaum den alltag angekratzt. in den steinhuetten haben die frauen das sagen: selbst der ehemann darf die huette nur betreten, wenn ihm seine frau einlass gewährt, hören wir. "gogo?" muss der mann fragen und auf das "ngena" der frau warten. wenn sie ein neues kind geboren hat, darf der mann fuer einen monat die huette nicht betreten. in dieser zeit muss er in den steinernen hirtenunterständen an den berghängen zuflucht suchen.

wer eine basothohuette betritt, setzt sich sofort ungefragt auf den boden und wartet, bis ihm eine hand zur begruessung entgegengestreckt wird. die ergreift er dann, ohne aufzuschauen oder sich gar zu erheben, denn beides wuerde bedeuten, dass der besucher unredliches im schilde fuehrt.

vor den runden steinhuetten sind kleine flaggen aufsteckt: weisse, wo sorghumbier verkauft wird, rote fuer fleisch, gelbe fuer mehl. anbauen lässt sich auf dem dach afrikas allerdings nichts, hier in rund 3000 metern höhe gedeihen nicht einmal kartoffeln oder rueben im nur 30 zentimeter tiefen tundraboden. der winter ist brutal und treibt die basotho in ihr flachland, das "nur" 1500 bis 2000 meter hoch liegt.

als wir von unserem aussichtspunkt zurueck zum jeep laufen, sehen wir plötzlich zwei fast nackte gestalten auf den felsen auftauchen. sie rufen und lachen und stuermen dann hinter uns  her. ausser gummistiefeln und badehose tragen die beiden jungs nichts, während wir uns im kuehlen wind des hochlandes uns schon unsere fleece-jacken bis unters kinn zugezogen haben.

als wir ihnen ihr bild im display der digitalkamera zeigen, lachen sie laut los. und ich frage mich in diesem augenblick, ob sie ueber sich selbst lachen oder ueber uns ulkige touristen, die sie fuer so wichtig halten, dass sie ein foto von ihnen hinunter in die erste welt nehmen wollen. -nbo


dunkler beat
coffee bay, 7.3.2005

die sechs mädchen der xhosa-tanzgruppe haben gerade ihre routinierte vorstellung im bomvu backpacker beendet und das geld eingesammelt, als zwei jungs vor der kueche zu trommeln beginnen. einfach so. mit ernsten gesichtern schlagen sie einen schnellen, harten beat, lächeln nicht, schauen nicht nach rechts oder links. und während wir afrikatraveller uns einmal mehr auskunft ueber unseren mentalen belagerungszustand geben, dringen die trommelschläge langsam in mein bewusstsein.

das gespräch verschwimmt zu einem gemurmel hinter dem rhythmus, meine gedanken wirbeln durcheinander, schwingen mit jedem schlag wie von einer membran angestossen auf und ab, bis ich eine art resonanz fuehle. "this is africa", tönen die trommeln, und es klingt plötzlich ganz anders als diese idiotische generalentschuldigung, die uns seit monaten begleitet.

es ist zum ersten mal ein statement, und dann setzt ein film ein: ein scheissleben ohne möglichkeiten, durch das euphorische und verständnislose touristen stolpern, die an einem tag ganze monatsgehälter auf den kopf hauen, aber trotzdem knauserig sind, in dem der fluch von kolonialismus und apartheid wie eine schwere graue wolkendecke auf die stimmung drueckt, in dem die moderne nur im fernsehen existiert, der tsunami der normalfall, das alltägliche wetter ist, AIDS eine dumpfe plage, ueber die man nicht sprechen kann - oder ist es gar eine verschwörung -, und in dem ein gutes leben ein ziel ist, zu dem vom gottverlassenen coffee bay an der wild coast kein weg fuehrt...

hypnotisiert versinke ich im beat der dunklen trommeln, fuehle mich am falschen ort zur falschen zeit, nichts begreifend, so sehr ich mich anstrenge, unbehaglich und ultimativ hilflos im angesicht dieser beiden ernsten jungen, die sich mit dem jackenzipfel den schweiss von der stirn wischen, die immer noch nicht lächeln, aber ihre sicht der dinge subjektiv und kompromisslos aufs fell hauen. dann plötzlich hören sie auf zu trommeln, der film reisst, der flash endet abrupt. now, this was africa! denke ich matt und bin ratloser als je zuvor. -nbo


im mentalen landeanflug
cintsa, 9.3.2005

ganz langsam kommen wir von unserem trip runter. fahren seit einigen tagen mit einem mietwagen durch die lande, was fuer ein luxus nach minibussen, trucks und ueberfuellten fähren. durch die wilde schroffe transkei sind wir nun an der wild coast in cintsa angekommen. trinken morgens unseren kaffee mit blick auf die wueste brandung vor der steilen kueste, stehen abends in der bar des buccaneer backpacker, eines regelrechten travellerdorfes (absolut empfehlenswert), und diskutieren ueber die kommende welle der rauchverbote in europa. afrika entschwindet, nur manchmal kommt es hoch, wie neulich abends in coffee bay. der dunkle beat.


europa vs. suedafrika (weiss)
cintsa, 9.3.2005

wenn nicht die afrikaner in den strassen wären, könnte man suedafrika fuer ein spiegelbild europas suedlich des äquators halten. fuer den versuch, diesen kontinent, der in der vergangenheit der ganzen welt probleme gemacht hat, noch einmal zu erfinden. nur beeindruckender: mit schrofferen bergen, wilderen kuesten, lieblicheren tälern, verrueckteren bäumen, weniger städten, dazu mit wueste und savanne. dass europäer so auf suedafrika abfahren, wundert mich nicht.

matthew, ein thirtysomething aus kapstadt, den wir vom sani pass nach coffee bay mitnehmen, sieht das anders. "ich beneide euch europäer", sagt er langsam, in seiner verwirrten art, und man fuerchtet fast, er könnte in der nächsten minute seinen namen vergessen. "ihr fahrt einfach ein paar hundert kilometer, dann seid ihr in einer anderen kultur mit einer anderen sprache."

ein schwarzer suedafrika wuerde darueber nur den kopf schuetteln, denn genau das trifft natuerlich auch auf suedafrika mit all seinen stämmen und sprachen zu. aber matthew ist ein weisser suedafrikaner, muttersprache englisch. "als ich in europa war, hatte ich dieses komische gefuehl, weisser zu sein und trotzdem nicht dazuzugehören." die erste ankunft hoch oben im norden hat ihn ueberwältigt, er schwärmt in einem fort. "ich kannte europa nur aus filmen, ich habe all die bilder im kopf gehabt, lange bevor ich da war. aber dann wirklich da zu sein, war unglaublich." mit denselben worten beschreiben viele europäer sonst ihren ersten trip in die USA, "so much larger than life".

hier unten soll europa die ueberwelt sein? fuer sal, eine suedafrikanerin mit irischen vorfahren, managerin des buccaneers backpackers, nicht. "mir ist europa zu geordnet, zu aufgeräumt. ich liebe dieses durcheinander hier in suedafrika, alles ist bunter." all die kulturen, die nebeneinander in jeder stadt leben. fuer sal ist suedafrika ihr zuhause, "es gibt kein land, in dem ich lieber leben möchte". matthew dagegen träumt von europäischem punk, den er nie miterlebt hat. ich selbst kann mir wiederum nicht vorstellen, hier unten zu leben, mir kommt es manchmal schon recht amerikanisch vor, dieses weisse leben, dass sich allmählich in shopping malls verlagert, in die man mit dicken SUVs fährt. da reicht mir auch die tolle landschaft nicht. -nbo


"rueckkehr" - die generalprobe minus pauli
hamburg, 11.3.2005





an ost-london brausen wir vorbei, tanken kurz in berlin, lassen potsdam und braunschweig links liegen und dann ist das schild da: "hamburg 20 km". die letzten zehn kilometer geht es ueber eine schlaglochpiste, immer aufs meer zu, ueber sanft geschwungene gruene huegel, bis die breite flussmuendung vor uns liegt.

"welcome to hamburg" steht am ortseingang, hinter dem sich einige bungalows verlieren. vor dem liquor shop auf der hauptstrasse ist hochbetrieb, denn das wochenende hat begonnen. doch kein hanseat weit und breit zu sehen, nur ein paar afrikaner mit bier in der hand und ein paar jungs, die "money" zischen. das ist hamburg, eastern cape province, south africa.

eine jener siedlungen, die deutsche auswanderer vor ueber hundert jahren an der sunshine coast und in deren hinterland gegruendet haben. der grösste gag: hamburg suedafrika hat dieselbe telefonvorwahl wie hamburg an der elbe - 040! abends gehen wir, na wohin? zum portugiesen essen, wie auf dem schulterblatt (im schanzenviertel). fehlt nur noch das sagres zum fisch.

im unterschied zum hiesigen berlin, einem nest mit riesigem gewerbegebiet, ist das hiesige hamburg ein juwel. ein menschenleerer kilometerlanger strand, beschauliche hänge, auf denen ein paar ueppige landhäuser mit meeresblick thronen - eins sogar mit reetdach -, einheimische, die in der flusslagune hinter dem strand im sonnenuntergang angeln, kein backpacker-partywahn, nur das zirpen der zikaden unterm sternenhimmel in der nacht... so toll hatten wir uns die rueckkehr nicht vorgestellt. -nbo


abends im township
port elizabeth, 12.3.2005





es ist samstag abend im anderen suedafrika. in einer ungeteerten gasse im walmer township hat uns msolisi quza, unser guide, vor einer wellblechkneipe - einer "shebeen" - abgesetzt. "just relax and have a beer", sagt er und fährt davon, um den geliehenen minibus zurueckzugeben und das abendessen vorzubereiten. topla, juice und ihre freunde haben uns die beiden ehrenplätze vor einer rohen hauswand gegeben: zwei gartenklappstuehle.

hunde schnueffeln und springen an uns hoch, wildes händeschuetteln ist angesagt. dreimal, wie in afrika ueblich: fuer "peace, rain, prosperity". topla und die anderen sind so erfreut ueber die ungewöhnlichen gäste aus germany, dass sie uns gleich eine 0,6-liter-flasche castle lager in die hand druecken, das wir uns alle dann bruederlich teilen.

jeder, der vorbeikommt, bleibt mit einem strahlenden lächeln stehen und schuettelt uns die hand. winston, ein junger typ ohne schneidezähne, im fussballtrikot, hält einen vortrag ueber gott. dass der nun in einfach allem sei. "auch in autounfällen?" stichelt woldo, denn inzwischen muessen alle ueber diese improvisierte predigt grinsen.

topla, ein sympathischer rasta-man mit musketierbart und dem unvermeidlichen schlapphut zwinkert uns zu und produziert ein recht dope-beladenes grinsen. und während die sonne hinter den bäumen am rande des townships untergeht, redern wir ueber europa, suedafrika und die neue zeit. "wir sind alle menschen, all das gerede ueber hautfarben ist nur idelogie", sagt topla. was anderswo wie eine floskel klingt, ist hier und jetzt der spirit dieses augenblicks. keiner will uns anpumpen, keiner lamentiert ueber probleme, die sich nicht lösen lassen.

na gut, die ersten biere am samstag nachmittag und das schöne wetter haben mitgeholfen. trotzdem, wir sind es, die eingeladen werden, noch ein bier, und wollt ihr eine zigarette, hier im walmer-township, das als einziges in port elizabeth zwischen weissen vororten den bulldozern des apartheid-regimes standhielt und heute 60.000 einwohner unter den flutlichtmasten zählt.

in vielen strassen sind die wellblechhuetten bereits den einfachen wohnhäusern des "reconstruction and development program" gewichen. 28.000 rand pro haus (ca. 3500 euro) lässt sich die regierung die modernisierung der townships kosten. die neuen häuser werden den leuten innerhalb von zwei wochen auf ihren grundstuecken errichtet, ohne dass diese irgendetwas zurueckzahlen muessten.

in einem abschnitt werden gerade 300 zweigeschossige häuser fuer schwarze uniabsolventen gebaut, die darin mietfrei wohnen können, bis sie ihren ersten job gefunden haben. ob nicht die gefahr bestehe, dass die häuser verwohnt wuerden, wenn niemand dafuer zahlen muss, fragen wir msolisi. er runzelt nur die stirn und wundert sich ueber unser geringes vertrauen in das verantwortungsbewusstsein der townshipler. die regierung will bis 2010 sämtliche huettendörfer in suedafrika in ordentliche stadtteile verwandeln. ehrgeizig. selbst wenn es erst 2015 wird, der aufbruch ist beeindruckend, und wir fragen uns, warum die regierungen in anderen afrikanischen staaten nicht auch so energisch sind. warum passiert dergleichen nicht in nairobi oder blantyre? "dabei sind die anderen lange vor uns unabhängig geworden", hat msolisi dazu bemerkt.

als topla hört, dass ich wissenschaftsjournalist bin, wird er neugierig. ob ich wuesste, dass es in afrika eine uralte wissenschaft gebe, die die welt bisher ignoriert habe. ich kann ihm nicht ganz folgen, als er mich fragt: "do you know the triangle of death?" dort hindurch wuerden wir alle irgendwann in die andere welt hinuebergehen, ueber die leider keiner berichten könne, weil noch niemand zurueckgekommen sei. "weisst du, dass unter den ozeanen und fluessen andere seelen leben?" meint er mit geheimnisvollem blick. rausch und realität mischen sich in dieser fruehen abendstunde entwirrbar miteinander. "you're my long lost brother", meint er schliesslich, und ich kann mir tatsächlich vorstellen, wie er und ich am pferdemarkt in st. pauli ueber den aufbau des universums philosophieren wuerden.

juice, der bedächtigste von allen, war einmal sieben wochen in norddeutschland. was ihn dort am meisten verbluefft hat, sind die fussgängerzonen gewesen. "mitten in der stadt fahren keine autos, alle sind zu fuss oder mit dem fahrrad unterwegs. und so viele fahrräder." das sei ziemlich verrueckt gewesen, meint er. woldo ist unterdes mit einem älteren, ebenfalls zahnlosen ins gespräch gekommen, und als sie ihm sagt, das echte freunde das  wichtigste im leben seien und viel geld einem feinde, aber bestimmt keine freunde einbringe, fuehlt er sich bestätigt. er bedankt sich sogar bei ihr fuer dieses statement.

dann sagt juice plötzlich "auf geht's", das essen bei msolisi zuhause sei fertig, und wir brechen auf. ein anderer, der zwischendurch hinzugekommen ist, möchte eine der bierflaschen behalten, die wir mit zum essen nehmen wollen. ich will ihm eine in die hand druecken, als topla abwinkt. der mann sei schon zu betrunken und zu gierig. kommt nicht in frage. "I was born in a chaotic situation, I sort it out", und dann redet er ernst auf den älteren ein.

der satz hallt noch lange in meinem kopf nach. es ist unglaublich, mit wieviel witz, stolz und offenheit diese leute die "chaotische situation" sehen, in die sie die apartheid gestuerzt hat. sie bekräftigen alle, jene zeit sei hart, sehr hart gewesen. aber da ist kein hass zwischen den zeilen zu spueren. und so, fast am ende unserer tour am rande von port elisabeth, leuchtet kurz wieder der african spirit auf, den zu finden wir hofften, den wir hin und wieder erhascht haben und der doch zu oft verborgen blieb. -nbo


zielgerade
13. - 15.3.2005





es ist, als habe ich hummeln im hintern, während ich mit woldo die lächerlich gehypete garden route entlang brettere, wir wollen nicht mehr verweilen, können keine neuen eindruecke mehr verarbeiten, wir wollen ankommen. trinken kurz einen espresso in knysna, der puppenstube der garden route, was fuer ein kaff mit all den "ausflueglern", die hier wohl selige tage verbringen wollen, in dieser amerikanisierten touristenfalle.

nein, weg von der kueste, rauf in die berge und ueber den pass, und wow! was fuer eine landschaft öffnet sich da, die kleine karoo, eine weite ebene, eingefasst von wilden bergketten, ueber die wolken wie wasserfälle stuerzen. rein nach oudtshoorn, in die straussenstadt, wo wir abends straussensteak und morgens straussenruehrei essen, ueberall rechts und links der landstrasse grasen strausse, das ist ein schönes, friedliches nest, oudthoorn, hier muss ich später noch mal hin, aber nicht heute, nur noch eine tageslänge von kapstadt entfernt, nichts kann uns halten.

weiter, weiter, wieder rauf in die berge, ueber pässe und runter, dazwischen ein kaffee in ladismith. am nebentisch sitzen vier ältere afrikaner, alle in ihren fuenfzigern, was die wohl vor 20, 30 jahren gemacht haben? haben sie von der apartheid profitiert, oder waren sie dagegen? fragen, die sich jeder deutschland-besucher der fuenfziger wohl auch gestellt hat, wenn er in essen oder frankfurt mittelalte leute sah, war dieser, war jener nazi oder nicht?

bloss weiter, barrydale, swellendam fliegen vorbei, wir heizen ueber weite huegel gen sueden, nach kap agulhas, da wo afrika zuende ist. ein schlimmes kaff, keine bäume und freier blick bis zur antarktis, der wind pfeift schon frisch, es erinnert mehr an island im sommer als an afrika, auch da wollen wir nicht bleiben. mich kribbelt es, am liebsten wuerde ich durchheizen bis kapstadt, aber das ist zu weit fuer heute, und in der abenddämmerung eines herrlichen sommertages erreichen wir immerhin hermanus. trinken einen sundowner in shimmi's bar, cool und stylish, könnte auch in hamburg sein, mit lounge-musik im hintergrund.

und plötzlich purzeln alle diese bilder durch meinen kopf, mensch wir sind fast da, beirut, kairo, lake turkana, sansibar, lake malawi... ich fuehl mich benommen, aber auch euphorisch, zusammen mit dem woldo, darauf einen rose, ole, und ein springboksteak, oh ja, und eine zigarette, dann schwirrt mir der kopf und ich schlafe unruhig, morgen ist der tag da...

als wir aufwachen, brennt die sonne noch wilder, kein lufthauch weht vom meer herueber, auf geht's, nur noch 150 kilometer, wir nehmen die kuestenstrasse als zielgerade, wegen all der abgefahrenen kurven. das macht uns gar nichts, plötzlich ueberkommt uns diese zufriedene ruhe, wir haben das rennen im sack und alle zeit der welt, schauen ein paar robben beim toben im meer zu, biegen am ersten kapstädter township links ab, noch ein umweg, warum nicht, umkurven chapman's peak, durchfahren die atemberaubende bucht von hout bay, die sonne scheint immer noch, nur noch wenige orte, bakoven, camps bay, bantry bay... -nbo


am ziel
kapstadt, 16.3.2005





21.000 kilometer, 5 monate, durch den nahen osten, durch afrika, das verrueckte afrika. wir haben es geschafft. wir sind in kapstadt. heil angekommen. aber die stadt sperrt sich. hat nicht auf uns gewartet. kein zimmer frei, heisst es fast unisono, weil hier irgendein komisches radrennen stattfindet. und kapstadt ja ueberhaupt immer hochsaison habe.

die zielgerade streckt sich auf den letzten metern lang und länger, es ist als ob jemand das zielbanner ständig vor uns herschiebt, während wir durch die stadt kurven, da aber doch noch nicht da. irgendwann, es wird gerade dunkel, ergattern wir in der long street ein bett, heiss, stickig und spuckbillig, aber das passt doch eigentlich zu der ganzen zeit, die hinter uns liegt.

dann sitzen wir in einer coolen bar im geöffneten fenster, während vom "mama africa" der beat einer band herueberschallt und in meinem kopf ist auf einmal - nur leere. als ob die ganze euphorie der letzten zwei tage sich nichts fuer das ziel aufgespart hat. das war's, und draussen ist dienstag abend in kapstadt, die nachtschwärmer trinken wie immer und wissen nichts von unserer tour, die ganze stadt hat keine ahnung, wie wir hierher gekommen sind, aber ich will es auch schon gar nicht mehr erzählen, erst recht nicht der grande dame am kap der guten hoffnung, die sich nicht um uns schert. pah!

der schlaf ist kurz, die luft in unserem winzigen zimmer steht, die klimaanlagen von downtown veranstalten ein summkonzert, das zum gotterbarmen laut ist. um fuenf uhr morgens kapituliere ich, schleiche auf die verande im ersten stock, ueber der nächtlichen verlassenen long street.

no sleep in kapstadt.

nicht nur reisen, auch ankommen will gelernt sein, dann versuche ich's eben noch mal, schleiche zurueck ins bett, wache zerschlagen vom lärm der stadt auf, aber ja, es ist der lärm der metropole, wir sind in kapstadt, ich schaue aus dem hochgeschobenen fenster, die sonne scheint, und gegenueber prangt ein graffiti "africa village". dann fruehstuecken wir in einem coffee shop, auf dem buergersteig sitzend, der tafelberg thront ueber den häusern. da muessen wir rauf, das ist das ende, nicht hier unten in der innenstadt, ist uns klar.

eine stunde später sitzen wir in 1067 metern ueber dem meeresspiegel, und da liegt sie da, die grande dame, jetzt doch ganz ansehnlich, wir prosten uns zu und sind gluecklich. wir sind endlich angekommen. -nbo


sägemehl (ein paar unaufgeregtere gedanken zu afrika)
kapstadt, 18.3.2005

meinen brass ueber das "trainingslager fuer philanthropen" habe ich mir vor einiger zeit von der seele geschrieben. aber afrika gibt noch keine ruhe, es rumort weiter, ich lese, was ich finden kann, um mehr ueber diesen kontinent zu verstehen, magazine, buecher - gibt es irgendwo antworten auf die frage, wie es in afrika aufwärts gehen könnte? ja.

hernando de soto hat eine vor fuenf jahren in seinem buch "the mystery of capital" gegeben. wichtig ist der untertitel: "why capitalism triumphs in the west and fails everywhere else". de soto leitet das institute of liberty and democracy in lima, einem think tank zu fragen ueber weltwirtschaft und entwicklung. das problem der dritten welt sei nicht, dass ihre bevölkerung ungebildet, unfähig, faul oder fuer den kapitalismus kulturell ungeeignet sei.

nein, die ökonomien der dritten welt bestehen zu drei vierteln aus informellen unternehmen und  produktionsstätten, die ausserhalb des gesetzes operieren, aus dem, was bei uns "schattenwirtschaft" genannt wird. de soto und seine mitarbeiter haben seit den 80er jahren die favelas und shantytowns von sechs drittweltmetropolen auf ihr wirtschaftliches potenzial hin untersucht.

ihr fazit: die wirtschaftliche aktivität dort ist enorm - sie taucht nur in keiner nationalen oder internationalen statistik auf, weil die grundstuecke, maschinen, fahrzeuge, mit denen der "slum-entrepeneur" oder der landbewohner arbeiten, nirgendwo registriert sind. den wert dieses "toten kapitals", das am offiziellen weltkapitalismus nicht teilnimmt, schätzt de soto auf weltweit 9,6 billionen dollar!

tot ist dieses kapital deshalb, weil es kein registriertes privateigentum ist, dass es seinen besitzern ermöglichen wuerde, als sicherheit fuer bankkredite oder geschäftsverträge zu dienen. privateigentum ist aber die grundlage des kapitalismus, und vor allem - es bringt geld und kapital ueberhaupt erst hervor. wo kein privateigentum existiert, das wie im westen dokumentiert und amtlich verbrieft ist, gibt es nur einen mafia-kapitalismus aus schmier- und schutzgeldern und einer produktion, die immer am rande der anarchie und des verfalls operiert.

wer je in afrika oder asien rumgereist ist, hat sofort all die gluecksritter der stadt, die an einer strassenecke alles und nichts verkaufen, die inoffiziellen taxifahrer oder die kleinen familienwerkstätten in huetten, am rande der metropole oder auf dem tiefsten land, vor augen.

de sotos botschaft ist nun: legalisiert erst einmal dieses tote kapital, bevor der internationale währungsfonds (IWF) mit weiteren "strukturanpassungsprogrammen" kommt. dass das nicht so einfach ist, zeigt ein experiment, dass er mit seinen mitarbeiter 1994 gemacht hat: die ordentliche anmeldung einer näherei mit einer nähmaschine und einem arbeitsplatz. es dauerte 289 tage und unzählige behördengänge, bis die nähmaschine registriert war - und 1231 dollar gebuehren, das 31-fache des monatlichen mindestlohns in peru. schwer genug, diese summe in peru zu sparen, aber unmöglich, einen ordentlichen bankkredit in dieser höhe fuer die anmeldung einer 1-mann-näherei zu bekommen. kein wunder, dass die meisten kleinunternehmer in diesen ländern es vorziehen, ihre näherei im ökonomischen untergrund zu betreiben.

de soto schreibt deshalb allen drittweltpräsidenten hinter die ohren: hört auf, euch zuerst um das lockermachen von hilfsmilliarden zu kuemmern - packt das eigentumsproblem eurer länder an und erweckt das tote kapital zum leben (wie es der westen uebrigens im 19. jahrhundert gemacht hat, als diverse eigentumsgesetze in den ländern europas vereinheitlicht wurden). de soto macht sich keine illusionen, dass es dazu integrer und fähiger politiker bedarf. und von denen gibt es hier in afrika eher noch weniger als bei uns. eine politikwissenschaftlerin aus malawi brachte es kuerzlich in der tageszeitung "the nation" auf den punkt: "politik wird hierzulande als besonders lukrativer job angesehen."

***

neben fehlendem eigentum und korrupten politikern gibt es ein weiteres dramatisches problem in afrika, das jedem reisenden, der mit der lost generation dieses kontinents konfrontiert ist, auffallen muss: fehlende oder zu geringe bildung. zwar haben alle afrikanischen staaten spätestens mit der unabhängigkeit ein landesweites schulsystem eingefuehrt. doch die schule ist nicht in allen ländern teil der sozialen grundversorgung, die der staat seinen buergern kostenlos stellt.

in malawi zum beispiel kostet das trimester einer secondary school (8. - 11. klasse) 3000 kwacha gebuehr, ca. 22 euro. das ist in malawi schon viel geld. in familien, in denen die eltern und älteren kinder auch noch von AIDS dahingerafft werden, ist dieser betrag dann ueberhaupt nicht mehr zu finanzieren. also versuchen viele jugendliche zu jobben. die gluecklicheren leben in einem ort, durch den touristen kommen und fuer ein paar dollar zum beispiel schnitzereien oder bilder kaufen.

nun, was wird ein 18-jähriger tun, wenn er in seinem ausgefallenen trimester auf diese weise plötzlich ein paar hundert dollar verdient hat? sehr wahrscheinlich auf die schule pfeifen und auf den mzungu money train aufspringen. der kann aber sehr schnell ins stocken kommen und am ende ganz ausbleiben: duerre, buergerkrieg, fluechtlingsströme oder ein tsunami sind ereignisse, die touristen nicht mögen. und was dann?

schlimm genug, dass die wirtschaftsstrategen des westens, etwa im IWF oder in der WTO, allen regierungen das hohelied der dienstleistungsgesellschaft vorsingen. schulgebuehren seien besser, weil dann ein bildungsmarkt entstuende, der die qualität von schulen fördere. dumm nur, wenn die jungen gluecksritter von diesem fortschritt nichts mehr mitbekommen, weil sie ihre touristendollar abends in der kneipe auf den kopf hauen. ich mochte uebrigens "we don't need no education" von pink floyd noch nie. fuerchterliches lied. -nbo


game park long street
kapstadt, 21.3.2005

"cape town is pretty", sagt neo, der liebenswerte jazzer, den wir am letzten abend noch auf einen wein treffen. "but it's got no edge like jo'burg." recht hat er. kapstadt ist zu schön fuer diese welt, mit dem mächtigen tafelberg und all seinen stränden, seinen geschniegelten surfern und wellness-fanatikern, den amerikanisierten blondinen und dieser kräftigen schuss deutscher BWL-touristen. aber es befreit sich langsam von seinem alten geld und dessen betulichkeit.

kapstadt ist auf dem weg zur weltstadt. in der long street und ihren seitenstrassen ist das vorweggenommen, im schatten der paar wolkenkratzer von downtown ist eine partymeile auf 300 meter komprimiert. trinken, feiern bis zum umfallen, nichts fuer nachdenkliche gemueter, die intellektuellen ziehen gerade erst ans kap, wo sich die kritische masse erst noch aufbauen muss.

aber der spass ist schon gewaltig: im "ivory room" groovt die menge zu erstklassigem hiphop, schnörkellos, nur die mikrophone des rap-contest fallen aus, macht nichts. weiter geht's ins "marvel", das ist hamburger berg pur, fast wie rosis bar. OK, nun ein guinness im "jo'burg", schon wieder assoziationen: "sorgenbrecher" in st. pauli oder eher "wiener blut" in kreuzberg? hier hoffen bands auf den durchbruch, aber so weit ist "the son of a thousand blues" noch nicht, da fehlt noch kraft, auch das ist noch zu schön, the doors fuer teetrinker.

ach, kapstadt macht die rueckkehr schöner, ist das landekissen fuer hamburg, gegenueber leuchtet die rote neonschrift der "adult world", alles ist schon ein bisschen wie zu hause. das hört auch nicht im "orchard bank" auf, einer coolen bar mit ledersesseln und glasbausteinen, aber genug patina, die gute alte "lounge" lässt gruessen. da stuerzen wir ein bier, ein hunters dry hinunter und entdecken auf der anderen strassenseite diesen langen gang.

zwischen zwei häusern, zwei brandwänden gehen wir dann "den langen gang entlang" (klingt schön, nicht? ist ein lied von niels frevert), hausnummer 196 1/2, kein witz, und dann öffnet sich ein innenhof mit einer wirklich gestylten bar. das myam myam. langer tresen, coole house-musik, schöne menschen, ach warum nicht, der barkeeper ruehrt uns einen daiquiri an. und wenn wir jetzt nicht so erschöpft wären, wuerden wir es noch im snap, im deluxe, im sowiet, ach was weiss ich wo, probieren, auf diesem ultimativen game drive der nacht am kap der guten hoffnung. st. pauli kann kommen. -nbo


Freue sich, wer kann
Kapstadt, 22.3.2005

Am Dammtor vor 15 Monaten und 21.000 Kilometern war zu Hause weiter weg als heute. Auf der Zeitachse war Ferne vorgesehen, den Blick geradewegs nach vorne. Von Land zu Land freuten wir uns auf das nächste. Immer in gespannter Erwartung auf das Neue, manchmal auch erleichtert, Unliebsames hinter uns gelassen zu haben. Nach Moslem-Country waren wir anfangs froh, in Äthiopien angekommen zu sein, nach Äthiopien haben wir uns auf Kenia gefreut, dann auf Tansania und von dort ging das Freu-Schnuerchen weiter bis runter an Kap. Immer ohne zu wissen, was uns erwartet. Aber heute freuen wir uns gerade weil wir wissen, was uns erwartet und deshalb noch um so mehr. Zu Hause: unsere Freunde, Familie, die Wohnung, ein Fischbrötchen, das Falkensteiner Ufer, ne Mate, alles demnächst wieder in Reichweite. Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude, aber heute sie ist vor allem die Anhäufung von guten Gefuehlen aus Erfahrung. Na, und wenn das kein Grund zur Freude ist! nach Diktat verreist -dwo


letzte worte vom kap
kapstadt, 22.3.2005

in 20 stunden werden wir in good old europe landen. in london. grossartig, euch bald alle wieder zu sehen. wir verlassen das kap tief zufrieden, denn trotz allem, was uns genervt hat: Es war phantastisch. und was ist das bisschen touristenstress verglichen mit dem gemetzel, das zuhause alle mit diesem kontinent verbinden. das ja auch unbestreitbar stattgefunden hat. aber wir haben ein anderes afrika gefunden, eins, in dem die meisten menschen versuchen - die einen schneller, die anderen, nun ja, langsamer - zu potte zu kommen, ein besseres leben zu erreichen, ohne sich dabei die ruebe einzuschlagen.

mir fallen die eleganten kaffeeverkäuferinnen im sudan ein, nasser, der bedouine in ägypten, der in seinem eigenen mix aus moderne und tradition angekommen ist, kapo kansa, der eilende waldläufer aus arba minch (allerdings ein paar schritte zu schnell), die elmolo, die am turkanasee von gemüse träumen, die entspannte dhaubesatzung von pangani, dickson aus nkhata bay, der freundlichste kellner in ganz ostafrika, die würdevolle mrs makhumula aus blantyre, pedro und ricardo aus chimoio, so liebenswürdig und hilfsbereit, ja und topla mit seinen kumpels im walmer-township von PE, "in a chaotic situation", noch viele andere gesichter huschen vorbei...

dieser kontinent ist riesig, wild, schön, brutal, aber real, kein alptraum, sondern eine er-fahrung, fuer die man nicht zu alt sein kann, auf der man auf die harte tour lächeln lernt. ob mit kindern im gepäck oder ohne, auf der kap-kairo-linie sind eltern genauso wie kinderlose unterwegs, kurz: es gibt keinen grund, diese weltgegend nicht zu erkunden - aber sehr viele dafuer. hier könnt ihr die globalisierung in all ihren schattierungen mit eigenen augen sehen, und suedafrika ist ihr labor, stolz und voller mut.
seid auch mutig. peace. -nbo
chronik

etappen
hamburg – istanbul
istanbul – dahab
dahab – wadi halfa
wadi halfa – addis
addis – nairobi
nairobi – nungwi
nungwi – kyela
kyela – tofo
tofo – kapstadt

gedanken
was ist reisen?
verschiedenes

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